Schlagwort-Archive: LG Stuttgart

Gegenstandswert für die Einziehung im Bußgeldverfahren, oder: (Bewusste) Gebührenbeschneidung?

entnommen wikimedia.org
Urheber User Gigaset

Heute ist Gebührenfreitag. Und da weise ich zuerst auf den LG Stuttgart, Beschl. v. 30.01.2019 – 20 Qs 1/19 – hin, den mir der Kollege Marcus Röll aus Heidelberg geschickt hat.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Mandanten des Kollegen wurde  wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 7 Abs. 4 Nr. 2, 19 Abs. 1 Nr. 6b Spieleverordnung i.V.m. § 144 Abs. 2 Nr. 1a GewO durch Betreiben eines wegen einer ungültigen Software-Version nicht mehr zugelassenen Geldspielautomaten ermittelt. Von der Einleitung eines Bußgeldverfahrens wurde aber abgesehen. Es wurde jedoch gem. § 29a Abs. 1 OWiG die Einziehung von 11.055,40 EUR angeordnet. Gegen diesen Bescheid legte der Kollege für den Betroffenen Einspruch ein. Beim AG fand dann eine Hauptverhandlung statt, in der das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt wurde. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.

Der Kollege hat beantragt, für den Betroffenen die bei ihm entstandenen Gebühren festzusetzen. U.a. ist die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 5116 VV RVG in Höhe von 604 EUR beantragt worden; bei der Berechnung der Gebühr hat er einen Gegenstandswert von 11.055,40 EUR zugrunde gelegt. Die Staatskasse ist der Höhe der Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG entgegengetreten. Mangels Festsetzung einer Geldbuße habe diese sich nach Vorbem. 5.1 Abs. 2 Satz 2 VV RVG nach dem mittleren Betrag der in der Bußgeldvorschrift angedrohten Geldbuße zu richten. Da vorliegend in § 144 Abs. 2 GewO eine Geldbuße von bis zu 5.000 EUR vorgesehen sei, betrage der maßgebliche Wert für die 1,0 Gebühr daher 2.500 EUR, was einer Gebühr in Höhe von (nur) 201 EUR entspreche. Das AG hat bei seiner Festsetzung die Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV RVG auf 201 EUR herabgesetzt. Die u.a. dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

„a) Der Beschwerdeführer wendet sich zu Recht dagegen, dass die Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG lediglich mit einem Gegenstandswert von 2.500 Euro bemessen und mithin auf 201,- Euro gekürzt wurde. Bei der Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG handelt es sich nämlich um eine Wertgebühr, die unter Zugrundelegung des Wertes des einzuziehenden Gegenstandes, hier also ganz klar 11.055,40 Euro, nach der Tabelle in § 13 RVG zu berechnen ist (vgl. auch Hartmann, Kostengesetze, 48. Auflage 2018, W 5116, Rn. 5 f.).

Demnach berechnet sich die Gebühr wie folgt:

Für die ersten 500 Euro des Gegenstandswerts 45 Euro
Für den Bereich von 501 Euro bis 2000 Euro: 3*35 Euro 105 Euro
Für den Bereich von 2001 Euro bis 10.000 Euro: 8*51 Euro 408 Euro
Für den Bereich von 10.001 Euro bis 11.055,40 Euro 46 Euro
Summe 604 Euro

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Vertreterin der Staatskasse zur Begrün-dung ihrer Herabsetzung angeführten Kommentarfundstelle (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage, Nr. 5116 VV, Rn. 6). Dort geht es vielmehr um die Berechnung der neben der Gebühr Nr. 5116 W anfallenden Verfahrens- und Terminsgebühren (vgl. hierzu LG Trier, Beschl. v. 08.08.2016, 1 Qs 32/16; LG Oldenburg, Beschl. v. 07.12.2012, 5 Qs 384/12; Burhoff/Volpert, RVG Straf- & Bußgeldsachen, B VV 5116, Rn. 5 m.w.N. sowie zur Gegenansicht OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.04.2012, 1 AR 70/11 und LG Koblenz, Beschl. v. 26.01.2018, 9 QS 59/17 und 9 Qs 60/19) die vom Beschwerdeführer auch entsprechend sowie ohne erkennbare Überschreitung des in § 14 RVG eingeräumten Ermessens veranschlagt worden sind.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Anzumerken ist: Man fragt sich, wie eigentlich die Staatskasse auf die Idee kommen kann, dass sich die Gebühr Nr. 5116 VV RVG nach der (drohenden) Geldbuße und nicht nach dem Gegenstandswert, der sich nach dem Wert des Betrages, der ggf. eingezogen werden soll, richtet. In Nr. 5116 VV RVG ist die Rede vom Gegenstandswert, das Wort „Geldbuße“ taucht dort nicht auf und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Gebühr aus. Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man – worauf hier offenbar die Staatskasse abzielt – mit aller Macht anwaltliche Gebühren beschneiden will. Und dafür dann noch meine Kommentarstelle als Beleg anzuführen ist geradezu grotesk. Denn zu Recht weist das LG darauf hin, dass es an der in Bezug genommen Stelle gar nicht um die Höhe der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV RVG geht, sondern darum, ob im selbständigen Einziehungsverfahren für den Vertreter des Betroffenen neben der Nr. 5116 VV RVG auch Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr anfallen, was zu bejahen ist. Hätte sich der Vertreter der Staatskasse die Mühe gemacht und im Kommentar ein wenig weiter gelesen, dann wäre er auf die Rn 9 gestoßen und hätte dort erfahren, dass für die Gebührenhöhe bei der Nr. 5116 VV RVG „die Ausführungen bei Nr. 4142 VV Rdn 25 ff. entsprechend“ gelten. Und das bedeutet: Maßgeblich ist der Gegenstandswert des einzuziehenden Gegenstandes. Auf einen anderen Anknüpfungspunkt ist bislang – soweit ersichtlich – auch noch niemand gekommen.

Und, wenn ich schon auf den RVG-Kommentar hinweise: Bestellen kann man den hier. 🙂

Und nochmals: Auslagenerstattung nach Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung

© Maksim Kabakou Fotolia.com

Heute ist „Gebührenfreitag“ und da gibt es Entscheidungen mit gebührenrechtlichem Einschlag :-). Vorab aber noch einmal die Bitte um Einsendung von Entscheidungen. Im Moment ist Sommerflaute.

Als erstes stelle ich heute den LG Stuttgart, Beschl. v. 11.04.2018 – 18 Qs 23/18 – vor. Es geht noch einmal um die Frage der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens, also „gebührenrechtlicher Einschlag“.

Hier war gegen die Fa. pp1., vertreten durch den Geschäftsführer pp2., u.a. den Verfall eines Betrages von 15.239,69 € angeordnet worden, nachdem ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die juristische Person wegen Überladungen (§§ 31 Abs. 2, 34, 69a StVZO, § 24 StVG, 199.1.1 BKatV) gemäß § 47 OWiG eingestellt worden war. Gegen diesen Bescheid hat die pp1. fristgerecht Einspruch eingelegt. In der Folge wurden die Akten dem AG Ludwigsburg vorgelegt- Dieses hat das Verfahren „gegen pp2″ gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens, nicht aber die notwendigen Auslagen, der Staatskasse auferlegt. Gegen diese Auslagenentscheidung wendet sich die pp1 mit der sofortigen Beschwerde. Die hatte beim LG Erfolg:

„Das Rechtsmittel ist zulässig: Der Umstand, dass das Amtsgericht das Verfahren gegen „pp2“ statt richtigerweise gegen die pp1 eingestellt hat, steht einer Rechtsmitteleinlegung durch Letztere nicht entgegen. Erkennbar handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen, basierend auf dem Umstand, dass die Verfahrensdaten in der EDV des Amtsgerichts falsch erfasst wurden. Tatsächlich betroffen von der Entscheidung ist die pp1; das Amtsgericht wird den Beschluss vom 28. Dezember 2017 entsprechend zu berichtigen haben. Da die Hauptsacheentscheidung von der Betroffenen nur mangels Beschwer nicht angefochten werden kann (vgl. dazu: § 206a Abs. 2 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 464 Rz. 19), ist die eingelegte Beschwerde auch statthaft. Schließlich ist die Beschwerde auch in offener Frist eingelegt, da der Beschluss des Amtsgerichts entgegen § 35 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG nicht förmlich zugestellt worden ist.

Das Rechtsmittel ist auch begründet: Im Falle der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses trägt gemäß § 467 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG regelmäßig die Staatskasse die Auslagen des Betroffenen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in § 467 Abs. 3 StPO geregelt, wobei sich vorliegend für den Anwendungsbereich von § 467 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO keine Anhaltspunkte ergeben. Aber auch eine Belastung der Betroffenen gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kommt vorliegend nicht in Betracht. Danach kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn sie wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Dies setzt voraus, dass ohne das Verfahrenshindernis (hier die Verfolgungsverjährung) mit Sicherheit von einer Verurteilung (und sei es zu einer Nebenfolge) auszugehen gewesen wäre (vgl. KK-StPO/Gieg, 7. Auflage, § 467 Rz. 10 ff.). Das aber ist regelmäßig nur bei einer bis zur Schuldspruchreife durchgeführten Hauptverhandlung der Fall. Eine solche ist nach Aktenlage indes nicht durchgeführt worden. Andere Umstände aus denen sich ergibt, dass ohne die Verjährung der Ordnungswidrigkeit Schuldspruchreife bestanden hätte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.“

Gotthard-Raser, oder: In der Schweiz niedrig geflogen, in Deutschland in den Knast?

© freshidea – Fotolia.com

Und als zweite Montagsentscheidung dann noch ein Raser-Fall, nämlich der sog. „Gotthard-Raser“ und dazu den LG Stuttgart, Beschl. v. 15.03.2018 – 21 StVK 172/17. In dem Verfahren geht es um die Vollstreckung von in der Schweiz verhängten Freiheitsstrafen hier in der Bundesrepublik. Der Beschuldigte ist 2014 in der Schweiz – Tempolimit dort 120 km/h – auf mehreren Autobahnen, darunter auch im Gotthard-Tunnel – mit streckenweise rund 200 km/h gefahren. Dabei hat er mehrere Autofahrer gefährdet und im Überholverbot überholt. Dafür wird dann in der Schweiz eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten verhängt. Ein Jahr davon soll vollstreckt werden, der Rest wird zur Bewährung ausgesetzt. Und um die Vollstreckung der Haftstrafe in der Bundesrepublik geht es.

Das LG hat den Antrag, die Vollstreckung aus dem schweizer Urteil in der Bundesrepublik Deutschland für zulässig  zu erklären, zurückgewiesen. Begründung: Die Vollstreckung würde wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen. Der Verurteilte habe zwar grob verkehrswidrig gehandelt. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden deutschen Strafvorschrift des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b), d) und e) StGB lägen jedoch nicht vor. Das LG „vermisst“ in dem schweizer Urteil den in der deutschen Rechtsprechung vorausgesetzten „Beinaheunfall“. Nach deutschem Recht handele es sich lediglich um Ordnungswidrigkeiten. Und dann:

Im vorliegenden Einzelfall führt jedoch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin gegen unabdingbare Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen würde.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der im ausgehenden 18. Jahrhundert zur Beschränkung polizeilicher Eingriffe in Freiheit und Eigentum erstmals ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat sich nach und nach zu einem der zentralsten Grundsätze der deutschen Rechtsordnung entwickelt. Er ist übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns und bindet die gesamte Staatsgewalt (so schon BVerfG NJW 1968, 979).

Dies gilt auch im Strafvollstreckungsverfahren mit internationalem Bezug (vgl. OLG Zweibrücken StV 1996, 105; OLG Stuttgart, NJW 2010, 1617 zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls aufgrund europäischen Haftbefehls). Der Verurteilte darf im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch nicht alleine deshalb schlechter gestellt werden, weil es sich um einen Fall grenzüberschreitender, international-arbeitsteiliger Strafrechtspflege handelt (vgl. Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 73 IRG, Rn. 3).

Bei der Prüfung, ob eine ausländische Sanktion gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, ist auch die Bewertung der vorgeworfenen Tat durch die deutsche Rechtsordnung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG NJW 1994, 2884). Vorliegend ergibt sich hieraus ein nicht mehr hinnehmbares Missverhältnis zwischen der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von einem Jahr und den in Deutschland vorgesehenen Rechtsfolgen für die nach hiesigem Recht nicht als Straftaten, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahndenden Taten.

Diese wären nach deutschem Recht lediglich mit Geldbußen zu ahnden gewesen. Selbst für massive Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 60 km/h sieht die Bußgeldkatalogverordnung Regelsätze von 600,00 € (außerorts) bzw. 680,00 (innerorts) € vor. Bei verkehrswidrigen Überholmanövern beträgt der Regelsatz 100,00 bis 150,00 €, im Falle einer – vorliegend gerade nicht festgestellten – Gefährdung oder Sachbeschädigung 250,00 €. Mithin sieht der deutsche Gesetzgeber solches Fehlverhalten, sofern nicht die Schwelle zur Strafbarkeit wegen (konkreter) Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c StGB überschritten wird, als eher weniger schwerwiegend an.

Angesichts dieser, vom Gesetzgeber ausdrücklich so vorgegebenen und auch im Rahmen der rechtspolitischen Debatte über den Umgang mit sog. „Raser-Fällen“, die u.a. zur Schaffung des § 315d StGB (verbotene Kraftfahrzeugrennen) führte, soweit ersichtlich nicht in Frage gestellten, zurückhaltenden Sanktionierungspraxis mit zwar nicht gänzlich geringfügigen, aber der Höhe nach noch eher überschaubaren Geldbußen wäre vorliegend die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt hinnehmbar. Die Verschärfung der Rechtsfolgen von einer eher überschaubaren Geldbuße hin zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung liegt außerhalb des Rahmens, innerhalb dessen noch von einer dem Fehlverhalten angemessenen staatlichen Reaktion gesprochen werden könnte.

Die Vollstreckung von Freiheitsstrafe stellt einen der denkbar schwerwiegendsten Grundrechtseingriffe dar. Es werden deshalb ausschließlich Verstöße gegen Verhaltensnormen, die dem Schutz höherrangiger Rechtsgüter und der Bewahrung der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens dienen, mit Freiheitsstrafen sanktioniert. Der Täter wird wegen eines vorwerfbaren sozialethisch schwerwiegenden Fehlverhaltens getadelt; mit der Strafe wird nach allgemeiner Anschauung ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil über Tat und Person des Täters gefällt (vgl. KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 17, Rn. 5). Dementsprechend wird die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Bundeszentralregister eingetragen.

Die Festsetzung einer Geldbuße als – einziger –  vorgesehener Sanktion für Ordnungswidrigkeiten ist anders als der Ausspruch einer Freiheitsstrafe durch den Richter sozialethisch neutral. Ihre Auferlegung bewirkt keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumunds des Betroffenen (KK-OWiG/Mitsch a.a.O.). Sie stellt lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung dar und hat die Aufgabe, ein bestimmtes Ordnungsgefüge zweiten Ranges, unterhalb des Schutzbereichs der elementaren Rechtsgüter, in seinem Bestand zu bewahren (vgl. BVerfG NJW 1959, 619). Ordnungswidrigkeiten gehören mithin nicht zum Kernbereich des Kriminalstrafrechts.

Dementsprechend ist für die Festsetzung einer Geldbuße, der einzigen in Betracht kommenden Sanktion für Ordnungswidrigkeiten, im Gegensatz zur Strafe nicht zwingend ein Richterspruch erforderlich. Vielmehr kann eine Geldbuße auch von einer Verwaltungsbehörde festgesetzt werden. Ihrer Funktion als nachrangige Sanktion entspricht es auch, dass Geldbußen im Gegensatz zu Freiheits- und auch Geldstrafen nicht im Bundeszentralregister eingetragen werden.

Dagegen kommen freiheitsentziehende Maßnahmen nach deutschem Recht zur Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten unter keinen denkbaren Umständen in Betracht.

96 OWiG sieht lediglich Erzwingungshaft vor. Hierbei handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Strafe, sondern um ein reines Beugemittel, das den Betroffenen nachdrücklich mahnen soll, entweder die rechtskräftig verhängte Geldbuße zu zahlen oder der Vollstreckungsbehörde seine Zahlungsunfähigkeit darzulegen (BVerfG NJW 1977, 293). Die Erzwingungshaft ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung deshalb gerade nicht mit einem ehrenrührigen, autoritativen Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Betroffenen, dem Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und der Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden, wie es Kennzeichen einer Kriminalstrafe ist. Ihr fehlt der Ernst der staatlichen Strafe, sie ist kein ersatzweises Übel für die begangene Ordnungswidrigkeit (BVerfG, a.a.O.).“

Hinweispflicht des Rechtsanwalts, oder: „Wie teuer wird das wohl?“

© Alex White _Fotolia.com

© Alex White _Fotolia.com

§ 49b Abs. 5 RAO sieht eine Hinweispflicht des Rechtsanwalts vor Übernahme des Mandats auf die voraussichtlich entstehenden Anwaltskosten vor. Wegen der Einschränkung „Richten sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert, …..“ spielt die Vorschrift im Straf- und Bußgeldverfahren nicht ein so ganz große Rolle, da wir ja hier nur in sehr wenigen Fällen „gegenstandswertbezogen“ Gebühren haben, wie z.B. in der Nrn. 4143, 4144 VV RVG. Aber damit sind die mit der Hinweispflicht des Rechtsanwalts zusammenhängenden Problem noch nicht erledigt bzw. kann sich (auch) der Strafverteidiger nicht entspannt zurücklehnen. Denn: Auch er muss auf die Höhe der voraussichtlich entstehenden Gebühren hinweisen, wenn er entweder vom Mandanten ausdrücklich danach gefragt wird oder wenn der Mandant aus besonderen Umständen des Einzelfalls einen solchen Hinweis erwarten kann. Das ist das Fazit aus dem LG Stuttgart, Urt. v. 11.07.2016 – 27 O 338/15, in dem es um die Tätigkeit im Verfahren der Selbstanzeige wegen hinterzogener Einkommensteuer (§ 30 StBVV) ging:

2. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger nach den Kosten der Mandatierung gefragt hat. Bereits hierdurch wurde die Pflicht der Beklagten ausgelöst, die voraussichtlichen Kosten zu benennen.

a) Zwar ist im Erstberatungsgespräch eine genaue Bestimmung des Honorars in der Regel noch nicht möglich, weil dem Rechtsanwalt ein Ermessen zusteht, welches er naturgemäß erst nach Abschluss der Angelegenheit ausüben soll (§ 14 Absatz 1 RVG). Gleichwohl kann der Rechtsanwalt bereits eine Größenordnung und einen Rahmen für seine Vergütung benennen.

Zurecht weist der Kläger darauf hin, dass die Berechnungsfaktoren bereits im Erstberatungsgespräch bekannt waren: Es war bekannt, dass die Einkünfte aus elf Veranlagungsjahren (2003 bis 2013) nachzuerklären waren. Ausgehend von durchschnittlichen Verhältnissen, bei denen die Mittelgebühr anzusetzen ist (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1995 – IX ZR 20/95, juris Rn. 26), wäre gem. § 30 StBVV mit einer 20/10-Gebühr aus dem gesetzlich vorgesehenen Mindestgegenstandswert von 8.000,00 Euro, mithin 866,00 Euro (Tabelle A), pro Veranlagungsjahr zu rechnen gewesen. Da gebührenrechtlich elf verschiedene Angelegenheiten vorliegen, wäre jeweils die Auslagenpauschale von 20,00 Euro abrechenbar gewesen (BGH, Urteil vom 21. November 1996 – IX ZR 159/95, juris Rn. 11) sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 19 %, insgesamt 11.597,74 Euro. Bei Rechtfertigung der Höchstrahmengebühr von 30/10 von 1.299,00 Euro für jedes Veranlagungsjahr wäre mit 17.265,71 Euro zu rechnen gewesen.

Ein Rechtsanwalt kommt regelmäßig seiner Auskunftspflicht nach, wenn er den Kläger in der vorliegenden Situation auf dessen ausdrückliche Frage die entsprechende Größenordnung für den durchschnittlichen Fall nennt und darauf hinweist, dass sich die Gebühren bei überdurchschnittlichem Umfang oder Schwierigkeitsgrad auf bis zu ca. 17.300,00 Euro erhöhen können.

b) In der konkreten Beratungssituation hätte die Beklagte zusätzlich darauf hinweisen müssen, dass sie die Abrechnung der Höchstgebühr beabsichtigt, wie sie im Schreiben von Herrn Rechtsanwalt R. vom 16.12.2014 – vom Kläger als Anlage B 5 vorgelegt – deutlich zum Ausdruck kommt.

c) Ferner hätte die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass sie die Rechtsauffassung vertritt, nicht nur für jede Steuerart und Veranlagungsjahr die Höchstgebühr des § 30 StBVV verlangen zu wollen, sondern gar zusätzlich für jede Einnahmenart……“

Sollte man als Verteidiger „auf dem Schirm haben“. Denn gibt man keinen bzw. – wie im entschiedenen Fall – einen nicht vollständigen Hinweis, dann besteht die Gefahr, dass der Gebührenanspruch nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB „verloren“ geht.

Zurechnung der Betriebsgefahr beim Sicherungseigentümer?

© rcx - Fotolia.com

© rcx – Fotolia.com

Im LG Stuttgart, Urt. v. 24.02.2016 – 13 S 46/15 geht/ging es um die Frage der Zurechnung der Betriebsgefahr. Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall die Beklagten auf Zahlung weiteren Schadenersatzes in Anspruch genommen. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Halter und Anwartschaftsberechtigter des an die L. sicherungsübereigneten beschädigten Fahrzeugs. Das  AG hat der Klage nur teilweise stattgegeben. In seiner Begründung führte das AG aus, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz von 50 % seines unfallbedingten Schadens zustehe. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme könne der Unfallhergang nicht aufgeklärt und ein Verschulden nicht festgestellt werden, da nicht geklärt werden könne, ob zuerst die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ihren Abbiegevorgang oder der Beklagte Ziff. 1 seinen Überholvorgang eingeleitet habe. Daher sei von einer 50-prozentigen Haftung auszugehen. Mit der Berufung wird geltend gemacht, dass das AG bei sämtlichen Schadenspositionen von einer hälftigen Haftungsverteilung ausgegangen ist und nicht berücksichtigt hat, dass die L. als Sicherungseigentümerin nicht Halterin des klägerischen Fahrzeugs ist.

Das sieht das LG auch so:

„Das Amtsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Hergang des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls nicht aufklärbar und daher ein Verschulden der unfallbeteiligten Fahrzeugführer nicht feststellbar ist. An diese Feststellungen des Amtsgerichts, welche ausdrücklich mit der Berufung nicht angegriffen wurden, ist die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts scheidet -mangels festgestelltem Verschulden des Unfallgegners- ein deliktischer Anspruch gemäß § 823 BGB aus, sodass lediglich Schadenersatzansprüche aus der Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG bestehen.

2.1. Die Sicherungsnehmerin muss sich als Eigentümerin des Fahrzeugs, deren Ansprüche der Kläger vorliegend geltend macht, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs, mangels anwendbarer Zurechnungsnorm, nicht zurechnen lassen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.07.2007, VI ZR 199/06; OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013, 1 U 74/13).

In § 17 Abs. 2 StVG ist ausdrücklich die Haftungsverteilung der Halter untereinander geregelt. Eine analoge Anwendung dieser Norm auf Ansprüche des Fahrzeugeigentümers, welcher nicht Halter ist, scheidet aus. Denn trotz der Änderungen in § 17 Abs. 3 StVG hat der Gesetzgeber, dem ein Auseinanderfallen von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war, die Regelung in § 17 Abs. 2 StVG unverändert beibehalten. Eine Analogie scheidet daher sowohl mangels einer unbewussten Lücke als auch im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut aus (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06). Etwas anderes kann, nach Ansicht der Kammer, auch nicht aus den Ausführungen den BGH in seinem Urteil vom 7.12.2010, VI ZR 288/09 entnommen werden. Zwar führt er aus, dass in dem Fall wenn „wegen nicht nachweisbaren Verschuldens nur Ansprüche des Leasinggebers aus Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 StVG [bestehen, der Fahrzeugeigentümer] sich im Haftungssystem des Straßenverkehrsgesetzes das Verschulden des Fahrers des Leasingfahrzeugs bereits bei der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegen den Unfallgegner nach §§ 9, 17 StVG, § 254 BGB anspruchsmindernd zurechnen lassen“. Dies kann aber nur dann gelten, wenn zwar kein Verschulden des Unfallgegners jedoch ein Verschulden des Fahrers des Leasing- bzw. sicherungsübereigneten Fahrzeugs feststeht. Dies trifft jedoch für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gerade nicht zu.

Ebenfalls scheiden als Zurechnungsnormen § 9 StVG sowie § 254 BGB aus…….“