Vor einigen Tagen hatte der Kollege Wolf in seinem Blog unter dem Titel: „LG Marburg: Honorarverlangen des Pflichtverteidigers stört Vertrauensverhältnis“ über den LG Marburg, Beschl. v. 22.05.2012 – 7 StV 442/10 – berichtet (vgl. hier den Beitrag). Der Beitrag ist – was mich ein wenig erstaunt- untergangen. Darum will das Thema hier noch einmal aufgreifen, vielleicht habe ich ja mehr Resonanz.
Worum geht es? Dem LG-Beschluss lässt sich folgender Sachverhalt entnehmen: Der Verurteilte befindet sich zum Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Im Prüfungsverfahren nach §§ 67e, 67d Abs. 2 StGB wurde ihm Rechtsanwalt P. nach § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 29.03.2012 beschwerte sich der Verurteilte über den Pflichtverteidiger und trug u.a. vor, dieser habe ein Zusatzhonorar zu den Pflichtverteidigergebühren vereinbaren wollen. Dem habe der Verurteilte nicht zugestimmt, und er habe nun den Eindruck, dass die Verteidigung schlecht geführt werde. Der Verurteilte beantragt, den Verteidiger zu entpflichten und einen anderen Anwalt beizuordnen. Dem Antrag hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer entsprochen.
Zur – mehr als knappen – Begründung:
Der Antrag der Verurteilten ist begründet. Es ist allgemein anerkannt, dass die Pflichtverteidigung aufgehoben werden kann, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger schwerwiegend gestört ist (Meyer-Goßner StPO § 143 Rdn. 3 m. zahlreichen Nachweisen). So ist es fraglos hier: Ein Verteidiger, der gegenüber dem Mandanten deutlich macht, dass ihm das Honorar eines Pflichtverteidigers nicht genügt, erweckt bei jedem vernünftig denkenden Mandanten den klaren Anschein, ohne das Zusatzhonorar werde die Verteidigung nicht ordentlich geführt. Auf dieser Grundlage sollte niemand Vertrauen in die Güte der Verteidigung entwickeln müssen.
Und was soll/muss man davon halten: Nun – m.E. ist der Beschluss falsch, und zwar aus folgenden Gründen: Es ist allgemein anerkannt, dass auch der Pflichtverteidiger mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung treffen kann (vgl. dazu die Nachw. bei Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, Teil A: Vergütungsvereinbarung [§ 3a], Rn. 1514). Der Pflichtverteidiger darf allerdings keinen Druck auf den Mandanten im Hinblick auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ausüben (vgl. dazu u.a. BGH NJW 1980, 1394; StRR 2010, 236), also ihm deren Abschluss z.B. in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einem Termin antragen (vgl. BGH, a.a.O., für Hauptverhandlung). Auch darf er den Mandanten nicht massiv bedrängen und eine „Schlecht-/Minderleistung“ in Aussicht stellen (vgl. dazu die Fallgestaltung bei KG StRR 2011, 261 m., Anm. Burhoff). Aber hat der Pflichtverteidiger das hier getan? M.E. nicht. Denn er hatte den Mandanten wie folgt angeschrieben:
„Sehr geehrter Herr NN,
ich teile Ihnen gegenüber mit, dass ich nunmehr Ihrem Wunsch entsprechend zum Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren beauftragt wurde. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass wir uns bei der nächsten Besprechung ggf. über die Verabredung eines Zusatzhonorars unterhalten können, da Sie sich bestens vorstellen können, dass das Honorar eines Pflichtverteidigers — zumal im Vollstreckungsverfahren — als vollkommen unangemessen zu bewerten ist.
Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich Sie zu einer Besprechung in Gießen aufsuchen.
Zur Ihrer Einstellung und Vorbereitung übersende ich Ihnen in Kopie das Prognosegutachten der Klinik vorab.
Mit freundlichem Gruß“
In dem Schreiben kann ich ein unangemessenes Bedrängen des Mandanten, aus dem der schließen kann/muss, der – von ihm gewünschte – Rechtsanwalt werde, wenn es nicht zum Abschluss der Vergütungsvereinbarung komme, seine Verpflichtungen ihm gegenüber nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfüllen, nicht erkennen. Anders im Fall des KG (vgl. den Sachverhalt in StRR 2012, 261). Hier ist bislang lediglich angekündigt worden, dass man sich über die „Verabredung eines Zusatzhonorars“, also eine Vergütungsvereinbarung „unterhalten“ wolle. Nachteilige Folgen für den Fall, dass diese nicht abgeschlossen wird, werden nicht in Aussicht gestellt und kann man m:E. auch nicht in das Schreiben des Verteidigers hineinlesen. Damit stellt die Entscheidung des Vorsitzenden die Rechtsprechung des BGH, ohne das mit einem Wort zu begründen auf den Kopf: Wenn nämlich allein der Vorschlag, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen, ausreicht, um eine Störung des Mandatsverhältnisses anzunehmen, dann gilt der Grundsatz, dass auch der Pflichtverteidiger eine Vergütungsvereinbarung treffen kann, nicht mehr. Die Entscheidung schießt damit weit über das Ziel hinaus.
2. Und Letzteres gilt erst recht für die im Beschluss enthaltene Mitteilung des Vorsitzenden, die ich wörtlich zitiere: „Der Vorsitzende legt die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor, denn der Pflichtverteidiger hat keinen Anspruch auf ein Zusatzhonorar und stellt dem Mandanten hinreichend deutlich vor Augen, dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle.“ Also: Anregung eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung (§ 240 StGB). Aber: Wo bitte wird vom Pflichtverteidiger damit gedroht/in Aussicht gestellt, „dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle“. Es wird lediglich ein Gespräch über die Vergütungsvereinbarung angekündigt. Das ist aber noch keine Nötigung. Offenbar wird das aber beim LG Marburg anders gesehen.
3. Was mich zusätzlich erstaunt: Der Pflichtverteidiger hat die Entscheidung rechtkräftig werden lassen. Das verstehe ich nun gar nicht. M.E. wäre die Beschwerde angebracht und auch erfolgreich gewesen.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg