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DNA-Feststellung, oder: Zur Negativprognose muss man was schreiben

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Und als Entscheidung des Tages – als zweites Posting – dann der LG Hannover, Beschl. v. 12.06.2019 – 33 Qs 38/19– zur sog. DNA-Feststellung. Um den bzw. um die Art der Einstellung hatte es in der vergangenen Woche in der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ Aufruhr gegeben, weil ein Kollege die Präsentation der Entscheidung durch den Kollegen Nordmann aus Hannover, der den Beschluss eingestellt hatte, nicht „schön“ genug = lesbar fand.

Hier daher dann der Beschluss, den nun hoffentlich alle lesen können 🙂 :

Zum Hintergrund der Entscheidung: Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschuldigten sowie einen Mittäter Anklage wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit bewaffnetem Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor dem Amtsgericht Hannover — Schöffengericht — erhoben. Da der Beschuldigte der Entnahme einer DNA-Probe nicht zugestimmt hatte, hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekular-genetische Untersuchung gemäß §§ 81g, 81a StPO anzuordnen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG Hannover gemäß §§ 81a Abs. 1, Abs. 2, 81g Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 StPO und § 8 Abs. 6 BKAG angeordnet, dass dem Betroffenen Körperzellen entnommen und zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden dürfen.

Dagegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, die beim LG Erfolg hatte:

„Der nach § 81g Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StPO erforderliche Tatverdacht liegt vor. Die An-ordnung einer DNA-Identitätsfeststellung setzt lediglich voraus, dass der Betroffene einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, wobei es auf den Verdachtsgrad nicht ankommt, so dass auch einfacher Tatverdacht (Anfangsverdacht) ausreicht. Diese Verdachtslage muss zum Zeitpunkt der Anordnung der Entnahme und der Untersuchungsanordnung nach § 81f bestehen (KK-StPO/Hadamitzky, 8. Aufl. 2019, StPO § 81g Rn. 4a, 5).

Es fehlt jedoch an der erforderlichen Negativprognose, wonach wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder auf Grund sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehen muss, dass gegen ihn künftig erneut ein (oder mehrere) Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wegen Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen mehrerer sonstiger Straftaten im Sinne von Abs. 1 S. 2 zu führen sind. Für die Begründung der für die Anordnung erforderlichen Wiederholungsgefahr reicht es nicht aus, dass der angefochtene Beschluss insoweit allein auf die Schwere der begangenen Straftat verweist, die auf „ein hohes Maß an krimineller Energie“ hindeute. Auf den konkreten Einzelfall bezogene Umstände zu Art und Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstige Erkenntnisse, die die Annahme der Gefahr von erheblichen Straftaten des Betroffenen in der Zukunft tragen könnten und durch das Gericht festzustellen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 62 Auflage, § 81g Rn. 10a), werden nicht mitgeteilt. Solche sind derzeit auch nicht ersichtlich, insbesondere ist der Beschuldigte nicht vorbestraft. Insofern reicht allein das Vorliegen einer bloß abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens – insbesondere vor dem Hintergrund, dass durch die Anordnung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird – für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g Abs. 1 StPO nicht aus. Eine andere Entscheidung könnte sich daher erst nach Abschluss des Strafverfahrens ergeben.“

M.E. Munition gegen den Anordnungsautomatismus, der vielfach gegeben ist.

Akteneinsicht II: Kein Rechtsmittel, oder: Alles nur Worthülsen….

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Die zweite Entscheidung ist dann ein landgerichtlicher Beschluss, und zwar der LG Hannover, Beschl. v. 07.03.2018 – 48 Qs 16/18. Es geht um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung der (Akten)Einsicht in Unterlagen im gerichtlichen Verfahren. Das LG sagt: Unzulässig, § 305 Satz 1 StPO steht entgegen:

„Bei dem Antrag auf Beiziehung der Unterlagen handelt es sich faktisch — wie auch der Verteidiger des Betroffenen in seinem Antrag selbst ausgeführt hat — um einen Antrag auf Akteneinsicht. Die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, dient vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der laufenden Hauptverhandlng und soll eine effektive Verteidigung ermöglichen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 27.2.2003 — 3 Ws 234/03, BeckRS 2003, 30309455). Da die Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jeden Gerichts ist, muss diese Entscheidung durch das erkennende Gericht vor der Urteilsfällung erneut auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Die Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren wird zudem — unter bestimmten Voraussetzungen — auch durch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG geschützt. Jede diese Rechte tangierende Entscheidung des Vorsitzenden nach Eröffnung der Hauptverfahrens oder auch in laufender Hauptverhandlung steht mithin in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und kann geeignet sein, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den hier in Frage stehenden Unterlagen überhaupt um Aktenbestandteile handelt. Überdies bezweckt der Antrag des Verteidigers im vorliegenden Fall letztlich eine Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme, sodass die den Antrag ablehnende Entscheidung des erkennenden Gerichts auch bereits aus diesem Grund in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung steht und damit nicht beschwerdefähig i.§.d. § 305 Abs. 1 StPO ist.“

Klingt toll, wenn man das so lies: Dass die „Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jeden Gerichts ist2 und „Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren“. Wäre nur schön, wenn dem auch mal Taten folgten und der Verteidiger/Betroffene nicht wie im Hamsterrad hin und her rennen muss, ohne dass er weiter kommt. Denn kommt er zum OLG heißt es dort bei der Verfahrensrüge: Du hättest das und das noch vortragen müssen, vielleicht auch, welches Wetter am Kommuniontag war.

Durchsuchung III: Der (Tat)Tag gehört in den Durchsuchungsbeschluss

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Und den Abschluss der Durchsuchungsentscheidungen macht der LG Hannover, Beschl. v. 03.07.2017 – 34 Qs 29/17. Es geht um die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses des AG Hannover. Dem Beschluss lag zugrunde, dass der Beschuldigte kinderpornographisches Bild- oder Videomaterial im Internet verbreitet haben soll. Im angefochtenen Beschluss wird keine Tatzeit für die ihm vorgeworfene Handlung genannt. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass die halbstaatliche, in den USA ansässige Organisation „National Center For Missing and Exploited Children“ (NCMEC) dem BKA mitteilte, dass ein zunächst unbekannter Nutzer über eine näher bezeichnete IP-Adresse am 29.12.2014 um 20:46:35 MEZ ein nach dortiger Bewertung kinderpornographisches Bild unter Nutzung des Chats der Internetseite Facebook hochgeladen haben soll. Nach Erlass des angefochtenen Durchsuchungsbeschlusses erfolgte am 31.05.2017 die Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hat:

Entsprechend dem Gewicht des mit einer Wohnungsdurchsuchung einhergehenden Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre errichtet § 105 Abs. 1 StPO einen verfassungsrechtlich gebotenen (Art. 13 Abs. 2 GG) Richtervorbehalt. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (stRspr. des BVerfG, vgl. zuletzt: BVerfG, Beschluss vom 04. April 2017 — 2 BvR 2551/12 — Rn. 20, juris)). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (BVerfG, a. a. O.).

Zur äußeren Umgrenzung des Tatvorwurf gehört auch die möglichst genaue Nennung des Zeitpunktes bzw. des Zeitraumes, in dem der Beschuldigten die vorgeworfene Straftat begangen haben soll (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn 21). Im vorliegenden Fall war dies über die Umschreibung der vorgeworfenen Tat hinaus auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil sich nach der Tatzeit bestimmt, welche Gesetzesfassung der in dem Beschluss genannten §§ 184b, 184c StGB zur Anwendung kommt. Dies kann u. U. für die Frage relevant sein, ob das verfahrensgegenständliche Bild überhaupt eine strafrechtliche Bedeutung hat.

Der angefochtene Beschluss enthält keine konkrete Angabe des Tatzeitraumes. Auch aus den sonstigen Angaben des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich nicht, wann die vorgeworfene Handlung stattgefunden haben soll. Eine konkrete Zeitangabe wäre jedoch ohne weiteres möglich gewesen, weil sich ein exakter Tatzeitpunkt aus den Akten ergibt.

Dieser Mangel konnte nicht durch die Kammer geheilt werden. Aufgrund der Funktion des Richtervorbehaltes, den Beschuldigten durch den Durchsuchungsbeschluss in den Stand zu setzen, die Durchsuchung effektiv kontrollieren zu können, ist die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts eingeschränkt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage 2017, S 105 Rn 15a). Mängel bei der Umschreibung des Tatvorwurfs können daher nicht durch das Beschwerdegericht geheilt werden (BVerfG, Beschluss vom 20.04.02004 – 2 BvR 2043/03 u.a. – Rn 5, juris).“

Shoppen in einer fremden Stadt ==> Manipulierter Verkehrsunfall?

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Und als zweite „Kessel-Buntes-Entscheidung“ mal wieder etwas zum manipulierten Unfall – „getürkter“ Unfall darf man ja nicht mehr schreiben, dann hagelt es gleich böse Kommentare. Zu der Frage „manipulierter Unfall“ hatte ich ja schon länger keine Entscheidung mehr. Jetzt bin ich durch das VerkehrsrechtsBlog des Kollegen Gratz auf das LG Hannover, Urt. v. 25.01.2017 – 11 O 97/15 – gestoßen (worden).

Gegenstand des Streits ist ein Verkehrsunfall am 27.11.2014 in Hannover-Laatzen, an dem der Pkw des Klägers, BMW 530 d mit Erstzulassung am  23.06.2008 und einem Kilometerstand von rund 186.000 km beteiligt war. Bei dem Pkw des Beklagten handelt es sich um einen Gebrauchtwagen mit einem Wert von ca. 1.200 EUR. Der Schaden ist fiktiv abgerechnet worden. Das LG hat die Klage, mit der rund 6.000 EUR geltend gemacht worden sind, abgewiesen. Es kommt aufgrund einer Gesamtbetrachtung und Würdigung „starker Indiztatsachen“ zu der Überzeugung: Manipulierter Unfall.

An die Spitze stellt das LG:

„Die Darlegungen des Klägers, warum sein Fahrzeug gerade am behaupteten Unfallort in Laatzen – der Kläger ist wohnhaft in Arnsberg und hat nach eigenen Angaben keine Bezüge zu Hannover – geparkt war, sind ebenso wie seine Schilderung des gesamten Ablaufs des Unfalltages nicht plausibel und stehen zudem auch in wesentlichen Punkten im Widerspruch zu den Angaben der Zeugin pp..

So ist schon kaum verständlich, dass sich der Kläger statt für einen längeren Aufenthalt bei seiner Verwandtschaft – gerade für deren Besuch hat der Kläger mit seiner Familie doch offenbar die nicht unerhebliche Wegstrecke auf sich genommen – dafür entschieden haben will, die Zeit für einen Spaziergang in Hannover auf dem Rückweg zu nutzen. Es widerspricht nach Auffassung der Kammer zudem der Lebenserfahrung, dass man mit einem viereinhalb-jährigen Kind nach einem anstrengenden Tag bzw. einer erheblichen Zeit im Auto noch einen Spaziergang machen will bzw. “shoppen” geht, anstatt nach Hause zu fahren.

Insgesamt kann das Gericht die Ausführungen des Klägers, sie hätten in Hannover als einer Stadt, zu der sie keinerlei Bezüge haben, auf dem Rückweg deshalb spazieren gehen wollen, weil sie genug Zeit gehabt hätten, schlichtweg nicht nachvollziehen. Eine solche Überlegung hält das Gericht vielmehr für abwegig.

Hinzu kommt, dass sich die Schilderung auch nicht mit den geographischen Verhältnissen in Einklang bringen lässt. So würde man als Verkehrsteilnehmer von Hannover aus in aller Regel zunächst die Autobahn 2 in Richtung Westen nehmen, um nach Arnsberg zu gelangen. Aufgrund dessen würde ein Navigationsgerät – der Kläger will ja “nach Navi” gefahren sein – vom Zentrum aus – dort will der Kläger offenbar zunächst gewesen sein – das Fahrzeug nach Norden wieder auf die A2 in Richtung Westen leiten. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch nach den eigenen Angaben des Klägers nicht, wie dieser in das deutlich südlich von Hannover gelegene Laatzen bzw. konkret zum Vorfallsort gekommen sein will. Bezeichnenderweise konnte der Kläger hierzu auf Nachfrage auch nichts sagen. Entsprechendes gilt für die Version der Zeugin pp.. Nach der Abfahrt von der Autobahn 2 ist der Vorfallsort schlichtweg nicht durch ein längeres Fahren auf einer Straße erreichbar, zumal dazwischen bereits das eigentliche Ziel – das Zentrum von Hannover – liegt.“

Des Weiteren steht das Vorbringen des Klägers auch deutlich im Widerspruch zu den Angaben der Zeugin pp., die nichts von einem geplanten Spaziergang bekundet hat, sondern von einer spontanen Überlegung “Shoppen” zu gehen, gesprochen hat.

Na ja, so ganz stark finde ich das Argument nicht, aber die anderen Indizien reichen m.E. auch:

  • Es handelt sich bei dem vom Kläger behaupteten Unfallgeschehen um einen leicht zu beherrschenden, unkomplizierten und vergleichsweise gefahrlosen Fahrvorgang, bei dem der behauptete Fahrfehler bzw. Anlass des Unfalls nicht nachvollziehbar war, zumal der insoweit gehaltene Vortrag des Klägers weder konstant noch mit der Aussage des Zeugen pp. bzw. weiteren Umständen kompatibel war.
  • Die Haftungslage war zu Lasten der Beklagten eindeutig.
  • Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich um ein leistungsstarkes älteres Fahrzeug der Oberklasse mit hohem Kilometerstand, welches wegen der vergleichsweise hohen Unterhaltskosten allgemein nur relativ schwer verkäuflich sein dürfte. Zudem war dieses Fahrzeug in der konkreten Art der Ausgestaltung der Schädigung sehr gut geeignet, für den Kläger eine Einnahmequelle zu generieren. Das “Schädigerfahrzeug” ist – jedenfalls ausweislich der Angaben des Zeugen pp. – als minderwertiges Fahrzeug anzusehen.
  • Hinzu kommt die Abrechnung auf fiktiver Basis.
  • Schließlich der für manipulierte Unfallereignisse typische Umstand, dass der Fahrer des gegnerischen PKW nicht mitverklagt wurde.

Nicht (richtig) belehrt?, oder: Dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Zum Recht der Pflichtverteidigung bringe ich dann jetzt den „schönen“ LG Hannover, Beschl. v. 23.01.2017 – 70 Qs 6/17 -, den mir der Kollege Eickelberg aus Burgwedel übersandt hat. Es geht um die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen „Schwierigkeit der Rechtslage“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO. Das LG sagt: Die liegt vor, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird. Hiervon umfasst sind nach Auffassung des LG auch Fälle, in denen sich Fragestellungen aufdrängen, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.

Und darum geht es in dem Verfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Nämlich um die Frage, ob die Beschuldigte eher hätte belehrt werden müssen und ob sich ggf. daraus ein Beweisverwertungsverbot ergibt:

Zwar obliegt die Beurteilung, ob ein Verdächtiger als Beschuldigter zu belehren ist, der pflichtgemäßen Bewertung des Vernehmungsbeamten (BGHSI 51, 367 [371]). Die Grenzen des Beurteilungspielraums sind jedoch überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird oder auf diese Weise die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NStZ-RR 2012, 49). So ist der Halter eines Kraftfahrzeuges beim Verdacht der Unfallflucht regelmäßig als Beschuldigter zu belehren (OLG Nürnberg StV 2015, 155). Der eingesetzte Polizeibeamte POK pp. ging am 28.07.2016 davon aus, dass die zuvor bei der Wache Polizeiinspektion Hannover-Mitte erschienene Angeklagte die Halterin des im Zusammenhang mit einer Unfallflucht zu überprüfenden Fahrzeugs sei. Ferner musste losgelöst von der Frage, ob ein möglicher Kennzeichenablesefehler vorliegt, sich spätestens dann der Verdacht dahin verstärkt haben, sie als Beschuldigte zu belehren, als sie in der ihr zugeschriebenen Eigenschaft als Zeugin schilderte, dass der Pkw ihr gehöre, sie die ständige Nutzerin des Fahrzeugs sei und auch ausschließlich sie den Pkw nutze. Selbst als sie bekundete, dass ihr Freund am Unfallort in der pp. wohne, erfolgte keine Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 StPO. Erst als sie weiter aussagte, dass sich ihr Pkw zur Unfallzeit in der pp. befunden habe und von ihr dort genutzt worden sei, belehrte der Zeuge die Angeklagte als Beschuldigte im Strafverfahren.

Die Angeklagte, die über keine juristische Vorbildung verfügt, wird die sich vorliegend mit der Einführung und Verwertung von Beweismitteln stellenden Rechtsfragen nicht beantworten können. Zur Ausrichtung der Verteidigungsstrategie ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll ist, unerlässlich und nur nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu beantworten. Fernerhin können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis geprüft werden. Unter Zugrundelegung dieses Beurteilungsmaßstabs ist nach Gesamtwürdigung der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung vorliegend geboten, weil die Annahme eines Beweisverwertungsverbots jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.“