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Wiederaufnahme III: Begründetheit des Antrags, oder: Widerruf eines Geständnisses

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Und dann als dritte Entscheidung zur Wiederaufnahme hier der LG Essen, Beschl. v. 21.06.2024 –  31 NBs-10 Js 50/23-17/23. Es geht um die Begründetheit eines Wiederaufnahmeantrags. Über den Beschluss der LG Essen, mit dem der Antrag in dem Verfahren zugelassen worden ist, habe ich ja vorhin schon berichtet (vgl. Wiederaufnahme II: Widerruf eines Geständnisses, oder: Neues Beweismittel). Hier dann also jetzt die Entscheidung zur Begründetheit. Das LG hat den Wiederaufnahmeantrag als begründet angesehen:

„Die Kammer hat bereits mit Beschluss vom 01.08.2023 das Wiederaufnahmeverfahren zugelassen, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen insoweit gegeben sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen.

Die Kammer hat sodann am 10.04.2024 einen Beweistermin durchgeführt und tatrelevante Zeugen vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 10.04.2024 Bezug genommen. Im Rahmen der nach § 369 StPO durchgeführten Beweisaufnahme haben die vom Antragsteller vorgetragenen Wiederaufnahmetatsachen genügende Bestätigung gefunden. Hierbei ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. die konkrete Möglichkeit ausreichend, ein Vollbeweis, der jedweden vernünftigen Zweifel ausschließt, ist nicht erforderlich (vgl. Singelnstein in BeckOK StPO, 51 Edition, Stand: 01.04.2024, § 370 Rn. 3 m.w.N.). So liegt der Fall hier, da sich infolge der durchgeführten Beweisaufnahme konkrete Anhaltspunkte ergeben haben, die dafürsprechen, dass der Angeklagte zu Unrecht wegen des ihm vorgeworfenen Deliktes verurteilt worden ist.

Die abschließende Klärung bleibt letztlich der erneuerten Hauptverhandlung vorbehalten. Eine eigenständige Entscheidung der Kammer gemäß § 371 Abs. 2 StPO, wie der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.05.2024 anregte, ist der Kammer verwehrt, da hierzu die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist, die allerdings weder zur Beweisaufnahme noch zur Anregung des Verteidigers vom 16.05.2024 Stellung genommen hat. Mithin muss die endgültige Klärung des Verfahrens der erneuerten Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Eine Kostenentscheidung war vorliegend nicht zu treffen; erst aufgrund der neuen Hauptverhandlung wird über die Kosten des gesamten früheren Verfahrens zu entscheiden sein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage 2024, § 473 Rn. 37 m.w.N.).“

Vielleicht erfahren wir ja demnächst, was aus dem Verfahren geworden ist.

Wiederaufnahme II: Widerruf eines Geständnisses, oder: Neues Beweismittel

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Essen. Das hat im LG Essen, Beschl. v. 01.08.2023 – 31 NBs 13/23 – die Wiederaufnahme gegen ein Berufungsurteil des LG Dortmund zugelassen.

Folgender Sachverhalt: Dem Verurteilten ist in dem Verfahren zur Last gelegt worden, einen Menschen bedroht und in zwei Fällen eine Falschverdächtigung begangen zu haben. Hintergrund des Vorwurfs der Bedrohung ist, dass der Verurteilte am 19.05.2019 gegenüber dem JVHS pp. geäußert haben soll, dass er ihn und seine Familie „kalt machen“ werde.

In der Hauptverhandlung vor dem AG vom 25.02.2020 räumte der Verurteilte den Anklagevorwurf geständig ein, so dass er wegen Bedrohung und falscher Verdächtigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10,- EUR verurteilt wurde. Eine weitergehende Beweisaufnahme fand nicht statt. Infolge von Berufungseinlegungen der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten verhandelte die 45. Kleine Strafkammer des LG Dortmund die Sache am 17.03.2021. Während die Berufung der Staatsanwaltschaft bereits auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. beschränkte der Verurteilte seine Berufung in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Im Folgenden gab der Verurteilte eine geständige Einlassung ab. Eine weitere Beweisaufnahme zur Sache fand nicht statt. Mit Urteil vom 17.03.2021 verwarf das LG die Berufung des Verurteilten und änderte aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass der Verurteilte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das OLG Hamm hat die Revision des Angeklagten. soweit er wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist, verworfen. Im Übrigen wurde das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und das Verfahren bzgl. des Vorwurfs der falschen Verdächtigung nach § 354 Abs. 1 StPO eingestellt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.12.2022 hat der Verurteilte Zulassung der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund vom 17.03.2021  beantragt. Der Antrag wurde auf § 359 Nr. 5 StPO gestützt und unter Darlegung neuer Tatsachen und Beweismittel dargelegt, dass in der Sache — Verurteilung wegen Bedrohung —ein Freispruch zu erfolgen habe, da das ausgebrachte Geständnis unzutreffend und aus rein taktischen Erwägungen erfolgt sei und sich aus den Aussagen benannter, bislang nicht vernommener Zeugen ergebe, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen habe. Der Antrag hatte Erfolg:

„1. Der Antrag auf Zulassung des Wiederaufnahmeverfahrens war stattzugeben.

Der Antrag ist gemäß der in § 366 StPO genannten Form eingebracht worden und benennt insbesondere § 359 Nr. 5 StPO als Wiederaufnahmegrund zugunsten des Angeklagten. Zudem sind die Beweismittel angegeben, die den Wiederaufnahmegrund belegen sollen. Diese sind derart hinreichend konkret bezeichnet worden_ so dass das Gericht sie beiziehen und für eine Beweisaufnahme nach § 369 Abs. 1 StPO verwenden kann. Das Ziel der Wiederaufnahme, einen Freispruch zu erlangen. ist legitim.

Zudem sind die Voraussetzungen des § 359 Nr. 5 StPO gegeben, da der Verurteilte Tatsachen und Beweismittel benennt. die als neu zu bewerten sind, und die geeignet sind, zu einem anderen Ergebnis in der Sache zu führen. Hierbei sind die Tatsachen und Beweismittel als neu zu bewerten, da diese bei der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht berücksichtigt worden sind. da die Feststellung zum Tatgeschehen sich allein auf der damaligen geständigen Einlassung des Verurteilten gründete, die nunmehr widerrufen wurde. Dahingehend sind die genannten Tatsachen und Beweismittel auch hinreichend geeignet, ggfs. zu einem Freispruch des Verurteilten zu führen. Der Verurteilte hat zudem im Rahmen seiner besonderen Darlegungspflicht dargelegt. dass er das Geständnis damals lediglich aus taktischen Erwägungen abgegeben habe. um eine Verurteilung zu einer in Rede stehenden vollstreckbaren Freiheitsstrafe durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Dass das Geständnis hierbei vor dem Landgericht Dortmund im Rahmen einer Verständigung i_S.v. § 257c StPO abgegeben wurde, ist hierbei unerheblich, da die Verfahrensabsprache grundsätzlich keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. hierzu Singelnstein in BeckOK StPO, 47. Edition, Stand: 01.04.2023, § 359 Rn. 37 m.w.N.). Zudem ist hierbei zu beachten, dass das damals abgegebene Geständnis des Angeklagten nicht im Hinblick auf die Richtigkeit überprüft worden ist. Die Kammer hat hierbei auch in den Blick genommen, dass der Verurteilte bereits vor dem Amtsgericht eine geständige Einlassung abgegeben hat, wozu er allerdings ebenfalls konkret dargelegt hat, dass dies allein auf Anraten seines Verteidigers erfolgt sei, um hierdurch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu vermeiden.“

Durchsuchung I: Begründung des Beschlusses, oder: Kreuzchen, Klammern, Blattzahlenverweis reicht nicht

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Und dann Start in die neue Woche, die 30 KW./2024. Die beginne ich dann mit zwei Entscheidungen zu Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren, also Durchsuchung und Beschlagnahme. Die beiden Entscheidungen, die ich vorstelle, betreffen Durchsuchungsmaßnahmen.

Zunächst kommt mit dem LG Essen, Beschl. v. 05.07.2024 – 64 Qs 21/24 – etwas aus der landgerichtlichen Spruchpraxis. Der von einer Durchsuchungsmaßnahme Betroffene hat nachträglich die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme üpberprüfen lassen. Und er hatte mit seinem Antrag Erfolg:

„Die gem. § 304 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die Beschwerde vom 12.04.2024, welche mit Schriftsatz vom 12.06.2024 begründet worden ist, ist zunächst statthaft. Trotz der durch die Vollstreckung des angefochtenen Beschlusses eingetretenen prozessualen Überholung ist diese Beschwerde angesichts des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, der sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt hat, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht erlangen konnte, zulässig (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, vor § 296, Rn. 18, f m.w.N.). Der Antrag zur Feststellung der Rechtswidrigkeit ist zulässig, da sein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ebenfalls fortbesteht in Anbetracht des nichtigen Durchsuchungsbeschlusses und der erfolgten – nicht richterlich bestätigten – Beschlagnahme.

Der Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 26.03.2024 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 33 ff. StPO an eine außerhalb der mündlichen Verhandlung getroffene richterliche Entscheidung. Er enthält im Entscheidungssatz zwar den Ausspruch, was durchsucht werden soll. Es ist jedoch nicht näher ausgeführt, welche Beweismittel aufgefunden und beschlagnahmt werden sollen. Dies ergibt sich auch nicht aus den Gründen; ebenso wenig wie sich aus den Gründen ergibt, was dem Beschuldigten überhaupt zur Last gelegt wird.

Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in Beschlussform getroffenen richterlichen Entscheidung (§§ 33 ff. StPO) wird nicht dadurch Genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.2004, Az 1 Ws 191/04). Soweit die Urschrift des angefochtenen Beschlusses durch die Formulierung „einrücken wie Bl. 11 (unkenntlich) bzw. „einrücken wie Bl. 11“ auf bestimmte Teile der Akte verweist, werden diese von der Unterschrift des Richters nicht gedeckt. Mit der Verweisung auf Aktenteile erteilt der Richter vielmehr einer nachgeordneten, zur Entscheidungsfindung nicht befugten Person die Anweisung, die fehlenden Angaben nachzuholen, ohne deren Befolgung zu kontrollieren und dafür selbst die Verantwortung zu übernehmen. Eine solche Verfahrensweise entspricht – jedenfalls dann, wenn sich wie hier eine vollständige unterschriebene Urschrift nicht in den Akten befindet – nicht dem Gesetz (vgl. BGH, Beschluss vom 27.06.2003 – IXa ZB 72/03, NJW 2003, 3136; LG Arnsberg Beschluss vom 25.11.2009 – 2 Qs-160 Js 1470/07, BeckRS 2009, 88046; LG Duisburg, Beschluss vom 28.11.2017 – 32 Qs 76/17, juris).

Dieser Formmangel wird nicht dadurch geheilt, dass im Nachhinein auf der Geschäftsstelle die Lücken für das „einrücken wie Bl. …“ gefüllt werden und auf dieser Grundlage sodann eine „Abschrift“ erstellt wird. Im konkreten Fall hat somit die Geschäftsstelle, ohne dazu befugt zu sein, erstmals ein Schriftstück hergestellt und versandt, das die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat, aber keiner ist, weil ihm die richterliche Bestätigung fehlt (vgl. LG Arnsberg Beschluss vom 25.11.2009 – 2 Qs-160 Js 1470/07, BeckRS 2009, 88046; BGH a. a. O.). Die sich in der Akte befindliche, textlich vervollständigte Abschrift“ des Beschlusses vom 26.03.2024 ist weder selbst von dem Richter unterzeichnet noch stimmt sie mit dem unterzeichneten Beschluss überein. Diese wurde dem Beschwerdeführer zudem zu keinem Zeitpunkt ausgehändigt.

Der Beschluss des Amtsgerichts ist unwirksam und damit unbeachtlich. Leidet eine gerichtliche Entscheidung an derart schwerwiegenden Mängeln, dass sie nicht nur rechtlich fehlerhaft, sondern nichtig und damit unbeachtlich ist, so gehen von ihr keine Rechtswirkungen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 19.02.2009, Az. 3 StR 439/08).“

Terminsvertreter des Pflichtverteidigers für einen Tag, oder: OLG Hamm ändert LG Essen unrichtig ab

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Und dann noch nochmal etwas zu den Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidiger. Folgender Sachverhalt in Kürze: Die Kollegin ist durch Beschluss der Vorsitzenden einer großen Strafkammer des LG Essen vom 03.03.2022 in einem dort anhängigen Strafverfahren gegen u.a. den Angeklagten als Terminsvertreterin für den Pflichtverteidiger dieses Angeklagten, Rechtsanwalt R. für den ersten Hauptverhandlungstag beigeordnet worden. Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 07.03.2022 statt und dauerte dreißig Minuten, es wurde im Wesentlichen die Anklageschrift verlesen. Eine Einlassung des Angeklagten erfolgte zunächst nicht.

Die Kollegin hat dann beantragt, ihre Gebühren festzusetzen. Sie hat Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4101, VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV RVG, der Terminsgebühr Nr. 4115 VV RVG, der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie von Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder sowie USt beantragt.

Das LG hat die dann auch festgesetzt im LG Essen, Beschl. v. 06.07.2023 – 27 KLs 43/21, der folgenden Leitsatz hat:

    1. Der nur für einen Termin als Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt rechnet nach Teil Abschnitt 1 VV RVG ab.
    2. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühr, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände.

Es kommt dann natürlich das, was zu erwarten war, nämlich das Rechtsmittel des Bezirksrevisors. Und dann kommt das OLG Hamm in seiner überbordenden Weisheit und hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2024 – III-5 Ws 273/23 – die Entscheidung des LG auf und sagt:

Für den „Terminsvertreter“ des Pflichtverteidigers entsteht nur die Terminsgebühr. Grund-, Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale entstehen nicht.

Ich fasse die Begründung des Beschlusses des Einzelrichters (!) mal zusammen. Sie lautet. Vertretung ist bei der Pflichtverteidigung zulässig und der Vertreter verdient dann nur die Terminsgebühr. Wer mehr von der falschen Begründung lesen will, der mag das im verlinkten Volltext tun.

Anzumerken ist dazu Folgendes:

Der Entscheidung ist zu widersprechen.

1. Zu widersprechen ist schon der Auffassung des Einzelrichters, dass wegen der ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm eine Übertragung auf den und durch den Senat nicht erforderlich sei. Es ist ja schön, wenn das OLG die Frage offenbar schon häufiger entschieden hat. Nur: Die Beschlüsse sind alle unveröffentlicht, hängen also irgendwo beim OLG Hamm im „stillen Kämmerlein“. Man fragt sich., warum man diese Entscheidungen in einer Frage, die ja nun die Rechtsprechung schon seit langem immer wieder beschäftigt nicht, nicht nach außen kund tut. Vielleicht waren die Beschlüsse ja überzeugend, jedenfalls hätten sie zur Diskussion beitragen könne?

Zu einer Übertragung auf den Senat hätte m.E. auf vor allem deshalb Anlass bestanden, weil die Frage, ob der Terminsvertreter des Pflichtverteidigers nur die Terminsgebühr verdient oder auch die Grund- und Verfahrensgebühr ja inzwischen von zahlreichen Gerichten anders gesehen wird als vom OLG Hamm (vgl. nur OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, JurBüro 2011, 478; Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20, AGS 2021, 394 = JurBüro 2021, 576; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 349 = NJW 2008, 2935 = RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 119; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159; OLG Köln, RVGreport 2010, 462 = AGS 2011, 286; OLG München, NStZ-RR 2009, 32 = StRR 2009, 120 = RVGreport 2009, 227; OLG München, RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 = Rpfleger 2014, 445; OLG Nürnberg, RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29; OLG Schleswig SchlHA 2010, 269 [Dö/Dr]). Insbesondere die gut begründete Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 9.2.203 (a.a.O.) hätte dem OLG Hamm Anlass sein sollen, sich noch einmal näher mit der streitigen Frage auseinander zu setzen. Aber die wird noch nicht einmal erwähnt. Das lässt – zumindest bei mir – den Eindruck entstehen, es hier mit einer Entscheidung zu tun zu haben, die in die Rubrik: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ einzuordnen ist.

2. In der Sache ist dem OLG ebenfalls zu widersprechen. Die Entscheidung steht und fällt mit der Frage, ob die Ansicht des OLG, eine „Vertretung“ i.e.S. des Pflichtverteidigers sei zulässig. Das ist m.E. nicht der Fall. Denn die Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf seine Person beschränkt; sie ist höchst persönlich (so auch Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 142 Rn 15; Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3636 f., jeweils m.w.N.; BGHSt 59, 284 = NJW 2014, 3320 m. Anm. Barton StRR 2015, 62; BGH NStZ 2012, 276; OLG Saarbrücken, RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117). Soweit einige Gerichte (OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz JurBüro 2013, 84 = RVGreport 2013, 17; LG Potsdam JurBüro 2011, 417 = AGS 2012, 65; LG Saarbrücken, Beschl. v. 30.6.2014 – 2 KLs 2/13) anderer Ansicht sind, ist das m.E. seit BGHSt 59, 284 nicht mehr haltbar.

3. Im Übrigen: Zu der Frage, dass nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr anfallen, ist schon viel geschrieben worden. Das muss man hier nicht wiederholen. Ich verweise dazu auf den o.a. Beschluss des OLG Karlsruhe und auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2101 ff.). In dem Zusammenhang liegt der Hinweis des OLG auf die (geringe) Dauer des Hauptverhandlungstermins an dieser Stelle neben der Sache.

Zu der Frage, warum die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG nicht entstanden ist, enthält der Beschluss des OLG kein Wort der Begründung. Die dürfte hier aber entstanden sein, da sich aus dem Beschluss ergibt, dass die Pflichtverteidigerin auch telefoniert hat. Das reicht aber für das Entstehen der Nr. 7002 VV RVG aus (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 7002 VV Rn 1 m.w.N.).

4. Für den Verteidiger lässt sich aus der Entscheidung ableiten, dass er in diesen Fällen sehr sorgfältig prüfen sollte/muss, welche Entscheidungen ergehen. Ggf. muss gegen einen Beschluss, der einen Antrag nicht voll ausschöpft, so wie hier, da Bestellung als „weiterer Pflichtverteidiger„ beantragt war, sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) eingelegt oder auf Klarstellung gedrängt werden, dass man nicht von einer Vertretung i.e.S. (vgl. auch § 5 RVG) ausgeht.“

StPO I: Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung, oder: Jugendtümliche Tat eines Jugendlichen

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Und dann Start in die 4. KW, und zwar mit zwei Entscheidungen zu Ermittlungsmaßnahmen, also mal wieder StPO.

Ich beginne mit dem LG Essen, Beschl. v. 08.01.2024 – 64 Qs 26/23, der sich zur Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO äußert. Dem Beschuldigten, einem Jugendlichen, wird vorgworfen, zusammen mit vier Mittätern, bei einem „Drogenankauf“ den Verkäufer überfallen une beraubt zu haben. Deswegen ist ein Verfahren wegen schweren Raubes gegen den Beschuldigten anhängig. In dem Verfahren ist vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Entnahme von Körperzellen bei dem Beschuldigten gemäß § 81g StPO sowie die Untersuchung molekulargenetischen Materials bei dem Beschuldigten gemäß § 81g StPO für zukünftige Identitätsfeststellungen angeordnet worden. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die Erfolg hatte.

Das LG stellt zunächst fest, dass der Beschuldigte vor der Anordnung nicht ausreichend angehört worden ist. Das hat das LG aber im Beschwerdeverfahren nachgeholt und es entscheidet dann in der Sache:

„3. Die Voraussetzungen für die Anordnung der beantragten Maßnahmen liegen jedoch nicht vor.

Die Entnahme und die Untersuchung der Körperzellen sind grundsätzlich auch im anhängigen Strafverfahren zulässig. Zum Schutz des Betroffenen stellt § 81 g StPO strengere Voraussetzungen auf, die unterlaufen würden, ließe man die Einbindung in eine auf der Grundlage des § 81b Alt. 2 StPO angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung zu. Auf den Verdachtsgrad kommt es nicht an, so dass ein Anfangsverdacht ausreicht. Die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung setzt damit lediglich einen einfachen Tatverdacht (Anfangsverdacht) zum Zeitpunkt der Anordnung der Entnahme und der Untersuchungsanordnung nach § 81 f StPO voraus (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 1 m. w. N.). Weil der Gesetzeswortlaut von künftigen Strafverfahren und nicht von künftigen Straftaten spricht, sind die Maßnahmen auch dann zulässig, wenn es um den Nachweis einer bereits begangenen, noch nicht aufgeklärten Straftat geht (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 6).

Der Beschuldigte ist zwar wegen einer Straftat von grundsätzlich erheblicher Bedeutung, vorliegend wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes nach §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB, angeklagt, denn dabei handelt es sich um eine Straftat, welche mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stören kann und welche geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Sollte der Beschuldigte eine ähnliche Tat – erneut – verüben, so könnten dabei grundsätzlich auch Körperzellen abgesondert werden (vgl. (BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 3).

Jedoch besteht entgegen der weiteren Voraussetzung des § 81g Abs. 1 S. 1 StPO derzeit aufgrund der Ausführung der Tat und der Persönlichkeit des Beschuldigten kein Grund zur Annahme, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Denn die bisherige strafrechtliche Entwicklung des Beschuldigten spricht nicht dafür, dass er auch zukünftig gleich gelagerte Taten begehen wird.

Die Prognose künftiger Strafverfahren muss nach den Erkenntnissen bei der vorliegenden Straftat beurteilt werden. Insoweit sind konkretisierbare Anhaltspunkte für künftige gleichgelagerte Fälle erforderlich. Die künftigen Straftaten müssen Straftaten von erheblicher Bedeutung zum Gegenstand haben. Bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden kann der Umstand, dass es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelt, die Prognoseentscheidung maßgeblich beeinflussen. Auch wenn anzunehmen ist, dass sich der Angeklagte vom Drogenmilieu gelöst hat, kann dieser Umstand einer Anordnung entgegenstehen. Bei der Art oder Ausführung der Tat spielen die Tatschwere, die kriminelle Energie und das Nachtatverhalten eine Rolle.

Bei der Persönlichkeit des Beschuldigten sind seine kriminelle Karriere, seine Vorstrafen, sein soziales Umfeld, seine psychiatrischen Erkrankungen zu berücksichtigen. Bei den sonstigen Erkenntnissen sind kriminalistische oder kriminologisch anerkannte Erfahrungsgrundsätze heranzuziehen (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 6ff. m. w. N.)

Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft. Darüber hinaus ist zu berücksichtigten, dass die ihm vorgeworfene Tat bereits länger als dreieinhalb Jahre zurückliegt und der Beschuldigte seitdem nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Darüber hinaus handelt es sich bei der Tat um eine jugendtypische Verfehlung im Rahmen eines gruppendynamischen Prozesses, auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass es sich um eine Straftat von jedenfalls mittlerer Kriminalität handelt.

Die Anordnung wäre vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen sowie unter Berücksichtigung dessen, dass der Beschuldigte bei der ihm vorgeworfenen Tat erst 19 Jahre alt war, auch unverhältnismäßig. Denn bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden ist zu berücksichtigen, dass der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts auf eine möglichst weitgehende soziale Integration abzielt. Deshalb ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit abzuwägen, ob durch die Speicherung des Identifizierungsmusters dem Jugendlichen eine Brandmarkung droht, die seiner sozialen Integration entgegenstehen kann (BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 3). Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden besonders restriktiv zu handhaben. So unterliegen jugendliche Straftäter im pubertären Alter – wie hier der zur Tatzeit 19-jährige Beschuldigte – anlässlich des natürlichen Selbstfindungsprozesses erheblichen Integrations- und Anpassungskonflikten, die sich vielfach in Verhaltensunsicherheit und gesteigertem Abweichungspotenzial ausdrücken. Die Verhaltensunsicherheit des Jugendlichen bzw. des Heranwachsenden kann dazu führen, dass er unfähig ist, Aggressionen und Bedürfnissen sozialadäquat Ausdruck zu verleihen, so dass die Ausübung körperlicher Gewalt oft zur einzigen Möglichkeit wird, diese zu artikulieren. Dies lässt sich dann als Mittel deuten, dem jugendlichen Streben nach Anerkennung und Selbstbehauptung – zumindest physisch – gerecht zu werden. Folglich werden beispielsweise Körperverletzungsdelikte als „jugendtypisch“ beschrieben. Das subjektive Bedürfnis nach Anbindung an eine Gruppe ist – im Vergleich zu Erwachsenen – bei Jugendlichen und Heranwachsenden gesteigert. In der Gruppe verringern sich Hemmungen gegenüber delinquentem Verhalten und Verantwortungsgefühl gegenüber Dritten, und die Begehung einer Straftat unterliegt vermehrt dem Einfluss gruppendynamischer Prozesse. Dies führt dazu, dass jugendliche Delinquenz typischerweise vorübergehend ist, die Mehrzahl jugendlicher Täter mithin lediglich einmal bzw. innerhalb einer bestimmten Lebensphase mehrfach bis zum effektiven Eingreifen der staatlichen Sanktionen strafrechtlich in Erscheinung tritt (vgl. LG Hannover, Beschluss vom 3. Juli 2014 – 31 Qs 3/14 –, Rn. 19, juris). Von einem solchen lediglich vorübergehend auftretenden delinquenten Verhalten ist nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall des bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Beschuldigten aus den oben bereits genannten Gründen auszugehen.“