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Wo man nur „vorbeikommt“, wohnt man nicht, oder: Ersatzzustellung?

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

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Ein Zustellungsproblem, mit dem die Praxis es m.E. häufiger zu tun haben wird, behandelt der LG Berlin, Beschl. v. 19.08.2016 – 537 Qs 47/16. Im entschiedenen Fall hatte die Problematik für den Angeklagten dann auch weit reichende Folgen. Es ging nämlich um die Wirksamkeit der Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung. Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Das AG hat dann Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn erlassen und sich wegen der Zustellung der Ladung auf das Zustellungs- und Empfangbekenntnis des zuständigen Polizeibeamten verlassen, über den die Ladung, nachdem diese dem Angeklagten zunächst nicht am angegebenen Wohnort zugestellt werden konnte, gelaufen war. Der Polizeibeamten hatte die Ladung in den Briefschlitz der Wohnungstür unter der Anschrift, unter der der Angeklagte melderechtliche erfasst war, eingeworfen und in einem Schreiben dem AG mitgeteilt, dass sich nach den Hausermittlungen der Angeklagte (zwar) nur zeitweise dort aufhalte, aber regelmäßig komme und sich die Post abhole, der Aufenthaltsort sei unbekannt. Das genügt dem LG Berlin im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl nicht:

„Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO ist, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ausbleibt. Der Mangel einer genügenden Entschuldigung setzt voraus, dass der Angeklagte ordnungsgemäß gemäß §§ 35 Absatz 2 iVm 217 Absatz 1 StPO zu dem Termin zur Hauptverhandlung geladen wurde. Die Zustellung ist nach § 37 Absatz 1 StPO nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zu bewirken. Grundsätzlich erfolgt die Zustellung durch Übergabe einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks an dem Ort, an dem die Person, der zugestellt werden soll, angetroffen wird, § 177 ZPO. Ersatzzustellungen sind unter den Voraussetzungen der §§ 178, insbesondere 180 ZPO, zulässig. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass die Zustellung an der Wohnung des Zustellungsadressaten erfolgt. Der Zustellungsadressat muss diese Wohnung zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich für eine gewisse Zeit schon und noch bewohnen, d.h. dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt haben. Auf die Meldeverhältnisse kommt es insoweit nicht an (vgl. dazu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, Rdnr. 5, 6, 8, 9 zu § 37 StPO; Kammergericht, Beschluss vorn 1. November 2001 zu 2 AR 146/01, bei juris; Kammergericht, Beschluss vom 29. Oktober 2010 zu 3 Ws (B) 508/10 bei juris).

Es soll gewährleistet werden, dass der Adressat sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine rechtlichen Interessen unverzüglich wahrzunehmen.

So liegen die Dinge hier aber nicht.

Das zuzustellende Schriftstück, die Ladung zu dem Termin zur Hauptverhandlung, wurde dem Angeklagten nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefschlitz einer Wohnung eingeworfen, in der er nicht seinen Lebensmittelpunkt hatte, mithin nicht wohnte. Die Hausermittlungen ergaben vielmehr, dass der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist. Selbst wenn er regelmäßig an der Adresse „vorbeikommt“, wie der ermittelnde Polizeibeamte es niedergelegt hat, und seine Post abholt, ist damit eben nicht gewährleistet, dass der Angeklagte sicher und schnell von dem Inhalt des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt.“

Also: Wo man nur „vorbeikommt“, wohnt man nicht…..

„Wunder gibt es immer wieder?“, oder: „ungewöhnlicher Verfahrensablauf“ beim § 111a-Beschluss

Entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Schon etwas länger hängt der LG Berlin, Beschl. v. 09.03.2016 – 528 Qs 15/16 – in meinem Blogordner, den der Kollege Kroll aus Berlin mir übersandt hat. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber dann: Nun, ob die Überschrift: „Wunder gibt es immer wieder“ passt oder damit der Beschluss vielleicht doch etwas zu hoch gehängt wird, mag der Leser für sich selbst entscheiden. Aber jedenfalls scjon außergwöhnlich(er), was das LG Berlin da gemacht hat. Nämlich eine § 111a-Beschwerde nicht einfach nur durchgewunken, sondern den zugrunde liegenden § 111a-Beschluss des AG Tiergarten aufgehoben. Begründung: Keine „dringende“, sondern nur „hinreichende“ Gründe, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Und: Ich habe den Eindruck, dass dem LG der Verfahrensablauf nicht gepasst hat.

Und hier dann der Beschluss:

„Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 111a StPO nicht erfüllt sind. Derzeit liegen keine dringenden, sondern nur hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass pp. die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.

Gegen den Beschwerdeführer besteht insbesondere durch die schriftlichen Angaben des Zeugen Dr. U. der hinreichende Tatverdacht einer am 14. März 2015 in Berlin begangen Gefährdung des Straßenverkehrs. Dieser entfällt auch nicht durch die Darstellungen des Sachverständigen Dr. W., denn danach besteht technisch lediglich die Möglichkeit, dass die bestreitende Einlassung des Angeklagten zutreffend ist. Gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen nach der im Beschwerdeverfahren nur möglichen summarischen Bewertung jedoch die Angaben der Zeugen W., K. und Dr. U. Keiner der Augenzeugen bestätigte, dass der Zeuge Kappel mit seinem PKW die Unfallursache gesetzt habe.

Aufgrund des ungewöhnlichen Verfahrensablaufs und der verbleibenden Unsicherheiten am Unfallhergang fehlt es derzeit jedoch an der für die Maßnahme erforderlichen dringenden Annahme des Fahrerlaubnisentzuges. Nachdem alle Verfahrensbeteiligten zunächst von einer Ordnungswidrigkeit ausgegangen waren, erlangte das Amtsgericht Tiergarten erst im November 2015 – nach der Terminsladung im Ordnungswidrigkeitenverfahren – Kenntnis von den schriftlichen Angaben des Zeugen Dr. U. Nach der Aussetzung der Hauptverhandlung am 13. Januar 2016 ging das Amtsgericht daraufhin in das Strafverfahren über und nahm — knapp zehn Monate nach der Tat — ohne weitere Prüfung den dringenden Tatverdacht i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 1 StGB an. Die schriftlichen Erklärungen des Sachverständigen Dr. W. berücksichtigte das Gericht bislang nicht, wobei diese angesichts der fehlenden Zeugenbefragungen auch nur unvollständig sind. Die unter diesen Umständen für die Entscheidung erforderliche umfassende Würdigung der Beweismittel muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.“

Vorschussanrechnung, oder: Der „Dreh“ der Bezirksrevisorin mit der „wirtschaftlichen Obergrenze“

© Alex White - Fotolia.com

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Durch das Posting des Kollegen Krähn aus Berlin (vgl. hier Der Trick der Bezirksrevisorin mit der Analogie) bin ich auf den LG Berlin, Beschl. v. 31.03.2016 – (538 KLs) 283 Js 2801/14 29103V (7/15) Kbd1 – aufmerksam geworden und habe ihn mir – mit Einverständnis natürlich – dort „geklaut“. Es geht um die Anrechnung von Vorschüssen/Zahlungen, die der Kollege als Wahlverteidiger für das Ermittlungsverfahren von seinem Mandanten erhalten hat, auf die gesetzlichen Gebühren, die der Kollege, der später zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, für das gerichtliche Verfahren erhält.

An sich nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG in den §§ 58 Abs. 3, 17 Nr. 10 RVG ein glasklare Sache und man fragt sich, wozu man ein LG braucht, dass einem sagt, dass da nichts anzurechnen ist. Anders aber wohl in Berlin, wo es offenbar besonders hartnäckige/unbelehrbare Bezirksrevisoren gibt, die die ausdrücklichen Intentionen des Gesetzgebers durch immer neue Überlegungen – der Kollege Krähn spricht von „Tricks“ unterlaufen wollen. Nun ist man auf die Idee gekommen, dassdoch der neue § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG analog (!!) Anwendung finden müsse. Aus der Regelung in Satz 4 ergebe sich eine wirtschaftliche Obergrenze.

Anders das – zum Glück – LG in seinem Beschluss. Es sagt:

  1. Vorschüsse und Zahlungen, welche der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren erhalten hat, sind nach der Neuregelung des § 58 Abs. 3 Satz 1 durch das 2. KostRMoG nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen.
  2. Eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG kommt nicht in Betracht.

Im Grunde genügt als Anmerkung zu dieser Entscheidung ein Wort, nämlich „Passt“ oder „Zutreffend“. Denn das LG hat in beiden Fragen Recht bzw. hat zutreffend entschieden. Dass eine Anrechnung des (nur) für das Ermittlungsverfahren vereinbarten Pauschalhonorars auch auf die Gebühren für das gerichtliche Verfahren in der zugrunde liegenden Fallkonstellation ausscheidet, habe ich schon 2014 unter dem Titel: „Wehret den Anfängen, oder Unschönes aus der Praxis zum neuen § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG“ in RVGreport 2014, 340 dargelegt. Ausgangspunkt für den Beitrag waren Berichte von Berliner Kollegen, wonach in Berlin die alte Rechtsprechung, u.a. auch des KG, zu § 58 Abs. 3 RVG fortgeführt und nach wie vor auch in den Fällen auf die Gebühren für das gerichtliche Verfahren angerechnet werden sollte, in denen die Zahlungen pp. ausdrücklich nur für das Ermittlungsverfahren vereinbart waren.

Zwar haben die Berliner Bezirksrevisoren offenbar erkannt, dass das dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers widerspricht. Allerdings bedeutet das – wie der Beschluss des LG beweist – nun nicht, dass man Ruhe gibt. Sondern: Man hat jetzt den „Dreh“ über die analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG gefunden und versucht so, den gesetzgeberischen Willen bei der Änderung des § 58 Abs. 1 Satz 3 RVG durch das 2. KostRMoG zu unterlaufen. Das ist zwar innovativ, aber aus den vom LG im Beschluss dargelegten Gründen falsch. In seiner Vorlage an das KG v. 11. 04. 2016 weist das LG zusätzlich darauf hin, dass die Auffassung der Landeskasse, § 58 Abs. 3 S. 4 RVG habe – sofern man die Vorschrift nicht als allgemeine wirtschaftliche Obergrenze verstehe – keinen eigenen Anwendungsbereich, da die in § 58 Abs. 3 S. 3 RVG angeführten, dem Rechtsanwalt anrechnungsfrei zu belassenden, doppelten Gebühren rechnerisch niemals die Höchstgebühren eines Wahlanwaltes erreichen könnten, unzutreffend sei. Das ist zutreffend, weil nämlich das VV RVG Gebühren vorsieht, die allein der ·gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt geltend machen kann (vgl. z.B. Nr. 4110, 4111 VV RVG). Entsprechend betragen die dem beigeordneten Rechtsanwalt anrechnungsfrei zu belassenden, doppelten Gebühren für eine sechsstündige ·Hauptverhandlung vor dem AG gem. Nr. 4108, 4110 VVRVG insgesamt 660,- EUR (errechnet aus 220,- EUR + 110,- EUR = 330,- EUR; verdoppelt = 660,- EUR), während der Wahlverteidiger gemäß Nr. 4108 VV RVG höchstens 480,- EUR erhält.

Ach so, ja richtig gelesen: „Vorlage an das KG“. Überrascht? Nein wirklich. Denn die Bezirksrevisorin ist natürlich in die Beschwerde gegangen, was mich nicht überrascht. M.E. liegt die Entscheidung des KG auf der Hand. Ich werde berichten.

Übrigens: Die Argumentation mit der „wirtschaftlichen Obergrenze“ finde ich in dem Zusammenhang mehr als „witzig“. Hat sich die Bezirksrevisoren mal Gedanken gemacht, welche „wirtschaftlichen“ Ressourcen sie verbrät. Und: Die Änderung des § 58 Abs. 3 RVG ist 2013 auf Betreiben der Länder in das 2. KostRMoG aufgenommen worden. Das ist es in meinen Augen mehr als albernunverständlich, wenn nun die Vertreter der Landeskassen versuchen, diese Regelung zu unterlaufen.

„Wer zu/so spät kommt, den bestraft das Leben“, oder: Die verwirkte Beschwerde der StA

UhrLiest man auch selten, dass eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft verwirkt ist. So aber im LG Berlin, Beschl. v. 04.02.2016 – 511 Qs 84/15. Der Kollege, der mir die Entscheidung geschickt hat, hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mit Schreiben v. 26. 09. 2013 den Anschluss seines Mandanten als Nebenkläger angezeigt und beantragt, die Nebenklage zuzulassen, dem Nebenkläger Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihn als Beistand beizuordnen. Die damals angehörte Staatsanwaltschaft hatte dagegen keine Bedenken. Mit dem jetzt angefochtenen Beschluss vom 14. 10. 2013 hat das AG dann den Mandanten  als Nebenkläger zugelassen, § 395 Abs. 1  Ziff. 3 StPO, und ihm gemäß § 397a Abs. 2 StPO unter Beiordnung des Kollegen für den erstinstanzlichen Zug PKH bewilligt. Mit Schreiben vom 01. 07. 2015 beantragte der Kollege dann, dem Nebenkläger für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Nebenklage in der Berufungsinstanz PKH zu bewilligen und ihn als Beistand für die Vertretung in der Berufungsinstanz beizuordnen. Das LG hat PKH bewilligt, den Antrag auf Beiordnung des Kollegen als Nebenklägerbeistand hat das LG aber abgelehnt, da die Beiordnung, die vom AG mit Beschl. v. 14. 10. 2013 angeordnet wurde, unabhängig von der Frage, ob deren Voraussetzungen vorlagen, für das gesamte Verfahren gelte.

Nun wird die StA wach und legt gegen die Anordnung im Beschluss des AG vom 14. 10. 2013, dem Nebenkläger den Kollegen beizuordnen, am 02.11.2015 Beschwerde ein, die sie damit begründet, dass die Voraussetzungen für eine Beiordnung nicht vorgelegen hätten. Anders als § 397a Abs. 1 StPO sehe § 397a Abs. 2 StPO eine Beiordnung gerade nicht vor, sondern bestimme nur, dass PKH für die Zuziehung eines Rechtsanwalts gewährt werde.

Die Begründung ist zwar richtig, aber : Wer zu/spät kommt, den bestraft das Leben. Das LG sagt: Du hast dein Rechtsmittel verwirkt.

„Ausnahmsweise kann ein unbefristeter Rechtsbehelf jedoch infolge Verwirkung unzulässig werden, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig bleibt, obwohl er die Rechtslage kannte oder zumutbarer Weise hätte kennen müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 296 Rn. 6 m.w.N.; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 144: Beschwerde der Staatsanwaltschaft nach mehr als einem Jahr).

So liegt der Fall hier.

Die Staatsanwaltschaft hatte vor Erlass des angefochtenen Beschlusses Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag von Rechtsanwalt T. und mitgeteilt, dass der Zulassung der Nebenklage und der Beiordnung keine Bedenken entgegen stehen.

Nach Erlass des Beschlusses vom 14. Oktober 2013 legte die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde gegen die Beiordnung ein.

Wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr am 2. November 2015, mithin über zwei Jahre später, Beschwerde einlegt, so ist dieses Rechtsmittel infolge Verwirkung unzulässig.

Die Staatsanwaltschaft kannte die Rechtslage oder hätte sie kennen müssen. Sie hat auch zunächst eine positive Stellungnahme abgegeben und ist zwei Jahre lang untätig geblieben.“

Wird sicherlich zu der ein oder anderen Frage im Haus der StA führen. 🙂

Unter Betreuung und Morbus Parkinson, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

© Paty Wingrove - Fotolia.com

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Als letzte Entscheidung in 2015, die sich mit Pflichtverteidigungsfragen befasst, will ich dann noch auf den LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15 –  hinweisen. Das LG hat – anders als zuvor das AG – die „Unfähigkeit zur Selbstverteidigung“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO bejaht. Begründung/Leitsätze;

1. Steht der Beschuldigte unter Betreuung mit dem „Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden“ ist seine Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt und ihm nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

2. Ist der Beschuldigte aufgrund eines Morbus Parkinson, der zu einer motorischen Sprachstörung geführt hat, in seiner sprachlichen Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ist er als sprachbehindert im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen.

Kleiner Hinweis: Das LG hatte zur Zulässigkeit der Beschwerde des Verteidigers ausgeführt:

„Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft Berlin ist das Rechtsmittel nicht deshalb unzulässig, weil der Verteidiger die Beschwerde im eigenen Namen eingelegt hat (vgl. für den nicht beigeordneten Rechtsanwalt: Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Auflage, § 142 Rdnr. 19 m.w.N.). Gemäß § 297 StPO darf nämlich ein Wahlverteidiger grundsätzlich aus eigenem Recht und im eigenen Namen Rechtsmittel einlegen, soweit er dabei nicht gegen den Willen des Beschuldigten verstößt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 297 Rdnr. 3).“

Hinsichtlich der Argumentation habe ich allerdings Bedenken. Nach allgemeiner Meinung hat der nicht beigeordnete Rechtsanwalt nämlich kein eigenes Beschwerderecht gegen die Ablehnung seiner Bestellung. M.E. hätte das LG daher hier anders argumentieren müssen und die Beschwerde dahin auslegen können/müssen, dass der Verteidiger sie im Namen des Beschuldigten, dem ein Beschwerderecht zusteht, eingelegt hat.

Als Verteidiger sollte man das fehlende Beschwerderecht im Übrigen in diesen Fällen immer im Auge haben. Die Gefahr, dass sonst ggf. das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen wird, ist sonst gegeben. Das zeigt sich auch hier: Die Staatsanwaltschaft hatte Zurückweisung als unzulässig beantragt. Der „Good Will“ des Gerichts sollte nicht überstrapaziert werden.