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Bedienungsanleitung – Lebensakte – Akteneinsicht – 1 : 1

Der Dauerbrenner „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“ (vgl. dazu auch meinen Beitrag in VRR 2011, 250) beschäftigt die (Amts)Gerichte immer wieder und immer noch. Zu der Problematik habe ich von Kollegen jetzt zwei Entscheidungen  übersandt bekommen, die für die Kollegen in Niedersachsen – es ging jeweils um den Landkreis Rotenburg (Wümme) interessant sein dürften

  • AG Bremervörde, Beschl. v. 06.09.2011- 11 OWi 91/11:, das sich dem LG Ellwangen angeschlossen hat und sagt: Kann dem Verteidiger wegen der weiten Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Ort der Aufbewahrung der Akten eine Reise an den Aufbewahrungsort nicht zugemutet werden, ist Akteneinsicht im Wege der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu gewähren.
  • AG Rotenburg (Wümme), Beschl. v. 13.09.2011 -7a OWi 228 Js 15848/11 (67/11), das sich zur Lebensakte äußert und sagt: Im Bußgeldverfahren besteht kein Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in die sog. Lebensakte.“ Dies ist mal wieder so ein Beschluss, der keine eigene Begründung enthält, sondern nur auf „Göhler“ verweist. Für manchen scheint das,w as dort steht, Gesetz zu sein.

„Munition“ für die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – immer wieder Kampf um Eichschein, Bedienungsanleitung u.a.

Der Kollege Melchior berichtet gerade (vgl. hier) über ein Akteneinsichtsgesuch, bei dem ihm der Eichschein nicht übersandt worden ist mit der Begründung (in Bayern), dass der nicht Bestandteil der Akten sei und nur auf gerichtliche Anforderung übersandt werde. Der Kollege Voigt berichtet in einem Kommentar dazu, dass es in NRW etwa heißt, „haben wir nicht, gibt es also auch nicht, im Übrigen sind die Beamten geschult“.

Der dauernde Kampf um diese oder andere Unterlagen erstaunt mich dann doch immer wieder. Schließlich geht es bei der Frage der Akteneinsicht – auch des Umfangs – um das rechtliche Gehör. Wie soll eigentlich der Betroffene die Ordnunsgemäßheit einer Messung überprüfen, wenn er nicht alle Unterlagen kennt, die dafür von Bedeutung sind. Und dazu gehören m.E. Eichschein usw. Auch das Argument: Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung zieht m.E. nicht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht m.E. vor. M.E. muss sich der Verteidiger auch nicht damit zufrieden geben, dass die Behörde sagt: War geeicht und die Beamten sind geschult. Das ist m.E. nichts anderes als „Parteivortrag“.

In dem Kampf 🙂 muss man gut gerüstet sein. Dazu gehört die entsprechende Rechtsprechung der AG, die sich m.E. auf dem richtigen Weg befinden und dem Verteidiger ein Akteneinsichstrecht in all die Unterlagen einräumen, die auch einem Sachverständigen für ein Gutachten zur Verfügung gestellt werden müssen. Das sind:

Jeweils für Bedienungsanleitung bzw. Messfilm oder Messfoto

über AG Erfurt und AG Schwelm haben wir ja auch hier schon berichtet.

Die Bedienungsanleitung für das Dräger-Gerät findet sich im Internet unter: http://www.draeger.com/DE/de/products/alcohol_drug_detection/evidential/cdi_alcotest_7110_evidential.jsp

Für die sog. Lebensakte ist ganz interessant:

Ach so: Und dann muss man natürlich, wenn man Munition für die Rechtsbeschwerde haben will, mit der Problematik auch verfahrensrechtlich richtig umgehen. Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde natürlich Antrag nach § 62 OWiG, zu allem anderen: Fortsetzung folgt :-).

Man muss nur meckern, dann passiert was. AG Erfurt bejaht Akteneinsichtsrecht für die Lebensakte

Am Montag, 26.04.2010, hatte ich noch über einen Beschluss des AG Schwelm berichtet und beanstandet, dass das AG dem Verteidiger nur Einsicht in die Bedienungsanleitung gewährt hat, nicht aber in die Lebensakte. Man muss nur meckern :-). Denn von einem Kollegen ist mir jetzt der Beschluss des AG Erfurt v. 25.03.2010 – 64 OWi 634/10 zugesandt worden, in dem das AG klar und unmissverständlich sagt: Es besteht ein Akteneinsichtsrecht auch in die Lebensakte. Und weiter:

„Wäre das vollständige Akteneinsichtsrecht nur im Wege des stattfindenden gerichtlichen Verfahren zu verwirklichen, würden die Rechte des mit einem Vorwurf konfrontierten Bürgers verkürzt, was nicht hingenommen werden kann. Es gibt unter der Herrschaft des Grundgesetzes keine behördliche Maß­nahme, die vom Bürger nicht kontrolliert werden kann. Kontrolle verlangt daher u.a. auch umfängliche Akteneinsicht, da es sich hierbei nicht um einen Akt handelt, den die Verwaltungsbehörde nach eige­ner Ermessen gewähren kann, sondern auf den die Verteidigung auf ihren Antrag hin einen Anspruch hat.

Schließlich führt die Verweisung der Verwaltungsbehörde im Hinblick auf die von der Verteidigung angeforderten Unterlagen auf das Gericht dazu, dass umfangreiche und Kostentreibende Mehrarbei­ten anfallen, die durch entsprechendes Tätigwerden der Verwaltungsbehörde leicht vermieten werden könnten und die angesichts der vorherrschenden Kostenreduktionsstrategie im öffentlichen Dienst mit zunehmender Mehrbelastung des vorhandenen Personals auch in der Justiz vom Gericht nicht hinge­nommen werden.“

Schöner Beschluss, mit dem Verteidiger argumentieren können.

Ergänzung: Und wenn Akteneinsicht nicht gewährt wird, bei der Verfahrensrüge die Anforderungen beachten. Vgl. dazu hier.

Der Kampf um die Bedienungsanleitung zum Messgerät im OWi-Verfahren, und täglich grüßt das Murmeltier

Jeder Verteidiger kennt es: Er muss im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren schon um die Bedienungsanleitung zu Messgeräten kämpfen. Die Verwaltungsbehörde will sich häufig nicht freiwillig herausgeben; noch schlimmer/hartnäckiger ist man, wenn es um die sog. Lebensakte geht. Die kennt man nicht, die gibt es nicht.

M.E. falsch, da sowohl Bedienungsanleitung als auch Lebensakte zur Akte gehören bzw. insoweit zumindest ein Akteneinsichtsrecht besteht. Das hat für die Bedienungsanleitung jetzt auch das AG Schwelm ( Beschl. v.  13.04. 2010 – 64 OWi 18/10 [b]) zutreffend bejaht, für die Lebensakte allerdings unter Hinweis auf Göhler verneint. Das überzeugt mich jedoch nicht, denn der Hinweis auf Göhler ist doch kein Argument; Göhler ist doch kein Gesetz, sondern nichts anderes als ein Kommentar. Ich kann nur hoffen, dass die Verteidiger nicht müde werden und in diesen Fragen hart(näckig) bleiben. Steter Tropfen höhlt den Stein.