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StPO III: Wiederaufnahme der Ermittlungen während des Klageerzwingungsverfahrens, oder: Kosten?

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Und zum Schluss des Tages etwas vom OLG Nürnberg. Das hat im OLG Nürnberg, Beschl. v.  27.07.2020 – Ws 590/20 – zu Verfahrens- und Kostenfragen beim Klageerzwingungsverfahren Stellung genommen.

Die Staatsanwaltschaft Regensburg hatte das gegen den Beschuldigten wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren am 28.01.2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Antragstellers hat die GStA mit Bescheid vom 28.05.2020 „keine Folge geleistet“ (schöne Formulierung im Beschluss 🙂 ). Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben der Rechtsanwältin pp. vom 02.07.2020 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe hierfür beantragt. Zwischenzeitlich wurden auf den Klageerzwingungsantrag die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Regensburg wieder aufgenommen.

Dazu nun das OLG:

„1. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Regensburg ihre vorhergehende Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO konkludent aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft wird nach Abschluss der weiteren Ermittlungen erneut über die Frage der Anklageerhebung zu entscheiden haben, gegen die der Antragsteller gegebenenfalls erneut vorgehen kann. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO hat daher wegen prozessualer Überholung seine Erledigung gefunden und das Verfahren ist für erledigt zu erklären (OLG Bamberg, NStZ 2010, 590, beck-online; OLG Bamberg Beschl. v. 17.12.2015 – 3 Ws 33/15, BeckRS 2016, 2730 Rn. 1, beck-online).

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Nach § 177 StPO bedarf es einer Kostenentscheidung nur, wenn der Antrag nach § 174 Abs. 1 StPO als unbegründet verworfen oder nach § 176 Abs. 2 für zurückgenommen erklärt wird. Insbesondere ergeht bei Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft während des Klageerzwingungsverfahrens keine Kostenentscheidung (OLG Jena NStZ-RR 2007, 223; OLG Brandenburg NStZ-RR 2005, 45; OLG Koblenz NStZ 1990, 48). Die durch den Klageerzwingungsantrag veranlassten Kosten gehören zu den notwendigen Auslagen, die – nach Zulassung des Antragstellers als Nebenkläger – dem Angeklagten im Falle einer Verurteilung in der Regel zur Last fallen (KG, Beschl. v. 12. 11. 1997 – 3 Ws 298/06; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2005, 45, KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, StPO § 177 Rn. 1; BeckOK StPO/Gorf, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 177 Rn. 2).

3. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist auch der Prozesskostenhilfeantrag gegenstandslos geworden, so dass auch über diesen nicht mehr zu entscheiden ist.
Die Erledigung der Hauptsache während des Prozesskostenhilfeverfahrens führt zum Wegfall der Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung (Köln MDR 2012, 1368; KG a.a.O.; Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO, Rn. 16). Die nachträgliche Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für einen inzwischen erledigten Klageerzwingungsantrag kommt grundsätzlich nicht in Betracht (KG a.a.O.). Auch liegt keiner der von der Rechtssprechung entwickelten Ausnahmefälle vor (Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO, Rn. 17f). Insbesondere entscheidet der Senat vorliegend unverzüglich nach Eintritt der Entscheidungsreife nach Eingang der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.“

Auswertung von Datenträgern im sog. KiPo-Verfahren, oder: Muss der Verurteilte die Kosten tragen?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Hamburg, Beschl. v. 07.08.2019 – 631 Qs 27/19 -, den mir der Kollege Laudon vor einiger Zeit gesandt hat, geht es um „Kosten“, und zwar um die vom verurteilten Angeklagten eines sog. „KiPo-Verfahrens“ zu tragenden Kosten. Es waren gegenüber dem Angeklagten u.a. die Kosten eines von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens in Auftrag gegebenen Gutachtens zur IT-forensischen Auswertung von zuvor bei dem Verurteilten anlässlich einer aufgrund einer Durchsuchung wegen des Verdachts des Zugänglichmachens kinderpornografischer Schriften sichergestellten Datenträgern angesetzt worden. Insgesamt hat man dem ehemaligen Angeklagten zunächst 15.660,40 EUR in Rechnung gestellt. Die rechnung ist dann, weil das Verfahren zwei Beschuldigte hatte, auf noch 10.459,95 EUR korrigiert worden.

Dagegen dann die Erinnerung des ehemaligen Angeklagte. Das AG Hamburg hat die zurückgewiesen und das LG Hamburg dann die Beschwerde des Verurteilten:

„Maßgebend dafür, ob nach dem JVEG Beträge zu zahlen sind – und damit für das Vorliegen des Auslagentatbestandes der Nr. 9005, 9015 KV GKG – ist demnach, ob der von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Durchsicht der elektronischen Speichermedien herangezogene private Dritte als Sachverständiger beauftragt wurde und die erbrachten Dienstleistungen die Qualität einer Sachverständigenleistung aufweisen. Grundsätzlich kann die Staatsanwaltschaft zulässigerweise Privatpersonen mit Spezialkenntnissen zur Durchsicht von Papieren, einschließlich von elektronischen Speichermedien heranziehen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017, 2 Ws 441/16 (165/16); Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 110 Rn. 2 f.).

Als Sachverständiger beauftragt wird ein Dritter, wenn er aufgrund besonderer Sachkunde eine Bewertung von Anknüpfungs- oder Befundtatsachen anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Erfahrungssätze vornehmen soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, Vor § 72 Rn. 1). Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials gehört nur zur Tätigkeit eines Sachverständigen und ist für diese Tätigkeit nur dann typisch, wenn es zu ihrer Durchführung entscheidend auf seine Sachkunde ankommt, d.h. die Sichtung der Geschäftsunterlagen ohne seine besondere Sachkunde nicht oder nur unter besonders erschwerten Umständen (Sichtbarmachung von Daten aufgrund besonderer, nicht jedermann zur Verfügung stehender technischer Möglichkeiten und Kenntnisse) möglich wäre oder die Datenerhebung zur Klärung bestimmter sachverständig zu beurteilender Zusammenhänge erforderlich ist und zur Vorbereitung einer schließlich zu erstellenden gutachterlichen Äußerung ausgeführt wird (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004, 298).

Die Sichtung und Erhebung vorhandenen Datenmaterials wird nach der vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts jedoch dann nicht als Sachverständigentätigkeit angesehen, wenn sich die in Auftrag gegebene Dienstleistung lediglich in einer organisatorischen und technischen Dienstleistung wie der technischen Sichtbarmachung von Datenmaterial und einer technisch bedingten Vorsortierung von Datenmaterial erschöpft. Dies soll nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts selbst dann gelten, wenn hierfür umfangreiches Expertenwissen sowie der Einsatz einer spezifischen, allerdings auf dem Markt erhältlichen Software erforderlich ist (vgl. OLG Schleswig a.a.O.).

Es bedarf keiner tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, denn die im vorliegenden Fall erbrachte Dienstleistung beschränkte sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gerade nicht auf eine bloße technische Unterstützung und organisatorische Aufarbeitung und der Sachverständige Ppp. wurde nicht als bloßer „Ermittlungsgehilfe“ der Staatsanwaltschaft tätig.

Der Gutachtenauftrag umfasste eine Vielzahl weit über eine bloße Sichtung des Datenmaterials hinausgehender Fragestellungen. Ausweislich der Gutachtenaufträge vom 18.05.2015 und 24.08.2015 hatte der Sachverständige der pp. GmbH neben der Untersuchung der Speichermedien auf das Vorhandensein kinder- bzw. jugendpornografischer Bilddateien festzustellen, ob und ggf. wann und an wen der Beschuldigte derartige Dateien weitergegeben hatte und bei bestehender Möglichkeit die Bezugsdaten zu ermitteln. Gelöschte Bereiche sollten nur nach Rücksprache ausgewertet werden. Sofern kinder- und jugendpornografische Dateien gefunden werden sollten, wurde um Anlegung einer Excel-Tabelle gebeten, welche den Namen der Datei, Pfad, Erstellungs-, Veränderungs-, letztes Zugriffsdatum, soweit möglich Datum der Verschaffung und ggf. der Weitergabe, die Größe der Datei sowie die Fundstelle des Ausdrucks enthalten, wobei bei bestehender Möglichkeit das Datum des Verschaffens Berücksichtigung finden sollte. Gleiches galt für E-Mails mit kinder- und jugendpornografischen Anlagen bzw. Inhalten oder andere Verbreitungsmöglichkeiten, wobei diese Excel-Tabellen den Account des Absenders, des Empfängers, das Thema bzw. den Betreff, das Datum der Versendung bzw. des Empfangs und die Fundstelle des Ausdrucks enthalten sollten.

Die Tätigkeit des IT-Forensikers Ppp. ist als Sachverständigenleistung zu qualifizieren, sodass die von der pp. GmbH abgerechneten Kosten dem Verurteilten nach § 3 Abs. 2 GKG, Nr. 9015, 9005 KV GKG in voller Höhe auferlegt werden können. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg in Auftrag gegebene Leistung beschränkte sich ersichtlich nicht auf eine bloß technische Dienstleistung zur Erleichterung der Durchsicht des Datenbestandes, sondern erforderte vielmehr besondere Sachkunde und den Einsatz spezieller Technik (so auch KG, Beschluss vom 25.07.2018, 1 Ws 65/17). Der Sachverständige P. nahm entsprechend der ihm erteilten Aufträge unter Einsatz einer speziellen forensischen Software – insbesondere der EnCase Version 6.19x von „Guidance Software“ (Bl. 157 d.A.) – und unter Anwendung seiner besonderen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der IT-Forensik eine umfangreiche Auswertung und Bewertung der ihm überlassenen Datenträger im Hinblick auf den Verdacht des Besitzes und des Zugänglichmachens kinder- und jugendpornografischer Dateien vor.

Es ging nicht bloß darum, Dateien sichtbar zu machen und zu sortieren, sondern insbesondere darum, inkriminierte Dateien zunächst überhaupt ausfindig und kenntlich zu machen, ihre strafrechtlich relevante Bedeutung herauszuarbeiten sowie festzustellen, wann und von wem der Verurteilte entsprechendes Material bezogen, wann und an wen er es weitergeleitet und welche Kommunikationsprogramme er hierbei verwendet hatte.

Dass vom Auftragsumfang auch Vorarbeiten und Dokumentationstätigkeiten umfasst waren, die dann, wenn sie ausschließlich übertragen worden wären, möglicherweise als bloße Hilfstätigkeit angesehen werden könnten, ändert nichts daran, dass der Schwerpunkt der in Auftrag gegebenen und erbrachten Leistungen in der sachverständigen Analyse und Bewertung bestand (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.09.2018, 1 Ws 104/18).

Dass der Beschwerdeführer meint, die umfangreiche Auflistung der Befunde sei eine bloß organisatorische Aufarbeitung, enthalte keine eigene Wertung und fasse lediglich deskriptiv das Untersuchungsergebnis zusammen, ist insofern schlicht unzutreffend.

Denn schon allein die Mitteilung des Ergebnisses der Durchsicht – nämlich dass kinderpornografische Schriften auf den zur Untersuchung übersandten Datenträgern ausgewiesen werden konnten – basiert auf einer vom Sachverständigen pp. vorgenommenen eigenen Analyse und Einschätzung. Dass strafrechtlich relevante Bilddateien tatsächlich vorhanden waren, kann nur das Ergebnis einer vorgenommenen Einschätzung sein, wobei die abschließende rechtliche Bewertung – wie der Beschwerdeführer insoweit zutreffend ausführt und auch der Sachverständige selbst klarstellt (Bl. 166 d. LA) – der Staatsanwaltschaft oblag. Warum dabei die Analyse und Einschätzung der Dateninhalte durch den Sachverständigen Ppp. – wie vom Beschwerdeführer darüber hinaus vorgetragen – keine selbstständige und eigenverantwortliche Tätigkeit darstelle, erschließt sich nicht. Der Sachverständige der pp. GmbH hatte die in Auftrag gegebenen Gutachten selbstständig und eigenverantwortlich zu den von der Staatsanwaltschaft umschriebenen Beweisthemen abzugeben und hat dies auch getan.

Des Weiteren geht auch die Behauptung des Verurteilten, der Sachverständige pp. vermittle in seinem Gutachten keine fachwissenschaftlichen Erfahrungssätze, sondern beschränke sich größtenteils auf die Anfertigung von Übersichtstabellen und erörtere lediglich allgemeine Funktionsweisen von Programmen wie beispielsweise der Tauschbörsen „eMule/aMule“ oder generell oberflächliche Informationen über das Löschen von Dateien, die jedermann unproblematisch über eine Suchmaschine im Internet abfragen könne, fehl.

Die ergänzenden Hinweise und Ausführungen des Sachverständigen P., so etwa zu dessen Auswertungsvorgehen oder etwaigen Lesehinweisen zum Gutachten, sind mitnichten selbsterklärend. Dabei unterschlägt der Verteidiger des Verurteilten auch, dass der Sachverständige sehr wohl aufgrund eigener Sachkunde erlangte Erfahrungssätze mitteilt. So erläutert der Sachverständige beispielsweise in Bezug auf die vom Nutzer im Tauschbörsenprogramm „eMule“ eingegebenen speziellen Suchbegriffe, dass diese bei der gezielten Suche nach kinderpornografischen Schriften sehr verbreitet seien (Bl. 154 d. LA), dass sich aus der Erfahrung mit bisherigen Auswertungen gezeigt habe, dass im Tauschbörsen-Kontext etwa 60 % der Dateien mit für Kinderpornografie einschlägigen Benennungen tatsächlich kinderpornografische Inhalte hätten (Bl 191 d. LA), sowie dass im vorliegenden Fall ausgewertete Dateien der pp. GmbH über eigene Hashwerte bereits aus früheren Verfahren als kinderpornografische Schriften bekannt seien (Bl. 141 d.LA). Dass im Gutachten auch allgemeinere Ausführungen zu Begriffen wie Hardware/Software oder dem Löschvorgang von Dateien enthalten sind, lässt die Einordnung als Sachverständigentätigkeit nicht entfallen, zumal diese Erläuterungen für das Verständnis derartiger Gutachten im Gesamtkontext unerlässlich sind und nicht als allgemeinkundig vorausgesetzt werden können. Dass einige dieser allgemeineren Informationen möglicherweise über Suchmaschinen im Internet selbst herangezogen werden könnten, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Entscheidend ist vielmehr die von der Sachkunde des Sachverständigen getragene Bewertung und Einordnung auch solcher Informationen…..“

Die weitere Beschwerde ist (natürlich) nicht zugelassen worden. Begründung:

„Die weitere Beschwerde nach § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG war mangels grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage nicht zuzulassen. Aufgrund der bereits vorhandenen obergerichtlichen Rechtsprechung steht die höchstrichterliche Beantwortung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht mehr aus. Es wird dabei nicht verkannt, dass das Oberlandesgericht Schleswig eine von anderen Oberlandesgerichten abweichende Auffassung vertritt. Dies führt jedoch zu keiner erneuten oder ergänzenden Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, da sich die neuere, dem Oberlandesgericht Schleswig nachfolgende obergerichtliche Rechtsprechung mit dessen vertretener Auffassung detailliert auseinandergesetzt hat.“

Passt m.E. nicht. Aber der Einzelrichter will die Sache eben nicht beim OLG haben.

Ablehnung der Einziehung, oder: Teilweise Kosten bei der Staatskasse?

entnommen openclipart.org

Heute ist Freitag und bringe ich „traditionsgemäß“ Entscheidungen mit gebühren- und/oder kostenrechtlicher Thematik. Dafür brauche ich natürlich Material, so dass immer wieder, so auch heute, daran erinnere: „Leute, schickt gebührenrechtliche Entscheidungen, und zwar nicht nur die richtigen, sondern auch die falschen“.

Ich eröffne heute mit einer kostenrechtlichen Entscheidung des LG Bayreuth, in der es um die Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO geht, der leider häufig – von Gerichten und Verteidigern – übersehen wird. Geschickt hat mir den Beschluss der Kollege Schröder aus Halberstadt.

Der hatte seinen Mandanten in einem Verfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verteidigt. Das AG hat den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten verurteilt. Die Kosten des Verfahrens wurden gemäß §§ 464, 465 StPO dem angeklagten Mandanten auferlegt. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Der ist der Auffassung, dass die durch die Verhandlung über die Einziehung von Wertersatz (8.800,– EUR), wovon abgesehen worden ist, entstandenen Kosten ihm nach dem Rechtsgedanken der §§ 467 Abs. 1, 465 Abs. 2 StPO nicht hätten auferlegt werden dürfen. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Das LG Bayreuth führt im LG Bayreuth, Beschl. v. 27.08.2019 – 3 Qs 60/19 – aus:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Unabhängig von der Frage, ob §§ 73 ff StGB, vorliegend die Einziehung des Wertes von Taterträgen, als Maßnahme eigener Art zur Korrektur strafrechtswidriger Vermögenslagen angesehen wird oder ob insbesondere der Bruttoabschöpfung sowohl vermögensordnender als auch ahndender Charakter zugesprochen wird, war im vorliegenden Fall für eine Heranziehung des Rechtsgedankens des § 465 Abs. 2 i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO kein Raum. Die Ausnahmevorschrift des § 465 Abs. 2 ist nur in engen Grenzen einer entsprechenden Anwendung zugänglich.

Dem Verurteilten lagen gemäß Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 27.03.2019 zwei Ver-brechen gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und zwei Vergehen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG zur Last; er wurde in beiden erstgenannten Fällen zudem wegen eines jeweils tateinheitlich verwirklichten versuchten Erwerbs und in beiden letztgenannten Fällen abweichend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 BtMG rechtskräftig verurteilt. Einverständnis mit der Einziehung zahlreicher asservierter Gegenstände wurde erklärt. Die Entscheidung zu der im Schlussvortrag aufgeworfenen Frage der Einziehung von Wertersatz gemäß §§ 73, 73 c StGB war im vorliegenden Fall von so nachrangiger Bedeutung, so dass eine Freistellung aus Billigkeitserwägungen zur Überzeugung der Kammer nicht in Betracht kam.“

Man kann so entscheiden, wie es das LG getan hat, man muss es aber nicht. Zutreffend ist, dass § 465 Abs. 2 StPO unmittelbar wohl keine Anwendung findet. Den Rechtsgedanken der Vorschrift hätte man aber sehr wohl (analog) anwenden können, auch wenn es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Das war im Übrigen die vorrangige Frage, die zunächst vom LG zu beurteilen gewesen wäre. Erst wenn sie bejaht worden wäre, hätten Billigkeitserwägungen eine Rolle gespielt. Und dann hätte man m.E. mit guten Gründen auch zu einem anderen Ergebnis kommen können. Denn: Warum die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 8.800 EUR von „nachrangiger Bedeutung“ sein soll, erschließt sich nicht ohne weiteres. Das ist doch ein nicht unerheblicher Betrag, den der Angeklagte wahrscheinlich nicht mal eben so aus der Tasche geschüttelt hätte. Und warum soll er, wenn von dieser Einziehung abgesehen wird, dann dafür auch noch kostenmäßig mit der auf ihn zukommenden Gebühr seines Verteidigers nach Nr. 4142 VV RVG haften?

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens, oder: „Quasi-fingierter-Unfall“

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In der zweiten Entscheidung, dem schon etwas älteren LG Hanau, Beschl. v. 28.11.2018 – 3 T 254/18 – wird die Problematik der Erstatung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens behandelt. Das AG hat in einem selbstständigen Beweisverfahren die Kosten festgesetzt, das LG hat das im Beschwerdeverfahren „gehalten“:

„Nach der Rechtsprechung des BGH sind nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf dem Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre. Dazu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.

Zwar liegen die vorgenannten Kriterien vorliegend ersichtlich nicht vor, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten werden in der Rechtsprechung aber auch bejaht, bei Verdacht eines fingierten Unfalls bzw. bei der zweifelhaften Echtheit einer Unterschrift (vgl. hierzu Zöller Rn. 13 zu § 91 ZPO m. w. N.).

Der vorliegende Sachverhalt ist jedenfalls mit der Konstellation eines fingierten Verkehrsunfalls vergleichbar.

In der Antragsschrift bezweifelt die Antragstellerin, dass der Antragsgegner überhaupt einen Austauschmotor eingebaut habe bzw. dass dieser Austauschmotor nur 79.000 km gelaufen sei.

Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner mithin betrügerisches Verhalten zu ihrem Nachteil vor. Um diesem Vorwurf zu entgegnen war es auch aus Sicht einer wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei sachdienlich, zu diesem Vorwurf ein Gutachten einzuholen, da auch die eigene Sachkunde nicht ausgereicht hätte, einem solchen Vorwurf zu entgegnen. Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen besteht eine Erstattungsfähigkeit auch dann, wenn das Privatgutachten ein vom. Gericht benötigtes Gutachten ersparte. Vorliegend hat die Antragstellerin nach Erhalt des Gutachtens den Antrag auf Beweissicherung zurückgenommen, wodurch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im weiteren Verlauf des Beweissicherungsverfahrens vermieden worden ist.

Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Rücknahme ihres Antrags nichts mit dem Gutachten zu tun gehabt habe, ist im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens wenig überzeugend.“

Grundlos Nachbesichtigung verweigert, dann trägt man beim Anerkenntnis die Kosten

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Schon etwas länger schlummert in meinem Blogordner der OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.05.2018 – 4 W 9/18. Entschieden hat das OLG eine verfahrensrechtliche Frage, und zwar zur Kostentragungspflicht des § 93 ZPO. Grundlage war in etwa folgender Sachverhalt:

Der Kläger hatte von der Beklagten zu 2 als Fahrerin und Halterin eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs und von dem Erstbeklagten auf Grund eines Verkehrsunfalls am 7. Januar 2016 mit Anwaltsschreiben vom 02.02.2016, gerichtet an die Dekra Claims Services GmbH in Aachen als Regulierungsbeauftragte, unter Vorlage des Gutachtens des Sachverständigenbüros Saarpfalz S. K., vom 26.01.2016 und Fristsetzung zum 19.02.2016 vorläufig auf 5.752,96 € bezifferten Schadensersatz nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Mit E-Mail vom 23.03.2016 teilte die Regulierungsbeauftragte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, sie werde das Kläger-Fahrzeug nachbesichtigen lassen, und sie bat um Mitteilung, wo dies geschehen könne. Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers lehnte eine Nachbesichtigung ab.

Am 11. Mai 2016 hat der Kläger die Klageschrift vom 21.04.2016 beim Landgericht Saarbrücken eingereicht u.a. mit dem Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger von 5.514,96 € zu zahlen und den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € freizustellen. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2016 hat er den Antrag geändert. Die Klageschrift und der Schriftsatz vom 26.052016 sind dem Beklagten zu 1 am 10.06.2016 zugestellt worden. Die Prozessbevollmächtigten haben in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 für den Fall, dass die Behauptungen des Klägers zu Grund und Umfang der reklamierten Schäden durch einen Gerichtssachverständigen bestätigt werden, ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kosten des Verfahrens angekündigt.

Das LG hat das am 15.11.2017 beim LG eingegangene Gutachten eines Sachverständigen eingeholt. Dieses Gutachten ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Stellungnahme von vier Wochen am 20.11.2017 zugestellt worden (Bd. I Bl. 150 d. A.). Mit Telefax vom 18.12.2017 haben die Beklagten ein sofortiges Teilanerkenntnis der Klageforderung unter Verwahrung gegen die Kosten erklärt. Der Kläger hat mit Telefax vom 03.01.2018 die Zurücknahme der Klage für den das Teilanerkenntnis übersteigenden Betrag erklärt. Mit Teilanerkenntnisurteil vom 28.02.2018 hat das LG die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.678,26 € zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das LG dem Kläger auferlegt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, die keinen Erfolg hatte:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat dem Kläger mit Recht die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

a) Das Landgericht hat in Bezug auf den sowohl im Rahmen des Teilanerkenntnisses als auch der infolge der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung anwendbaren § 93 ZPO im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an einem Klageanlass, weil die klagende Partei dem berechtigten Verlangen des gegnerischen Haftpflichtversicherers bzw. Regulierungsbeauftragten, das beschädigte Fahrzeug besichtigen zu können, nicht nachgekommen sei. Wenn der Kläger eine Nachbesichtigung schlicht deshalb verweigere, weil er sie eben nicht zulassen möchte, könne er nicht davon ausgehen, nur durch eine Klage zu seinem Recht zu kommen. Die Beklagten hätten den Anspruch auch sofort im Sinne des § 93 ZPO anerkannt, da die fehlende Möglichkeit der Nachbesichtigung des Kläger-Fahrzeugs erst durch den Zugang des Gutachtens Dipl.-Ing. E. entbehrlich geworden und das Anerkenntnis innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme erklärt worden sei.

b) Diese Erwägungen halten in jeder Hinsicht den Angriffen der Beschwerde stand…..“

Der Rest steht im Volltext zum Selbstlesen zur Verfügung/bereit. Der Leitsatz zu der Entscheidung lautet:

Erkennt der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer, dem die Nachbesichtigung eines Kraftfahrzeugs auf eigene Kosten trotz begründeter Zweifel an einem vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachten verwehrt wurde, den Anspruch nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens innerhalb der vom Gericht gewährten Frist zur Stellungnahme an, ist im Einzelfall § 93 ZPO zu Lasten des Klägers anzuwenden.