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Fluchtgefahr: Ein alter (?), kranker Mann flieht nicht…

Sehr schön untersucht der KG, Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11 im Rahmen einer weiteren Haftbeschwerde das Merkmal „Fluchtgefahr“ i.S. des § 112 Abs. Abs. 2 Nr. 2 StPO und wägt alle maßgeblichen Umstände ab. Ergebnis, keine Fluchtgefahr, da

  1. zu alt,
  2. zu krank,
  3. zu sozial gebunden,
  4. keine (zu) hohe Straferwartung
  5. kein Geld für die Flucht,
  6. sich dem Verfahren gestellt.

Wie gesagt: Schöne Beschluss, an dem man die maßgeblichen Kriterien für/gegen Fluchtgefahr abarbeiten kann.

Aus zwei mach eins, oder Trunkenheitsfahrt und Btm-Besitz…

Der Angeklagte hält sich in einer Gaststätte auf, wo er ein Amphetamingemisch zu sich nimmt, das er dort unentgeltlich erhalten hatte. Er will nach Hause fahren, um von dort seinen Hund zu holen. Da er mehr Amphetamingemisch erhalten hat, als er im Lokal – in Wasser aufgelöst – zu sich genommen hatte, steckte er die verbliebene Restmenge des Gemisches, 552 Milligramm, in seine Bauchtasche, fährt mit dem Auto seines Bekannten nach Hause und holt den Hund. Als er den PKW auf dem Rückweg in das Lokal führt, gerät er in eine Polizeikontrolle. Hierbei führte der Angeklagte immer noch in seiner Bauchtasche die 552 Milligramm Amphetamingemisch mit sich. Auf dem Polizeiabschnitt wurde es in seiner Bauchtasche gefunden.

Der Angeklagte wird durch Strafbefehl wegen der Trunkenheitsfahrt verurteilt und dann noch einmal durch Urteil des AG wegen des Besitzes des Amphetamin. Gegen die zweite Verurteilung wendet er Strafklageverbrauch ein. Das KG sagt in KG, Beschl. v. 11.11.2011 – 4) 1 Ss 334/11 (270/11): Nein:

„Zwischen Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen werden, und dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln während dieser Fahrten besteht verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, wenn der Betäubungsmittelbesitz in keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht (vgl. BGH NStZ 2009, 705; NStZ 2004, 694; OLG Hamm, Beschluss vom 14. September 2009 – 2 Ss 319/09 – [Juris]). Zwar ist ein solcher Zusammenhang denkbar, etwa wenn die Fahrt mit dem PKW den Zweck verfolgt hat, die mitgeführten Drogen an einen sicheren Ort zu bringen (vgl. BGH NStZ 2009, a.a.O.). Aber allein die Gleichzeitigkeit und eine enge örtliche Verknüpfung der strafbaren Handlungen führt nicht zur Annahme einer Tat im Sinne des § 264 StPO, also eines einheitlichen Lebensvorgangs, der durch getrennte Würdigung und Aburteilung unnatürlich aufgespalten würde (vgl. BGH NStZ 2004, a.a.O.; Senat a.a.O.).

Ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen dem Führen des PKW unter Alkoholeinfluss und dem Besitz des Betäubungsmittels ist nicht gegeben. Ob ein solcher Zusammenhang zwischen dem Konsum des Amphetamins vor Fahrtantritt und der anschließenden Fahrt bestand, weil der Angeklagte das Rauschmittel zur Bekämpfung seiner Müdigkeit genommen hat, kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls zwischen der hier verfahrensgegenständlichen Tat, dem Besitz des nicht konsumierten Amphetamins während der Fahrt, und der bereits abgeurteilten Tat, dem Führen des PKW, bestand kein innerer Zusammenhang. Soweit die Verteidigung diesen damit zu begründen sucht, dass der Angeklagte das Amphetamingemisch „an sich“ und „mit sich“ genommen habe, „um der Müdigkeit entgegen zu wirken“ (Revisionsbegründung) bzw. er „eine kleine Restmenge“ bei sich geführt habe, „um auch bei dieser Fahrt notfalls darauf zurückgreifen zu können, falls die Müdigkeit ihn erneut übermannt“ (Gegenerklärung), handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen. In den Urteilsgründen findet eine solche Motivation für das Einstecken und den Besitz des Amphetaminsgemisches keine Erwähnung, und sie bieten dafür auch keine Stütze.“

Also: Es bleibt bei der „Doppelverurteilung“.

Ich brauche/will Halal-Kost…

Für diejenigen, die (auch) im Strafvollzug tätig sind, ist hinzuweisen auf KG, Beschl. v. 29.08.2011 – 2 Ws 326/11 Vollz mit den Leitsätzen:

  1. Im Bereich des Maßregelvollzugs ist § 21 Satz 3 StVollzG entsprechend anzuwenden.
  2. § 21 Satz 3 StVollzG sieht nur ein Recht auf Selbstverpflegung vor, wenn ein Gefangener einer Religionsgemeinschaft mit besonderen Speisegeboten angehört und diese im Rahmen der Anstaltsverpflegung nicht berücksichtigt werden.
  3. Die Anstalt ist nicht verpflichtet, dem Gefangenen entsprechende Speisen zu beschaffen, hat ihm jedoch zu gestatten, sich selbst mit diesen zu versorgen.
  4. Die Beschränkung der Anstaltsbelieferung auf ein Unternehmen, das keinerlei Halalprodukte anbietet, stellt sich als ermessensfehlerhaft dar.

In der Sache ging es um einen Untergebrachten, der der islamischen Religionsgemeinschaft angehört und eigenen Angaben zufolge praktizierender Muslim ist. Der hatte bei der Anstalt die Umstellung seiner Ernährung auf sogenannte Halal-Kost ebantragt. Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs müsse es ihm ermöglichen, die Speisevorschriften des Islam zu befolgen. Das war abgelehnt worden mit der Begründung:

„…die Patienten hätten die Möglichkeit, anhand eines vorgegebenen Speiseplans wochenweise unter verschiedenen Angeboten – Vollwertkost, Reduktionskost, vegetarische Kost und islamische Kost (Essen ohne Schweinefleisch) – auszuwählen und auf diese Weise den Verzehr von Fleisch- und Wurstwaren zu vermeiden, die nicht dem islamischen Regelwerk entsprächen. Zusätzlich könne der Antragsteller Lebensmittel über den Lieferservice des Unternehmens „Kaiser’s“ bestellen, der allerdings keine Halal-Produkte anbeite“.

Dazu hat sich das KG mit den o.a. Leitsätzen geäußert.

Zum Wochenende gibt es dann noch einmal wenig Geld…

Die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG ist sicherlich die Gebührenvorschrift, die im Teil 4 VV RVG die Gerichte mit am häufigsten beschäftigt. So dann jetzt auch das KG, das im KG, Beschl. v. 30.09.2011 – 1 Ws 66/11 zu einigen (Streit)Fragen (noch einmal) Stellung genommen hat. Die Leitsätze lauten:

  1. Es wird daran festgehalten, dass die anwaltliche Mitwirkung für die Beendigung des Verfahrens ursächlich oder jedenfalls mitursächlich gewesen sein muss.
  2. Die Mitwirkungstätigkeit des Rechtsan­walts muss aber nicht „intensiv und zeitaufwändig“ gewesen sein (Aufgabe der früheren Rechtsprechung KG Beschluss v. 24. Oktober 2006 – 4 Ws 131/06).
  3. Bei der Gebühr Nr. 4141 handelt es sich um eine Festgebühr, die immer in Höhe der jeweiligen Rahmenmitte entsteht.

Dazu hier kurz Folgendes, mehr demnächst im RVGreport, im StRR oder im VRR: Die Leitsätze 2 und 3 sind zutreffend. Wir heißen das KG bei der h.M. willkommen.

Zu Leitsatz 1: Das sieht die h.M. anders, allerdings sind die Unterschiede zwischen der h.M. und dem KG in der Praxis nur gering. Denn geht man mit der h.M. davon aus, dass die Mitwirkungstätigkeit des Rechtsanwalts immer „objektiv geeignet“ gewesen sein muss, dann war sie im Zweifel auch ursächlich für die Einstellung.

Was wird aus dem nicht vollzogenen Haftbefehl…

wenn Rechtskraft eintritt? Wird er gegenstandslos oder was passiert? Zu der damit zusammenhängenden Problematik des Übergang von Untersuchungshaft in Strafhaft befasst sich der lesenswerte KG, Beschl. v. 17.06.2011 – 2 Ws 219/11.

Das KG geht in dem Beschluss davon aus, dass – so auch die h.M. – die Untersuchungshaft bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung automatisch in Strafhaft übergeht. Grundlage der Strafvollstreckung ist dann das rechtskräftige Urteil, welches mit Rechtskraft ohne Weiteres die angeordneten Rechtsfolgen eintreten lässt. Der Haftbefehl wird insoweit gegenstandslos.

Das gilt nach Auffassung des KG jedoch nicht in den Fällen, in denen der Haftbefehl gegen Auflagen bereits außer Vollzug gesetzt war. Um insoweit den Zweck der Untersuchungshaft, nämlich die Sicherstellung der Strafvollstreckung, zu gewährleisten, sei der Haftbefehl weiterhin Grundlage für die nach wie vor geltenden Haftverschonungsauflagen (so früher auch schon OLG Karlsruhe MDR 1980, 598; LG Stuttgart StRR 2009, 118).