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Obliegenheitsverletzung in der Kaskoversicherung, oder: Wartepflicht nach einem Verkehrsunfall?

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich dann heute mal zunächst mal wieder eine Entscheidung zur Obliegenheitsverletzung in der Kaskoversicherung durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vor. Das OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.08.2020 – 12 U 53/20 – ist schon etwas älter, aber heute klappt es dann (endlich) mit dem Bericht.

Gestritten wird um Ansprüche aus einer Vollkaskoversicherung. Der Kläger befuhr am 28.01.2019 befuhr der Kläger mit seinem PKW VW Golf die Kreisstraße K. in Richtung G. An der Einmündung K./L. überfuhr er ein Verkehrsschild (Sachschaden: 200,00 EUR), das Fahrzeug überschlug sich und kam in dem neben der Straße verlaufenden Bach zum Endstand. Der Kläger begab sich nach der Kollision zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zurück zu einem Vereinsheim in B. Um 7:00 Uhr verständigte er seine Ehefrau telefonisch über den Unfall. Die Ehefrau des Klägers holte diesen in der Folge im Vereinsheim in B ab und verbrachte ihn in das J-Krankenhaus in H. Durch den Unfall zog sich der Kläger eine 10 cm lange klaffende, 1 cm tiefe Risswunde oberhalb der Hutkrempe orthogonal zur Sagittalnaht auf der Verbindungslinie zwischen den Ohren sowie eine Hautablederung und eine Schürfwunde zu (vgl. den vorläufigen Arztbrief in Anl. K1). Gegen 8:30 Uhr verständigte die Ehefrau des Klägers die Polizei.

Ein gegen den Kläger geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Der Kläger hat seinen Unfallschaden bei der Kaskoversicherung geltend gemacht. Die Beklagte lehnte eine Regulierung ab. Zur Begründung führte sie an, der Kläger habe Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt. Er habe Alkohol zu sich genommen und sich unerlaubt von der Unfallstelle entfernt.

Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers hatte beim OLG dann aber Erfolg:

„d) Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers ist nicht darin zu sehen, dass er nach der Kollision mit einem Verkehrsschild nicht am Unfallort verblieb, sondern wegging.

aa) Erste Voraussetzung einer Obliegenheitsverletzung nach E.1.1.3 ist, dass sich ein Unfall zugetragen hat. Ein Unfall im Straßenverkehr liegt bei einem plötzlichen Ereignis vor, in welchem sich ein verkehrstypisches Schadensrisiko realisiert und das unmittelbar zu einem nicht völlig belanglosen fremden Sach- oder Körperschaden führt (vgl. Maier a.a.O. Rn. 83).

Ein solcher Fremdschaden ist mit der unfallbedingten Beschädigung des Verkehrsschildes in Höhe von 200,00 EUR gegeben. Die in der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung angenommene Bagatellgrenze von maximal 100,00 EUR (vgl. Klimke a.a.O. Rn. 25 m.w.N.) bzw. die in der strafrechtlichen Rechtsprechung angenommene Bagatellgrenze von maximal 50,00 EUR (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.01.2007 – 2 St OLG Ss 300/06 –, juris Rn. 19; s.a. Kudlich, in BeckOK StGB, Stand 01.05.2020, § 142, Rn. 4.2 m.w.N.) wurden vorliegend jedenfalls überschritten.

bb) Dahinstehen kann, ob sich der Kläger, wie von ihm vorgetragen, bei Verlassen des Unfallortes nicht bewusst war, das Verkehrsschild beschädigt zu haben.

cc) Jedenfalls ist eine Verletzung des Klägers gegen die Pflicht aus § 142 Abs. 1 Nr. oder Nr. 2 StGB nicht festzustellen.

(1) Einen Verstoß gegen die § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechende Verpflichtung, gegenüber einer feststellungsbereiten Person wie dem Geschädigten, einem weiteren Unfallbeteiligten oder der Polizei die geforderten Angaben zu machen, behauptet die Beklagte nicht. Unstreitig hielt sich am Unfallort keine feststellungsbereite Person auf.

(2) Der Kläger hat auch nicht gegen die Wartepflicht im Sinne des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB verstoßen.

(a) Ist kein Feststellungsberechtigter anwesend, so verlangt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass „eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet“ wird, bevor der Unfallort verlassen wird. Der Umfang der Wartepflicht beurteilt sich nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit (vgl. Maier a.a.O. Rn. 93). Ob überhaupt in solchen Fällen und wie lange der Beteiligte am Unfallort zu warten hat, richtet sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 142, Rn. 36 m.w.N.). Die Bestimmung der Angemessenheit der Wartezeit ist abhängig von dem voraussichtlichen Eintreffen feststellungsbereiter Personen (Zopfs, in MünchKomm StGB, 3. Aufl. 2017, StGB § 142 Rn. 81 f.). Dies ist regelmäßig unter anderem abhängig von dem Unfallort, der Verkehrsdichte sowie der Tageszeit (vgl. Kudlich a.a.O. Rn. 31). Weiter wird das Feststellungsinteresse des Berechtigten zu berücksichtigen sein (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 81 und 84.). Je größer das Ausmaß des Schadens ist, desto länger ist grundsätzlich die Wartefrist (vgl. BayObLG NJW 1960, S. 832 [833]; OLG Stuttgart NJW 1981, S.1107 [1108]; s.a. Zopfs a.a.O. Rn. 84 m.w.N.). Zu berücksichtigen sind außerdem die Interessen des Unfallbeteiligten an einem frühzeitigen Verlassen des Unfallortes (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 85). Dabei können gesundheitliche Risiken auf Seiten des Unfallbeteiligten für eine Verkürzung der Wartefrist sprechen ist (vgl. Zopfs a.a.O; in diese Richtung auch OLG Stuttgart a.a.O.).

In der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob bei Abwägung des Interesses des Unfallbeteiligten einerseits mit dem Aufklärungsinteresse andererseits eine Wartepflicht auch gänzlich entfallen kann (vgl. Sternberg-Lieben a.a.O. Rn. 40 m.w.N.) oder jedenfalls eine Mindestwartezeit von z.B. zehn Minuten einzuhalten ist (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 87).

Dass stets eine Mindestwartezeit einzuhalten ist, nimmt der Senat aufgrund der in E.1.1.3 AKB angelegten Grenzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit nicht an. Im Einzelfall kann eine Wartepflicht entfallen, wenn beispielsweise vorrangige dringende persönliche Gründe wie eine ärztliche Versorgung des Unfallbeteiligten bestehen (vgl. Klimke a.a.O. Rn. 31; in diese Richtung auch Heß/Höke, in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, 2. Teil. Einzelne Versicherungszweige 2. Abschnitt. Kraftfahrtversicherung § 29, Rn. 311; für eine Wartepflicht bei einem Unfall mit reinem Sachschaden vgl. Senatsurteil vom 07.02.2002 – 12 U 223/01 –, juris Rn. 7).

(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen bestand keine Wartepflicht des Klägers mit der Folge, dass auch bei Wahrunterstellung des Beklagtenvortrags, dass der Kläger sich nach dem Unfall sofort von dem Unfallort entfernte, eine Obliegenheitsverletzung nicht vorliegt.

Die Einhaltung einer Wartezeit war dem Kläger nicht zumutbar.

Einerseits war in der Unfallsituation weder mit einem zufälligen Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen, noch war aufgrund des entstandenen Schadens ein Verbleiben an der Unfallstelle erforderlich.

So ereignete sich der Unfall nach den Feststellungen der Polizei am 28.01.2019 gegen 00:30 Uhr (vgl. AS 29 der Ermittlungsakte). Dabei stützte die Polizei sich auf die Angaben des in der nahegelegenen L-Straße in L wohnhaften Zeugen S, der angab, zu dieser Uhrzeit einen „dumpfen Aufschlag“ gehört zu haben (vgl. AS 13 der Ermittlungsakte). Der Beklagtenvortrag in erster Instanz (vgl. AS I 53) legt nahe, dass aufgrund einer Meldung der Ehefrau des Klägers bei der Polizei (vgl. AS 19 der Ermittlungsakte) von einem Unfall gegen 23 Uhr noch am 27.01.2019 ausgegangen wird. Inzwischen wurde im unstreitigen Teil des Tatbestandes des landgerichtlichen Urteils der 28.01.2019 als Unfallzeitpunkt festgestellt. Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO, durch den eine etwaige Unrichtigkeit des Tatbestandes einzig hätte behoben werden können (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2009 – V ZR 75/08 -, juris Rn. 35), hat die Beklagte nicht gestellt. Jedenfalls ereignete sich der Unfall nach Aktenlage zur Nachtzeit bzw. in den frühen Morgenstunden. Es ist nicht naheliegend, dass zu dieser Uhrzeit auf einer Landstraße in der Nähe eines badischen Dorfes Polizeibeamte oder Mitarbeiter des Trägers der Straßenbaulast als Geschädigtem in einem überschaubaren Zeitraum vorbeifahren würden. Zugleich lag der Fremdschaden an dem Unfallschild mit 200,00 EUR nicht substantiell über der Bagatellgrenze.

Andererseits bestand ein berechtigtes Interesse des Klägers, unmittelbar nach der Kollision den Unfallort zu verlassen. Dahinter tritt das Aufklärungsinteresse der Beklagten – etwa im Hinblick auf die Prüfung einer Leistungsfreiheit wegen einer Herbeiführung des Unfalls im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit – zurück.

So erlitt der Kläger einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sich sein PKW unstreitig überschlug und 20 Meter von der Straße entfernt in einem Flussbett zum Stehen kam. Die Schwere des Unfalls wird durch die aus den Lichtbildern der Polizei (AS 51 ff. der Ermittlungsakte) erkennbaren Beschädigungen des PKW illustriert und durch die Höhe der von der Beklagten ermittelten Reparaturkosten untermauert. Zugleich zog sich der Kläger neben Schürfwunden und Schwellungen eine 10 cm lange und 1 cm tiefe Risswunde an der Hutkrempe zu (vgl. Anl. K 1). Die Verletzungen hinterließen am gesamten Unfallort (am Pfosten und Fuß eines Absperrgitters, am Gitter einer Brücke sowie am Lenkrad des PKW) Blutspuren. Auch wenn sich der Kläger nicht, wie von ihm behauptet, in einem schuldausschließenden Schockzustand befunden haben sollte, stand er doch unter dem Eindruck eines gravierenden Unfallereignisses, wobei der Unfallhergang und die Wunde am Kopf durchaus Anlass zu der Befürchtung weitergehender Kopfverletzungen geben konnte. In dieser Situation durfte er zur ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes den Unfallort sogleich verlassen. Dass (ex post) bei dem Kläger „nur“ eine Commotio cerebri und eine Prellung der Schulter links diagnostiziert wurden (vgl. Anl. K 1), ändert daran nichts.

Die Einlassung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung (vgl. AS I 81), dass er sich deshalb vom Unfallort zum Vereinsheim in B begeben habe, um von dort sogleich seine Ehefrau anzurufen, damit sie ihn in ein Krankenhaus bringt, ist unwiderlegt. Die Wegstrecke von der Unfallstelle zum DLRG-Vereinsheim beträgt knapp 2 km, zur Wohnung des Klägers dagegen ca. 10 km (gemäß Routenplaner). Er erscheint deshalb nicht von vornherein unplausibel oder unvernünftig, dass sich der verletzte, aber gehfähige Kläger nach dem nächtlichen Verkehrsunfall und angesichts der winterlichen Verhältnisse im Januar zum Herbeiholen von Hilfe zurück in das DLRG-Heim begab. Unwiderlegt ist weiter, dass er sogleich von dort versuchte, seine Ehefrau telefonisch herbeizurufen, dies aber erst gegen 6 Uhr oder 7 Uhr (ausweislich der in der Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben des Klägers [AS 27] und seiner Ehefrau als Zeugin [AS 30] gegenüber der Polizei) gelang.

Die Beweislast für einen Verstoß gegen die Obliegenheit in E.1.1.3 durch Nichteinhaltung der Wartepflicht liegt beim Versicherer; die plausible Darstellung des Klägers müsste deshalb die Beklagte widerlegen (vgl. Maier a.a.O. AKB, E.1, Rn. 94), was ihr nicht gelungen ist.

Nach alldem wäre die Einhaltung einer – auch nur kurzen – Wartepflicht unter den besonderen Umständen dieses Falles ein reiner Selbstzweck, für den angesichts der Begrenzung der Obliegenheit durch den Maßstab der Erforderlichkeit keine Veranlassung besteht.

Eine Rückkehrpflicht des Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1967 – II ZR 24/65 –, juris Rn. 17) zu dem Unfallort schied schon wegen des zweitägigen stationären Krankenhausaufenthaltes aus (vgl. Anl. K 1), nach dessen Ende nicht mehr mit Feststellungen zum Unfallhergang vor Ort zu rechnen war.

(c) Das Entfernen von der Unfallstelle war zudem berechtigt……“

Mit Papas Auto einen Unfall gebaut?, oder: Wann ist die Kasko-Versicherung beim führerscheinlosen Sohn leistungsfrei?

Die Frage, die das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Urt. v. 22.03.2017 – 5 U 174/16 – beantworten musste, lautete: Muss(te) die Kaskoversicherung des väterlichen Pkw für einen Unfall zahlen, den der Sohn und Freunde mit dem geliehenem Wagen verursacht haben? Der Vater hatte sein Auto seinem Sohn und dessen beiden Freunden für einen Abend überlassen. Der Sohn hatte noch keinen Führerschein, daher sollte einer der Freunde fahren. In den frühen Morgenstunden kam es zu einem Unfall, bei dem das Auto mit einem am Seitenrand geparkten Fahrzeug kollidierte. Die herbeigerufene Polizei fand den Wagen verlassen vor. Die Versicherung hatte nicht zahlen wollen, weil sie davon ausgegangen war, dass der Sohn, der noch keine Fahrerlaubnis besitzt, gefahren ist, und dass der Vater dies hätte vorhersehen müssen. Das OLG hat das anders gesehen und hat die Versicherung verpflichtet, den Schaden von rund 8.700 € zu begleichen.

„Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese nicht gemäß Ziff. D.1.4 Satz 2 AKB i. V. m. D.3.1 Satz 1 AKB von ihrer Pflicht zur Leistung befreit.

Gemäß Ziff. D.1.4 Satz 2 AKB darf der Versicherungsnehmer, der Halter oder der Eigentümer das versicherte Fahrzeug nicht von einem Fahrer benutzen lassen, der nicht die erforderliche Fahrerlaubnis besitzt. Leistungsfreiheit gemäß Ziff. D.3.1 Satz 1 AKB setzt voraus, dass die genannte Obliegenheit vorsätzlich verletzt wird. Eine derartige Gestaltung lässt sich – auch nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme – nicht feststellen.

Dabei kann offen bleiben, ob der Geschäftsführer der Klägerin, wovon das Landgericht ausgegangen ist, den Schlüssel für den versicherten PKW am Nachmittag des 18. April 2015 seinem Sohn G. H. übergeben hat oder ob er ihn, wie er selbst und der Zeuge M.S. vor dem Senat erklärt haben, dem Zeugen H.O. ausgehändigt hat. In keinem Fall ist der Beklagten der Beweis gelungen, dass der Geschäftsführer der Klägerin mit dem zur Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes notwendigen Vorsatz gehandelt hat. Dafür müsste er es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass sein Sohn, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügte, den versicherten PKW selbst fahren würde (vgl. Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 28, Rn. 188). Demgegenüber geht der Senat bei zusammenfassender Würdigung aller erhobenen Beweise davon aus, dass der Geschäftsführer der Klägerin, als er den versicherten PKW aus seiner Obhut gab, in der Vorstellung gehandelt hat, der über eine Fahrerlaubnis verfügende Zeuge H.O.werde das Fahrzeug durchgehend lenken.

Wie der Zeuge H.O., der Zeuge M. S.und der Geschäftsführer der Klägerin übereinstimmend bekundet haben, haben sie und G. H. sich vor dem Beginn der fraglichen Fahrt am Nachmittag des 18. April 2015 auf dem Grundstück des Geschäftsführers der Klägerin in Großenmeer getroffen. Der Sache nach haben sich sowohl der Geschäftsführer der Klägerin als auch die Zeugen O. und S. dahin geäußert, dass zwischen den Beteiligten kommuniziert worden war, dass H.O. den PKW führen werde. Wie der Zeuge O. weiter ausgeführt hat, ist er sich seinerzeit im Klaren darüber gewesen, dass G.H. keine Fahrerlaubnis besessen habe. Dementsprechend habe er seine Begleiter auch von G. nach B. zum Essen gefahren und anschließend weiter nach R.

Diese Schilderungen harmonieren wiederum mit dem, was der Zeuge B. vor dem Landgericht über die Vernehmung des Zeugen O. in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen G.H. berichtet hat. Danach hat sich H.O. am 18. April 2015 gerade deshalb zu G.H. nach G. begeben, weil Letzterer keine Fahrerlaubnis besessen hat und man einen Fahrer für den in Rede stehenden PKW benötigte.

Weshalb der Geschäftsführer der Klägerin unter derartigen Umständen billigend in Kauf genommen haben sollte, dass sein Sohn den versicherten PKW als Fahrer benutzen würde, erschließt sich dem Senat nicht.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann dem Geschäftsführer der Klägerin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Ziff. D.3.1 Satz 2 AKB vorgeworfen werden.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet was im konkreten Fall jedermann einleuchten musste (vgl. Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 81, Rn. 30 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind in der vorliegenden Konstellation nicht erfüllt. Umstände, die es aus Sicht des Geschäftsführers der Klägerin nahegelegt haben, dass sein Sohn G.sich in dem Zeitraum vom 18. auf den 19. April 2015 selbst hinter das Lenkrad des versicherten PKW setzen werde, sind nicht ersichtlich.

Ein solcher Rückschluss lässt sich insbesondere nicht aus der Tatsache ziehen, dass die Staatsanwaltschaft Oldenburg ausweislich des Urteils des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Brake vom 25. August 2015 – Az.: 2 Ls 200 Js 49029/14 (187/15) – vor dem in Rede stehenden Unfall bereits zwei Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gegen G. H. geführt hatte. Wie der Geschäftsführer der Klägerin vor dem Senat erläutert hat, haben sich diese Verfahren jeweils auf die Benutzung eines Mofas bezogen. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Im Übrigen erscheint die Darstellung des Geschäftsführers der Klägerin nicht zuletzt deshalb plausibel, weil die Staatsanwaltschaft in den betreffenden Verfahren jeweils gemäß § 45 Abs. 1 JGG beziehungsweise § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen hat (am 3. Juli 2012 beziehungsweise 13. November 2013).

Sollte G. H. in den besagten Fällen tatsächlich den Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit einem Mofa verwirklicht haben, was zumindest bei einem Vorgehen nach § 45 Abs. 1 JGG keineswegs sicher feststeht, so wäre dies nach Auffassung des Senats kein Aspekt, der den Geschäftsführer der Klägerin geradezu zwangsläufig zu der Erkenntnis hätte führen müssen, dass sein Sohn, begleitet von einem Bekannten mit Fahrerlaubnis, auch den versicherten PKW selbst führen werde. Zwischen der Benutzung eines möglicherweise „frisierten“ Mofas und dem Führen eines PKW ohne die erforderliche Fahrerlaubnis besteht ein erheblicher qualitativer Unterschied mit der Folge, dass für die Verwirklichung des zuletzt genannten Delikts in der Regel eine deutlich höhere Hemmschwelle zu überwinden ist.

Nach alledem ist in der vorliegenden Konstellation eine Leistungsfreiheit oder Leistungskürzung gemäß Ziff. D.1.4 AKB i. V. m. Ziff. D.3.1 AKB nicht gerechtfertigt. Die übrigen vom Landgericht in Betracht gezogenen Ausschluss- beziehungsweise Kürzungstatbestände greifen ebenfalls nicht ein. Insoweit wird auf die überzeugenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Aspekte, die ihnen den Boden entziehen könnten, zeigt die Beklagte auch in der Berufungsbegründung nicht auf.“

„Was Mutti weiß, weiß Vati auch“, oder: Wissenszurechnung in der Kasko-Versicherung

entnommen openclipart.org

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Die zweite samstägliche Entscheidung kommt aus dem Bereich der Kaskoversicherung. Es geht im LG Saarbrücken, Urt. v. 21.06.2016 – 14 S 32/15 – um die Zurechnung des Wissens der Ehefrau des Versicherungsnehmers. Der hat seine Kaskoversicherung wegen eines Vandalismusschadens in Anspruch genommen. Der Pkw, um den es im Verfahren gint, war seit spätestens 2008 auf die Ehefrau des Versicherungsnehmers zugelassen und war seitdem, auch nach der Trennung der Eheleute 2010, in deren Besitz. Erst 2013 wurde er von dem Kläger/Versicherungsnehmer übernommen. Der Kläger hat behauptet, der Pkw sei 2014 von Unbekannten bewusst zerkratzt und beschädigt worden. Wegen dieses Vandalismusschadens nimmt er die beklagte Versicherung in Anspruch. Die bestreitet den geltend gemachten Schaden und meint: Zumindest sei sie wegen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei. Dazu war unstreitig, dass der Pkw während der Besitzzeit der Ehefrau zwei Schadensfälle erlitten hatte. Es entstanden Schäden in Höhe von etwa 1.500 € und knapp 6.000 €. Der Kläger,  der behauptet, von diesen Schäden aus der Besitzzeit seiner Ehefrau nichts gewusst zu haben, hatte in zwei Fragebogen der Beklagten die Frage nach Vorschäden verneint. Das LG weist die Klage ab:

„b) Von der Unrichtigkeit seiner Angaben hatte der Kläger auch Kenntnis.

aa) In der Rechtsprechung ist seit langem geklärt, dass in Fällen, in denen eine vertraglich vereinbarte, nach dem Versicherungsfall zu beachtende Obliegenheit an die Kenntnis des Versicherungsnehmers von einem bestimmten Umstand oder Ereignis anknüpft, ein bloßes „Kennenmüssen“ nicht ausreicht, vielmehr positive Kenntnis erforderlich ist (BGH, Urteil vom 30. April 2008 – IV 227/06, NJW-RR 2008, 1062). Die Kenntnis der nach Eintritt des Versicherungsfalles mitzuteilenden Umstände gehört zum objektiven Tatbestand der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, den der Versicherer zu beweisen hat (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2006 – IV ZR 252/05, VersR 2007, 389; vgl. auch schon BGH, Urteil vom 3. November 1966 – II ZR 52/64, NJW 1967, 776). Dass der Kläger selbst positive Kenntnis von den nicht offenbarten Vorschäden hatte, hatte die Beklagte erstinstanzlich nicht unter Beweis gestellt. Das Amtsgericht hat gleichwohl gegenbeweislich – die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Diese hat bekundet, ihr Ehemann habe „wirklich nicht gewusst, dass an dem Fahrzeug Vorschäden eingetreten waren“, bevor er es von ihr „übernommen“ habe; sie selbst habe beide Schäden in einem Zug „machen lassen“. Das Amtsgericht hat sich auf dieser Grundlage davon überzeugen können, dass die Ehefrau des Klägers diesem selbst zu keinem Zeitpunkt von den Schäden berichtet habe. Ob dem beizutreten ist, mag offen bleiben, weil es darauf nicht ankommt.

bb) Denn der Kläger muss sich als Versicherungsnehmer die unstreitig vorhandene und durch die erstinstanzliche Beweisaufnahme auch eindrucksvoll bestätigte Kenntnis seiner Ehefrau von den Vorschäden zurechnen lassen, weil dieser nach dem Vortrag des Klägers das versicherte Fahrzeug im Zeitpunkt der Verursachung der Vorschäden und deren Behebung zur ständigen Benutzung überlassen war und sie daher insoweit als Wissensvertreterin anzusehen ist (§ 166 BGB). Wissensvertreter ist, wer in nicht ganz untergeordneter Stellung vom Versicherungsnehmer zumindest in einem Teilbereich damit betraut ist, an dessen Stelle – oder an Stelle des dazu berufenen Organs – für das Versicherungsverhältnis rechtserhebliche Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2004 – IV ZR 219/03, VersR 2005, 218). Dazu genügt es, wenn der Versicherungsnehmer einer anderen Person, insbesondere einem Familienangehörigen, den versicherten Pkw – wie hier – vollständig zur Benutzung zur Verfügung stellt und sich um den Pkw in der Folgezeit nicht mehr kümmert. Dann wird der Familienangehörige damit betraut an Stelle des Versicherungsnehmers den Pkw betreffende Umstände zur Kenntnis zu nehmen (Saarl. OLG, Urteil vom 15. Januar 2003 – 5 U 261/02, RuS 2003, 147; Urteil vom 6. Oktober 2010 – 5 U 88/10 – 16, VersR 2011, 1511; OLG Bamberg, RuS 2005, 459 (Ls.) = BeckRS 2009, 16615). So aber liegt es hier. Die Ehefrau des Klägers ist – ausweislich des in dem Gutachten abgelichteten Fahrzeugscheins, Bl. 56 GA – seit Januar 2008 als Halterin des Fahrzeugs eingetragen. Als solche hatte sie nach dem Vorbringen des Klägers das Fahrzeug während der Zeit, in der sich die Schadensfälle ereigneten, ausnahmslos und unter Ausschluss des Klägers in eigener Verwendung, bis sie den Besitz im Februar 2013, nach den beiden Schadensfällen, an den Kläger übertrug. In dieser Eigenschaft hat sie die beiden verschwiegenen Schadensfälle, und insbesondere den erheblichen Unfallschaden im November 2011 selbst abgewickelt, ohne mit dem Kläger Rücksprache zu nehmen. Das macht sie insoweit zur Wissensvertreterin, deren Kenntnis sich der Kläger analog § 166 BGB zurechnen lassen muss (vgl. Saarl. OLG, Urteil vom 6. Oktober 2010 – 5 U 88/10 – 16, VersR 2011, 1511; OLG Bamberg, RuS 2005, 459). Dies gilt im Übrigen auch unbeschadet der – vom Kläger aufgeworfenen – Frage, ob die Lebensgemeinschaft der Ehegatten intakt ist oder diese – wie hier – getrennt lebten. Denn die Wissenszurechnung knüpft an die Überlassung des versicherten Gegenstandes und die damit verbundene Möglichkeit der Kenntnis von bestimmten Umständen an und nicht an die familienrechtliche Beziehung (s. zur Wissenszurechnung des nichtehelichen Lebensgefährten etwa OLG Hamm, RuS 1998, 500).“

 

Kfz-Kaskoversicherung: Ersatz von Bergungskosten?

entnommen wikimedia.org Autor: Maschinenjunge

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Autor: Maschinenjunge

Ein Versicherungsnehmer hat gegenüber einer Vollkaskoversicherung keinen Aufwendungsersatzanspruch aus § 83 VVG hinsichtlich der Kosten einer Abschleppmaßnahme, wenn das versicherte Fahrzeug weitgehend zerstört ist und erkennbar über keinen relevanten Restwert mehr verfügt. So die Entscheidung des OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.2015 – 12 U 101/15. Nach dem Sachverhalt war das bei der Beklagten vollkaskoversicherte Kfz der Klaägerin in Österreich vollständig ausgebrannt. Das Wrack hatte keinen nennenswerten Restwert mehr. Es wurde auf Veranlassung der örtlichen Polizei abgeschleppt. Der Klägerin wurden dafür etwa 5.000 € in Rechnung gestellt. Die Beklagte/Kasko-Versicherung verweigert die Zahlung der Abschleppkosten. LG und OLG sagen: Sie muss auch nicht zahlen. Denn:

a) Ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 83 Abs. 1 VVG setzt Aufwendungen im Zusammenhang mit Rettungsmaßnahmen nach § 82 Abs. 1, 2 VVG voraus. Diese müssen sich auf einen versicherten Schaden beziehen (Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. A., § 83 Rn. 5 m.w.N.). Ein Rettungswille des Versicherungsnehmers ist dabei nicht erforderlich. Dementsprechend sind Rettungskosten auch zu ersetzen, wenn der Versicherungsnehmer zur Handlung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet war (BGH, VersR 2007, 200, Tz. 14ff; Prölss/Martin/Voit, aaO).

Erstattungsfähig sind aber nur solche Aufwendungen, die der Versicherungsnehmer für geboten halten durfte. Geboten sind dabei solche Maßnahmen, die Erfolg versprechen und die in ihrem Aufwand nicht außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen (Senat, Urteil vom 07.05.2015, 12 U 146/14, juris, Tz. 40 m.w.N. [zu den Rückführungskosten bei einer privaten Krankenversicherung]). Fehlreaktionen und Fehleinschätzungen sind dabei bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit unschädlich (Senat, aaO, Tz. 41). Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH NJW-RR 2011, 1055 , Tz. 10 m.w.N.). Dementsprechend kann ein Versicherungsnehmer Abschleppkosten auch bei einem offensichtlichen Totalschaden regelmäßig zur Sicherung des Restwerts für erforderlich halten (Senat, Urteil vom 18.01.2013, 12 U 117/12, juris, Tz. 43; Stomper in: Halm/Kreuter/Schwab, AKB, 2. A., Rn. 126 zu A.2.5.1). Dies gilt aber nicht, wenn es bei einem völlig zerstörten oder ausgebrannten Fahrzeug auch einem Laien hätte einleuchten müssen, dass das Fahrzeugwrack keinerlei Wert mehr verkörpert (Stomper, aaO).

Die Darlegungs- und Beweislast, dass er die konkrete Handlung ohne grobe Fahrlässigkeit für geboten halten durfte, liegt beim Versicherungsnehmer (Senat, aaO; Prölss/Martin/Voit, aaO, Rn. 32). Sofern die Handlung nicht vom Versicherungsnehmer selbst, sondern von einem Dritten vorgenommen wurde, ist darauf abzustellen, ob dieser die Maßnahme für erforderlich halten durfte (BGH VersR 2003, 1250, Tz. 8; Prölss/Martin/Voit, aaO, Tz, 10).

b) Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs liegen bei Anwendung dieser Grundsätze hier nicht vor.

(1) Es besteht ein objektives Missverhältnis zwischen dem Restwert und den geltend gemachten Abschleppkosten. Letztere übersteigen den Restwert um den Faktor 100. Bei dieser Sachlage war die Durchführung der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderung objektiv ungeeignet. Ohne Belang ist dabei, ob entsprechend dem erstinstanzlich gehaltenen Vortrag die Abschleppmaßnahme auch zur Sicherung der Ladung erforderlich war. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um versicherte Gegenstände handelte.

(2) Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Beauftragung eines Abschleppunternehmens ohne grobe Fahrlässigkeit für geboten gehalten werden durfte. Der ihr obliegende Beweis ist nicht geführt. Die vorgelegten Lichtbilder (AH I) zeigen ein durch den Brand zerstörtes Fahrzeug. Das Führerhaus ist vollständig ausgebrannt. Die Ladefläche ist lediglich im Heckbereich in ihrer ursprünglichem Form und Struktur ansatzweise zu erkennen. Dagegen ist sie im vorderen und mittleren Bereich sichtbar deformiert. Bei diesem Schadensbild musste sich jedem Betrachter auch ohne Spezialkenntnisse hinsichtlich der Bewertung von Nutzfahrzeugen geradezu aufdrängen, dass ein relevanter Restwert nicht mehr vorhanden sein konnte und die Kosten für eine Abschleppmaßnahme diesen deutlich übersteigen würden. Dementsprechend war letztere zur Geringhaltung des Schadens erkennbar nicht geeignet. Dabei ist unerheblich, ob die Klägerin aus der Distanz den Sachverhalt zutreffend beurteilen konnte. Denn insoweit ist – wie ausgeführt – auf die Person des Handelnden, also des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs abzustellen.

Das von der Klägerin erstinstanzlich in Bezug genommene Urteil des Senats vom 18.01.2013 (12 U 117/12) steht damit nicht in Widerspruch. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt lag kein derartig offensichtliches und erkennbares Missverhältnis zwischen Rettungskosten und voraussichtlich erzielbarem Restwert vor…..“