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„Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen…“ – Strafzumessungsfehler..

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Dem BGH gelingt es immer wieder, mit knappen Formulierungen zu zeigen, was er von dem ein oder anderen landgerichtlichen Urteil hält. So der BGH, Beschl. v. 17.07.2012 – 3 StR 219/12, in dem der BGH ein Urteil des LG Stade im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hat, weil das LG die von ihm verhängte Jugendstrafe nicht ausreichend begründet hatte. Nach Auffassung des BGH war dem Erziehungsgedanken nicht ausreichend Rechnung getragen. Und dabei taucht dann die Formulierung: „Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen…“ auf. Die zeigt m.E., dass dem BGH die Strafzumessungserwägungen auch sonst nicht gereicht haben.

 1. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 19 Jahre alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und die Verhängung einer Jugendstrafe auf das Vorliegen schädlicher Neigungen sowie die Schwere der Schuld gestützt. Dies ist – für sich betrachtet – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Höhe der Strafe begründet hat, begegnen jedoch durchgreifenden Bedenken.

Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe – auch wenn deren Verhängung vollständig oder teilweise auf die Schwere der Schuld gestützt wird – vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Das Landgericht hat zunächst zugunsten des Angeklagten seine Einlassung zum Tatvorwurf, die Verfahrensdauer, die erlittene Untersuchungshaft, die kurze Dauer der Bemächtigungslage und die Verwendung lediglich einer Gaswaffe berücksichtigt. Strafschärfend hat es die „jugendrechtlichen Vorbelastungen“ des Angeklagten gewertet. Bei der „konkreten Strafzumessung“ hat die Jugendkammer sodann „im Rahmen des absprachegemäß vereinbarten Strafrahmens einer Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und neun Monaten und  zwei Jahren … die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten für ausreichend zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten“ erachtet. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281). Die insgesamt wenig sorgfältigen Ausführungen zur „konkreten Strafzumessung“ enthalten ansonsten lediglich Erwägungen, die auch im Erwachsenenstrafrecht für die Bemessung der Rechtsfolgen maßgeblich sind; sie lassen deshalb auch in ihrem Zusammenhang ebenso wenig wie die sonstigen Urteilsgründe erkennen, dass die Jugendkammer den Erziehungsgedanken in der erforderlichen Weise beachtet hat.

 

Strafzumessung – Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld

In meinen Augen haben viele Revisionen beim BGH Erfolg im Hinblick auf Strafzumessungsfehler. In dem Bereich werden vom BGH landgerichtliche Urteile häufig aufgehoben und zur Reparatur zurückgeschickt. das gilt insbesondere auch für den Teilbereich der Verurteilungen auf der Grundlage des JGG, wo häufig nicht beachtet wird, dass auch, wenn die Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt wird, sie gem. § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten zu bemessen ist. So auch der BGH, Beschl. v. 15.05.2012 – 2 StR 54/12:

Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und wegen schädlicher Neigungen und Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich gehalten. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der verhängten Jugendstrafe begründet hat. Die Höhe der Jugendstrafe bemisst sich, auch wenn sie wegen der Schwe

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re der Schuld verhängt wird, gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1995 – 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10; Eisenberg, JGG, 15. Aufl., § 18 Rn. 13, 20 ff.). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Die Urteilsgründe stellen im Wesentlichen auf das in der Tat zum Aus-druck gekommene Unrecht ab und teilen Zumessungserwägungen mit, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Sie erwähnen lediglich am Ende der Strafzumessungserwägungen den Erziehungsgedanken eher formelhaft. Den noch bestehenden Erziehungsbedarf des Angeklagten substantiiert die Jugendkammer unter Hinweis auf seine strafrechtlichen Vorbelastungen, ohne die Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten näher abzuwägen. Insbesondere stellt die Jugendkammer nicht dar, warum trotz der festgestellten positiven Entwicklungsansätze (UA S. 7, 27) dem vorrangigen Erziehungsgedanken nur durch Verbüßung einer derart langen Jugendstrafe Rechnung getragen werden kann.

Strafzumessung: Vergesst den Erziehungsgedanken nicht…

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Der BGH muss in JGG-Verfahren immer wieder darauf hinweisen, auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe sich deren Höhe gem. 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst. Das wird häufig in Verfahren, vor allem, wenn Heranwwachsende nach Jugendrecht verurteilt werden, übersehen. So auch in dem dem BGH, Beschl. v. 28.02.2012 – 3 StR 14/12 zugrundeliegenden Verfahren beim LG Hildesheim. Im BGH, Beschl. heißt es dazu:

„Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der Strafe begründet hat. Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich deren Höhe gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1995 – 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.

Das Landgericht hat zwar ausgeführt, es habe sich bei der Bemessung der konkreten Höhe der Jugendstrafe vorrangig am Erziehungszweck orientiert (UA S. 23). Nachfolgend werden jedoch ausschließlich Zumessungserwägungen mitgeteilt, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Auch an anderer Stelle des Urteils finden sich keine Hinweise darauf, dass die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe den Vorrang des Erziehungszwecks beachtet hat. Lediglich am Ende der Strafzumessungserwägungen hat das Landgericht ausgeführt, es habe auf die konkrete Strafe „unter besonderer Beachtung der Persönlichkeitsentwicklung und des noch bestehenden Erziehungsbedarfs des Angeklagten“ erkannt (UA S. 24), ohne dies allerdings näher zu substantiieren. Eine derartige, lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens in den Urteilsgründen genügt grundsätzlich nicht (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).“

Jugendstrafe: Worauf ist zu achten?

Nichts Weltbewegendes, aber immerhin eine anschauliche Zusammenfassung der Grundsätze zur Verhängung von Jugendstrafe enthält der KG, Beschl. v. 17.02.2012 – 1 Ss 540/11 (336/11).

Danach „bemisst sich die Schwere der Schuld i.S.d. 5 17 Abs. 2 JGG nach dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Angeklagten begründeten Be­ziehung zu ihr. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d. h. inwieweit sich die charakterliche Hal­tung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des ju­gendlichen in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Die Schwere der Schuld ist nicht abstrakt messbar, sondern nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so dass deren äußerer Unrechtsgehalt, insbesondere die Bewertung des Tatunrechts, die in den gesetzlichen Strafandrohungen ihren Aus­druck findet, nicht unberücksichtigt bleiben darf.  Demgemäß ist die Schwere der Schuld vor allem bei Kapitalverbrechen zu bejahen und wird daneben in der Regel nur bei anderen beson­ders schweren Taten in Betracht kommen (vgl. BGHSt 15, 224; BGH StV 1992, 325; Senat, a.a.O.; OLG Hamm StV 2011, 175). Eine derartige besonders schwere Tat hat das Landgericht jedoch nicht ausreichend festgestellt. Die Annahme der Schwere der Schuld hat es erkennbar lediglich auf die Gefährlichkeit der „schweren Gewalttat“ an sich gestützt. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht ohne ausreichende Berücksichtigung des Tatmotivs und des spontanen Tatentschlusses zu einseitig auf das in der Tathandlung zum Ausdruck kommende Tatunrecht abgestellt hat, was sich bei einem Jugendlichen als rechtsfehlerhaft erweist. Dies umso mehr, als das Gericht dem Angeklag­ten vorliegend – allerdings nicht durch Darlegung einer überprüfbaren Rückrechnung von Trinkmengenangaben – eine verminderte Schuldfähigkeit attestiert hat.

b) Hinzu kommt, dass Jugendstrafe nur verhängt werden darf, wenn und soweit dies aus erzieherischen Gründen auch zur Zeit der Urteilsfindung noch erforderlich ist. Dies gilt auch für die reine Schuldstrafe nach § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2CO3 – (4) 1 Ss 195/C3 (132/03) -). Die danach für die rechtsfehlerfreie An­wendung des § 17 Abs. 2 JGG unerlässliche zusätzliche Erörte­rung, ob die Verhängung von Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung auf den geständigen Angeklagten geboten ist, ge­nügt den hieran zu stellenden Anforderungen nicht. …….“

Mal wieder Strafzumessung – heute im Jugendrecht

 Strafmaß- bzw. Strafzumessungsrevisionen haben m.E. beim BGH eher eine Erfolgschance als gegen den Schuldspruch gerichtete Revisionen. Jedenfalls meine ich, den Schluss aus der veröffentlichten BGH-Rechtsprechung ziehen zu können. Ein Beispiel ist der BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 353/11, dem eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, zugrunde lag. Der BGH beanstandet sowohl die Begründung für die Verhängung einer Jugendstrafe als auch die konkrete Strafzumessung.

Ad 1: „Die Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld hält der Nachprüfung nicht stand. Die Kammer stützt ihre Bewertung maßgeblich darauf, dass der Angeklagte sich an einer schweren Straftat, einem Verbrechen (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB), beteiligt hat und der Strafrahmen nach Erwachsenenstrafrecht sechs Monate bis zu elf Jahren und drei Monaten wäre. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN). Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser. Dabei ist bei einer Teilnahme vorrangig auf die Schuld des Teilnehmers abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2000 – 3 StR 253/00, wistra 2000, 463). ……“

Ad 2:Auch die konkrete Strafzumessung begegnet rechtlichen Bedenken. Die Jugendkammer hat zwar ausgeführt, dass sie sich bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe vorrangig am Erziehungszweck orientiert habe (§ 18 Abs. 2 JGG). Dies ist aus den Urteilsgründen indes nicht erkennbar. Den für die Frage des Erziehungsbedarfs bedeutsamen Umständen, dass bei dem Angeklagten „zwischenzeitlich ein Umdenken stattgefunden hat“ und „er einer ordentlichen Schulausbildung entgegenstrebt“, hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung allein gegenübergestellt, dass gegen ihn Anfang Mai 2008, also rund zweieinhalb Jahre vor Begehung der gegenständlichen Tat und drei Jahre vor dem Erlass des angefochtenen Urteils, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen ein Freizeitjugendarrest verhängt und vollstreckt wurde. Dies entspricht einer Abwägung wie sie im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich ist. .…“