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Tja, irren ist menschlich, aber einen Hauptverhandlungstermin darf man nicht übersehen

© Dmitry - Fotolia.com

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 Tja, kann passieren, darf es aber nicht, dass das Gericht einen Hauptverhandlungstermin vergisst. Nein, nicht so vergessen, dass alle anderen Verfahrensbeteiligten zur Hauptverhandlung erschienen waren und das Gericht fehlte. Das wäre „hochnotepinlich“ gewesen. Aber auch so ist es unschön, dass man bei einer Strafkammer des LG Essen übersehen hat, dass ein an sich geplanter Hauptverhandlungstermin nicht statt gefunden hat und man nicht an vier, sondern nur an drei Tagen verhandelt hatte. Denn das hatte dann Folgen, weil so die Urteilsabsetzungsfrist eben nicht mehr als fünf sondern nur die i.d.R. gewährten fünf Wochen des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO dauerte und das Urteil deshlab von der Kammer zu spät zur Akte gebracht worden war. Der Verteidiger hat es gemerkt und gerügt und der BGH hebt dann im BGH, Beschl. v. 06.05.2014 – 4 StR 114/14 – auf.

„Die zulässige Rüge, das Urteil sei nicht in der gemäß § 275 Abs. 1 S. 2 StPO maßgebenden Frist zu den Akten gebracht worden, ist begründet, so dass es auf die zugleich erhobene Sachbeschwerde und weiteren Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

Das Urteil vom 28. Oktober 2013 wurde nach dreitägiger Verhandlung verkündet (Bl. 33 PB). Gemäß § 275 Abs. 1 S. 2 StPO betrug daher die Frist, binnen derer die Urteilsurkunde zu den Akten zu bringen war, fünf Wochen und endete mit dem 2. Dezember 2013. Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle gelangte das schriftliche Urteil jedoch erst am 4. Dezember 2013 zu den Akten (Bl. 421 Bd. III). Damit war die fünfwöchige Frist überschritten. Ein unabwendbarer Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO ist nicht ersichtlich. Den dienstlichen Stellung-nahmen des Vorsitzenden und Berichterstatters (Bl. 596 f. Bd. IV) lässt sich entnehmen, dass diese bei der Berechnung der Frist irrten, indem sie von ursprünglich vier angedachten Verhandlungstagen aus-gingen. Eine unrichtige Berechnung kann die Überschreitung der Frist jedoch nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 2002 – 2 StR 504/01). Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.“

Tja, irren ist menschlich, aber – wie schreibt der BGH so schön: „Eine unrichtige Berechnung kann die Überschreitung der Frist jedoch nicht rechtfertigen“.

Krawall im Puff – 4.000 € müssen reichen, meint auch der BGH

BordelltuerDas LG Berlin hat den Angeklagten wegen „besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzli-chem unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition“ verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der Angeklagte am 16. August 2012 mit drei Begleitern das Bordell „A. “ in Berlin. Nach-dem aus der Gruppe des Angeklagten zu Beginn und im Verlauf des Aufent-halts über 2.600 € für den von jeder Person zu entrichtenden Eintritt, die An-mietung einer Suite für einen vierstündigen Aufenthalt, den Erwerb von fünf Flaschen Champagner und die Dienste von zwei Prostituierten gezahlt worden waren, kam es, als der Angeklagte und seine Begleiter sich anschickten, das Bordell zu verlassen, zu einer längeren verbalen Auseinandersetzung mit weite-ren Prostituierten um die von diesen noch beanspruchten Entgeltzahlungen für erbrachte sexuelle Dienstleistungen. Nachdem sie zunächst noch erklärt hat-ten, weiteres Geld aus dem Auto holen zu wollen, und zwei der Begleiter des Angeklagten auch noch kleinere Teilbeträge entrichtet hatten, äußerten sowohl der Angeklagte als auch sein im Urteil als „der Kräftige“ bezeichneter Begleiter, der offenbar jedenfalls den überwiegenden Teil der bisherigen Zahlungen getätigt hatte, dass sie bereits 4.000 € gezahlt hätten und keine weiteren Zahlungen mehr leisten würden. Als die drei als Sicherheitsmitarbeiter des Bordells tätigen Nebenkläger sich im Eingangsbereich postierten, um den Angeklagten und seine zwei im Bordell verbliebenen Begleiter – der dritte hatte sich inzwischen nach draußen zum Fahrzeug begeben – bis zum Erscheinen der zwecks Fest-stellung der Personalien herbeigerufenen Polizei am Verlassen des Bordells zu hindern, versuchte zunächst „der Kräftige“ hinauszulaufen, wurde jedoch von den Nebenklägern gewaltsam hieran gehindert. Um sich und seinen Begleitern die Flucht aus dem Bordell zu ermöglichen, zog schließlich der Angeklagte eine mit Gummigeschossen geladene halbautomatische Selbstladewaffe und schoss mit dieser auf alle drei Nebenkläger, wobei er insgesamt sechs Schüsse abfeuerte – unter anderem schoss er dem Nebenkläger G. viermal in den Rücken – und jedenfalls zwei Nebenkläger nicht unerheblich verletzt wurden. Anschließend verließen der Angeklagte und seine zwei Begleiter das Bordell und liefen zu dem Fahrzeug, wo der dritte Begleiter sie erwartete und mit ihnen davonfuhr.“

Der BGH findet „Haare in der Suppe“ = die Beweiswürdigung des LG passt ihm nicht. Er hebt mit dem BGH, Beschl. v. 09.04.2014 – 5 StR 65/14 – teilweise auf: Der subjektive Tatbestand wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung wird verneint:

„Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum subjektiven Tatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist insofern lückenhaft, als sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob sich der Angeklagte möglicherweise in dem gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB beachtlichen Irrtum befand, die sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten seien durch die von dem „Kräftigen“ zu Beginn und im Laufe des Abends geleisteten Zahlungen bereits vereinbarungsgemäß vergütet worden. Ein solcher Irrtum lässt sich auch nicht etwa aufgrund der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen ausschließen. Zunächst bleibt schon offen, was „der Kräftige“ dem Angeklagten hinsichtlich der Höhe der schon erbrachten Zahlungen mitgeteilt hat und ob der Angeklagte nicht aufgrund dieser Angaben tatsächlich davon ausging, es seien – wie er im Rahmen der Diskussionen im Eingangsbereich gegenüber den Nebenklägern behauptete – bereits 4.000 € gezahlt. Doch selbst wenn der Angeklagte die tatsächliche Höhe der Zahlungen gekannt haben sollte, kann er angenommen haben, die sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten seien hierdurch vereinbarungsgemäß vergütet. Die Höhe der vom „Kräftigen“ erbrachten Zahlungen ist so beträchtlich, dass sich nicht von selbst versteht, dass hierdurch nicht alle Kosten abgedeckt sein sollten. Vor dem Hintergrund all dieser Umstände liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte die weiteren Geldforderungen der Prostituierten nicht für berechtigt hielt. Hierauf deutet im Übrigen auch die ausgiebige Diskussion um die Höhe der offenen Forderungen hin, die sich nicht ohne weiteres mit der Annahme in Einklang bringen lässt, der Angeklagte und seine Begleiter hätten selbst um die Berechtigung dieser Forderungen gewusst, seien aber dennoch entschlossen gewesen, sie nicht zu begleichen.“

Bemerkenswert lebensnah 🙂 .

Einstellung des Bußgeldverfahrens – schöner Erfolg für den Betroffenen – ohne dass er etwas dazu kann

© Martin Fally - Fotolia.com

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Das AG Lüdinghausen hatte im AG Lüdinghausen, Beschl. v. 26.03. 2013 – 19 OWi -89 Js 187/13-20/13 – folgenden Sachverhalt zu beurteilen:

Der Betroffene sollte am 06.07.2012 einen Verkehrsverstoß begangen haben. Ihm wurde am 31.07.2012 ein Anhörungsbogen gesandt. Dieser geriet jedoch als unzustellbar in Rücklauf, da die Verwaltungsbehörde den Vornamen des  Betroffenen mit „Y“, nicht aber richtig mit „J“ geschrieben hat und auch die Hausnummer nicht mit 5, was richtig gewesen wäre, sondern falsch mit 6 angegeben hat. Die Mitarbeiter der Verwaltungsbehörde hatten die etwas undeutliche – aber noch lesbarer – Schrift der Halterin in deren Rückantwort auf dem ihr übersandten Zeugenbefragungsbogen unrichtig in die behördlichen Datenerfassungssysteme übertragen. Obwohl somit der richtige Name und die richtige Anschrift des Betroffenen aktenkundig waren, wurde am 22.08.2012 und am 13.09.2012  das Verfahren nach „§ 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG“ eingestellt. Nach einer EMA-Auskunft wurde das Verfahren dann aber am 06.11.2012 mit falscher Namensangabe des Betroffenen durch Erlass eines Bußgeldbescheids wegen eines Abstandsverstoßes fortgesetzt. Das AG hat das Verfahren nach § 206a StPO wegen Verfolgungsverjährung eingestellt.

Die Einstellungen hatten jedoch nicht die verjährungsunterbrechende Handlung des § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG, so dass 3 Monate (§ 26 Abs. 3 StVO) nach dem Anhörungsschreiben vom 31.7.2012 und damit auch schon vor Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Es lag nicht ein bloßer Irrtum über den Aufenthalt des Betroffenen vor, der die Wirkung § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG nicht beeinflusst hätte (hierzu: Gürtler in: Göhler, OWiG, 16. Auflage 2012 § 33 Rn. 27). Vielmehr waren im Ursprung bereits die richtige Anschrift und der richtige Name des Betroffenen aktenkundig – sie wurden aber von der Verwaltungsbehörde nicht richtig zur Kenntnis genommen oder nicht richtig übertragen. So wurde selbst noch nach der EMA-Anfrage der Name des Betroffenen weiter falsch mit „Y“ geschrieben. Die verfahrensrechtliche Lage ist damit wie im Falle des OLG Karlsruhe, Beschluss v. 6.3.2000 2 Ss 163/98 = DAR 2000, 371 = BeckRS 2000 30099636 zu beurteilen, so dass wegen des Eintritts des Verfahrenshindernisses der Verjährung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 206a StPO einzustellen war.“

Schöner Erfolg für den Betroffenen – ohne dass er etwas dazu kann 🙂

Wenn ich sage, ich komme, aber verspätet…

darf das LG die Berufung nicht verwerfen, sondern hat eine Wartepflicht. So das OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.03.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11).

Das OLG führt aus: Es verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, eine Berufung zu verwerfen, obwohl der Angeklagte telefonisch zutreffend ankündigt, dass er irrtümlich vor dem erstinstanzlichen Gericht erschienen sei und deshalb um 1 Stunde und 15 Minuten verspätet bei der Berufungskammer eintreffen wird. Macht sich der Angeklagte nach Bekanntwerden des Irrtums unverzüglich auf den Weg zur Berufungskammer und spricht dort mit seinem Verteidiger bei der Geschäftsstelle vor, dann ist die Nachlässigkeit bei der Kenntnisnahme von der Terminsladung nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Interessant auch, dass das OLG die Frage des Verschuldens des Angeklagten nicht an einer anderen Stelle prüft: Nämlich beim Irrtum darüber, wo die Berufungshauptverhandlung stattfindet.