In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 19.11.2019 – 1 StR 162/19, – geht es um die Frage der Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin in der Hauptverhandlung bei einer nach § 257b StPO durchgeführten Erörterung.
Der Angeklagte hatte mit der Revision beanstandet, dass im Hauptverhandlungstermin vom 14. Mai 2018 eine Erörterung der Sach- und Rechtslage gemäß § 257b StPO in Abwesenheit von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, nämlich sowohl des Angeklagten als auch eines Verteidigers, stattgefunden habe. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergebe sich, die Vorsitzende habe bekannt gegeben, die Verteidigerin habe kurz vor 9 Uhr auf der Geschäftsstelle angerufen und mitgeteilt, man stehe auf der Autobahn im Stau; sie habe gebeten, mit dem Aufruf der Sache um 60 Minuten zu warten. Gleichwohl sei die Strafkammer in Abwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidiger mit dem Vertreter der Staatsanwaltschaft in eine Erörterung der Sach- und Rechtslage eingetreten. Das Sitzungsprotokoll weise hierzu aus: „Die Sach- und Rechtslage wurde zwischen der Kammer und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft gemäß § 257b StPO erörtert“. Die Revision ist der Auffassung, die Erörterung der Sach- und Rechtslage könne sich nicht allein darauf bezogen haben, wie auf die Mitteilung über die Verspätung zu reagieren sei. Vielmehr seien dem Wortlaut gemäß Fragen zur Schuld- und Straffrage thematisiert worden.
Der BGH meint:
„Der geltend gemachte Revisionsgrund liegt nicht vor; die Verfahrensrüge hat daher keinen Erfolg.
Ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO liegt nur dann vor, wenn einer der in dieser Vorschrift genannten Verfahrensbeteiligten bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend war (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 – 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 91; Gericke in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 338 Rn. 74, 79). Dies war hier nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung der Revision ist das Vorliegen eines Revisionsgrundes gemäß § 338 Nr. 5 StPO hier nicht bereits durch die – unklare und unzulängliche (vgl. § 273 Abs. 1 Satz 2 StPO sowie OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 3 Ws 141/10, NStZ-RR 2010, 213) – Formulierung im Hauptverhandlungsprotokoll belegt, dass in der Hauptverhandlung die Sach- und Rechtslage gemäß § 257b StPO erörtert worden sei. Denn die Vorschrift des § 257b StPO erfasst schon nach ihrem Wortsinn alle möglichen Arten der Erörterung, die nicht notwendig zu einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO führen müssen. Wegen des Ausbleibens des Angeklagten und seiner Verteidiger drängt sich auf, dass speziell diese Verfahrenssituation Gegenstand der Erörterung gewesen ist. Die Klärung solcher Fragen (vgl. Wenske in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 257b Rn. 6a) wäre jedoch kein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.
Im Blick auf die hier gegebene Verfahrenslage, die durch die ersichtlich verkürzte Protokollierung nicht hinreichend deutlich wird, hat der Senat hierüber im Freibeweisverfahren durch Einholung dienstlicher Erklärungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der Vorsitzenden der Strafkammer Beweis erhoben. Während der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft keine Erinnerung mehr an den Hauptverhandlungstag hatte, konnte sich die Kammervorsitzende noch an den Ablauf der Verhandlung erinnern. Sie teilte in ihrer dienstlichen Erklärung vom 1. Oktober 2019 mit, dass in der Hauptverhandlung bekannt gegeben worden sei, dass die Verteidigerin Rechtsanwältin S. angerufen und auf eine Verspätung hingewiesen habe. In der Verhandlung habe das Gericht den anwesenden Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, dass bis zum Eintreffen der Verteidigerin und des Angeklagten zuzuwarten sei. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe hierzu die Erklärung abgegeben, dass auf das Erscheinen des Angeklagten mit seiner Verteidigerin zu warten sei. Darüber hinaus habe es keine weitergehende tatsächliche und rechtliche Erörterung in der Sache gegeben. Der Zusatz im Protokoll „Die Sach- und Rechtslage wurde zwischen der Kammer und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft gemäß § 257b StPO erörtert“ sei von der Protokollführerin angebracht worden mit Blick auf die Erklärung des Gerichts, dass auf das Erscheinen des Angeklagten und dessen Verteidigerin gewartet werde, und die Bestätigung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, dass auf das Erscheinen zu warten sei. Bei der Korrektur des Protokolls sei die „ungünstige“ Formulierung übersehen worden. Der Senat hat keinen Zweifel, dass die Kammervorsitzende den Ablauf der Verhandlung vom 14. Mai 2018 während der Abwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin wahrheitsgemäß und zutreffend geschildert hat. Dieser Ablauf steht auch nicht im Widerspruch mit dem protokollierten Wortlaut. Da die im Protokoll genannte Erörterung mithin keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt, liegt der von der Revision geltend gemachte absolute Revisionsgrund (§ 338 Nr. 5 StPO) nicht vor.“
Nun ja, die „Reparaturarbeiten“ des BGH in allen Ehren, aber was an der Formulierung: „unklar und unzulänglich“ ist, erschließt sich nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick.