Schlagwort-Archive: Inhalt

„…die Strafhöhe hat besonderes Gewicht…“

© digital-designer - Fotolia.com

© digital-designer – Fotolia.com

Kurz nach Inkrafttreten der Verständigungsregelungen im Jahr 2009 sind reichlich Entscheidungen des BGH zum Verständigungsinhalt (§ 257c StGB) veröffentlicht worden. Inzwischen hat sich das verlagert. M.E. liegt das Schwergewicht derzeit bei § 243 Abs. Abs. 4 StPO, also bei der sog. Mitteilungspflicht. Und um die ist es auch im BGH, Beschl. v. 23.07.2015 – 1 StR 149/15 – gegangen. In dem Verfahren war unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln angeklagt. Nach Eintritt in die Beweisaufnahme am ersten Tag der Hauptverhandlung, dem 18. Dezember 2014 wurde diese dann zur Durchführung eines Rechtsgesprächs unterbrochen. Der Angeklagte hatte den überwiegenden Teil des Anklagevorwurfs – unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen bestritten. Gegenstand dieses Gesprächs, an dem die Mitglieder der Strafkammer, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Angeklagten teilnahmen, waren u.a. die jeweiligen Erwartungen zur Strafhöhe für den Fall der anklagegemäßen Verurteilung des Angeklagten. In dem Gespräch werden von den „Parteien“ unterschiedliche Vorstellungen zum Strafmaß geäußert. Dazu findet sich dann später im Protokoll der Hauptverhandlung, in dem die Mitteilung des Vorsitzenden über dieses Gespräch enthalten ist, nichts. Der BGH sieht das als fehlerhaft an:

„c) Diesen Anforderungen wird die Mitteilung des Vorsitzenden nicht gerecht. Denn aus ihr geht nicht hervor, welchen wesentlichen Inhalt das Rechtsgespräch in dem vorstehend dargestellten Sinn gehabt hat; die revisionsgerichtliche Überprüfung ist dem Senat hierdurch verwehrt. Insbesondere Erörterungen über Strafmaßvorstellungen verleihen einem Rechtsgespräch im Sinne der §§ 202a, 212 StPO ganz besonderes Gewicht. Sie weisen nicht nur einen Konnex zum Verfahrensergebnis auf, sondern betreffen dieses unmittelbar.

Eine Mitteilung über Erörterungen im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO, welche auf thematisierte Erwartungen zur Strafhöhe nicht im Einzelnen hinweist, ist alleine aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft.

So liegt es hier. Bereits der unterlassene Hinweis auf die von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft geäußerten Straferwartungen führt zu einer Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, ohne dass es auf den weiteren Gesprächsinhalt noch ankäme.

Genug geredet…

© eyetronic Fotolia.com

© eyetronic Fotolia.com

Im BGH, Beschl. v. 11.02.2105 – 1 StR 335/14 – feilt der 1. Strafsenat mal wieder an der Mitteilungspflicht nach Verständigungsgesprächen (§ 243 Abs. 4 StPO). Es ging noch einmal um deren Inhalt. Der Angeklagte hatte mit seiner Revision u.a. beanstandet u.a., „die Vorsitzende habe ihrer Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht genügt, als sie am 13. Hauptverhandlungstag über eine im Anschluss an den davor liegenden Verhandlungstag stattgefundene Erörterung mit dem Ziel einer Verständigung berichtet habe. So hätten die Argumente der Verteidigung und die Frage, von wem die Initiative zu dem Gespräch ausgegangen sei, sowie die vom Gericht geäußerten Vorstellungen dokumentiert werden müssen.

Die Rüge hat keinen Erfolg. Denn der BGH sieht das anders und meint: Genug geredet:

„a) Soweit sie sich dagegen richtet, dass die Mitteilung nicht die Information darüber umfasst habe, dass die Initiative zu dem Gespräch mit dem Ziel einer Verständigung von der Verteidigung ausgegangen sei, ist die Rüge jedenfalls unbegründet. Eine dahingehende Mitteilungspflicht besteht nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 1 StR 422/14).

b) Soweit die Revision beanstandet, die Argumente der Verteidigung seien nicht mitgeteilt worden, ist – ungeachtet der Zulässigkeit der Rüge – ebenfalls kein durchgreifender Rechtsfehler aufgezeigt. Aus der Mitteilung ergibt sich, dass Gegenstand der Erörterungen war, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine bewährungsfähige Strafe in Betracht kommt, auch die ablehnende Position der Staatsanwaltschaft ist detailliert enthalten. Dem kann sowohl durch den Angeklagten als auch durch die Öffentlichkeit ohne weiteres entnommen werden, dass die Verteidigung für eine bewährungsfähige Strafe eingetreten ist. Weitergehende Mitteilungspflichten, etwa im Hinblick auf die von der Verteidigung in dem Gespräch im Einzelnen angeführten Strafzumessungsaspekte, bestehen nicht.

Mitzuteilen sind die von den Gesprächsteilnehmern vertretenen Standpunkte (BVerfGE 133, 168, 217 Rn. 86 mwN). Eine bis in Einzelheiten der Argumentation für den jeweiligen „Standpunkt“ reichende Mitteilungspflicht ist damit nicht verbunden. Die Anforderungen an den Inhalt der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 StPO ergeben sich aus den mit der Mitteilung verfolgten Zwecken, nämlich vor allem die Eröffnung einer Kontrollmöglichkeit von Verfahrensabsprachen durch die Öffentlichkeit sowie die Sicherstellung einer umfassenden Information des Angeklagten, um diesem eine autonome Entscheidung über die Beteiligung an der Verständigung zu ermöglichen (vgl. zusammenfassend nochmals BVerfG, NStZ 2015, 170). Keiner der beiden Zwecke erfordert Mitteilungen über die Argumentation von Gesprächsbeteiligten in Details….“

Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr …

© fotomek -Fotolia.com

© fotomek -Fotolia.com

Wenn man über die verfahrensrechtliche Rechtsprechung des BGH berichtet, kommt man im Moment an der Verständigung (§ 257c StPO) und der Mitteilungspflicht nicht vorbei. Und da ist es schon manchmal erstaunlich, wenn man die „Eiertänze“ sieht, die in meinen Augen der BGH veranstaltet, um das BVerfG Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – – 2 BvR 2883/10 – – 2 BvR 2155/11 nicht bzw. nicht so umzusetzen, wie das BVerfG es gern hätte, und um auch danach liegende Rechtsprechung des BVerfG zu umschiffen. Häufig ist es so, dass man beim Lesen einer BGH-Entscheidung denkt: Na, wenn das man beim BVerfG „hält“.

Und so ist es mir mit dem BGH, Beschl. v.02.12.2014 – 1 StR 422/14 – gegangen, der die Frage des „Mitteilungsinhalts“ zum Gegenstand hat, und zwar die Frage: Umfasst bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auch die Frage, vom wem die Initiative zu dem Gespräch ausgegangen ist? Nun, der 1. Strafsenat sagt: Nein. Und wann man es liest, stutzt man. Denn der 1. Strafsenat hat bislang: Ja gesagt. Nun also, nein. und zwar mit der Begründung: Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, der die Mitteilungspflicht lediglich auf den „Inhalt“ des Gesprächs be­ziehe, nicht aber auf die Art und Weise, wie es zustande gekommen sei. Vom Begriff „Inhalt“ sei die Frage, auf wessen Initiative es zu einem Gespräch kam, nicht umfasst.

Nun ja, kann man so sehen, allerdings überrascht dann doch, dass der 1. Strafsenat nun den § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO offenbar zum ersten Mal richtig gelesen hat 🙂 . Denn der Wortlaut ist seit 2009 unverändert.

Noch gespannter bin ich darauf, was das BVerfG ggf. damit macht – wenn das Verfahren dort landen sollte. Denn das BVerfG hat in in seinem Urteil v. 19.03.2013 die Protokollierung zu der Frage verlangt, wer die Anregung zu den Verständigungsgeesprächen gegeben hat Zwar im Zusammenhang mit § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO, aber warum soll für die Mitteilung etwas anderes gelten, zumal das BVerfG formuliert: „Gleiches gilt für … § 243 Abs. 4…“. Die vom 1. Senat hier vorgenommene Differenzierung zwischen Mitteilungspflichten über außerhalb und Dokumentationspflichten bezüglich innerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ist also nicht zwingend und dürfte auch mit der vom BVerfG inzwischen sehr in den Vordergrund gerückten Öffentlichkeitskontrolle kollidieren.

Übrigens: Mir tun inzwischen die Gerichte leid, die sich in dem Rechtsprechungswirrwarr zu Recht finden müssen. Ich kann die Vorsitzenden/Amtsrichter verstehen, die mir sagen: Verständigung im Strafverfahren? Mit mir nicht mehr.

Verständigung, Verständigung, Verständigung….

© FotolEdhar - Fotolia.com

© FotolEdhar – Fotolia.com

Wenn man sich die verfahrensrechtliche Rechtsprechung der Strafsenate des BGH anschaut, hat man im Moment den Eindruck: Verständigung, Verständigung, Verständigung…., es scheint keine anderer Fragen zu geben. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass nicht eine neue Entscheidung zur Verständigung (§ 257c StPO) oder den damit zusammenhängenden Fragen, vor allem zur Mitteilungs- und Belehrungspflicht,  auf der Homepage des BGH veröffentlicht wird (vgl. auch Verständigung/Absprache – ein Rechtsprechungsmarathon). So auch in dieser Woche zwei Entscheidungen, die beide für BGHSt vorgesehen sind, was die Bedeutung, die der BGH diesen Entscheidungen beimisst, unterstreicht. Ich stelle hier – aus Platzgründen – allerdings nur die Leitsätze ein und überlasse die Entscheidungen im Übrigen dem Selbststudium. Bei den Entscheidungen handelt es sich um:

Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, den Angeklagten vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB hinzuweisen.

Allein auf der fehlenden oder fehlerhaften Protokollierung einer Belehrung ge-mäß § 257c Abs. 5, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO kann das Urteil nicht beruhen.

Viel Spaß beim Lesen! 🙂

Überraschung? Nein, und zwar auch nicht bei der Geldauflage

© FotolEdhar - Fotolia.com

© FotolEdhar – Fotolia.com

Verständigung, Verständigung, Verständigung (§ 257c StPO) so wird der ein oder andere denken/stöhnen, der derzeit die verfahrensrechtliche Rechtsprechung der Obergerichte auswertet. Auch wir haben in der letzten Zeit immer wieder über Entscheidungen berichtet, die sich mit der Problematik befasst haben (vgl. zuletzt hier die Übersicht bei Verständigung/Absprache – ein Rechtsprechungsmarathon). Neben dem BGH sind es zunehmend auch die OLG, die „Verständigungsfragen entscheiden. Dabei geht es derzeit meist um die Fragen der Belehrung nach/bei einer Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) und/oder um die Fragen der ausreichenden bzw. nicht ausreichenden Mitteilung gem. § 243 Abs. 2 Satz 2 StPO. Außerhalb dieser Problemkreise liegt nun die Entscheidung des OLG Saarbrücken, die den Focus mal wieder auf inhaltliche Fragen des § 257c StPO richtet, und zwar den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 04.10.2013 – 1 Ws 106/13. Der befasst sich mit der Frage, über was im Verständigungsgespräch alles gesprochen werden muss. Und das OLG sagt: Über alles, also auch über eine dass Geldauflagen, die im Fall einer Bewährungsstrafe auf den Angeklagten ggf. zukommen soll. Das hatte man aber bei einem AG nicht getan, dann aber im Bewährungsbeschluss eine Geldauflage von 500 € festgesetzt. Gesetzeswidrig sagt das OLG, zumindest dann, wenn die Geldauflage vorher in keiner Weise im Gespräch war:

„b) Die Anordnung der Geldauflage ist jedenfalls deshalb gesetzwidrig, weil sie unter den hier gegebenen Umständen gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden, in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK normierten Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt.

aa) Das Gebot der Verfahrensfairness gebietet es in der Regel, dass dann, wenn – wie hier – das Gericht im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe zusagt, eventuell anzuordnende Bewährungsauflagen bereits im Rahmen des der Verständigung vorausgehenden Rechtsgesprächs angesprochen werden und der Angeklagte nicht erst durch den im Anschluss an die Verkündung des Urteils zu verkündenden Bewährungsbeschluss von einer Bewährungsauflage überrascht wird (vgl. OLG Köln NJW 1999, 373 ff. – Rn. 14, 17 nach juris; Meyer-Goßner, a. a. O., § 257 Rn. 12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 56b Rn. 10; LK-Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56b Rn. 30; SK-StPO/Frisch, a. a. O.).

bb) Dass – wie in dem vom Oberlandesgericht Köln (a. a. O.) entschiedenen Fall – der Bewährungsbeschluss erst verkündet wird, nachdem – was nach heutiger Rechtslage nicht mehr zulässig wäre (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) –im Anschluss an die Urteilsverkündung Staatsanwaltschaft, Angeklagter und Verteidiger bezüglich des Urteils einen Rechtsmittelverzicht erklärt haben, ist dabei nicht der maßgebliche Gesichtspunkt. Entscheidend ist vielmehr, dass die hier angeordnete Auflage, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, der Genugtuung für das begangene Unrecht als „echte Reaktion auf die Straftat“ (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 56b Rn. 4) dienen soll, wenn ohne sie im Hinblick auf das Absehen von der Strafvollstreckung das begangene Unrecht keinen hinreichenden Ausgleich und die Rechtsgemeinschaft keine hinreichende Genugtuung erführe (OLG Köln, a. a. O., Rn. 17 nach juris; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, a. a. O., § 56b Rn. 11).

cc) Wenn also – wie hier – der Tatrichter der Auffassung ist, dass der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Strafrechts auch in Ansehung der erfolgten Verständigung im Strafprozess und des damit einhergehenden Geständnisses des Angeklagten nur durch die Anordnung auch einer Geldauflage neben der verhängten, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe Genüge getan werden kann, muss er den Angeklagten auf diesen gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung hinweisen. Nur so ist gewährleistet, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung, deren Bestandteil sein Geständnis ist, informiert ist und er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG NJW 2013, 1058 ff. – Rn. 99, 125 nach juris). Der Hinweis auf die in Betracht kommende Anordnung einer Geldauflage ist daher nicht anders als die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht des Gerichts über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach § 257c Abs. 4 StPO zur Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit erforderlich.“

M.E. hat das OLG mit seiner Entscheidung Recht. Ob die Grundsätze auch gelten, wenn die Geldauflage im Laufe der Hauptverhandlung im Gespräch war, kann im Einzelfall sicherlich zweifelhaft sein. Dann wäre sie im zweifel nicht mehr „überraschend“.

Zur Abrundung: Beim ersten Blick auf die Entscheidung war ich erstaunt, dass das OLG über eine Beschwerde gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung entschieden hat. Auf den ersten Blick hält man sicherlich nach dem allgemeinen Instanzenzug das LG für zuständig. Aber dann hilft/half– wie immer – ein Blick ins Gesetz, und zwar in § 305a Abs. 2 StPO. Danach ist, wenn gegen das Urteil eine zulässige Revision und gegen den gem. § 268a StPO ergangenen Bewährungsbeschluss Beschwerde eingelegt wird, das Revisionsgericht zur Entscheidung auch über die Beschwerde zuständig. Und dann kam die Erinnerung wieder 😉 .