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StPO I: Fehler bei der polizeilichen Vernehmung, oder: Wasch mich, aber mach mich nicht nass

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Der heutige Donnerstag ist dann drei StPO-Entscheidungen gewidmet, es kommen also drei Entscheidungen mit verfahrensrechtlicher Problematik.

Und da kommt zuerst der BGH, Beschl. v. 19.06.2019 – 5 StR 167/19. Es geht um Fehler bei der polizeilichen Vernehmung. Die bejaht der BGH und er bejaht auch ein Beweisverwertungsverbot, aber dann: Das Urteil beruht nicht auf dem Verfahrensfehler. Also. Typische „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Entscheidung:

„1. Die erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet.

a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Angeklagte wurde am 5. Juni 2018 als Beschuldigter von der Polizei zur verfahrensgegenständlichen Tat vernommen. Nach Belehrung und Eröffnung des Tatvorwurfs verlangte er, mit seinem Rechtsanwalt reden zu können. Daraufhin wurde die Vernehmung unterbrochen, und einer der Vernehmungsbeamten versuchte vergeblich, den benannten Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen. Dem Angeklagten wurde sodann ermöglicht, seinen Vater anzurufen, der den Rechtsanwalt in Kenntnis setzen sollte. Auf die Frage, ob er nun Angaben zur Sache machen wolle, erklärte der Angeklagte, er sage nur, dass er es nicht gewesen sei und nichts davon wisse. Auf weitere Nachfragen und Vorhalt von Ermittlungsergebnissen erfolgte eine ausführliche Vernehmung, in welcher der Angeklagte seine Tatbeteiligung – wie auch in der Hauptverhandlung – weiter bestritt, daneben aber Angaben machte. In der Hauptverhandlung hat die Verteidigung der Verwertung der Angaben der Vernehmungsbeamten widersprochen.

b) Die Revision rügt unter anderem den fehlenden Hinweis der Vernehmungsbeamten auf den anwaltlichen Notdienst. Ferner habe nach Unterbrechung der Vernehmung eine weitere Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation erfolgen müssen. Die Rüge hat keinen Erfolg.

aa) Ein Verstoß gegen das Gebot, auf den anwaltlichen Notdienst hinzuweisen (§ 163a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO) liegt nicht vor.

Der Bundesgerichtshof hat bereits unter Geltung der alten Fassung von § 136 Abs. 1 StPO, in der das Hinweisgebot noch nicht ausdrücklich normiert war, einen Hinweis auf den anwaltlichen Notdienst für entbehrlich gehalten, wenn der Beschuldigte bereits einen bestimmten Rechtsanwalt als Verteidiger benannt hatte (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 200/05, BGHR StPO § 136 Abs. 1 Verteidigerbefragung 8). In diesem Fall beschränke sich für die Ermittlungsbehörden das Gebot, bei der Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger zu helfen, darauf, eine Verbindung zu dem benannten Rechtsanwalt herzustellen, sofern der Beschuldigte nicht zu erkennen gebe, dass er nach dem Scheitern der Kontaktaufnahme einen anderen Rechtsanwalt als Verteidiger wählen wolle.

Dies hat sich durch die Einfügung des Hinweisgebots in § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO in der Neufassung vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295) nicht geändert. Der Gesetzesbegründung, die auf frühere Rechtsprechung zur Erforderlichkeit von ernsthaften Bemühungen der vernehmenden Person verweist, den Beschuldigten bei der Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu unterstützen, ist zu entnehmen, dass die gesetzlichen Ergänzungen in § 136 Abs. 1 StPO lediglich klarstellend erfolgt sind (vgl. BT-Drucks. 18/9534, S. 22 unter Bezugnahme unter anderem auf BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19). Die Vorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO schützt danach den Beschuldigten, der zwar einen Verteidiger befragen möchte, aber keinen benennt. So verhält es sich hier aber nicht.

bb) Rechtsfehlerhaft war indes, dass die Polizeibeamten die Vernehmung fortgesetzt haben, ohne den Angeklagten erneut über sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers zu belehren. Dies macht seine Angaben unverwertbar.

Bringt der Beschuldigte zum Ausdruck, sich mit einem Verteidiger besprechen zu wollen, kann die Vernehmung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne vorangegangene Konsultation nur fortgesetzt werden, wenn sich der Beschuldigte nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt (BGH, Urteile vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19; vom 27. Juni 2013 – 3 StR 435/12, BGHSt 58, 301, 307; Beschluss vom 10. Januar 2013 – 1 StR 560/12, NStZ 2013, 299; darüber hinaus auch ganz hM in der Literatur, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 136 Rn. 10a; KK/Diemer, StPO, 8. Aufl., § 136 Rn. 14; Geppert, Festschrift Otto, 2007, S. 913, 922). Zweck der wiederholten Belehrung ist letztlich, dem Beschuldigten vor Augen zu führen, dass er sein Recht auf Verteidigerkonsultation nicht durch den fehlgeschlagenen Kontaktversuch verwirkt hat; sie trägt dadurch zur Subjektstellung des Beschuldigten bei (Beulke, NStZ 1996, 257, 261). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295) ausdrücklich gebilligt (BT-Drucks. 18/9534, S. 22).

Aus diesem Rechtsverstoß folgt hier nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch ein Beweisverwertungsverbot (vgl. BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 ff.; vom 12. Januar 1996 – 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 21 f.; Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.).

cc) Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht (vgl. § 337 Abs. 1 StPO).

Das Landgericht hat den Tatnachweis nicht auf die Angaben des Angeklagten in der polizeilichen Vernehmung gestützt, mit denen er den Tatvorwurf bestritten hatte. Die Beweiswürdigung stützt sich vielmehr auf eine Gesamtschau der Indizien. Dabei hat das Landgericht insbesondere rechtsfehlerfrei gewürdigt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt hat, die Tat geplant zu haben und sogar am Tatort erschienen zu sein. Ferner hat es das Tragen der Tatkleidung durch den Angeklagten am Tag nach der Tat und das Auffinden der beiden am Tatort getragenen Jacken beim Angeklagten bzw. dessen damaliger Freundin maßgeblich herangezogen. Soweit das Landgericht an einzelnen Stellen die Angaben des Angeklagten aus der polizeilichen Vernehmung erwähnt (UA S. 7, 8, 9), wurden diese ohnehin durch andere Beweismittel bestätigt. Es handelt sich demgemäß um bloße Ergänzungen, ohne dass die Strafkammer dem wesentlichen Beweiswert beigemessen hätte. Werden Beweismittel nur ergänzend im Urteil erwähnt und sogar ausdrücklich für die Entscheidung als nicht wesentlich beschrieben, ist aber regelmäßig auszuschließen, dass das Tatgericht bei Nichtverwertung des Beweismittels zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 598/96, NJW 1997, 1790, 1792; Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, und vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010).“

Wenn man das mal wieder liest, fragt man sich wirklich was das soll. Und wenn man dann mal überlegt, was der BGH sonst alles sicher ausschließen kann, wenn es um Rechtsfehler und ihre Auswirkungen geht, dann fragt man sich hier, warum konnte man eigentlich nicht ausschließen, dass die Angaben bei der Beweiswürdigung doch eine Rolle gespielt haben. „Gesamtschau der Indizien“, aha. Vielleicht waren sie ja der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Verletzung des rechtlichen Gehörs, oder: Auf Verurteilung wegen Vorsatzes muss hingewiesen werden

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Zur vorhin vorgestellten Entscheidung des BGH zum Hinweis nach § 265 StPO (siehe den BGH, Beschl. v. 14.06.2018 – 3 StR 206/18 und dazu: Wenn sich die Sachlage (beim Mordvorwurf) ändert, oder: Förmlicher Hinweis erforderlich) passt ganz gut der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.06.2018 – 3 Ss OWi 728/18.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer am 15.09.2017 als Kfz-Führer vorsätzlich begangenen Beförderung seines 8-jährigen Sohnes ohne jede Sicherung (§§ 21 Abs. 1a Satz 1) zu einer Geldbuße von 60 € verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde hat der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das Urteil aufgehoben.

I. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versa­gung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 I Nr. 2, II Nr. 1 OWiG).

1. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe einen rechtlichen Hinweis dahingehend unterlassen, dass es möglicherweise von vorsätzlichem Verhalten des Betr. ausgehe, ist […] zulässig und auch begründet. Weder der Betr. noch sein Verteidiger waren auf diese Möglichkeit hingewiesen worden und hatten demgemäß insoweit keine Gelegenheit, ihr prozessuales Verhalten auf die neue Situation einzustellen. Dieses Vorgehen verletzt zugleich den Anspruch des Betr. auf rechtliches Gehör.

a) Der Umstand, dass im Bußgeldbescheid die Schuldform nicht angegeben war, hatte zur Folge, dass vom Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen war (OLG Bamberg, Beschl. v. 02.05.2017 – 2 Ss OWi 293/17 = DAR 2017, 383 m.w.N.), zumal sich die Zentrale Bußgeldstelle mit ihrer Rechtsfolgenentscheidung ersichtlich an dem für Fahrlässigkeitsdelikte (§ 1 II 2 BKatV) geltenden Regelsatz nach Nr. 99.1 BKat orientiert hatte.

b) Ein Hinweis dahingehend, dass die Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Tat erfolgen könne, ist ausweislich der Verfahrensakte und des Hauptverhandlungsprotokolls weder dem Betr. selbst noch dessen Verteidiger, insbesondere auch nicht in der Hauptverhandlung, erteilt worden.“

Bewährungsauflage 10.000 €, darauf muss vor einer Absprache hingewiesen werden.

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Zum Auftakt heute mal wieder etwas aus dem Bereich der Verständigung. Nichts Neues, aber der BGH, Beschl. v. 08.09.2016 – 1 StR 346/16 – nimmt noch einmal zur Frage Stellung, ob und wie vor „Abschluss der Vereinbarung“ – schöne Formulierung im BGH-Beschluss 🙂 – ein Hinweis auf die Anordnung einer Bewährungsauflage nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB erteilt werde muss. Das hatte das LG nämlich übersehen. Es war in der Hauptverhandlung eine Bewährungsstrafe vereinbart worden – so weit, so gut. Es waren aber weder im Rahmen der Verständigung noch bei den Vorgesprächen über ihr Zustandekommen mögliche Bewährungsauflagen erörtert worden. Der Vorsitzende hatte erstmals vor dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen den Hinweis erteilt, dass bei der Angeklagten im Fall einer Strafaussetzung zur Bewährung eine Geldauflage angeordnet werden könne. Die Sitzungsvertreterin der StA beantragte dann u.a. der Angeklagten die Zahlung einer Geldauflage von 10.000 € an eine gemeinnützige Einrichtung aufzuerlegen. Der Verteidiger beantragte von der Zahlung einer Geldauflage abzusehen. Das LG hat der Angeklagten im Bewährungsbeschluss dann u.a. aufgegeben, – binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils einen Geldbetrag in Höhe von 10.000 € zu Gunsten eines gemeinnützigen Vereins zu bezahlen.

Der BGH hat das moniert und aufgehoben:

bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Angeklagter vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13, BGHSt 59, 172, 174). Nur durch einen solchen vorherigen Hinweis kann sichergestellt werden, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist und er deshalb autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1071; siehe auch BT-Drucks. 16/12310, S. 14, 15).

Danach ist es erforderlich, dass das Gericht vor einer Verständigung offenlegt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht, die Bestandteil der Rechtsfolgenerwartung sind und gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB – anders als Bewährungsweisungen gemäß § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 1 StR 426/14, NStZ 2015, 179) – als Genugtuung für begangenes Unrecht eine strafähnliche Sanktion darstellen. Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter drohen, die – wie hier in Form von Zahlungsauflagen – eine erhebliche Be-lastung darstellen können, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13, BGHSt 59, 172, 174 f. und vom 11. September 2014 – 4 StR 148/14, NJW 2014, 3173).

cc) Diesen Anforderungen hat das Landgericht nicht entsprochen, weil der gesamte Umfang der Rechtsfolgenerwartung vor dem Zustandekommen der Verständigung nicht offengelegt wurde. Die Angeklagte wurde vielmehr erstmals am letzten Tag der Hauptverhandlung vom Gericht überhaupt darauf hingewiesen, dass eine Bewährungsauflage angeordnet werden könne, die dann auch im Bewährungsbeschluss – wie dargestellt – festgesetzt wurde.

Hinzu kommt, dass die Verhängung von Bewährungsauflagen gemäß § 56b StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Dass der Bewährungsbeschluss Auflagen enthalten werde, musste sich der Angeklagten daher nicht als selbstverständlich aufdrängen. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht bei einem Mitangeklagten, der – wie die Angeklagte – ebenfalls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, von der Verhängung einer Bewährungsauflage abgesehen hat.

Eine vollendete Vergewaltigung ist etwas anderes als eine versuchte….

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Wenn man derzeit die verfahrensrechtliche Rechtsprechung des BGH auswertet, ist man froh, wenn man mal auf andere Entscheidungen stößt als solche, die sich mit der Verständigung (§ 257c StPO) und/oder der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO befassen. Und zu den Entscheidungen gehört der BGH, Beschl. v. 17.12.2014 – 3 StR 510/14 mit einem Klassiker, nämlich einem Verstoß gegen § 265 StPO.

Die Rüge einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO greift durch.

„a) Die Anklage hatte dem Angeklagten vollendete Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 StGB in der bis zum 4. Juli 1997 geltenden Fassung; Strafdrohung von zwei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe) vorgeworfen. Das Landgericht hat ihn wegen versuchter Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB in der bis zum 4. Juli 1997 geltenden Fassung) verurteilt, weil es sich von einem vollendeten Eindringen des Angeklagten mit dem Glied in die Scheide der Nebenklägerin nicht hat überzeugen können. Den zuvor gemäß § 265 Abs. 1 StPO notwendigen Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 1951 – 1 StR 168/51, BGHSt 2, 250; Beschluss vom 14. August 1990 – 1 StR 422/90, StV 1991, 8) hat es nicht erteilt.

b) Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte nach Erteilung des Hinweises anders verteidigt hätte, so dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Angeklagte hat zwar zur Sache keine Angaben gemacht. Gegen den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung hätte er sich gleichwohl mit dem Ziel verteidigen können, dem Landgericht die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nahe zu bringen. Dies wäre – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – erfolgversprechend gewesen: Hätte das Landgericht einen Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung angenommen, so wäre zwar das Handeln des Angeklagten jeweils als vollendete sexuelle Nötigung nach § 178 Abs. 1 StGB in der bis zum 4. Juli 1997 geltenden Fassung zu beurteilen gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1951 – 1 StR 101/51, BGHSt 1, 152, 156). Wegen der zu dieser Zeit gegenüber § 177 StGB geringeren Strafdrohung des § 178 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) wäre die Strafverfolgung wegen Ablaufs der zehnjährigen Frist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB, ruhend bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs der Nebenklägerin am 14. November 1997 – § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aF; erste verjährungsunterbrechende Handlung am 28. August 2009) verjährt gewesen.“

Anfängerfehler – Sicherungsverwahrung droht? – darauf muss hingewiesen werden.

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M.E. ein Anfängerfehler, der einem Aufhebungsbeschluss des BGH zugrunde liegt, nämlich dem BGH, Beschl. v. 09.01.2013 – 1 StR 558/12. Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zur lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Es hat darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld festgestellt und gegen den Angeklagten die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Zur Sicherungsverwahrung stand aber nichts in der Anklage, nichts im Eröffnungsbeschluss und es erging in der Hauptverhandlung auch kein rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO.

Das konnte in der Revision nicht gut gehen. Und ist es auch nicht. Der BGH hat aufgehoben:

„Mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte zu Recht, dass das Gericht bezüglich der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seine Hinweispflicht verletzt habe.

Auf die Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war der Angeklagte weder durch die Anklageschrift noch durch den Eröffnungsbeschluss hingewiesen worden. Auch in der Hauptverhandlung wurde kein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt. Zwar hatte sich der psychiatrische Sachverständige gemäß dem (nachträglich erweiterten) Gutachtenauftrag auch mit der Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschäftigt und in der Hauptverhandlung mündlich sein Gutachten erstattet. Dies ersetzt jedoch den notwendigen Formalhinweis des Gerichts nicht (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 – 5 StR 552/09, NStZ-RR 2010, 215 mwN, vom 5. November 2002 – 4 StR 316/02, StV 2003, 151 mwN, und vom 4. Juni 2002 – 3 StR 144/02, NStZ-RR 2002, 271 mwN). Ebenso wenig ist der Hinweispflicht durch die Verlesung eines früheren Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. März 2008, durch das bereits eine Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet war, Genüge getan: Die wiederholte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung ist zwar möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1998 – 5 StR 404/98, StV 2000, 258), aber keinesfalls zwingend. Dem Angeklagten muss aber der Hinweis so erteilt werden, dass er eindeutig erkennen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002 – 4 StR 316/02, StV 2003, 151).