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StPO I: Schwangere Schöffin nimmt an der HV teil, oder: Auswirkung eines ärztlichen Beschäftigungsverbots?

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Heute dann der mal wieder ein StPO-Tag.

Den beginne ich mit dem BGH, Urt. v. 30.09.2021 – 5 StR 161/21 -, das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist. Es geht um die „richtige“ Gerichtsbesetzung im Fall der Teilnahme einer schwangeren Schöffin, gegen die ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen worden war.

Im entschiedenen Fall war in laufender Hauptverhandlung für eine schwangere Schöffin durch den Betriebs­arzt ihres Arbeitsgebers zunächst ein ärztliches Beschäfti­gungsverbot nach § 16 MuSchG bezüglich „jede(r) Beschäftigung“ erteilt, was die Schöffin dem Gericht am nächsten Tag anzeigt hat. Nach einem weiteren Hauptverhandlungstag unter Mitwirkung der Schöffin hat die Strafkammervorsitzende dann Kontakt mit dem Arzt aufgenommen, der das Verbot „in Ergänzung zum Attest über das Beschäftigungsverbot“ dahingehend einschränkt hat, dass der Schöffin jeweils eine zeitlich begrenzte Teilnahme gestattet sei.

Der Angeklagte hat die fehlerhafte Besetzung des Gerichts gerügt, was dieses durch einen nicht begründeten Beschluss zu­rückgewiesen und die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hat. Die Schöffin hat dann an allen weiteren Hauptverhandlungstagen mitgewirkt. Die Verfahrensrüge des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO blieb erfolglos.

Der 5. Strafsenat hat seine Entscheidung umfangreich begründet. Ich ordne das Selbstleseverfahren an und stelle hier nur den Leitsatz der Entscheidung vor:

Das einer Schöffin ausgesprochene ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG führt nicht zu einer gesetzeswidrigen Ge­richtsbesetzung.

In dem Zusammenhang erinnert sich der ein oder andere sicherlich an den s BGH, Urt. v.  07.11.2016 – 2 StR 9/15.  Das war die (Berufs)Richterin im Mutterschutz. Da hat der 2. Strafsenat aus dem nachgeburtlichen Mutterschutz einer Berufsrichterin Dienstleistungsverbot abgeleitet, das ihrer Mitwirkung in der Hauptverhandlung entgegensteht. Man darf gespannt sein, wann sich der Große Senat mit den Fragen befassen muss.

Corona I: Die Maskenpflicht – binnen und buten, oder: Ungebühr des sich selbst verteidigenden Rechtsanwalts

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In die 2. KW. 2022 starte ich mit Entscheidungen zu Corona. In diesem ersten Posting zunächst zwei Beschlüsse des OLG Oldenburg, die beide aus demselben Verfahren stammen. In dem Verfahren ging es um einen Maskenverstoß.

Das AG hat den Betroffenen, einen Rechtsanwalt, wegen eines Verstoßes gegen eine Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich betreffend die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an öffentlichen Plätzen zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Der Betroffene hatte sich trotz Maskenpflicht geweigert – auch auf eine entsprechende Aufforderung der Polizei hin, – eine Maske im öffentlichen Raum aufzusetzen. In der Hauptverhandlung hat sich der Betroffene dann selbst verteidigt. In der Hauptverhandlung ist dann ein Ordnungsgeld von 150 EUR ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft festgesetzt worden, weil sich der Betroffene trotz Aufforderung durch den Vorsitzenden geweigert hat, in der Hauptverhandlung eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen. Dagegen dann die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier zu dem Ordnungsgeldbeschluß – das ist m.E. die rechtlich interessantere Entscheidung – der erste OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21. Das OLG führt zu dem Ordnungsgeldbeschluss aus:

„Auch in der Sache selbst lässt das festgesetzte Ordnungsgeld weder dem Grund noch der Höhe nach Rechtsfehler erkennen.

Das Ordnungsgeld konnte zunächst gegen den Betroffenen, auch wenn er von Beruf Rechtsanwalt ist und sich selbst verteidigt hat, festgesetzt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Rechtsstellung eines sich selbst verteidigenden Rechtsanwaltes folgendes ausgeführt:

„Dagegen ist es nach übereinstimmender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nicht zulässig, dass der Rechtsanwalt in dem von der Strafprozessordnung und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gebrauchten Sinne sein eigener Verteidiger sein kann. Der Status des Verteidigers und die Stellung des Beschuldigten oder Betroffenen sind offensichtlich miteinander unvereinbar: Der Verteidiger nimmt nicht nur ein durch privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag erteiltes Mandat wahr, sondern wird als unabhängiges – mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes – Organ der Rechtspflege grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft im Strafprozess tätig. Seine Position ist deshalb mit einer spürbaren Distanz zum Beschuldigten hin ausgestattet (vgl Kurzka, MDR 1974 S 817). Ihm sind Beschränkungen auferlegt, die die Strafprozessordnung einem Beschuldigten aus guten Gründen nicht abverlangt (vgl BGHSt 9, 71 (73); 14, 172 (174); Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 4. Aufl 1977, S 29f; § 68 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, abgedruckt bei Kleinknecht, aaO, § 137 vor Rdnr 1). Daraus folgt beispielsweise: Der im Strafgeldverfahren oder Bußgeldverfahren beschuldigte Rechtsanwalt kann in eigener Sache weder sein Wahlverteidiger sein, noch kann er in Fällen notwendiger Verteidigung zu seinem eigenen Pflichtverteidiger bestellt werden (vgl BGH, NJW 1954, S 1415; Kurzka, MDR 1974, S 817; Kleinknecht, aaO, § 138 Rdnr 3, § 140 Rdnr 1; Löwe-Rosenberg, aaO, § 140 Rdnr 2). Er hat kein Recht auf Akteneinsicht (Löwe-Rosenberg, aaO, § 147 Rdnr 3; Kleinknecht, aaO, § 147 Rdnr 8; Klussmann, NJW 1973 S 1965). Er ist weder zum Kreuzverhör nach § 239 StPO berechtigt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8; Löwe-Rosenberg, aaO, § 239 Rdnr 6) noch zur Befragung von Mitangeklagten nach § 240 Abs 2 Satz StPO befugt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8). In den Anwendungsbereichen des § 176 GVG und der §§ 168c Abs 3, 231 Abs 2, 231a, 231b und 247 StPO hat seine berufliche Qualifikation als Rechtsanwalt keine Bedeutung.
(BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1980 – 2 BvR 752/78 –, BVerfGE 53, 207-218, Rn. 22)“.

Obwohl in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes § 178 GVG nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist auch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt zulässig (vergleiche Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., RN 2727; OLG Köln, Beschluss vom 3.3.2010, 2 Ws 62/10, juris).

Die beharrliche Weigerung des Betroffenen der Aufforderung des Vorsitzenden zu folgen, eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, stellt eine Ungebühr dar:

Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (OLG Stuttgart, a.a.O.)

Das Gericht war zunächst berechtigt, vom Betroffenen das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris; OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251). Soweit der Betroffene argumentiert, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung widerspräche § 176 Abs. 2 GVG, haben sich die beiden vorgenannten Oberlandesgerichte mit diesem Einwand in überzeugender Weise auseinandergesetzt. Hierauf kann verwiesen werden.

Durch die Weigerung des Betroffenen, trotz mehrfacher Aufforderung die dem eigenen auch als dem Schutz der übrigen Beteiligten dienende Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, hat der Betroffene den Ablauf der Sitzung nachhaltig gestört. Letztlich ist die Sitzung erst dann zur Sache fortgesetzt worden, als der Betroffene des Saales verwiesen worden war und in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.“

Jetzt lassen wir mal die Frage der „Ungebühr“ außen vor. Eins ist auf jeden Fall richtig: Der Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt, ist „normaler“ Angeklagter/Betroffener mit der Folge, dass § 178 GVG auch für ihn gilt.

Und zur Hauptsache – also zur Rechtsbeschwerde – dann noch der Leitsatz aus dem zweiten OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21; der ist m.E. nicht so interessant, das man das alles schon einmal gelesen hat.

„Ein Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung konnte auch vor Inkrafttreten des § 28a IfSG mit einem Bußgeld geahndet werden.“

Und wenn schon das OLG unser Handbuch zitiert hier dann <<Werbemodus an>< der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, beide brandaktuell, die man hier – einzeln oder im Paket – bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.

OWi II: Urkunden in Hauptverhandlung nicht verlesen, oder: Verlesen ist nicht Inaugenscheinnehmen

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Und dann im zweiten Posting zwei Entscheidungen zu „Verlesungsfragen“ in der Hauptverhandlung, und zwar:

Wird beanstandet, das Tatgericht habe den Inhalt in der Hauptverhandlung nicht verlesener Urkunden verwertet, so gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung, dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei.

Mit der Verlesung der Datenzeile eines Lichtbildes ist nicht zwangsläufig auch eine Kenntnisnahme des Gerichts von den Lichtbildern verbunden.

Corona II: Testpflicht für alle vor der Zutritt zur HV, oder: Geht das OLG Celle damit nicht zu weit?

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 02.08.2021 – 2 Ws 230/21 u. 2 Ws 234/21. Es geht um die Rechtsmäßigkeit einer Sicherungsverfügung. Die Vorsitzende einer Jugendkammer des LG Hannover hatte für die am 12. August 2021 beginnende Hauptverhandlung eine Sicherheitsverfügung erlassen, wonach Verfahrensbeteiligte, Zeugen und Zuschauer nur mit negativem Coronatest in den Saal einzulassen sind und für den Nachweis ein tagesaktueller Schnelltest in einem Testzentrum oder der Teststation des LG erforderlich ist. Dagegen wenden sich die Verteidiger der Beschuldigten. Sie hatten beim OLG keinen Erfolg:

„2. In der Sache sind die Beschwerden unbegründet. Die Verweigerung des Zutritts zum Sitzungssaal für nicht oder negativ getestete Personen ist von der Ermächtigung des Vorsitzenden zur Ausübung der Sitzungspolizei gemäß § 176 Abs. 1 GVG gedeckt und beruht auf einer fehlerfreien Ausübung des — weitreichenden — Ermessens der Vorsitzenden.

a) Die Regelung des § 176 Abs. 1 GVG ermächtigt — als „sitzungspolizeiliche Generalklausel“ (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2006, 2 BVR 677/05, juris) — zu allen Maßnahmen, die erforderlich sind, um den ungestörten und gesetzesmäßigen Ablauf der Sitzung zu gewährleisten (Kissel/Mayer, GVG § 176 Rn. 13; KK-StPO/Diemer, GVG § 176 Rn. 1; Löwe-Rosenberg/Wickern, GVG § 176 Rn. 1). Dazu gehören auch Maßnahmen zum Schutz der Verfahrensbeteiligten (Kissel/Mayer, GVG § 176 Rn. 13; KK-StPO/Diemer, GVG § 176 Rn. 1.; MüKoStPO/Kulhanek, GVG § 176 Rn. 1). Die Ermächtigung erstreckt sich deshalb auch auf Maßnahmen zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (OLG Celle, Beschluss vom 15. April 2021, NdsRpfl 2021, 251; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 28. September 2020, 1 BvR 1948/20, juris).

Als förmliches Gesetz ermächtigt § 176 Abs. 1 GVG auch zu Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). Dasselbe gilt —vorbehaltlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung – grundsätzlich auch für etwaige Eingriffe in deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, denn auch dieses steht gemäß Art. 2 Absatz 2 Satz 3 GG unter einem Gesetzesvorbehalt. Dem steht hinsichtlich der hier zur Prüfung stehenden Zugangsbeschränkung für ungetestete Personen auch nicht der verfassungsrechtliche Wesentlichkeitsgrundsatz entgegen, wonach der Gesetzgeber in allen grundlegenden normativen Bereichen die Ermächtigungsgrundlagen so konkret auszugestalten hat, dass er in Form konkreter gesetzliche Regelungen die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 19. September 2018, BVerfGE 150, 1). Denn unabhängig davon. dass eine Testung nicht mit wesentlichen Grundrechtseingriffen verbunden ist (vgl. dazu unten), ist es insbesondere für vielgestaltige, komplexe und schwer vorhersehbare Regelungsmaterien zulässig. dass der Gesetzgeber dem Rechtsanwendungsorgan durch unbestimmte Rechtsbegriffe und Einräumung von Ermessen einen größeren Handlungsspielraum überlässt (BVerfG a. a. 0). Der Sinn von Generalklauseln kann dann gerade darin bestehen, auf schwer vorhersehbare und nicht typisierbare Situationen reagieren zu können (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 24. November 2020, 1 B 362/20, juris). Dies gilt ebenfalls für die Ausübung der Sitzungspolizei, die notwendigerweise vielgestaltige und nicht abschließend katalogisierbare Situationen zum Gegenstand hat (vgl. Kissel/Mayer, GVG § 176 Rn. 13; KK-StPO/Diemer, GVG § 176 Rn. 1). Im Rahmen der dynamischen Entwicklung der Covid-19-Pandemie und der staatlichen Strategien zur Pandemiebekämpfung ist die Testung von Verfahrensbeteiligten bislang auch nicht zu einem gängigen Instrument der Sitzungspolizei geworden, das im Sinne einer vorhersehbaren Standardmaßnahme eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber nahe legen oder erforderlich machen würde.

b) Die auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG getroffene Sicherungsverfügung ist nicht zu beanstanden.

aa) § 176 GVG ermächtigt den Vorsitzenden zu den nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen. Dem Vorsitzenden kommt danach ein weiter Ermessensspielraum zu; das Ermessen des Vorsitzenden bezieht sich sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch darauf. in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der von der Anordnung betroffenen Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist (OLG Celle, Beschluss vom 15. April 2021, NdsRpfl 2021, 251; BeckOK-GVG/Allgayer, § 176 Rn. 4). Im Beschwerdeverfahren unterliegt diese Entscheidung nur der Prüfung, ob der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt und den Zweck sowie die Grenzen seines Ermessens beachtet hat; die Beurteilung der Zweckmäßigkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen ist dem Beschwerdegericht hingegen verwehrt (OLG Celle, Beschluss vom 15. April 2021, NdsRpfl 2015, 378; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juni 2011, NJW 2011, 2899).

Hieran gemessen hält die Sicherungsverfügung vom 9. Juli 2021 der Nachprüfung stand.

bb) Es begegnet keinen Bedenken, dass die Vorsitzende eine Testung der Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigentest für geeignet hält, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Cornavirus SARS-Cov-2 während der Sitzung zu reduzieren. Dies entspricht der Einschätzung des Robert Koch-Instituts, wonach Antigentests als ergänzendes Instrument der Pandemiebekämpfung dazu beitragen können, Infizierte auch ohne Krankheitssymptome zu erkennen und zu isolieren (Epidemologisches Bulletin 17/2021, S. 14 ff.).

Entgegen dem – nicht auf Belege gestützten – Beschwerdevorbringen ist auch nicht ersichtlich. dass ein Schnelltest schon medizinisch keinen Sinn machen würde‘, weil er bei vollständig geimpften Personen infolge einer geringeren Viruslast „in der Regel immer negativ-ausfalle. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass diese Annahme zumindest in der Vergangenheit vereinzelt öffentlich verbreitet worden ist (vgl. www.twitter.com/Karl_Lauterbach unter dem 4. Mai 2021). Das Robert Koch-Institut geht jedoch auch gegenwärtig davon aus, dass ein Antigentest bei einer geimpften Person positiv ausfallen kann, weil trotz Impfung eine Infektion mit dem Virus und eine Weiterübertragung möglich sind (www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html [unter:, Hat die Impfung gegen COVID-19 einen Einfluss auf das Ergebnis von Antigen- und PCR-Testungen?‘ und ,Können Personen, die vollständig geimpft sind, das Virus weiterhin übertragen?‘]). Das Robert Koch-Institut empfiehlt deshalb beispielsweise als Vorbereitung für den Herbst und Winter eine systematische Testung von Pflegepersonal auch weiterhin unter Einsatz von Antigentests(www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Vorbereitung-Herbst-VVinter.pdf? blob=publicationFile , Seite 4). Im Einklang damit steht, dass von verschiedenen Sachverständigen vollständig geimpften Personen geraten wird, sich vor Treffen mit ungeimpften Personen mittels Schnelltest zu testen (dpa vom 22. Juli 2021 unter www.zeit.de/news/2021-07/22/ich-bin-geimpft-was-gibt-es-fuer-mich-dennoch-zu-beachten; Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 23. Juli 2021 unter www.rnd.de/gesundheit/corona-schnelltest-bei-delta-variante-noch-sinnvoll-was-gilt-bei-geimpften-6GZUQKMZY5FBBF7K42FGAKFZHM.html).

Die Annahmen der Beschwerdeführer zu einer geringen Viruslast infizierter geimpfter Personen begegnet zudem auch deshalb Zweifeln, weil die Viruslast bei Infektionen mit der mittlerweile vorherrschenden Delta-Variante des Virus aktuellen Erkenntnissen zufolge um ein Vielfaches höher ist als bei früheren Varianten (Tagesschau vom 31. Juli 2021 unter vvww.tagesschau.de/ausland/amerika/cdc-corona-geimpfite-101.html; Spiegel Online vom 29. Juli 2021 unter www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/corona-was-sich-durch-delta-auch-fuer-geimpfte-aendert-a-50305753-9c97-4c44-ba91-11cae40eebd4).

cc) Keiner Beanstandung unterliegt auch die Annahme der Vorsitzenden, dass ihr keine milderen Maßnahmen zur Verfügung stehen, die das Ansteckungsrisiko ebenso wirksam wie eine Testung reduzieren könnten. Aus dem Nichtabhilfebeschluss ergibt sich, dass die Testung der Sitzungsteilnehmer ergänzend zu anderen Infektionsschutzmaßnahmen wie dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz. regelmäßigem Lüften, Abstandhalten und dem Aufstellen von Plexiglasscheiben angewendet werden soll. Die in Betracht kommenden Maßnahmen sind demnach bereits ausgeschöpft, so dass zur weiteren Reduzierung des Ansteckungsrisikos nur noch die Testung der Sitzungsteilnehmer verbleibt.

dd) Im Rahmen ihrer Ermessenausübung ist die Vorsitzende auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen. dass die Zutrittsbeschränkung verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen ist.

Der Abwägung liegt — wie sich aus der Nichtabhilfeentscheidung ergibt — die Erwägung zu Grunde, dass die Durchführung von Antigentests einen allenfalls geringen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Sitzungsteilnehmer bewirken würde. da sie weder gesundheitsgefährdend sind noch körperliche Schmerzen oder diesen gleichkommende nichtkörperliche Beeinträchtigungen hervorrufen. Diese zutreffende Annahme stützt sich zu Recht auf die im Nichtabhilfebeschluss angeführte obergerichtliche Rechtsprechung zu Selbsttests in Schulen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19. April 2021, 13 MN 192/21, juris; vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 21. Juni 2021, 1 Bs 114/21, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2021, 13 B 559/21, juris). Sie ist ebenso gültig für die Durchführung der Antigentests in der Teststation des Landgerichts Hannover, zumal bei den Sitzungsteilnehmern eine noch sachgerechtere Handhabung der Tests als beim Einsatz durch Schüler gewährleistet ist. Dem Senat ist bekannt, dass die Testung im Landgericht Hannover ebenfalls in Form von beaufsichtigten Selbsttests erfolgt und nicht etwa in der (eingriffsintensiveren) Form, dass die Testabstriche durch eine andere Person abgenommen werden.

Dieser eher geringen Beeinträchtigung der Sitzungsteilnehmer hat die Vorsitzende ermessensfehlerfrei die Gefahr einer Covid-19-Infektion gegenübergestellt und das Infektionsschutzinteresse für überwiegend erachtet. Ausweislich der Nichtabhilfeentscheidung hat sie dabei nicht verkannt, dass das Risiko einer Virusübertragung bei geimpften Personen stark vermindert ist, die weiteren Hygienemaßnahmen während der Sitzungen ebenfalls einen Schutz bieten und die Aussagekraft von Antigen-Schnelltests eingeschränkt ist. Rechtlich begegnet es keinen Bedenken, dass die Vorsitzende diesen Umständen bei ihrer Abwägung letztlich weniger Gewicht beigemessen hat als den risikoerhöhenden und für eine Testung sprechenden Umständen, insbesondere der Vielzahl an Sitzungsteilnehmern, der langen Dauer der Sitzungen, dem steigenden lnzidenzwert in Hannover, der Verbreitung der Delta-Variante des Virus und der noch vergleichsweise geringen Impfquote.

Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es, die Maßnahme als angemessen anzusehen. Denn unter den gegebenen Umständen ist die Hauptverhandlung als Zusammenkunft einer Vielzahl von Personen in einem geschlossenen Raum zwangsläufig mit einem vergleichsweise hohen Infektionsrisiko verbunden. Für die Schaffung eines hohen Schutzniveaus spricht dabei auch, dass alle Verfahrensbeteiligten zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet sind und wenig Möglichkeiten haben, selbst auf die Hygienemaßnahmen in der Sitzung Einfluss zu nehmen. Die Vorsitzende war deshalb bei der Ausübung ihres Ermessens zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt, die angefochtene Anordnung zu treffen.

Da die eher geringe Quote an vollständig geimpften Personen noch auf der bis vor kurzem andauernden Impfstoffknappheit beruht, kommt es für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme derzeit nicht auf die Frage an, inwieweit möglicherweise dem Schutz ungeimpfter Verfahrensbeteiligter unter dem Gesichtspunkt einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung weniger Gewicht beizumessen wäre oder auch ein relevantes Risiko von „Impfdurchbrüchen“ die Anordnung rechtfertigen könnte.

ee) Es begegnet ferner keinen rechtlichen Bedenken, dass die Sicherungsverfügung von § 5a Abs. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und § 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung abweicht, die in ihrem Anwendungsbereich jeweils eine Gleichstellung von geimpften Personen mit getesteten Personen vorsehen. Denn die Sicherungsverfügung stützt sich nicht auf die Niedersächsische Corona-Verordnung oder das Infektionsschutzgesetz und unterfällt deshalb bereits nicht den entsprechenden Regelungen. Ein allgemeines Verbot, den Zutritt zu Gebäuden oder Veranstaltungen auch für geimpfte Personen vom Vorliegen eines negativen Testes abhängig zu machen, lässt sich diesen Vorschriften weder unmittelbar noch in erweiternder Auslegung entnehmend. Dagegen spricht insbesondere, dass den Vorschriften allgemeine Interessenabwägungen der Verordnungsgeber zu Grunde liegen, die von der Risikoabwägung in konkreten Einzelfällen vielfach abweichen können. So haben etwa auch private Diskothekenbetreiber in Hannover im Rahmen ihrer Hygienekonzepte zuletzt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, über die Vorgaben der Niedersächsischen Corona-Verordnung hinaus auch von geimpften Personen vor einem Einlass den Nachweis eines negativen Tests zu verlangen (Hannoversche Allgemeine am 25. Juli 2021 unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Letzte-Partynacht-in-Hannover-wegen-steigender-Inzidenz-Feiernde-stroemen-in-Discos-und-Clubs). Für sitzungspolizeiliche Anordnungen bilden die allgemeinen Erwägungen der Verordnungsgeber ferner deshalb keinen Maßstab. weil das Infektionsschutzgesetz und die Corona-Verordnung für ihren Regelungsbereich auch die schützenswerten wirtschaftlichen Interessen von Einrichtungen und Veranstaltern an einem möglichst ungehinderten Besucher- und Kundenverkehr berücksichtigen und gegen den Infektionsschutz abwägen müssen. Im Rahmen der Sitzungspolizei sind solche ökonomischen Interessen hingegen nicht berührt. Die Sicherungsverfügung stützt sich deshalb zu Recht maßgeblich auf Gesichtspunkte des Infektionsschutzes und die Umstände der betroffenen Hauptverhandlung.“

Mich überrascht die Entscheidung des OLG Celle nach dem OLG Celle, Beschl. v. 15.04.2021 – 3 Ws 91/21 (dazu: Corona II: Wenn der Verteidiger in der HV keine Maske tragen will, oder: Trennung, Aussetzung, Kostentragung). Ich habe allerdings Zweifel, ob das so richtig ist, wie das OLG hier entschieden hat. Testpflicht für alle – also Verfahrensbeteiligte, Zeugen und Zuschauer – unabhängig von irgendwelchen Inzidenzen? Da habe ich so meinen Zweifel. Denn warum wird denn die Testpflicht in anderen Bereichen von der Inzidenz abhängig gemacht?

Corona II: Du muss vor der Hauptverhandlung einen Corona-Schnelltest machen, oder: Nicht zulässig

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Im zweiten Beschluss, dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 16.06.2021 – 5/9 Qs OWi 61/21 -, den mir der Kollege Anger aus Bergisch-Gladbach geschickt hat, geht es um eine vom Gericht für die Hauptverhandlung angeordnete Maßnahme. Das AG hatte die Durchführung eines Corona-Schnelltests vor der Teilnahme des Betroffenen an einer Hauptverhandlung angeordnet. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet. Die an die Verfahrensbeteiligten gerichtete Anordnung des Vorsitzenden, einen tagesaktuellen Schnelltest durchführen zu lassen, findet keine ausreichende gesetzliche Grundlage, obwohl sie einer solchen wegen ihres Eingriffs in das Recht der Verfahrensbeteiligten auf Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bedarf. Eine solche findet sich weder in § 176 Abs. 1 GVG noch in den landesrechtlichen Bestimmungen zur Eindämmung des Coronavirus, noch im Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Nach § 176 Abs. 1 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden des Gerichts. Die Norm dient nach ständiger Rechtsprechung in Zeiten der Corona-Pandemie als taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung des Vorsitzenden zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Sitzung (vgl. nur OLG Celle, Beschl. v. 15.04.2021 – 3 Ws 91/21; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 05.11.2020 — 2-03 T 4/20). Diese Vorschrift soll die Wahrung der Ordnung in der Sitzung sicherstellen und ermächtigt zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern. Sie dient damit neben dem Schutz einer geordneten Rechtspflege, der Sicherstellung des Prozesses der Rechts- und Wahrheitsfindung und daneben auch der Wahrung der subjektiven Rechte der Verfahrensbeteiligten oder betroffener Dritter (BVerfG, Beschluss vom 11.05.1994 – 1 BvR 733/94, NStZ 1995, 40). § 176 GVG ermächtigt den Vorsitzenden zu den nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen. Das Ermessen des Vorsitzenden bezieht sich dabei sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch darauf, in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der von der Anordnung betroffenen Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist (vgl. BeckOK-GVG/Allgayer, 11. Ed., 15.02.2021, § 176 Rn. 4 m.w.N.). Der Vorsitzende ist dabei in der Wahl seiner sitzungspolizeilichen Anordnungen grundsätzlich – im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei. Die Anordnungsbefugnis nach § 176 Abs. 1 GVG umfasst dabei nicht zuletzt als Ausfluss der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht zum Schutz der Sicherheit von Leben und körperlicher Unversehrtheit aller im Sitzungssaal anwesenden Personen auch Maßnahmen des Infektionsschutzes (OLG Celle a.a.O.).

Zum Schutz der Beteiligten ist der Vorsitzende angesichts des grundrechtlich verankerten Schutzgutes von Leben und körperlicher Unversehrtheit dazu verpflichtet, durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Gefahr der Ansteckung mit einer möglicherweise gefährlichen oder im Einzelfall gar tödlichen Erkrankung in der Sitzung so gering wie möglich gehalten wird (OLG Celle a.a.O.). Wenn sich der Vorsitzende dabei im Rahmen gesundheitsbehördlicher Empfehlungen bewegt, wird dies in aller Regel nicht zu beanstanden sein, soweit die Anordnung einer Pflicht zum Tragen von Masken betroffen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.09.2020 – 1 BvR 1948/20 juris Rn. 4).

Ob § 176 Abs. 1 GVG auch als Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Corona-Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten dient, ist indes bislang in der Rechtsprechung nicht ausführlich diskutiert worden. Soweit das LG Chemnitz in seinem Beschluss vom 12.04.2021 (Az. 730 Js 39632/20) ausgeführt hat, hinsichtlich der Anordnung des Vorsitzenden zur Durchführung eines Schnelltests und Vorlage eines negativen Testergebnisses gelten dieselben Grundsätze wie zur Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes, folgt die Kammer dem nicht. Nach Ansicht der Kammer lässt sich zwischen der Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und der Anordnung der Durchführung eines Corona-Schnelltests für alle an der Verhandlung teilnehmenden Beteiligten keine Parallelität ziehen. Zum einen ist mit der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes ein nur geringfügiger Grundrechtseingriff verbunden, wohingegen die Durchführung eines Schnelltests — will man ein aussagekräftiges Ergebnis erzielen — einen viel erheblicheren Eingriff in die körperliche Integrität der zu testenden Person mit sich bringt (s.o.). Zum anderen kann die Anordnung einer allgemeinen und insbesondere einzelfallunabhängigen Testpflicht die Verfahrensbeteiligten davon abschrecken, ihr Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung wahrzunehmen, da sich im Falle eines positiven Ergebnisses des Schnelltests die getestete Person unverzüglich in Quarantäne bis zum Vorliegen des Ergebnisses eines sog. PCR-Tests zu begeben hat (§ 3a Abs. 1 Corona-Quarantäneverordnung Hessen), zumal dem Gericht auch mildere Mittel zur Verfügung stehen, um für einen ausreichenden Infektionsschutz im Sitzungssaal zu sorgen. Dies kann insbesondere in der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes bestehen sowie der regelmäßigen Belüftung des Sitzungssaals und dem Aufstellen von Trennwänden zwischen den Verfahrensbeteiligten.

Der Annahme, dass sich die vorliegende Anordnung nicht auf § 176 Abs. 1 GVG stützen lässt, stehen auch nicht die vorherigen Ausführungen entgegen, wonach dem Vorsitzenden ein grundsätzlich weiter Ermessens- und Beurteilungsspielraum zusteht, durch welche konkreten Maßnahmen er den Gefahren durch das Coronavirus im Sitzungssaal begegnen möchte. Denn der Ermessens- und Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden kann nur soweit reichen, wie Güter von Verfassungsrang durch die in Grundrechte eingreifende Maßnahme in unverhältnismäßiger Weise tangiert werden. Dass der vom Coronavirus ausgehenden Gesundheitsgefahr nur durch die — hier sogar verpflichtende — Durchführung eines Schnelltests begegnet werden kann, ist aus Sicht der Kammer nicht zwingend, weil dem Gericht auch die oben angeführten milderen Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, um Infektionen vorzubeugen. Darüber hinaus ist auch bislang die verpflichtende Durchführung eines Schnelltests im Vorfeld einer Gerichtsverhandlung — soweit für die Kammer ersichtlich — weder vonseiten der Gesundheitsbehörden noch des Robert Koch-Instituts empfohlen worden. Anders sieht dies lediglich für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Innenräumen aus (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Mund_Na-sen_Schutz.html). Die angegriffene Anordnung begegnet ferner rechtlichen Bedenken aus dem Grund, dass das Gericht die Durchführung eines Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten verpflichtend angeordnet hat und ihnen die Durchführung eines Tests durch geschultes Testpersonal nicht angeboten hat (so geschehen im Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 28.10.2020, Az. 34 KLs-121 Js 10/16-3/20). Denn im hiesigen Landgerichtsbezirk steht es auch Verfahrensbeteiligten frei, sich in einer im Gerichtsgebäude eingerichteten Teststraße kostenfrei auf das Coronavirus testen zu lassen.

Auch die Corona-Schutzverordnungen des Landes Hessen ermächtigen bzw. verpflichten die Gerichte nicht dazu, die Durchführung eines Schnelltests zulasten der Verfahrensbeteiligten anzuordnen.

Mit der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (Corona-Einrichtungsschutzverordnung) vom 26.11.2020 verfolgte die Hessische Landesregierung das Ziel, der Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung durch eine umfangreiche Teststrategie entgegenzuwirken. Das Betreten bestimmter Einrichtungen ist hiernach an die Durchführung eines Corona-Schnelltests und das Vorliegen eines negativen Testergebnisses geknüpft. So ordnet § 1b Abs. 4 Satz 1 der Corona-Einrichtungsschutz-verordnung an, dass Besucherinnen und Besucher von Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter und pflegebedürftiger Menschen grundsätzlich eine solche Einrichtung nur betreten dürfen, wenn sie negativ getestet worden sind. Nach § 3 Abs. 4a der Corona-Einrichtungsschutzverordnung dürfen in Schulen und sonstigen Ausbildungseinrichtungen am Präsenzunterricht und an der Notbetreuung nur Studierende, Schülerinnen und Schüler sowie Kinder in den Vorklassen und Vorlaufkursen teilnehmen, die zu Beginn des Schultages über einen Nachweis verfügen, dass keine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus vorliegt. Eine entsprechende Regelung dahin, dass die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung an die Durchführung eines Corona-Schnelltests geknüpft ist, fehlt indes in der Verordnung. § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV 2 (Coronavirus-Schutzverordnung) schreibt lediglich das Tragen einer OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder einer sonstigen medizinischen Maske in innenliegenden Publikumsbereichen aller öffentlich zugänglichen Gebäude — wozu auch Gerichtsäle zählen — vor, jedoch nicht die vorherige Durchführung eines Schnelltests vor Betreten des Sitzungssaales. Überhaupt schreibt die Coronavirus-Schutzverordnung die Durchführung eines Corona-Schnelltests nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen vor, wie z.B. in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Spielbanken- und Spielhallen, Gaststätten im Innenbereich sowie in Übernachtungsbetrieben. Für die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen gilt sogar nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 der Coronavirus-Schutzverordnung, dass Abs. 1, wonach die Teilnahme an dort aufgeführten Veranstaltungen in geschlossenen Räumen an die Durchführung eines negativen Coronatests gebunden ist (§ 16 Abs. 1 Nr. 2), gerade nicht auf Sitzungen und Gerichtsverhandlungen Anwendung findet. Dies spricht aus Sicht der Kammer entscheidend gegen die Befugnis des Vorsitzenden zur Anordnung eines Corona-Schnelltests, weil nicht einmal die Landesregierung selbst die Durchführung eines Tests vor Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung für notwendig hält, womit es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den angeordneten körperlichen Eingriff fehlt.

Eine Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Anordnung findet sich auch nicht im IfSG.

§ 28 Abs. 1 IfSG ermächtigt die zuständige Behörde, Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit nach ihrem Auftreten zu treffen. Die für das Treffen von Schutzmaßnahmen zuständige Behörde ergibt sich aus den landesrechtlichen Vorschriften über die Zuständigkeit zur Durchführung des IfSG. Nach § 5 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) sind zuständige Behörden für die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587), in der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen die Gesundheitsämter, d.h. der Kreis-Ausschuss in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten der Magistrat, § 2 Abs. 2 r. 1 HGöGD. Aus diesem Grund kann sich von vornherein keine Rechtsgrundlage für Gerichte zum Erlass von sitzungspolizeilichen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus ergeben.

Die gerichtliche Anordnung zur Durchführung eines Corona-Schnelltests lässt sich ferner nicht auf die Vorschrift des § 28b IfSG stützen.

§ 28b Abs. 1 IfSG enthält keine dahingehende Vorschrift, wonach ein Gericht ermächtigt wäre, Maßnahmen zum Infektionsschutz gegenüber Verfahrensbeteiligten anzuordnen, zumal es sich bei der Vorschrift um eine Norm handelt, die keines Umsetzungsaktes bedarf, sondern die unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung gilt (BT-Drs. )/28732, 19). Dementsprechend kann sie von vornherein nicht die Verwaltungsbehörden zu Infektionsschutzmaßnahmen ermächtigen.

Eine Rechtsgrundlage ergibt sich auch nicht aus § 28b Abs. 5 IfSG. Hiernach bleiben eitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes unberührt. Dies deutet aber, dass sich die angeordnete Maßnahme zum Schutz vor Gesundheitsrisiken auf eine Rechtsgrundlage im IfSG stützen lassen muss. Aus den vorigen Ausführungen folgt indes gerade, dass das IfSG einem Gericht nicht die Möglichkeit eröffnet, die Durchführung eines Corona-Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten anzuordnen.

Das Gericht war auch nicht gehalten, aus seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden -Schutzpflicht die Durchführung eines Schnelltests auf Grundlage des § 176 Abs. 1 VG anzuordnen. Zum einen ist die Anordnung sehr pauschal gehalten, da sie jeglichen Verfahrensbeteiligten unabhängig von der Frage trifft, ob dieser aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Konstitution im Falle einer Ansteckung mit einem schweren Verlauf zu rechnen hat. Ob ein Verfahrensbeteiligter für den Fall einer Infektion einer erhöhten Gesundheitsgefahr ausgesetzt wäre, ist vorliegend durch das Gericht nicht geprüft worden. Zum anderen kann der Infektionsgefahr durch oben erwähnten milderen Maßnahmen begegnet werden.“