Schlagwort-Archive: Haftungsverteilung

TaTüTaTa, oder: Wie wird gehaftet, wenn der Notarztwagen bei Rotlicht über die Kreuzung brettert?

© Picture-Factory – Fotolia.com

Nicht selten sind die Situationen, in denen man nach/bei Einsatzfahrten von Polizei und/oder Feuerwehr. Das wwar aber knapp, oder: gerade noch einmal gut gegangen und ein Unfall hat vermieden werden können. Eine Situation, in der es nicht mehr „gereicht hat“, hat dann aber das OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.01.2017 – 1 U 46/16 – zum Gegenstand. Nach einem bei einer Einsatzfahrt verursachten Verkehrsunfall war beim LG Wuppertal und dann beim OLG Köln um die Haftung und die Haftungsverteilung gestritten worden. Das LG hatte der Beklagten – es war ihr Notarztwagen, der in den Verkehrunfall verwickelt war – nur 10 % der Haftung zugerechnet. Das OLG sieht das anders und macht „Halbe/halbe“:

I.

Nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur insoweit zugrunde zu legen, als nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Derartige Zweifel sind im vorliegenden Fall bezüglich der durch das Landgericht ausgesprochenen Haftungsverteilung und den zugrunde liegenden Feststellungen gegeben. Richtig ist zwar die Beweiswürdigung Landgerichts insoweit, als sich nicht die Erkenntnis gewinnen lässt, dass der Zeuge P., der unstreitig bei Rotlicht mit dem Notarztwagen des Beklagten von der Schützenstraße in die Carnaper Straße in Wuppertal einfuhr, dies unter Inanspruchnahme von Wegerechten gemäß § 38 Abs. 1 StVO tat. Zwar weist der Beklagte in seiner Berufungserwiderung zu Recht darauf hin, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts eine Argumentationsschwäche aufweist. Dies ändert allerdings nichts daran, dass im Ergebnis der Beklagte für die Richtigkeit seiner Behauptung beweisfällig bleibt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für eine Wegerechtseinfahrt des Notarztwagens in die Unfallkreuzung durch die rechtzeitige Betätigung des akustischen Warnsignals neben dem blauen Blinklicht gegeben waren.

Deshalb kann die durch das Landgericht ausgesprochene Haftungsverteilung mit einer Quotierung von 10 % : 90 % zum Nachteil des Klägers keinen Bestand haben. Richtig erscheint es vielmehr, bei der Abwägung auf der Grundlage der §§ 17, 18 StVG eine Einstandsverpflichtung der Beklagten im Umfang von 50 % der klägerischen Unfallschäden anzusetzen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Zeugen P. ein die Betriebsgefahr des Notarztwagens zusätzlich steigerndes Annäherungsverschulden anzulasten ist, weil erwiesen ist, dass er entgegen § 35 Abs. 8 StVO die Rotlichteinfahrt bis zum Erreichen der kreuzungsmittigen Unfallstelle nicht mit der gebührenden vorsichtigen Fahrweise durchgeführt hat. Darauf deuten jedenfalls die Bekundungen der Zeugen H. sowie B. hin.

Entscheidend ist im Ergebnis, dass die von dem Fahrzeug des Beklagten ausgegangene Betriebsgefahr allein schon durch die Rotlichteinfahrt ohne feststellbare Sanktionierung durch ein Wegerecht nach den Vorgaben des § 38 Abs. 1 StVO so sehr gesteigert war, dass auf eine hälftige Anspruchsberechtigung des Klägers zu erkennen ist. Die Tatsache, dass den Kläger ebenfalls ein erhebliches Mitverschulden an der Entstehung des Auffahrunfalls trifft, weil er entweder den nach § 4 Abs. 1 StVO erforderlich gewesenen Sicherheitsabstand zu dem Vordermann B. nicht eingehalten hat oder weil ihm unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ein Aufmerksamkeitsverschulden anzulasten ist, steht außer Streit. Gleichwohl darf entgegen der Gewichtung des Landgerichts dieser Verursachungs- und Verschuldensbeitrag nicht dazu führen, dass der Kläger nur in Höhe von 10 % seiner Unfallschäden ersatzberechtigt sein soll. Wäre das durch den Zeugen P. gesteuerte Fahrzeug hypothetisch allein mit dem Pkw Opel des Zeugen B. zusammen gestoßen, der ebenso wie der Kläger unstreitig bei Grünlicht in die Unfallkreuzung eingefahren war, wäre für diesen Fall der Beklagte zu 100 % ersatzverpflichtet.“

Das OLG sieht die Beweislast für den Einsatz des Einsatzhornes bei der Beklagten:

„Wer das Sonderrecht des § 38 Abs. 1 StVO für sich in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass er neben dem blauen Blinklicht auch das Einsatzhorn verwendet hat.“

Dass das auch in Betrieb war, habe sie nicht beweisen können.

Ich komme dann nachher aus einem anderen Grund noch einmal auf das Urteil zurück 🙂 .

Verkehrsunfall am/im Kreisverkehr, oder: Sorgfaltspflichten und Haftung

entnommen openclipart.org

Wer Münster kennt, der kennt bestimmt auch den Ludgeriplatz (ganz in der Nähe wohne ich). Der Ludgeriplatz ist ein großer Kreisverkehr. In ihn münden sechs größere Straßen und man kann sich vorstellen, was das – ohne Ampelbetrieb, aber mit regem Auto-, Fußgänger- und Fahrradverkehr – bedeutet: Dreimal am Tag Chaos, nämlich morgens, mittags und abends. Die Stadt Münster bekommt das Verkehrsproblem einfach nicht in den Griff.

Nun dies vorab und als Einleitung zum OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.09.2016 – 1 U 195/14 -, in dem es um die Pflichten und die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall am/im Kreisverkehr geht. Das OLG hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

  1. Das Überfahren der Mittelinsel eines Kreisverkehrs verletzt gerade auch eine Schutznorm zugunsten des einmündenden Verkehrs. Kommt es im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser Schutznormverletzung zu einem Zusammenstoß, war der Verstoß typischerweise für den Unfall zumindest mitursächlich.
  2. Erreichen zwei Kraftfahrzeuge gleichzeitig den Kreisverkehr, verstößt der Verkehrsteilnehmer gegen die allgemeine Sorgfaltspflichtanforderung des § 1 Abs. 2 StVO, der sich nicht auf das Fahrzeug im Kreisverkehr vor ihm einstellt und stattdessen mit nicht reduzierter Geschwindigkeit mit anschließender Kollisionsfolge weiterfährt. In einem solchen Fall haftet er für die Unfallfolgen allein.
  3. Nähern sich Verkehrsteilnehmer aus verschiedenen Richtungen einem Kreisverkehr und besteht bei der Einfahrt die Gefahr, dass sich im Kreisel ihre Bewegungslinien berühren oder gefährlich annähern, gebührt demjenigen Fahrer der Vorrang, der als Erster die Wartelinie erreicht, denn dieser hat die Gelegenheit, als Erster in den Kreisverkehr einzufahren und für sich das Vorfahrtrecht gemäß § 8 Abs. 1 a Satz 1 StVO in Anspruch zu nehmen. Im Kreisverkehr gibt es keinen feststehenden räumlichen Bereich, in welchem die Vorfahrt eines Verkehrsteilnehmers gleichbleibend und unabänderlich geregelt ist. Es kommt nicht darauf an, wer bereits die längere Strecke im Kreisverkehr zurückgelegt hat.

Im Übrigen auch bitte selbst lesen. Lässt sich hier schwer darstellen 🙂 .

„Nachzüglervorrang“ versus Vertrauensgrundsatz bei „grün“, oder: Nachzügler haftet allein

©  fovito - Fotolia.com

© fovito – Fotolia.com

Wer kennt ihn nicht? Den Nachzügler, der (noch) bei Grün in eine Kreuzung eingefahren ist, diese dann aber aufgrund eines Rückstaus nicht räumen kann, und irgendwann fährt/räumt er dann. Das OLG Hamm hat sich jetzt vor einiger Zeit im OLG Hamm, Urt. v. 26.08.2016 –  7 U 22/16 – mit der Frage befasst, welche Sorgfaltspflichten diesen Nachzügler treffen und wer wie haftet.

Gegenstand war ein Verkehrsunfall in Essen. Dort war die Beklagte bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich zweier Straßen eingefahren und dann aufgrund eines Rückstaus des Linksabbiegerverkehrs hinter der Fluchtlinie zum Stehen gekommen. Nachdem die Beklagte mindestens 40 Sekunden gestanden hatte – die von ihr zuvor passierte Ampel zeigte bereits mehr als 20 Sekunden Rotlicht -, entschloss sie sich dazu, die Kreuzung zu räumen. Im Kreuzungsbereich stieß sie mit dem PKW der Klägerin zusammen. Dieser folgte einem Fahrzeug, welches die Beklagte passieren ließ, und hatte bei seiner Einfahrt in den Kreuzungsbereich mindestens 19 Sekunden Grünlicht.

Das OLG ist von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen:

„Die nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze durchgeführte Abwägung führt vorliegend zu einer Alleinverantwortlichkeit der Beklagten zu 2) in Bezug auf die Unfallverursachung.

aa) Die Beklagte zu 2) hat den Unfall dadurch verursacht, dass sie als sog. „echter Nachzügler“ den Kreuzungsbereich geräumt hat, ohne sich vorher zu vergewissern, dass eine Kollision mit dem von dem Zeugen Y gesteuerten klägerischen Fahrzeug ausgeschlossen war. Insoweit ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen die ihr gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegende Sorgfaltspflicht vorzuwerfen. Ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO oder § 11 Abs. 1 StVO steht hingegen nicht fest.

(1) Zu Lasten der Beklagten ist zwar nicht von einem Vorfahrtsverstoß auszugehen, allerdings steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte zu 2) in erheblichem Ausmaß gegen die ihr als sog. (echten) „Nachzügler“ gemäß § 1 Abs. 2 StVO obliegenden Pflichten verstoßen hat.

(a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 2) verneint. Zwar hat derjenige, der bei Grün die Haltelinie und die für ihn maßgebliche Ampel passiert hat, dann aber zum Stehen gekommen ist, bevor er die Fluchtlinien der Gehwegkanten passiert hat, nach Umschalten der Ampel dem einsetzenden Querverkehr als sog. „unechter Nachzügler“ den Vorrang einzuräumen (vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 411; OLG Koblenz, NZV 1998, 465; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Die Klägerin hat aber den Beweis, dass es sich bei der Beklagten zu 2) um einen sog. „unechten Nachzügler“ handelte, nicht erbracht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 2) die Fluchtlinie zum Kreuzungsbereich bereits überfahren hatte, als sie verkehrsbedingt zum Stehen kam. Insbesondere die erstinstanzlich vernommenen Zeugen X und T vermochten den Standort des Beklagtenfahrzeugs auf der Kreuzung genau zu beschreiben. Unter Bezugnahme auf ein von den Örtlichkeiten bei Google Maps ausgedrucktes Luftbild (Bl. 125 der Akten) haben sie übereinstimmend angegeben, die Beklagte zu 2) sei hinter der zweiten gestrichelten Linie zum Stehen gekommen. Den vom Sachverständigen A im erstinstanzlichen Verhandlungstermin vom 20.01.2016 überreichten ergänzenden gutachterlichen Unterlagen, die die möglichen Positionen des Beklagtenfahrzeugs und dessen Fahrzeugfront im Kreuzungsbereich abbilden (Anlage 1 bis Anlage 3), ist in Zusammenschau mit den Aussagen der Zeugen X und T zu entnehmen, dass die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug die Fluchtlinie der Kreuzung bereits überfahren hatte, als sie zum Stehen kam. Bestätigt wird dieses Ergebnis zudem durch die Aussage des Zeugen X, die Fahrzeuge aus der Gegenrichtung des klägerischen Fahrzeuges hätten in Geradeausfahrt um das Beklagtenfahrzeug herumfahren müssen.

(b) Allerdings ist der Beklagten zu 2) ein erheblicher schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten.

Wer im Kreuzungsbereich zunächst aufgehalten worden ist und diesen dann als sog. „Nachzügler“ gegenüber dem Querverkehr bevorrechtigt räumen darf, kann nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen wird (vgl. OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258). Vielmehr hat er den Kreuzungsbereich vorsichtig, unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen (vgl. BGH, NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1993, 258; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19). Dabei erhöhen sich die Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Kreuzungsräumers mit seiner Verweildauer im Kreuzungsbereich: Je länger er sich nach seiner Einfahrt bei grünem Ampellicht im Kreuzungsbereich aufhält, desto eher muss er mit einem Phasenwechsel und anfahrendem Querverkehr rechnen (vgl. KG Berlin, DAR 2003, 516; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19) und berücksichtigen, dass der übrige Verkehr aus seinem Verhalten schließen kann, er werde nicht weiterfahren (vgl. KG Berlin, ZfSch 2009, 77). Er darf dann nicht an- oder weiterfahren, wenn er sich nicht vergewissert hat, dass eine Kollision mit einfahrenden Fahrzeugen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; KG Berlin, ZfSch 2009, 77; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVG Rn. 19).“

Ein Mitverschulden des Fahrers des Pkw der Klägerin hat das OLG verneint:

„bb) Zu Lasten der Klägerin ist hingegen im Abwägungsverhältnis kein unfallursächliches Verschulden zu berücksichtigen. Ein Verursachungsbeitrag des Zeugen Y in Form eines Verstoßes gegen §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO wegen der Nichtbeachtung des sog. „Nachzüglervorrechts“ ist zu verneinen.

Verkehrsteilnehmer, für die durch grünes Licht der Verkehr freigegeben ist (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 StVO), brauchen zwar im allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Fahrzeuge von der Seite her unerlaubterweise in die Kreuzung einfahren (vgl. BGH, NJW 1977, 1394). Nach dem Vertrauensgrundsatz kann sich ein Verkehrsteilnehmer daher in der Regel darauf verlassen, dass er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr abgeschirmt ist (vgl. BGH, NJW 1971, 742; Bayerisches Oberstes Landesgericht, DAR 1967, 333). Allerdings befreit das ihm zustehende Vorfahrtsrecht grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, auf Nachzügler, also auf Teilnehmer des Querverkehrs, Rücksicht zu nehmen, die, als für sie noch grün galt, berechtigt in die Kreuzung eingefahren waren, sie aber nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394). Diesen Nachzüglern ist, um Stauungen zu vermeiden, zunächst die Möglichkeit zu geben, die Kreuzung zu räumen (sog. „Nachzüglervorrang“) (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; NJW 1977, 1394; OLG Köln, NZV 2012, 276; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 37 StVO Rn. 17). Je weiter der Farbwechsel auf Grün aber zurückliegt, umso mehr darf der bei Grün An- oder Durchfahrende auf eine freie Kreuzung ohne weitere Verkehrsteilnehmer aus dem Querverkehr der vorhergehenden Phase vertrauen (vgl. OLG Köln, NZV 2012, 276; MDR 1995, 153).“

Wenn es auf der BAB-Abfahrt „kracht“ – wie wird gehaftet?

entnommen wikimedia.org Urheber Dirk Vorderstraße

entnommen wikimedia.org
Urheber Dirk Vorderstraße

Im OLG Hamm, Urt. v. 03.06.2016 – 7 U 14/16 – geht es um die Schadensverteilung nach einem Verkehrsunfall auf der Gabelung einer BAB-Abfahrt mit in etwa folgendem Sachverhalt:

Die Ehefrau des Klägers befuhr mit seinem PKW Peugeot 407 die Abfahrt Paderborn-Elsen der BAB 33, die sich im weiteren Straßenverlauf ohne vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen gabelt. Im Bereich der Gabelung kam es zur streifenden Kollision zwischen dem vorausfahrenden klägerischen Fahrzeug und einem von der Erstbeklagten gesteuerten Taxi. Der Unfall ereignete sich, weil das Taxi zur rechtsseitigen Vorbeifahrt am Fahrzeug des Klägers in den rechten Schenkel der Gabelung angesetzt hatte, als die Ehefrau des Klägers ebenfalls diesen Schenkel der Gabelung ansteuerte. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Das OLG sagt: Stoßen ein vorausfahrendes und ein nachfahrendes Fahrzeug beim Rechtsüberholen des Nachfahrers auf der Gabelung einer Autobahnabfahrt zusammen, kommt eine hälftige Haftung beider Beteiligten für den Unfallschaden in Betracht, wenn der Vorausfahrer seiner Rückschaupflicht nicht genügt und der Nachfahrer verkehrswidrig rechts zu überholen versucht hat:

„c) Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zur hälftigen Haftung. Beide Fahrzeugführerinnen haben den Unfall zu gleichen Teilen verursacht. Die Zeugin N hat durch ihre mittige Fahrweise den Anschein geweckt, eher links bzw. geradeaus in den Gabelungsast zu fahren. Aufgrund dieser Fahrweise und der Straßenbreite, die im Bereich der Gabelung 5,70 m erreicht und daher die Möglichkeit eröffnet, dass zwei Fahrzeuge nebeneinander fahren können, war sie gehalten, den rückwärtigen Verkehr besonders aufmerksam zu beobachten, bevor sie nach rechts fuhr. Der Beklagten zu 1) ist vorzuhalten, dass sie sich zum Rechtsüberholen entschlossen hat, obwohl die Zeugin N nicht durch Setzen des linken Blinkers signalisiert hatte, die andere Spur weiter befahren zu wollen. Letzteres hat die Beklagte vielmehr nur aufgrund der mittigen Fahrweise der Zeugin vermutet.“

Plötzliches Bremsen wegen eines Vogels – wie wird gehaftet?

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

entnommen wikimedia.org
Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Bei einem Auffahrunfall hat der Auffahrende meist keine Chance. Gegen ihn spricht der Anscheinsbeweis und in der Folge haftet er meist ganz. Etwas anderes gilt, wenn der Vorausfahrende „plötzlich“ aus „nicht verkehrsimmanenten Grund“ bremst. Dann kann sich die Haftungsverteilung ändern. Das hat vor einiger Zeit das LG Duisburg im LG Duisburg, Urt. v. 30.06.2016 – 12 S 118/15 – für einen Auffahrunfall entschieden, bei dem der Vorausfahrende plötzlich wegen eines Kleintieres, und zwar eines Vogels, gebremst hatte. Das LG kommt da zu einer Haftungsverteilung von 70 % : 30 %:

Im Rahmen der nach §§ 17 Abs. 1 S. 2, 18 Abs. 3 StVG stattzufindenden Gesamtabwägung der Verursachungsanteile ist festzustellen, dass die den beteiligten Fahrzeugen innewohnende Betriebsgefahr auf beiden Seiten – allerdings in unterschiedlichem Maße – durch ein schuldhaftes Verhalten der Fahrer erhöht war.

Die Klägerin hat gegen die sich aus § 4 Abs. 1 S. 1 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten verstoßen. Danach muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich abgebremst wird. Das Auffahren muss durch Einhaltung des Sicherheitsabstandes sicher vermieden werden, selbst wenn der Vorausfahrende plötzlich stark abbremst (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. A., § 4 StVO, Rn. 2 m. w. N.).

Beim – hier vorliegenden – Auffahren spricht grundsätzlich der erste Anschein gegen den Auffahrenden (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 24). Dieser hat i. d. R. entweder den nötigen Sicherheitsabstand oder die der Verkehrssituation entsprechende Geschwindigkeit nicht eingehalten oder nicht die erforderliche Aufmerksamkeit walten lassen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 24 m. w. N.). Erschüttert wir der Anscheinsbeweis allerdings durch Abbremsen ohne zwingenden Grund (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O.).

Ein solches ist im vorliegenden Fall gegeben, da der Beklagte zu 1), wie durch die Beweisaufnahme bewiesen und in der Berufungsinstanz auch unstreitig gestellt worden ist, wegen eines Vogels gebremst hat, wobei unerheblich ist, ob dieser sich auf der Straße oder auf dem Gehweg befunden hat.

Hätte der Beklagte zu 1) nicht gebremst, wäre es, was ebenfalls unstreitig ist, nicht zu dem Auffahrunfall gekommen. Das Bremsen erfolgte aus einem nicht verkehrsimmanenten Grund und war damit nicht erforderlich (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 27.07.2009, Az. 9 S 117/09 – Bremsen wegen einer Taube – und AG München, Urteil vom 25.02.2014, Az. 331 C 16026/13 – Bremsen wegen eines Eichhörnchens; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 17).

Der Beklagte zu 1) hat damit ebenfalls einen Verkehrsverstoß begangen, der zu einer erhöhten Betriebsgefahr führt und in die Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 S. 2, 18 Abs. 3 StVG einzustellen ist.

Denn nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO darf, wer vorausfährt, nicht ohne zwingenden Grund bremsen. Diesen Ansprüchen genügte das Verhalten des Beklagten zu 1), wie bereits ausgeführt, nicht.

In der Rechtsprechung werden bei Auffahrunfällen, bei denen auch dem Vorausfahrenden wegen Abbremsens ohne zwingenden Grund ein Verschuldensvorwurf gemacht wird, unterschiedliche Haftungsquoten – jeweils mit höherem Anteil des Auffahrenden – vertreten (3/4 zu 1/4: OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.04.1994, Az. 1 U 106/93; 60 % zu 40 %: LG Karlsruhe, a. a. O; 2/3 zu 1/3: KG Berlin, Urteil vom 11.07.2002, Az. 12 U 9923/00). Auch in der Literatur wird i. d. R. eine Haftungsquote des Auffahrenden von 2/3 angenommen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. A., § 4 StVO, Rn. 33 m. w. N.).

Die Kammer erachtet die von der beklagten Versicherung vorgenommene Quotierung von 70 % zu 30 % für sachgerecht, so dass die Klage wegen Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB abzuweisen ist, da auf den Gesamtschaden von 2.427,- € bereits 728,10 € gezahlt wurden.“

M.E. zutreffend.