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Überholen bei Sichtbehinderung, oder: Wer haftet wie?

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Saarbrücken. Dieses hat im LG Saarbrücken, Urt. v. 11.01.2019 – 13 S 142/18 -, über das der Kollege Gratz ja schon berichtet hat, über die Haftungsverteilung bei einem „Überholerunfall“ entschieden.

Folgendes Unfallgeschehen liegt der Entscheidung zugrunde: Der Kläger „beabsichtigte … mit seinem Ford C-Max (amtl. Kennz. pp.) nebst Anhänger aus der pp. kommend, nach links in die bevorrechtigte pp. (Zeichen 205) einzubiegen. Die Zeugin pp. befuhr mit ihrem Linienbus die pp. in Richtung pp. . Vor der Einmündung der pp. hielt sie das Fahrzeug an, da ein weiterer Linienbus die hinter der Einmündung befindliche Bushaltebucht blockierte. Sie gab dem an der Seitenlinie der Fahrbahn wartenden Kläger ein Handzeichen dahingehend, dass er gefahrlos in die pp. einfahren könne. Als dieser daraufhin anfuhr und sodann ein Stück über die Sichtlinie des Busses hinausragte, um auf die Gegenfahrbahn der pp. einbiegen zu können, kam es zur Kollision mit dem von der Beklagten zu 1) gesteuerten, bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Peugeot 106 der Beklagten zu 2) (amtl. Kennz. pp.), der den Linienbus überholen wollte. Dabei wurde der klägerische PKW im rechten Frontbereich, das Beklagtenfahrzeug an der rechten Seite beschädigt.

Mit der Klage hat der Kläger auf der Grundlage eines eigenen Mitverursachungsanteils von 40 % Schadensersatz verlangt. Das AG hat die Klage abgewiesen, da die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Vorfahrtsverstoß des Klägers zurück trete. Hiergegen die Berufung des Klägers die teilweise Erfolg hatte. Das LG geht von einer Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers aus:

„1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch der Kläger grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies ist zu-treffend und wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Soweit die Erstrichterin weiterhin im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen Verstoß des Klägers gegen § 8 Abs. 2 S 2 StVO (Missachtung der Vorfahrt) eingestellt hat, hält auch dies einer Überprüfung durch das Berufungsgericht stand.

a) Zutreffend ist zunächst der Ansatz des Erstgerichts, dass vorliegend für einen Verkehrsverstoß des Klägers ein Anscheinsbeweis streitet. Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuld-hafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 12.07.2013 – 13 S 71/13, NZV 2014, 30, vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, NJW 2015, 177, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, juris, vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris und vom 22.09.2017 – 13 S 44/17).

b) Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert, wie die Erstrichterin zutreffend festgestellt hat. Hierfür wäre der Nachweis von Tatsachen erforderlich, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs eröffnen. Dies ist etwa der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Beginns des Abbiegevorgangs der Vorfahrtsberechtigte sich noch außerhalb der Sichtweite des Wartepflichtigen befunden hat oder noch so weit entfernt war, dass die glatte Durchfahrt des Bevorrechtigten nicht beeinträchtigt und dieser auch nicht etwa wegen der drohenden Möglichkeit eines Zusammenstoßes in Verwirrung gebracht, zu Ausgleichsbewegungen oder gar unsachgemäßem Verhalten genötigt wurde (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 09.07.2010 – 13 S 16/10 und vom 12.07.2013 – 13 S 71/13).

aa) Unabhängig davon, dass der Kläger überhaupt nicht vorgetragen hat, die Beklagte sei bei Beginn des Abbiegevorgangs noch außer Sichtweite gewesen oder habe sich in einer so großen Entfernung zum Kollisionsort befunden, dass ein Zusammenstoß nicht zu befürchten gestanden habe, ist nach den erstinstanzlichen Feststellungen jedenfalls davon auszugehen, dass es der Kläger vorliegend versäumt hat – ein langsames Hineintasten in die pp. bis zur Sichtlinie des Linienbusses kann insoweit nach der Zeugenaussage der Busfahrerin pp. zu seinen Gunsten unterstellt werden -, sich vor dem Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs noch einmal durch entsprechende Blickzuwendung nach links bezüglich des von dort herannahenden Verkehrs in dem erforderlichen Umfang zu orientieren. Damit hat er keine ausreichende Sorge dafür getragen, dass der bevorrechtigte Verkehr weder gefährdet noch wesentlich behindert wurde.

bb) Die Vermutung, dass sich dieser Sorgfaltsverstoß auch unfallursächlich ausgewirkt hat, hätte der Kläger allenfalls durch den Nachweis einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit der Erstbeklagten er-schüttern können, wenn dadurch Unfallvarianten in Betracht gekommen wären, in denen er, auch bei entsprechender Blickzuwendung, von einem gefahrlosen Herausfahren hätte ausgehen dürfen oder aber die Erstbeklagte bei Beginn des eigentlichen Abbiegevorgangs noch außerhalb der Sichtweite des Klägers gewesen wäre. Dies lässt sich, wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, den Zeugenaussagen nicht entnehmen. Auch ansonsten liegen keinerlei Hinweise auf eine überhöhte Geschwindigkeit vor, weshalb von einer ursprünglich beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens weitere Er-kenntnisse nicht zu erwarten waren. Dementsprechend hat der Kläger diesen Beweisantrag in der zwe-ten Instanz letztlich nicht mehr aufrechterhalten.

3. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Erstrichterin im Rahmen der Haftungsabwägung keinen schuldhaften Verkehrsverstoß der Beklagten mit einbezogen hat.

a) Auf einen etwaigen Verstoß der Erstbeklagten gegen §§ 20 Abs. 1, Abs. 5 StVO kann sich der Kläger nicht berufen, da die Vorschrift dem Schutz von Fußgängern dient (Spelz in: Freymann/Wellner, juris-PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 20 StVO, Rn. 9), nicht aber dem des einmündenden Kraftverkehrs.

b) Gleiches gilt, soweit der Kläger behauptet hat, die Erstbeklagte habe die durchgezogene Mittellinie der Fahrbahn überfahren, als sie an dem Bus vorbeigefahren sei (§ 41 StVO, Zeichen 295). Die Fahrstreifenbegrenzung dient dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem des nachfolgenden, einbiegen-den, kreuzenden oder querenden Verkehrs (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 41 StVO, Rn. 307).

Auch lässt sich hieraus kein unmittelbares Überholverbot ableiten (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; OLG Hamm VRS 54, 458; zur durchgezogenen Linie auch Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Oktober 2001 – 4 U 10/01 – 2). Eine solche Markierung schützt allenfalls dort, wo sie sich wegen der Enge der Fahrbahn faktisch wie ein Überholverbot auswirkt, lediglich das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht mit einem Überholtwerden rechnen zu müssen (BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; Kammerurteil vom 14.09.2012 -13 S 54/11 m.w.N.). Dies gilt allerdings nicht für den querenden Verkehr.

c) Ein Überholverbot aufgrund unklarer Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist entgegen der klägerischen Auffassung vorliegend ebenfalls nicht zu bejahen.

aa) Unklar ist nach allgemeiner Auffassung eine Verkehrslage, wenn der Fahrzeugführer nach allen objektiven Umständen des Einzelfalles mit einem gefahrlosen Überholen nicht rechnen kann. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Überholende nicht verlässlich zu beurteilen vermag, wie ein voraus-fahrendes Fahrzeug oder kreuzender oder einmündender Verkehr sogleich fahren wird oder er beispiels-weise die zum Überholen benötigte Strecke aufgrund Sichtbehinderungen nicht vollständig überblicken kann (Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 40).

bb) Der Linienbus der Zeugin pp. stand bei der Annäherung der Erstbeklagten unstreitig auf der rechten Fahrspur der pp. . Nach Angaben des Lebensgefährten der Erstbeklagten, des Zeugen pp. (Beifahrer), hatte er den rechten Blinker betätigt. Anzeichen dafür, dass der Bus anfahren würde, lagen unstreitig nicht vor. Zwar versperrte dieser Bus die Sicht des nachfolgenden Verkehrs auf die Einmündung der pp. und damit auch auf den dort wartenden Kläger, der Straßenverlauf der linken Fahrspur war aus Sicht der Erstbeklagten jedoch geradlinig und frei überschaubar. Konkrete Anzeichen, die Anlass zu der Befürchtung gegeben hätten, die vorfahrtsberechtigte Erstbeklagte könne ihre Fahrt nicht ungehindert fortsetzen, waren nicht vorhanden. Allein die Möglichkeit, dass vor dem wartenden Bus ein Fahrzeug die bevorrechtigte Fahrbahn queren könnte, rechtfertigt eine unklare Verkehrslage und ein daraus folgendes Überholverbot für den fließenden Verkehr auf der pp. in der konkreten Situation nicht (vgl. auch Kammerurteil vom 23. Januar 2015 – 13 S 170/14).

d) Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist gleichfalls nicht feststellbar. Dass die Erstbeklagte z.B. einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hätte, so dass dem Kläger ein ungefährdetes Vortasten bis zum Überblick überhaupt nicht möglich gewesen wäre, behaupten weder Klage noch Berufung.

Ob vorliegend ein Anwendungsfall der so genannten Lückenrechtsprechung gegeben ist, wonach sich derjenige, der an einer Kolonne aus mehreren Fahrzeugen vorbeifährt, bei erkennbaren Verkehrslücken innerhalb der Kolonne in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen diesen Lücken nur mit gespannter Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit nähern darf, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten, auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen ermöglicht (vgl. Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 48; Kammerurteil vom 5. Dezember 2014 – 13 S 80/14), kann hier dahin stehen. Denn es kann mangels fehlender Kenntnis und mangels Möglichkeiten einer Rekonstruktion bzgl. des exakten Fahrverhaltens der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge und insbesondere deren Entfernung zueinander im Zeitpunkt der erstmaligen Reaktionsaufforderung an die Erstbeklagte nicht mehr beweissicher geklärt werden, ob diese bei entsprechender Sorgfalt den Unfall hätte vermeiden können. Dies geht zulasten des insoweit beweisbelasteten Klägers.

4. Nicht anzuschließen vermag sich die Kammer allerdings der Auffassung der Erstrichterin, die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs trete vorliegend angesichts des Verkehrsverstoßes des Klägers zu-rück. Zwar ist es zutreffend, dass ein Verstoß gegen die Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Wartepflichtigen rechtfertigen kann (vgl. z.B. Kammer Urteil vom 09.06.2017 – 13 S 39/17). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt (so bereits BGH, Urteil vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79). Vorliegend hat sich allerdings die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs verschuldensunabhängig bereits dadurch erhöht, dass die Beklagte zu 1) an dem Linienbus der Zeugin pp., der die Sicht auf den davor befindlichen Verkehrsraum teilweise versperrte, vorbeifuhr und sich schon dadurch in eine, im Unfall realisierte, gefahrträchtige Verkehrssituation begeben hatte, zumal auch eine Unterbrechung in der Mittellinie der Fahrbahn signalisierte, dass in diesem Bereich ein Kreuzen der Fahrbahn grundsätzlich möglich war. Dem trägt eine Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu La92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzel-fall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).“

Rasen = mehr als 100 km/h in der Innenstadt, oder: Alleinhaftung

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Die zweite zivilrechtliche Entscheidung kommt heute vom KG. Im KG, Urt. v. 22.08.2019 – 22 U 33/18 – geht es um die Haftungsfragen in Zusammenhang mit „Rasen“ in der Innenstadt.

Der Kläger verlangte Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall vom 28. Oktober 2015 auf einer Kreuzung. Dort war der Kläger mit einem Linksabbieger zusammengestoßen. Der Kläger erlitt infolgedessen eine HWS-Distorsion, ein stumpfes Thoraxtrauma, ein stumpfes Bauchtrauma und eine Femurschaftsfraktur links mit Weichteilschaden ersten Grades und befand sich deshalb vom 28. Oktober 2015 bis zum 06. November 2015 in stationärer Behandlung.

Das LG hatte Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Dieses Unfallrekonstruktionsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Klägerfahrzeug im Kollisionszeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h bis 105 km/h bewegt habe, während das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt mit etwa 5 km/h bis 10 km/h gefahren sei.  Der Kläger habe sich der Unfallstelle zuvor mit mindestens 103 km/h genähert, bevor er 44 m und 1,6s vor der Kollision das Beklagtenfahrzeug als gefahrdrohend erkannt habe. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sei die Kollision für den Kläger mit hoher Sicherheit räumlich und wahrscheinlich auch zeitlich vermeidbar gewesen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat dann mit seiner Berufung seine Ansprüche nur noch nach einer Haftungsquote von 33% weiterverfolgt. Er meint, das LG habe die Verursachungsanteile im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung unzutreffend gewürdigt und das grobe Verschulden der Beklagten zu Unrecht hinter dem Verkehrsverstoß des Klägers zurücktreten lassen.

Die Berufung hatte beim KG keinen Erfolg.Das KG geht davon aus, dass der Beklagten zu 1) ein (schwerer) Verstoß gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO und dem Kläger ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO unfallverursachend vorzuwerfen war.

„Zur Abwägung führt es dann aus:

Der danach weiter bestehende Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung beim Linksabbiegen führt hier gleichwohl aber nicht zu einer Haftung der Beklagten.

Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, dass der Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) ebenso wie die Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeugs (§ 7 Abs. 1 StVG) hinter dem besonders schweren Verkehrsverstoß des Klägers zurücktreten, so dass dieser für seinen Schaden allein einzustehen hat.

a) Nach den Feststellungen des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Snnn vom 19. Oktober 2017, denen die Berufung insoweit nicht mehr entgegentritt, befuhr der Kläger die Pasewalker Straße in Berlin, die vor der Unfallstelle keine Fahrstreifenmarkierungen aufweist und deren rechter Fahrbahnrand als Parkstreifen benutzt wird, in nördlicher Richtung bei Dunkelheit und trockenen Straßenverhältnissen mit einer Geschwindigkeit von mindestens 103 km/h und damit mit einer Geschwindigkeit, die um mehr als das Doppelte über der unter günstigsten Umständen zulässigen Höchstgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) lag.

b) Wenn – wie hier – innerorts das Doppelte der maximal zulässigen Geschwindigkeit überschritten wird und wenn die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit gleichzeitig auch absolut 100 km/h überschreitet, ist nach Auffassung des Senats regelmäßig davon auszugehen, dass leichte Verkehrsverstöße Dritter – wie hier – hinter einem solchen besonders schwerwiegenden erheblichen Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO regelmäßig zurücktreten.

Dem steht nicht entgegen, dass bislang teilweise in ähnlichen Fällen bei einem Zusammentreffen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO bzw. gegen § 8 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 StVO und eines erheblichen Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 StVO in der Rechtsprechung regelmäßig eine Abwägung der Verursachungsanteile nur dann zu einer Alleinhaftung des Vorfahrtsberechtigten führte, wenn die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 100% mit weiteren, besonderen Umständen zusammentraf (vgl. etwa KG, Urteil vom 04. September 2000 –  12 U 4373/99 -, juris Rdn. 12; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. November 1993 – 10 U 13/93 -, juris=NZV 1994, 194; KG, Urteil vom 11. März 1982 – 12 U 2669/81 -, juris=VerkMitt 1982, 94; KG, Urteil vom 22. Juni 1992 –  12 U 7008/91 -, juris=VRS Bd. 83, 407; OLG Hamm, Urteil vom 14. August 1996 – 3 U 150/95 -, juris=VRS Bd. 93, 253).

Zwar lassen sich keine allgemeingültigen Richtwerte in Bezug auf das berechtigte Vertrauen eines Wartepflichtigen dahingehend, dass der Bevorrechtigte die Geschwindigkeit nicht in grober und außergewöhnlicher Weise überschreiten werde, aufstellen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – VI ZR 229/82 -, juris Rdn. 15). Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG ist aber dann regelmäßig von einer Alleinhaftung des Bevorrechtigten auszugehen, wenn dieser sowohl die maximal zulässige Geschwindigkeit um das Doppelte und gleichzeitig absolut 100 km/h überschreitet.

In Innenstadtlagen mit dem dort typischen komplexen Verkehrsgeschehen ist bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h davon auszugehen, dass sich der Kraftfahrer bewusst außerstande setzt, unfallverhütend zu reagieren (KG, Urteil vom 31. Januar 1994 – 12 U 3121/92 -, juris Rdn. 28, dort mind. 72 km/h statt 50 km/h mit hälftiger Schadensteilung) und damit entgegen § 1 Abs. 1 StVO für ihn keine hinreichende Möglichkeit mehr besteht, bei entsprechendem Anlass auf das Fehlverhalten Dritter zu reagieren. Ebensowenig bestehen bei einer für Innenstadtlagen außergewöhnlich hohen Geschwindigkeit von absolut mehr als 100 km/h noch hinreichende zeitliche und räumliche Möglichkeiten, unvorhergesehen auftretende Veranlassungen zur Anpassung der eigenen Fahrweise außerhalb von Verkehrsverstößen Dritter gefahrverhütend wahrzunehmen (beispielsweise Kinder am Fahrbahnrand, vgl. BGH, Urteil vom 02. Juli 1985 – VI ZR 22/84 -, juris Rdn. 10), so dass ein besonders hohes abstraktes Gefährdungspotential für Dritte geschaffen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine derart hohe Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr mit Fahrlässigkeit erklärbar ist, sondern regelmäßig vorsätzliches Handeln angenommen werden muss (vgl. dazu KG, Beschluss vom 31. Mai 2019 – 3 Ws (B) 161/19 -, juris Rdn. 4).

c) Entgegen der Ansicht der Berufung ist damit hier nach Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge davon auszugehen, dass der Kläger für den ihm entstandenen Schaden allein haftet.“

Auffahren auf einen Fahrschulwagen, oder: Gilt der Anscheinsbeweis?

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Und dann heute am letzten Samstag des Jahres der letzte „Kessel Buntes“. In dem mache ich aber nun keinen Jahresrückblcik 🙂 , sondern bringe noch einmal zwei Entscheidungen, und zwar zunächst das LG Saarbrücken, Urt. v. 02.11.2018 – 13 S 104/18 -, auf das ja schon der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog hingewiesen hat.

Entschieden hat das LG Saarbrücken eine „Auffahrunfallsituation“, allerdings mit der Besonderheit, dass an dem Unfall ein Fahrschulfahrzeug beteiligt war. Dieses hatte beim Ausfahren aus einem Kreisverkehr unvermittelt strag abgebremst, so dass das dahinter befindliche klägerische Fahrzeug auffuhr. Der Kläger hat die Hälfte seines Schadens geltend gemacht. Das AG hat stattgegeben. Es ist von im Rahmen der Haftungsverteilung von gleichwertigen Verursachungsbeiträgen ausgegangen. Das LG hat das (teilweise) anders gesehen:

„1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass sowohl die Beklagten als auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7,17 Abs. 1, 2, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte, wird von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.

2. Das Erstgericht hat in die danach gebotene Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen der Beklagtenseite zuzurechnenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO eingestellt, da das Fahrschulauto ohne zwingenden Grund stark abgebremst worden sei. Dies nimmt die Berufung hin.

3. Ferner hat der Erstrichter einen der Klägerin zuzurechnenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO aufgrund unzureichenden Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden Fahrzeug eingestellt. Dies ist im Ergebnis zutreffend.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer im Straßenverkehr auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins (BGH, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 16.01.2007 – VI ZR 248/05, VersR 2007, 557; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 146; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 4, Rn. 42, jeweils m.w.N.).

b) Der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis kann nach allgemeinen Grundsätzen dadurch erschüttert werden, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Lichte erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird (BGH, st. Rspr., vgl. Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177; vom 16.01.2007 a.a.O. m.w.N.). Soweit dies in Rechtsprechung und Literatur in Fällen in Betracht gezogen wird, in denen dem Auffahrenden der Nachweis gelingt, dass der Vorausfahrende sein Fahrzeug ohne zwingenden Grund stark abbremste (vgl. Helle in: Freymann/Wellner, a.a.O., Rn. 51.1 m.w.N., zur gegenteiligen Auffassung: OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. April 2017 – 9 U 189/15, NJW 2017, 2626) kann dies jedenfalls nicht für Unfallsituationen gelten, in denen mit einem abrupten Abbremsen auch ohne zwingenden Grund gerade typischerweise zu rechnen ist.

c) So liegt der Fall hier: Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem deutlich als solchen gekennzeichneten Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen, auch ohne dass sie durch eine vor dem Fahrschulfahrzeug bestehende Verkehrssituation hervorgerufen werden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen (AG München, Urteil vom 14.06.2005 – 322 C 36909/04; AG Hannover, Urteil vom 05.07.2013 – 417 C 3415/13, AG München, Urteil vom 23.09.1971 – 10 C 2090/70). Denn das grundlose Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehört zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Dementsprechend kann der Umstand, dass der Fahrschulwagen nach den Feststellungen des Erstgerichts vorliegend ohne zwingenden Grund abgebremst wurde, nicht zu einer Erschütterung des Anscheinsbeweises herangezogen werden, weshalb es auf Klägerseite bei dem festgestellten Sorgfaltsverstoß gegen § 4 Abs. 1 S.1 StVO verbleibt.

4. Mit Erfolg wendet sich die Berufung allerdings gegen die Annahme gleichwertiger Verursachungsbeiträge im Rahmen der Haftungsverteilung.

a) Soweit das Amtsgericht von einer hälftigen Mitverursachung beider Seiten ausgegangen ist, würdigt dies die gesonderte Sorgfaltspflicht des hinter dem Fahrschulwagen befindlichen Fahrzeugs nicht ausreichend. Die Verpflichtung, den Sicherheitsabstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so zu bemessen, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird, trifft grundsätzlich jeden Verkehrsteilnehmer. Vorliegend hatte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs aber zudem besondere Vorsicht walten zu lassen, denn die deutliche Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten dient dem Zweck, auf das insoweit erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens, vorliegend in Form des unvermittelten Abbremsens ohne zwingenden Grund, hinzuweisen (AG München, a.a.O. – 322 C 36909/04). Anders als in dem vom LG Ellwangen (Urteil vom 15.11.1979 – III S 3/79 (11); VersR 1980, 586) entschiedenen Fall, das eine hälftige Haftungsverteilung angenommen hatte, kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass in der streitgegenständlichen Verkehrssituation mit einem abrupten Abbremsen des Fahrzeugs grundsätzlich unter keinen Umständen zu rechnen gewesen wäre. Denn der Ehemann der Klägerin hat bei seiner Vernehmung selbst angegeben, die herannahende Person in einer Entfernung von ca. 4 Metern wahrgenommen zu haben (Bl. 71 d.A.). Eine Reaktion des voranfahrenden Fahrschulwagens auf die sich der Fahrbahn nähernde Person war daher nicht völlig fernliegend und hätte bei der Wahl des Sicherheitsabstands einkalkuliert werden müssen.

b) Andererseits wurde der Fahrschulwagen vorliegend beim Verlassen des Kreisverkehrs und damit an einer Stelle bis zum Stillstand abgebremst, die dem nachfolgenden Verkehr räumlich wenig Reaktionsmöglichkeiten lässt, ggfs. zu einem Anhalten innerhalb des Kreisels zwingt und damit besonders gefährlich ist. Aus diesem Grund tritt die Betriebsgefahr des Fahrschulfahrzeugs hier nicht zurück. Die Kammer hält vielmehr eine Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten der Klägerin und 30 % zu Lasten der Beklagten für gerechtfertigt.“

Zusammenstoß mit geöffneter Fahrertür beim Einparken, oder: Wer haftet wie?

entnommen wikimedia.org Autor: Urheber Mediatus

Heute dann zum vorletzten Mal in 2018 ein „Kessel Buntes“. Zunächst befindet sich da das LG Saarbrücken, Urt. v. 02.11.2018 – 13 S 70/18. Es entscheidet über eine alltägliche Verkehrssituation, die man immer wieder beobachten kann, nämlich der Zusammenstoß  zweier Fahrzeuge beim Einfahren in eine Parkbucht mit der geöffneten Fahrertür eines in der benachbarten Parkbucht stehenden Fahrzeugs. Der Kläger hatte restlichen Schadensersatz aus einem solchen Verkehrsunfall geltend gemacht. Die Zeugin pp. war als Fahrerin des Pkw des Klägers in eine freie Parkbucht eingefahren und war dabei mit der geöffneten Fahrertür des Fahrzeugs der Beklagten. Auf den Gesamtschaden von 5.057,34 € zahlte die Versicherung die Sachverständigenkosten von 518,34 € sowie weitere 1.997,33 € an den Kläger. Den Restschaden von 2.541,67 € nebst Zinsen und weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten machte der Kläger mit der Behauptung geltend, die Fahrerin seines Pkw habe sich mit seinem Pkw bereits neben dem Beklagtenfahrzeug befunden, als dort plötzlich die Tür geöffnet worden sei. Dass auf dem Fahrersitz des Beklagtenfahrzeuges jemand gesessen habe, sei für die Zeugin pp. wegen getönten und spiegelnden Scheiben sowie wegen der Nackenstützen nicht erkennbar gewesen.

Das AG hat die Klage nach Beweisaufnahme bis auf 12,50 € für die hälftige Unkostenpauschale abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Unfall sei nicht mehr aufklärbar, weshalb die Beteiligten jeweils hälftig für die Unfallfolgen hafteten. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte einen Teilerfolg.

„Die form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung hat in der Sache einen Teilerfolg.

1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil der Unfallschaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden ist, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Das ist zutreffend. Soweit die Berufung meint, das Erstgericht habe insoweit verkannt, dass die Zeugin … unstreitig nicht erkennen konnte, ob jemand auf dem Fahrersitz saß, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Unabwendbar ist ein Ereignis nämlich nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, st. Rspr.; vgl. BGHZ 113, 164, 165; 117, 337; Urteil vom 23.09.1986 – VI ZR 136/85VersR 1987, 158, 159 m.w.N.). Dass sie diesen Anforderungen genügt hätte, konnte die Klägerseite nicht nachweisen. Ein Idealfahrer hat beim Einfahren in eine Parktasche, bei der er nicht ausschließen kann, dass aus einem seitlich stehenden Fahrzeug jemand aussteigen wird, nur so vorsichtig einzufahren, dass er jederzeit, auch bei einem plötzlichen Türöffnen anhalten kann. Da die Zeugin pp. nach der Kollision nach den Sachverständigenfeststellungen (GA 96) noch rd. 1,6 Meter bis zum Endstand weitergefahren ist und es angesichts sich widersprechender Aussagen der Erstbeklagten und der Zeugin pp. nicht sicher feststeht, ob das Klägerfahrzeug erst nach einem kollisionsbedingten Anhalten weiterbewegt wurde, bleibt offen, ob die Zeugin pp. hinreichend vorsichtig eingefahren war und sofort angehalten hatte. Dies geht zu Lasten des dafür beweisbelasteten Klägers.

2. Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Haftungsabwägung rügt die Berufung indes mit Recht, dass das Erstgericht zu Lasten der Beklagten keinen Verstoß der Erstbeklagten gegen die beim Türöffnen gebotene Sorgfalt eingestellt hat.

a) Zwar findet § 14 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen grundsätzlich keine unmittelbare Anwendung. Denn diese Vorschrift, die ein Höchstmaß an Sorgfalt von dem Aussteigenden verlangt, schützt den fließenden Verkehr (vgl. OLG Frankfurt OLGR 2009, 850 ff.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 14 Rn. 5; Kammer, Urteil vom 22. Februar 2013 – 13 S 202/12, NZV 2013, 594; in der Sache auch OLG Karlsruhe VersR 2012, 875). Allerdings trifft den Aussteigenden auch auf Parkplätzen im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können auch auf öffentlichen Parkplätzen die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann. Aus diesem Grund hat auch der Ein- und Aussteigende auf öffentlichen Parkplätzen – anders als auf privaten Parkflächen, auf denen kein besonderer Fahrverkehr zu erwarten ist – besondere Vorsicht und Achtsamkeit walten zu lassen (vgl. Kammerurteil vom 9.3.2018 – 13 S 158/17, SVR 2018, 341; Hentschel/König/Dauer aaO Rn. 9 und die Nachweise bei Freymann, DAR 2018, 242, 246).

c) Ob zu Lasten des Türöffnenden auf dem Parkplatz auch – wie bei § 14 StVO – ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden eingreift (zum Streitstand etwa Freymann DAR 2018, aaO), kann hier offen bleiben. Denn die Erstbeklagte hat in ihrer Anhörung dargelegt, dass sie sich lediglich vergewissert habe, ob neben ihr ein Fahrzeug stehe, nicht ob ein Fahrzeug von hinten einfahren werde. Dies war unter den gegebenen Umständen sorgfaltswidrig. Denn unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt muss der Türöffnende während des gesamten Vorgangs des Türöffnens hinweg den rückwärtigen Verkehr beobachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die bereits geöffnete Tür in die danebenliegende Parkbucht hineinragt und dadurch die Gefährlichkeit eines Zusammenstoßes mit einem einfahrenden Fahrzeug erhöht ist (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2018 – 13 S 158/17 -, juris). So lag es hier. Ausweislich der Lichtbilder vom Unfallort, die sich in der beigezogenen polizeilichen Unfallakte befinden, stand das Beklagtenfahrzeug knapp neben der linken Parktaschenbegrenzung, während das Klägerfahrzeug innerhalb der links davon gelegenen Parkbucht von der rechten Begrenzung deutlichen Abstand einhielt. Da es sich insoweit laut Angaben der Unfallbeteiligten hinsichtlich der seitlichen Abstände um die Unfallendstellung handelte, muss die nach Berechnung des Sachverständigen um 45 Grad geöffnete Tür am Fahrzeug der Erstbeklagten deutlich in die benachbarte Parkbucht hineingeragt haben, damit eine Kollision stattfinden konnte. Angesichts dieser Gefahrerhöhung, die sich im Unfall auch realisiert hat, wäre die Erstbeklagte verpflichtet gewesen, sich in die Nachbarbucht einfahrenden Fahrzeugen zu versichern. Dass sie diesen Anforderungen nicht genügt hat, ergibt sich schon daraus, dass sie das Beklagtenfahrzeug vorkollisionär nicht wahrgenommen hat.

3. Demgegenüber lässt sich ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß der Zeugin pp. nicht nachweisen.

a) Allerdings hat auch der Einparkende nach § 1 Abs. 2 StVO auf den neben seiner Parklücke befindlichen Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen. Dabei sind an die Sorgfalt des Fahrers eines Fahrzeugs, der in eine rechtwinklig zur Durchfahrtrichtung angeordnete Parktasche einparken will, keine geringeren Sorgfaltsanforderungen zu stellen als an den Fahrer oder Mitfahrer eines neben dieser Parklücke abgestellten weiteren Fahrzeugs beim Aussteigen (vgl. OLG Frankfurt, NJW 2009, 3038). Insbesondere wenn der Einfahrende konkreten Anlass dafür hat, mit einem Türöffnen des bereits eingeparkten Fahrzeugs zu rechnen, muss er danach noch vorsichtiger als ohnehin schon geboten in die daneben liegende Parktasche einfahren (vgl. Hinweisbeschluss der Kammer vom 3. November 2014 – 13 S 140/14).

b) Danach durfte die Zeugin pp. hier nur mit gesteigerter Vorsicht in die Parklücke einfahren. Da die Erstbeklagte in dem Beklagtenfahrzeug saß, musste die Zeugin nämlich damit rechnen, dass diese die Tür öffnen würde. Soweit sie vorträgt, sie habe nicht erkennen können, ob in dem Beklagtenfahrzeug jemand saß, gilt nichts anderes. Denn die Vorsichtspflicht gilt, solange der Einparkende nicht sicher ausschließen kann, dass sich jemand im Nachbarfahrzeug befindet (Vgl. Kammerurteil NZV 2009, 501; AG Haßfurt, Urteil vom 20. März 2013 – 2 C 578/11 -, juris).

c) Zu Recht hat das Erstgericht jedoch nicht feststellen können, dass die Zeugin pp. gegen diese Pflicht verstoßen hat. Ausgehend von den unangegriffenen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen lassen sich weder Geschwindigkeit noch das vorkollisionäre Verhalten des Beklagtenfahrzeuges feststellen. Unter diesen Umständen kann aber nicht verlässlich ausgeschlossen werden, dass die Zeugin … angemessen langsam in die Parklücke eingefahren ist und die Tür erst geöffnet wurde, als die Zeugin pp. eine Kollision nicht mehr durch ein Abbremsen oder ein Warnzeichen hätte verhindern können. Die Beklagtenseite hat folglich den ihr obliegenden Nachweis einer unfallursächlichen Pflichtverletzung der Klägerseite nicht geführt.

4. Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt zu einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten der Beklagten. Dem Verstoß der Erstbeklagten gegen die besonderen Pflichten beim Türöffnen steht die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs entgegen, die unter den gegebenen Umständen nicht hinter diesen Verstoß zurücktritt. Dass es beim Einfahren in eine Parklücke zu einer Kollision mit einer sich öffnenden Tür kommt, gehört zu den typischen, mit dem Betrieb des einfahrenden Fahrzeugs verbundenen Gefahren auf einem Parkplatz. Ein Zurücktreten dieser Betriebsgefahr kommt nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer zu Parkplatzunfällen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert ist (Kammer, Urteile vom 27. Mai 2011 – 13 S 25/11, Schaden-Praxis 2012, 66; vom 19. Oktober 2012 – 13 S 122/12, RuS 2013, 199; vom 7. Juni 2013 – 13 S 31/13, NJW-RR 2013, 1249 und vom 18. Juli 2014 – 13 S 75/14, NZV 2014, 572). Solche besonderen Umstände sind hier indes nicht nachgewiesen.

Auffahrunfall an der Ampel, oder: Der Auffahrende haftet allein

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Es ist Samstag, und da öffne ich ja immer den „Kessel Buntes“. Und in dem findet man heute als erste Entscheidung den OLG Celle, Beschl. v. 07.05.2018 – 14 U 60/18 – zum Sorgfaltsmaßstab beim Abbremsen anlässlich des Umspringens einer Ampel von Grün- auf Gelblicht. Zugrunde liegt der Entscheidung ein Unfallgeschehen, das nicht allzu ungewöhnlich ist. Der Beklagte nähert sich einer Lichtzeichenanlage. Er bremst, als die für ihn von grün auf gelb umschaltet. Zum Stehen kommt der Beklagte 1,5 m hinter der Haltelinie. Der Kläger fährt auf.

Das LG ist von alleiniger Haftung des Klägers ausgegangen. Das OLG bestätigt das in seinem Beschluss:

….Es ist nicht zu beanstanden, dass die Einzelrichterin für das Unfallgeschehen vom 30. November 2015 in W. auf der H. in Höhe der Einmündung zur H. Straße eine alleinige Haftung des Klägers angenommen hat. Der Senat teilt die Erwägungen der Einzelrichterin, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nach einer eigenen kritischen Überprüfung vollends. Anders als der Kläger meint, ist der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert (im Folgenden 1.). Es war im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG auch geboten, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug vollständig hinter den Verkehrsverstößen des Klägers gemäß §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 und 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO zurücktreten zu lassen (im Folgenden 2.). Verfahrensfehler sind der Einzelrichterin nicht vorzuwerfen; insbesondere war ein Ergänzungsgutachten nicht zwingend erforderlich (im Folgenden 3.).

1. Der gegen den Kläger als Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist vorliegend nicht dadurch erschüttert, dass dem Beklagten zu 1) vorgeworfen werden müsste, gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Ergebnis der von der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des LG Hannover durchgeführten Beweisaufnahme ist bewiesen, dass der Beklagte zu 1) noch vor der Haltelinie der Ampelanlage zu bremsen begonnen hat, weil diese von grün auf gelb umgesprungen war. Dem steht nicht entgegen, dass das Beklagtenfahrzeug erst 1,5 m hinter der Haltelinie bis zum Stillstand abgebremst worden ist. Gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO ordnet Gelblicht an, vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen zu warten. Der Kreuzungsbereich beginnt jedoch nicht an der Haltelinie, sondern erst dort, wo sich die Fahrspuren der Geradeausfahrenden mit denjenigen der Abbiegenden kreuzen [OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1977, Orientierungssatz, zitiert nach juris; OLG Hamm, VRS 56, 383]. Der gesamte innerhalb der Haltelinien liegende Verkehrsraum ist vom Schutzbereich der Norm erfasst [Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, Bearbeiter König zu § 37 StVO Rn. 8]. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) deutlich vor dem gefährlichen Kreuzungsbereich angehalten, nämlich noch vor dem Ende der Linksabbiegerspur (siehe Skizze auf Seite 8 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 29. August 2017, Anlage zur Akte). Da der Beklagte zu 1) folglich den eigentlichen (gefährlichen) Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hatte, war sein Bremsmanöver bis zum Stillstand gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO geboten [vgl. OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1997, Orientierungssatz; KG Berlin <12 U 2354/87>, Urteil vom 23.11.1987, Orientierungssatz; beide zitiert nach juris]. Ihm ist auch kein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO anzulasten, weil bei einem Umschalten der Ampel von grün auf gelb der Hintermann mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss [Hentschel/König/Dauer-König zu § 4 StVO Rn. 16] und der Kraftfahrer bremsen muss, solange der Anhalteweg spätestens bis zum Kreuzungsbereich (siehe oben) ausreicht [ders. zu § 37 StVO Rn. 24 m. w. N.]. Eine nicht gebotene Gefahrenbremsung oder eine in dieser Situation unzulässige besonders starke Bremsung hat der Beklagte zu 1) schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht durchgeführt, worauf ihn die Einzelrichterin in dem angefochtenen Urteil (Seite 8 LGU) bereits hingewiesen hat. Es durfte vorliegend dem Beklagten zu 1) nicht zugemutet werden, bei Gelblicht in den Kreuzungsbereich einzufahren, nur um auf die mögliche Unaufmerksamkeit nachfolgender Kraftfahrer Rücksicht zu nehmen.

2. Die Abwägung der Einzelrichterin im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG dahin, dass der Kläger allein haftet und die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug (§ 7 Abs. 1 StVG) vollends hinter den Verkehrsverstößen des Klägers zurücktritt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO verstoßen, während dem Beklagten zu 1) aus den unter Ziffer 1. gemachten Ausführungen kein Verkehrsverstoß trifft. Der Kläger musste beim Umspringen der Ampel von grün auf gelb mit einem plötzlichen abruptem Abbremsen des Vordermannes rechnen [siehe oben unter Ziffer 1.; BGH, NJW-RR 2007, 680; OLG Karlsruhe, NJW 2013, 1968; KG Berlin, NZV 2003, 42]. Da der Kläger auf eine Ampelanlage zusteuerte, die ausweislich der Lichtbilder im Sachverständigengutachten gut einsehbar gewesen ist, hätte er mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren müssen, weil mit einem Umschalten der Lichtzeichenanlage jederzeit zu rechnen war. Da der im vorausfahrende Beklagte zu 1) es noch geschafft hat, sein Fahrzeug ohne Gefahrenbremsung vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anzuhalten, als die Ampel von grün auf gelb umsprang, wäre dies für den Kläger bei der nötigen Aufmerksamkeit gleichfalls möglich gewesen, da er noch weiter von der Lichtzeichenanlage entfernt war. Der Kläger hätte folglich selbst die Pflicht gehabt, vor der Ampel anzuhalten. Unter diesen Umständen erscheint es auch dem Senat gerechtfertigt, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers vollends zurücktreten zu lassen [vgl. auch Rechtsprechungsnachweis bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Auflage, Rn. 118; OLG Karlsruhe <10 U 208/86>, Urteil vom 09.01.1987, Leitsatz, zitiert nach juris].