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Falsches Geständnis ist „grob fahrlässig“, oder: Keine Entschädigung im Bonner „Mord ohne Leiche“-Fall

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Ich erinnere: In Bonn hat es ein „Mordverfahren“ gegeben, das unter dem Begriff „Mord ohne Leiche“ bekannt geworden ist. Das LG Bonn hatte den ehemaligen Angeklagten zunächst wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Der BGH hat das Urteil dann im BGH, Beschl. v. 27.10.2015 – 2 StR 4/15 aufgehoben (vgl. dazu mein Posting Mord ohne Leiche, oder: Weiterer Sex nur bei Geständnis). Mit LG Bonn, Urt. v. 21.12.2016 – 21 Ks 2/16, 920 Js 887/12 – ist der Angeklagte dann frei gesprochen worden. Eine Entschädigung nach dem StrEG ür die vom 31.08.2013 bis zum 16.03.2016 erlittene Untersuchungshaft hat das LG wegen grob fahrlässiger Verursachung seiner Inhaftierung durch ein Eingeständnis der Tötung seiner Ehefrau gegenüber einer Zeugin abgelehnt. Das OLG Köln hat das im OLG Köln, Beschl. v. 03.05.2017 – 2 Ws 237/17 – gehalten. Seine Begründung stützt das OLG auf „eigenes Verschulden“/grob fahrlässiges Verhalten.

Und zwar: Der ehemalige Angeklagte habe selbst zumindest grob fahrlässig die Ursache für seine Inhaftierung gesetzt, indem er im Juli 2013 – wahrheitswidrig – der ihn insistierend zum Verschwinden seiner Ehefrau befragenden Zeugin erklärte, er habe seine Frau erwürgt und ihre Leiche zerstückelt und in der Folgezeit über mehrere Wochen hinweg auf hartnäckiges Befragen der Zeugin weitere Details zum Tatablauf schilderte. Dieses Verhalten sei war nicht ausschließlich, jedoch entscheidend für die Annahme des dringenden Tatverdachts durch die Ermittlungsbehörden gewesen.

Und: Der ehemalige Angeklagte habe auch grob fahrlässig gehandelt

„Entgegen der Ansicht des früheren Angeklagten handelte er auch grob fahrlässig. Der Freigesprochene hat die Untersuchungshaft dann zumindest grob fahrlässig verursacht, wenn er nach objektiven, abstrakten Maßstäben in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, indem er schon einfachste naheliegende Überlegungen anzustellen versäumt oder dasjenige nicht bemerkt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste, und so die Maßnahme „geradezu herausfordert“ (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 11.01.2012, 2 Ws 351/11, NStZ-RR 2013, 192).

Das Verhalten des früheren Angeklagten erfüllt diese Voraussetzungen.

Aufgrund der gegen ihn bereits angeordneten Ermittlungsmaßnahmen, der Heimunterbringung seines Kindes und seines Umzuges zu den Eltern nach C war ihm bewusst, dass er aus Sicht der Ermittlungsbehörden jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachtes verdächtig war, seine Ehefrau getötet zu haben. Ihm musste daher bewusst gewesen sein, dass seine Angaben gegenüber der Zeugin B, mit denen er sich selbst der vorsätzlichen Tötung seiner Ehefrau bezichtigte und detaillierte Ausführungen zum Tatgeschehen und zur Beseitigung der Leiche machte, den gegen ihn bereits bestehenden Anfangsverdacht zu einem dringenden Tatverdacht verstärken und den Erlass eines Haftbefehls gegen ihn rechtfertigen würden.

Der frühere Angeklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass seine Selbstbezichtigung gegenüber der Zeugin B den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Kenntnis gelangen würde. Es kann dabei dahinstehen, ob das zwischen der Zeugin B und dem früheren Angeklagten aufgezeichnete Gespräch vom 30.08.2013 im Rahmen der vorliegenden Entschädigungsentscheidung berücksichtigt werden darf. Jedenfalls aus den weiteren, für den Senat bindenden Feststellungen des Urteils folgt, dass dem früheren Angeklagten hätte einleuchten müssen, dass die Schilderung von Einzelheiten eines Kapitaldelikts zum Nachteil seiner Ehefrau im Ergebnis bekannt werden und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn auslösen würde. Nach den getroffenen Feststellungen hat die Zeugin B mit ihm im Juni 2013, nur zwei Monate nach dem sich beide kennengelernt hatten, gemeinsam die Strafakten gelesen und ihm – auch unter Hinweis auf seine Tätigkeit beim Sicherheitsdienst – dauernd vorgehalten, dass er mit der Tötung seiner Ehefrau etwas zu tun habe. Deshalb habe es zwischen ihnen auch „Stress“ gegeben. Die „ganze Fragerei“ und die Sache mit „Allmysterie“ – eine von der Zeugin B häufig besuchte Internetplattform, die sich mit ungeklärten Kriminalfällen befasst, auch dem Verschwinden von T E – seien ihm schon komisch vorgekommen. Es hätte sich dem früheren Angeklagten vor diesem Hintergrund und der von der Kammer geschilderten Persönlichkeit der Zeugin B, deren Leben das Zusammensein mit dem früheren Angeklagten eine besondere Bedeutung verlieh (Seite 33, 2. Absatz UA), aufdrängen müssen, dass die Zeugin B seine Selbstbezichtigung nicht für sich behalten würde. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift kommt es dabei auch nicht darauf an, ob der frühere Angeklagte nicht davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B sich persönlich an die Polizei wenden würde. Ihm hätte sich jedenfalls aufdrängen müssen, dass sich die Zeugin B in einem der von ihr besuchten Internetforen oder auch, wie vorliegend geschehen, gegenüber einer Freundin, der Zeugin T2, offenbart, die sich ihrerseits an die Ermittlungsbehörden – wie geschehen – wendet.“

Zum Hintergrund: Im Verfahren nach dem StrEG ist das Beschwerdegericht gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG i. V. m. § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO an die Urteilsfeststellungen gebunden.

Aufgepasst: Am 1. Weihnachtsfeiertag nicht ablenken lassen….. das kann teuer werden

Allmählich wird es ja ruhiger und alle (?) bereiten sich auf Weihnachten vor. Bei der Suche nach einer passenden Entscheidung zur Einstimmung bin ich auf das OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.1999 – 4 U 182/98 – gestoßen, das den Hausratsversicherungsschutz nach einem Adventskranzbrand behandelt. Es enthält eine Passage, die zeigt, wie „vorsichtig“ 😉 Gerichte formulieren können. Es heißt im Urteil:

…..Am 1. Weihnachtsfeiertag 1997 entzündete der Kläger nach dem Aufstehen zunächst im Wohnzimmer die Kerzen des aus echtem Tannengrün gebundenen Adventskranzes, der auf einer Glasplatte auf dem mit einer Kunststofftischdecke gedeckten Wohnzimmertisch stand. Anschließend bereitete er in der Küche den Frühstückskaffee zu und begab sich nach einem Blick auf den Adventskranz wieder in das Schlafzimmer, um seine Lebensgefährtin zu wecken, von der er danach aufgehalten wurde. Er verließ das Schlafzimmer erst einige Zeit später. Dabei bemerkte er Brandgeruch und Rauchschwaden im ganzen Haus, die durch den Adventskranz im Wohnzimmer verursacht wurden, der sich zwischenzeitlich entzündet hatte. Die alarmierte Feuerwehr mußte nicht mehr eingreifen, da es dem Kläger bis zu ihrem Eintreffen gelang, den Brand selbst zu löschen.

In seiner „Brandschaden-Anzeige“ vom 2. Januar 1998 und in der „Verhandlungs-Schrift“ vom 6. Januar 1998 gab der Kläger an, um 10. 00 Uhr aufgestanden zu sein. In seinem Anspruchsschreiben vom 30. Januar 1998 berichtigte er diese Angabe auf 8. 00 Uhr. Den Zeitpunkt des Schadenseintritts und der Alarmierung der Feuerwehr gab er – damit übereinstimmend – im Prozeß zunächst mit ca. 9. 00 Uhr an. In seinem Schriftsatz vom 21. Juli 1998 trug er hiervon abweichend vor, die Nachfrage bei der Feuerwehr habe ergeben, daß die ursprünglichen Angaben zum Schadenszeitpunkt mit ca. 10. 00 Uhr zutreffend gewesen seien. Es verbleibe dabei, daß der ganze Vorgang vom Anzünden der Kerzen bis zum Anruf bei der Feuerwehr ca. 1 Stunde gedauert habe…..“

„“von der er danach aufgehalten wurde“….. lässt manche Deutungen zu……. ;-). Auf jeden Fall gilt: Nicht ablenken lassen, wenn die Kerzen am Weihnachtsbaum brennen.

Entschädigung nach dem StrEG

Der Beschl. des OLG Celle v. 16.02.2011 – 1 Ws 78/11 nimmt Stellung zur Entschädigung nach dem StrEG für eine einstweilige Unterbringung. Das LG hatte einen Anspruch der Beschuldigten verneint wegen grob fahrlässigen Verschuldens. Das OLG sagt:

Bei der Prüfung, ob eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen infolge grob fahrlässigen Verschuldens derselben nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen ist, ist auch zu berücksichtigen, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten im Zeitpunkt des ursächlichen Verhaltens erheblich eingeschränkt war; die bei vorsätzlicher Verursachung einer Strafverfolgungsmaßnahme regelmäßig genügende natürliche Einsichtsfähigkeit reicht für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus.“

Nach dem Schnee ist vor dem Schnee – Der Sommerreifen im Winter….

Bisher ist hier weitgehend die „Winterreifengeschichte“ ist aus OWi-Sicht gesehen worden. Passend zum Schneechaos der letzten Tage und Wochen bin ich nun auf ein Urteil des LG hamburg gestoßen, dass passend zu der Problematik :-)) aus dem Sommer 2010 stammt. Das LG Hamburg  hat in seinem Urt. v. 02.07.2010 – 331 S 137/09 ausgeführt, dass das Fahren mit Sommerreifen im Winter allein (noch) nicht grob fahrlässig . Auch wenn bei winterlichen Verhältnissen mit Sommerreifen gefahren werde und der PKW von der Strasse abkomme, seit darin allein noch kein grob fahrlässiges Handeln zu sehen. Denn grob fahrlässiges Handeln setze neben einem objektiv verkehrswidrigen Verhalten subjektiv ein erheblich gesteigertes Verschulden voraus. Diese Voraussetzung seidurch das Fahren mit Sommerreifen noch nicht erfüllt. Das Gesetz (zu der Zeit § 2 Abs. 3 a StVO a.F.) sehe vor, dass die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen sei. Von grober Fahrlässigkeit sei daher nicht auszugehen, wenn nach dem Vortrag des Fahrzeugführers nicht auf allen Straßen winterliche Verhältnisse, sondern wechselnde Witterungsverhältnisse geherrscht hätten. Und was gilt jetzt, nachdem nicht mehr auf die winterlichen Straßenverhältnisse abgestellt wird? Im zweifel wird man ähnlich argumnetieren können, oder?