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StrEG II: Ausschluss des Entschädigungsanspruchs, oder: Zeitpunkt für Beurteilung grober Fahrlässigkeit

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In der zweiten Entscheidungen zur Entschädigung nach dem StrEG, dem LG Bielefeld, Beschl. v. 18.05.2021 – 8 Qs 175/21 – nimmt das LG (noch einmal) zum Ausschluss des Entschädigungsanspruch nach § 5 Abs. 2 StrEG Stellung.

Am 18.03 2020 hatten Polizeibeamte Führerschein, Kraftrad nebst Schlüssel und Fahrzeugschein des Betroffenen wegen des Verdachts sicher gestellt, dass dieser sich mit einem weiteren ehemaligen Beschuldigten gemäß § 315d Abs.1 Nr.3 StGB eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens strafbar gemacht habe.  Am 04.05.2020 wurde dann von der StA – nach verzögwerter/verspäteter Bearbeitung (endlich) beim AG die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die richterliche Bestätigung der Führerscheinbeschlagnahme beantragt. Diesen Antrag hat das AG am 19.06.2020  abgelehnt, weil – auch wenn von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Straßenverkehr ausgegangen werde – ein dringender Tatverdacht hinsichtlich einer Straftat, die eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB rechtfertige, nicht gegeben sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist als unbegründet verworfen worden.

Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren dann gemäß § 170 Abs.2 StPO  eingestellt hatte, hat dieser beantragt, die Entschädigungspflicht des Landes wegen der Sicherstellung seines Führerscheins und seines Kraftrades nebst Schlüssel und Fahrzeugschein für die Zeit vom 18.03.2020 bis zur Herausgabe am 26.06.2020 festzustellen.

Das hat das AG für den Zeitraum vom 15.05.2020 bis zum 26.06.2020 festgestellt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Entschädigung sei gemäß § 5 StrEG ausgeschlossen, weil der Betroffene durch sein verkehrswidriges Verhalten die Strafverfolgungsmaßnahme grob fahrlässig verursacht habe; lediglich für den Zeitraum der Sicherstellung, der auf die verspätete Bearbeitung des Verfahrens zurückzuführen sei, sei eine Entschädigung zu gewähren.

Dagegen die sofortige Beschwerde, die das LG als begründet angesehen hat.

„Aufgrund der Einstellung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens steht dem Betroffenen als ehemals Beschuldigten gemäß § 2 StrEG eine Entschädigung aus der Staatskasse insoweit zu, als er durch die Beschlagnahme seines Führerscheins und die Sicherstellung seines Kraftrades nebst Schlüssel und Fahrzeugschein einen Schaden erlitten hat.

Die Entschädigung ist nicht gemäß § 5 Abs.2 StrEG ausgeschlossen, weil der Betroffene diese Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätte.

Für die Beurteilung kommt es auf die Umstände an, die zum Zeitpunkt der Anordnung, bzw. Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme bekannt waren.

Es kann auch in den Taten selbst, die Gegenstand der Ermittlungen sind, ein Verhalten gesehen werden, welches einen Entschädigungsausschluss begründet (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. zu § 5 StrEG Rz.7; Cornelius in Graf, StPO, 3. Aufl., zu § 5 StrEG Rz10). Allerdings ist dann zu fordern, dass die Taten festgestellt sind (Cornelius, a.a.O.; OLG Celle NStZ-RR 2011, 223).

Das zum Entschädigungsausschluss führende Verhalten muss positiv feststehen; der Umstand, dass die gegen den Beschuldigten sprechenden Verdachtsgründe von den Strafverfolgungsorganen für ausreichend gehalten werden, ihn der angelasteten Tat überführen zu können, reicht für die Zurechnung des Vollzugs der Strafverfolgungsmaßnahme allein noch nicht aus ( Meyer, StrEG, zu § 5 Rz .38).

Auf der Basis des in der polizeilichen Strafanzeige vom 18.03.2020 aufgeführten Ermittlungsstands erfüllt die Fahrweise des Betroffenen keinen Tatbestand, der eine Entziehung seiner Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB rechtfertigen könnte. Insoweit wird auf die ausführlichen Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 19.06.2020 (Bl. 58-60 d.A.), mit dem die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt worden ist, und die ergänzende Begründung in dem auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ergangenen Beschluss der Kammer vom 09.10.2020 verwiesen.

Der Betroffene hat eine zeitweise Überschreitung von 50 km/h lediglich für möglich erachtet. Der frühere Mitbeschuldigte A., der versetzt hinter dem Betroffenen fuhr, hat eine Geschwindigkeit von über 70 km/h ausgeschlossen.

Eine höhere Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit kann objektiv nicht festgestellt werden; die von den Polizeibeamten beim Nachfahren vorgenommene Geschwindigkeitsschätzung reicht hierfür nicht aus.

Soweit aufgrund der Angaben des Betroffenen ein verkehrsordnungswidriges Verhalten durch Überschreiten der höchstzulässigen Geschwindigkeit und Nichteinhaltung des Rechtsfahrgebots angenommen werden kann, rechtfertigt dies nicht die Versagung einer Entschädigung nach § 5 Abs.2 StrEG wegen grob fahrlässiger Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahmen. Der Versagungstatbestand ist aufgrund seines Ausnahmecharakters eng auszulegen, so dass im Zweifelsfall ein Entschädigungsausschluss nicht anzunehmen ist (vgl. KG Berlin, 2 Ws 351/11, Beschluss vom 11.01.2012, zitiert nach juris; Cornelius, a.a.O. zu § 5 Rz 19).

Grob fahrlässig handelt, wer in ungewöhnlichem Maße die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, die eine verständige Person in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (Cornelius, a.a.O. zu § 5 Rz.17).

Das objektiv sicher feststellbare Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr stellt nicht einen derart gravierenden Sorgfaltspflichtverstoß dar, der geeignet erschiene, die Beschlagnahme seines Führerscheins und die Sicherstellung seines Kraftrades geradezu herauszufordern.“

Geht doch.

Abkommen von der Fahrbahn infolge ungeklärter Ursache, oder: Vielleicht doch Sekundenschlaf?

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei Entscheidungen zur Haftung nach Verkehrsunfällen.

Ich beginne mit dem OLG Celle, Urt. v. 01.07.2020 – 14 U 8/20. Es ist um die Haftung nach einem Verkehrsunfall infolge  Abkommen von der Fahrbahn gestritten worden. Die Klägerin und die beklagte Versicherung streiten über die Frage, ob der Unfall auf einem grob fahrlässigen Verhalten des bei der Beklagten beklagten Versicherungsnehmer beruht. Der ist vom AG rechskräftig wegen des Unfalls wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung und zu einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Das Urteil enthält keine Erklärung zum Grad des Fahrlässigkeitsvorwurfs. Der Beklagte war bei Nebel mit einer Geschwindigkeit von ca. 75 km/h von der gerade verlaufenden Fahrbahn abgekommen, in den Gegenverkehr geraten und dort frontal mit einem ihm entgegenkommenden Sattelzug kollidiert, dessen Fahrer – der Zeuge B. – den Unfall unstreitig nicht hatte vermeiden können.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, grob fahrlässig gehandelt zu haben, weil er bei einer Sichtweite von maximal 20 m mit unangemessener, erheblich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei bzw. sehr wahrscheinlich in einen Sekundenschlaf gefallen sei, wobei er vorherige Anzeichen für seine Übermüdung ignoriert gehabt habe. Der Beklagte hat dies bestritten und sein Verschulden als fahrlässig eingestuft. Die Klägerin habe lediglich Spekulationen im Ermittlungsverfahren aufgegriffen, die nicht bewiesen seien. Er sei es gewohnt gewesen, früh aufzustehen und habe ausreichend lang geschlafen gehabt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 203R – 204R d. A.).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Dagegen die Berufung, die keinen Erfolg hatte. Das OLG führt zum „Sekundenschlaf aus“:

„Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass vorliegend einiges für einen Sekundenschlaf des Beklagten als Unfallursache spricht, weil er nach den glaubhaften Angaben des Zeugen Bi. ohne zu bremsen oder auszuweichen quasi in Zeitlupe in den Gegenverkehr geraten und dort mit dem vom Zeugen B. gesteuerten Sattelzug kollidiert ist. Hiervon sind Polizei und Staatsanwaltschaft in dem beigezogenen Ermittlungsverfahren ausgegangen. Dass der Beklagte dies akzeptiert hat, verwundert aus strafrechtlicher Sicht nicht: Seine Verantwortung für die Tötung zweier Menschen und die Körperverletzung eines weiteren Mitfahrers sowie seines Unfallgegners konnte er nicht leugnen. Es kam ihm bei seinem Einspruch gegen den Strafbefehl ersichtlich maßgeblich darauf an, erträgliche Rechtsfolgen zu erzielen. Eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe dürfte unabhängig von ihrer genauen Höhe akzeptabel gewesen sein; eine einjährige Sperre für die Fahrerlaubnis jedoch nicht. Sein Einspruch hatte dann auch schließlich den Erfolg, dass die Maßregel auf ein zweimonatiges Fahrverbot reduziert worden ist.

Im Zivilverfahren ist die Frage, ob der Beklagte am Steuer eingeschlafen war, streitig: Zunächst hatte die Klägerin selbst vorgetragen, sie halte den im Ermittlungsverfahren angenommen Sekundenschlaf für spekulativ (Bl. 9 d. A.). Ihre spätere Behauptung, das Vorliegen eines Sekundenschlafs sei sehr wahrscheinlich (Bl. 157, 158, 198, 199 d. A.), hat der Beklagte ausdrücklich bestritten (Bl. 169, 170 d. A.). Auch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 12. November 2019 hat er erklärt, er glaube nicht, eingeschlafen zu sein (Bl. 175 d. A.). Den Sekundenschlaf des Beklagten muss die Klägerin beweisen. Die Angaben des Zeugen Bi. legen diese Unfallursache nahe, die einzig denkbar mögliche ist es jedoch nicht (siehe oben unter Ziffer 2.).

Aber selbst wenn man mit der Klägerin einen Sekundenschlaf des Beklagten annähme, führte dies – anders als sie meint – nicht ohne Weiteres zur Bejahung grober Fahrlässigkeit. Objektiv dürfte der Beklagte dann zwar grob fahrlässig gehandelt haben. Denn der Bundesgerichtshof hat schon vor Jahren nach sachverständiger Beratung entschieden, nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft bestehe der Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschlafe (einnicke), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnehme oder wenigstens wahrnehmen könne. Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Kenntnis, dass ein gesunder, bislang hellwacher Mensch nicht plötzlich von einer Müdigkeit überfallen wird. [BGH, Beschluss vom 18. November 1969 – 4 StR 66/69 -, Leitsatz und Rn. 38; OLG Frankfurt/M., Urteil vom 26. Mai 1992 – 8 U 184/91 -; BayOLG, Urteil vom 18. August 2003 – 1 St RR 67/03 -; LG Wiesbaden, Beschluss vom 22. Juni 2015 – 1 Qs 61/15 -, Rn. 16; alle zitiert nach juris].

Für die Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens bedarf es aber auch der Feststellung eines in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoßes gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (siehe oben). Ein leichtes Einnicken (sog. Sekundenschlaf) begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deshalb nur dann den Vorwurf eines leichtfertigen Handelns, wenn sich der Fahrer bewusst über von ihm erkannte Anzeichen einer Übermüdung hinweggesetzt hat [BGH, Urteil vom 31. Februar 2007 – I ZR 166/04 -, MDR 2007, 1383; OLGR Rostock 2009, 115 (117); OLG Koblenz, Beschluss vom 8. Juni 2006 – 10 U 1161/05 -, zitiert nach juris; OLGR Düsseldorf 2000, 144; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Oktober 2001 – 1 U 73/01 -, Orientierungssatz und Rn. 10, zitiert nach juris; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Januar 2007 – 10 U 949/96 -, Orientierungssatz und Rn. 14 m. w. N., zitiert nach juris]. Dies muss positiv festgestellt werden. Denn die Regeln des Anscheinsbeweises gelten insoweit nicht [BGH, Urteil vom 21. März 2007 – I ZR 166/04 -, Leitsatz und Rn. 20 m. w. N.; OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juli 2005 – 7 U 51/05 -, Orientierungssatz und Rn. 3 und 4; OLG Celle, Urteil vom 3. Februar 2005 – 8 U 82/04 -, Rn. 6 m. w. N.; alle zitiert nach juris]. Im Falle des Abkommens von der Fahrbahn, dessen Gründe nicht geklärt sind, ist nicht stets ein grob fahrlässiges Verhalten anzunehmen [OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juli 2005 – 7 U 51/05 -, Orientierungssatz; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. September 2009 – 4 U 375/08 -, Orientierungssatz und Rn. 57; beide zitiert nach juris]. Ein Sekundenschlaf kann „einfach fahrlässig“ nicht vorhergesehen worden sein [OLG Celle, Urteil vom 3. Februar 2005 – 8 U 82/04 -, Rn. 6 m. w. N.; zitiert nach juris], weil objektiv vorhandene Übermüdungserscheinungen häufig subjektiv nicht wahrgenommen werden [nach sachverständiger Beratung: Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 15. September 2009 – 4 U 375/08 -, Rn. 57; zitiert nach juris].

Vorliegend lässt sich nicht aufklären, ob der Beklagte objektive Übermüdungsanzeichen ignoriert oder sich bewusst hierüber hinweggesetzt hat. Er selbst bestreitet, überhaupt eingeschlafen zu sein. Ferner hat er erklärt, ca. 10 Minuten vor dem Unfall habe er sich noch mit seinem Beifahrer unterhalten gehabt, das Radio sei gelaufen und er sei es gewohnt gewesen, früh aufzustehen (Bl. 175 d. A.). Der einzige Beifahrer, der den Unfall überlebt hat, ist der Versicherungsnehmer der Klägerin; dieser hat ausweislich seiner Angaben gegenüber der Polizei am 14. April 2016 (Bl. 47 d. BA) hinter dem Beklagten gesessen und geschlafen. Deshalb ist auszuschließen, dass er Angaben zu dem subjektiven Empfinden des Beklagten zu seinen etwaigen Übermüdungserscheinungen machen kann. Unter diesen Umständen kann sich der Senat nicht die gemäß § 286 ZPO unter Ausschluss jeden vernünftigen Zweifels erforderliche Überzeugung bilden, der Beklagte habe den Unfall auch subjektiv grob fahrlässig verursacht, weil er unter Missachtung von objektiv vorhandenen Übermüdungserscheinungen eingeschlafen sei. Insoweit bleibt auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte auf die Gegenfahrbahn geraten sein könnte, weil er infolge der Fahrbahnsenke sowohl die Lichter aus dem Gegenverkehr als auch die Rückleuchten der vorausfahrenden Fahrzeuge aus den Augen verloren haben und kurzzeitig orientierungslos gewesen sein könnte. Dies wäre gleichfalls nicht völlig unentschuldbar.

Anders als die Klägerin meint, spricht auch die Dauer des Sekundenschlafs vorliegend nicht für einen subjektiv unentschuldbaren Sorgfaltsverstoß. Denn die Strecke, die der Beklagte bis zur Kollision mit dem Lkw auf der Gegenspur zurückgelegt hat, war bei einer zweispurig ausgebauten Landstraße kurz. Der Beklagte hat lediglich eine Fahrbahnhälfte gekreuzt. Eine andere Bewertung des Grades des Fahrlässigkeitsvorwurfs ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat den Sachverhalt im Rahmen des § 110 SGB VII zu prüfen hat. Bei der Beurteilung eines Verhaltens als grob fahrlässig kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, innerhalb welcher Anspruchsgrundlage dies geschieht. Entscheidend ist vielmehr, wie das Verhalten nach den Anforderungen des jeweils maßgeblichen Verkehrs zu beurteilen ist. Hierzu hat der Senat die vorstehend zitierte Rechtsprechung zum Sekundenschlaf im Straßenverkehr umfassend ausgewertet und den streitgegenständlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze subsumiert. Dem steht die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00 –, NJW 2001, 2092 – 2094 nicht entgegen. Denn hierbei handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung zu Unfallverhütungsvorschriften, die mit dem streitgegenständlichen Fall in keiner Hinsicht vergleichbar sind.“

Gebrauchwagenkauf vom gewerblichen Händler, oder: Welche Nachforschungspflichten bestehen?

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Und als zweite Entscheidung am heutigen Samstag dann der OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.01.2019 – 9 U 32/18. Problematik: Gutgläubiger Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs bzw. die Frage: Wann handelt ein Erwerber grob fahrlässig i.S. des § 932 Abs. 2 BGB. Das ist eine der Fragen, die man im Studium „rauf und runter deklinieren“ konnte und die einem dann in der Praxis dann doch eher selten begegnet (ist). Jedenfalls war das bei mir der Fall.

Dazu das OLG:

„Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Unter grober Fahrlässigkeit wird im Allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79 -, juris Rz. 22 = BGHZ 77, 274, 276; Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12 -, juris Rz. 11). Beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs begründet der Besitz desselben allein nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen des gutgläubigen Erwerbs eines solchen Kraftfahrzeuges, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 VI FZV bzw. früher den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 IV S. 2 StVZO a.F.) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12 -, juris Rz. 13; Urt. v. 13.09.2006 – VIII ZR 184/05 -, juris Rz. 17; Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95 -, juris Rz. 7, m.w.N.). Denn es muss in der Regel Argwohn erwecken und zu weiteren Nachforschungen Anlass geben, wenn der Veräußerer entweder den Kraftfahrzeugbrief nicht vorlegen kann oder wenn sich aus diesem ein vom Veräußerer personenverschiedener Halter ergibt (BGH, Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93 -, juris Rz. 19). Sinn und Zweck der Zulassungsbescheinigung Teil II bzw. früher des Fahrzeugbriefs besteht in dem Schutz des Eigentümers oder sonst dinglich am Kraftfahrzeug Berechtigten (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12 -, juris Rz. 14). Diese Prüfungen hat der Erwerber jedenfalls vorzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und liegen auch keine anderen Verdachtsmomente für ihn vor, treffen ihn keine weiteren Nachforschungspflichten (BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 92/12 -, juris. Rz. 14).“

Und dann setzt sich das OLG mit fünf Punkten auseinander, woraus man ableiten kann, worauf es ankommen kann. Nämlich:

(1) Den Beweis, dass es der Zeuge F. unterlassen hat, sich die Zulassungsbescheinigung Teil II anzusehen, hat die Beklagte nicht erbracht. Vielmehr ist das Landgericht nachvollziehbar zu der Feststellung gelangt, dass sich der Zeuge F., die Zulassungsbescheinigung Teil II angesehen hat……

(2) Aus dem Umstand, dass die Streitverkündete nicht als Halter in der Zulassungsbescheinigung Teil II eingetragen war, ergab sich keine weitergehende Nachforschungspflicht der Klägerin bzw. des Zeugen F..

Zwar muss demjenigen, der von einer Privatperson einen Gebrauchtwagen erwirbt, die nicht als Halter im Fahrzeugbrief ausgewiesen ist, sich der – eine Nachforschungspflicht auslösende – Verdacht aufdrängen, dass der Veräußerer auf unredliche Weise in den Besitz des Fahrzeugs gelangt sein könne (BGH NJW-RR 1987, 1456, 1457). Das gilt aber nicht für solche Fälle, in denen – wie hier – ein gebrauchtes Fahrzeug von einem Händler in dessen Geschäftsbetrieb erworben wird und dabei der Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II samt allen sonstigen Unterlagen übergeben wird (vgl. BGH NJW 1975, 735; NJW-RR 1987, 1456, 1457; NJW 1992, 310). Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs von einem Kfz-Händler reicht allein dessen fehlende Eintragung im Kfz-Brief zur Begründung der Bösgläubigkeit nicht aus, weil es nicht ungewöhnlich ist, dass ein Autohändler ein gebrauchtes Fahrzeug ohne vorherige Umschreibung verkauft (OLG Köln, Urt. v. 21.02.1996 – 6 U 167/94, Rn. 12; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.02.2009 – I-11 U 24/08, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris). Zum einen bringt es dem Kfz-Händler nichts, den Aufwand seiner eigenen Eintragung als Halter auf sich zu nehmen; zum anderen ist zu berücksichtigen, dass ein Fahrzeug nach der Verkehrsanschauung umso mehr an Wert verliert, je mehr Eigentümer in den Fahrzeugpapieren eingetragen sind (OLG Stuttgart, Urt. v. 27.02.2013 – 3 U 140/12, Rn. 2; OLG Düsseldorf, a.a.O.).

(3) Auch der Verkaufspreis von 15.500,00 Euro hatte keine weiteren Nachforschungspflichten für die Klägerin bzw. den Zeugen F. zur Folge. Dies gilt unabhängig davon, ob der von der Beklagten behauptete Marktwert von 32.100,00 Euro brutto zutreffend ist.

(4) Auch die konkreten Merkmale der Zulassungsbescheinigung waren nicht geeignet, eine Bösgläubigkeit der Klägerin bzw. des Zeugen F. zu begründen. Dies ist bei einer gefälschten Zulassungsbescheinigung nur dann anzunehmen, wenn sie als solche deswegen leicht durchschaubar ist (vgl. MüKo/Oechsler, BGB, § 932, Rn. 56). Dies war vorliegend nicht der Fall…..

(5) Der Umstand, dass ein Kfz-Händler – wie hier die Streitverkündete – drei ähnliche junge gebrauchte Fahrzeuge zum Verkauf angeboten hat, kann verschiedene unverfängliche Gründe haben und muss mithin bei einem Kunden eines Gebrauchtwagenhändlers ohne Weiteres keinen Verdacht aufkommen lassen……

 

Unfallursache: Querender Fuchs oder Alkohol?, oder: Egal, auf jeden Fall grob fahrlässig

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Schon etwas älter ist das LG Saarbrücken, Urt. v. 06.09.2018 – 14 O 162/17, das ich heute zunächst im „Kessel Buntes“ vorstelle. Die Verkehrssituation, die dem Urteil zugrunde liegt, ist sicherlich häufiger anzutreffen. Der Kläger macht nämlich gegenüber seiner Vollkaskoversicherungsvertrag Ansprüche geltend, die aus einem Verkehrsunfall mit seinem dort versicherten Pkw herrühren. Der Kläger hatte bei einer Fahrt auf einer Landstraße die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und war damit gegen einen Baum gefahren. Der Kläger hat für den „Kontrollverlust“ das plötzliche Queren der Fahrbahn durch einen Fuchs angeführt, dem er ausgewichen ist. Die Versicherung sieht die Unfallursache in einer Alkoholisierung des Klägers; eine Blutprobe hatte zwei Stunden nach dem Unfall noch eine BAK von 1,57 Promille. Das LG hat die Klage abgewiesen, es hat den Grund für den Unfall offen gelassen und meint: Egal, welche der beiden potentiellen Ursachen Unfallursache gewesen ist: Es liegt immer grobe Fahrlässigkeit vor, die zum Leistungsausschlu führt.

Hier dann die Leitsätze der Entscheidung:

1. Kommt es in Folge eines Ausweichmanövers, dass der Fahrzeugführer einleitet, um bewusst einem Fuchs auszuweichen, zu einer Beschädigung seines Fahrzeugs, so kann eine Leistungskürzung nach §§ 90, 83 Abs. 1, 81 Abs. 2 VVG auf null in Betracht kommen. Ein willentliches Ausweichen vor einem solch kleinen Tier stellt in der Regel ein grob fahrlässiges Fehlverhalten dar. In die Bemessung der Leistungskürzung sind auch die Größe des PKW – hier ein SUV – und das damit einhergehende Schadenrisiko bei der Kollision mit dem Fuchs miteinzubeziehen.
2. Eine vollständige Leistungskürzung wegen grober Fahrlässigkeit kommt insbesondere auch dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall dadurch grob fahrlässig herbeiführt, dass er sein Fahrzeug trotz absoluter Fahruntüchtigkeit (hier: Blutalkoholkonzentration von 1,57‰) im Verkehr geführt hat.
3. Kommen als alternative Geschehensabläufe nur die Verursachung eines Unfalls durch das Ausweichen vor einem Fuchs oder aufgrund des Fahrens im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit in Betracht und ist in beiden Fällen die Rechtsfolge eine Leistungsreduzierung auf null, so kann die tatsächliche Verursachung dahinstehen.

Die (zu) späte Nachtrunkbehauptung, oder: Dann gibt es keine Entschädigung

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Die letzte Entscheidung kommt heute aus dem Saarland. Es ist der LG Saarbrücken, Beschl. v. 05.06.2018 – 8 Qs 38/18, ergangen zu einer Entschädigungsfrage nach dem StrEG. Es geht mal wieder um die Versagung einer Entschädigung wegen grober Fahrlässigkeit (§ 5 Abs. 2 StrEG), und zwar nach einem Verfahren wegen einer Trunkenheitsfahrt. Der Beschuldigte war zwei Stunden nach der ihm vorgeworfenen Trunkenheitsfahrt von Ermittlungsbeamten in seiner Wohnung angetroffen worden. Diesen gegenüber hatte er nach Belehrung angegeben, das Fahrzeug geführt zu haben, weiter hatte er sich nicht geäußert. Die erste daraufhin abgenommene erste Blutprobe ergab einen Wert von 1,56 Promille, eine zweite ca. 30 Minuten später 1,42 Promille. Im Rahmen einer später über seine Verteidigerin erfolgten Einlassung gab der Betroffene an, er habe nach seiner Rückkunft in seiner Wohnung „mindestens fünf Flaschen dunkles Kellerbier à 0,5 l und mindestens zwei gut gefüllte Gläser Rotwein getrunken. Diese Angaben wiederholte er im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung. Das AG hat ihn frei gesprochen und später festgestellt, dass der Beschuldigte auf Grund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz zu entschädigen sei. Das LG hat auf die Beschwerde der StA eine Entschädigung versagt.

„Der ehemals Beschuldigte hat vorliegend grob fahrlässig im Sinne des § 5 Abs. 2 StrEG gehandelt, da er in ungewöhnlichem Maße die Sorgfaltspflicht außer Acht ließ, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (vergleiche zum Begriff der „groben Fahrlässigkeit“ BGH, Beschluss vom 17.07.1974, Az.: 2 StR 92/74, BeckRS 1974, 00116). Maßgeblich war dabei auf den Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme abzustellen (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 60. Aufl. 2017, Anh 5 StrEG, § 5, Rn. 10).

Der ehemals Beschuldigte hat vorliegend nach Belehrung über den Tatvorwurf der Trunkenheit im Verkehr Angaben gemacht, die den gegen ihn bestehenden Tatverdacht entscheidend erhärteten. Denn er hat gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten die in Rede stehende Fahrt zugestanden und seine Fahrereigenschaft ausdrücklich eingeräumt. Erst mit Schriftsatz vom 30.08.2017, mithin rund sechs Monate nach dieser Einlassung, ließ er über seine Verteidigerin den Nachtrunk vortragen, der letztlich zu dem freisprechenden Urteil führte. Das bloße Verschweigen des Nachtrunks wäre unter Umständen dann unschädlich gewesen, hätte sich der ehemals Beschuldigte überhaupt nicht zur Sache geäußert (§ 5 Abs. 2 S. 2 StrEG). Das hat er hingegen nicht getan, vielmehr hat er mit seiner teilgeständigen Einlassung zur Untermauerung des bestehenden Tatverdachts in erheblichem Maße beigetragen. Ein verständiger Mensch in der Situation des ehemals Beschuldigten hätte den Polizeibeamten, die bei ihm in direktem zeitlichem Zusammenhang mit der vorgeworfenen Tat erschienen waren, ohne schuldhaftes Zögern auch mitteilen können, dass umfangreicher Nachtrunk gehalten wurde (Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 69, Rn. 208; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.1977, Az.: 4 Ws 118/77, NJW 1978, S. 1017; zur Frage der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 S. 2 StrEG bei nicht sachgerechten Mitwirkung des Beschuldigten an einem Alkoholtest (bejahend): LG Passau, Beschluss vom 17.12.1985, Az.: 1 Qs 197/85, JurBüro 1986, S. 1218). Denn das Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände durch einen – wie hier – jedenfalls teilweise aussagebereiten Beschuldigten führt zur Versagung einer Entschädigung, wenn der Umstand dem Beschuldigten bekannt war und es sich um einen für seine Verteidigung wesentlichen entlastenden Punkt handelte, wie dies beim Verschweigen eines Nachtrunkes bei einem teilweise aussagewilligen Beschuldigten in aller Regel zu bejahen ist. Hat sich daher ein der Trunkenheit am Steuer verdächtiger Beschuldigter teilweise zur Sache eingelassen, dabei aber einen ihn entlastenden Nachtrunk verschwiegen, hat er die daraufhin gegen ihn angeordnete Führerscheinmaßnahme in grob fahrlässiger Weise selbst verursacht, sodass er demzufolge bereits nach § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG kraft Gesetzes von einer Entschädigung ausgeschlossen ist (Geppert, a.a.O., OLG Frankfurt am Main, a.a.O.).

Es besteht vorliegend auch kein Anlass zu der Annahme, dass der ehemals Beschuldigte zu einer entsprechenden Mitteilung aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre oder, dass er nicht merkte, durch sein Verhalten den gegen ihn gerichteten Tatverdacht zu erhärten.

Der Hinweis auf den Nachtrunk hätte das Ergebnis der Blutprobe, das maßgeblich zur Begründung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis und der Beschlagnahme des Führerscheins herangezogen wurde, in einem anderen Licht erscheinen lassen.“

Na ja, ich habe auf den ersten Blick Zweifel, ob die Zahlen überhaupt passen 🙂 . Aber das wird die Verteidigerin schon ausgerechnet haben. Allerdings ist eine Nachtrunkbehauptung nach anwaltlicher Beratung nie schön….. Nachtrunk wendet man besser sofort ein.