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StGB I: Eine das Leben gefährende Behandlung, oder: Generelle Eignung, das Leben des Opfers zu gefährden

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Heute dann ein Tag mit StGB-Entscheidungen, den ich mit dem BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 267/22 – eröffne.

Folgender Sachverhalt: Am 26.05.2021 trafen sich der Angeklagte und der Nebenkläger sowie weitere Personen in der Wohnung des Zeugen Z. Anlass für dieses Zusammentreffen war eine zwischen beiden geplante Aussprache, nachdem dem Angeklagten zuvor zugetragen worden war, der Nebenkläger behaupte, die Verlobte des Angeklagten, die Zeugin P. , würde ihm, dem Nebenkläger, „schöne Augen machen“.

In der Wohnung des Zeugen Z.  stellte der Angeklagte den Nebenkläger zur Rede und schlug diesem entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht. Der Aufforderung des Angeklagten folgend entschuldigte sich der Nebenkläger anschließend telefonisch bei der Zeugin P. Im weiteren Verlauf schliefen der Angeklagte und der Nebenkläger – aneinander gelehnt auf einer Couch sitzend – ein. Nachdem sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt wieder aufgewacht waren, versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger erneut mehrere Schläge. Dabei schlug er „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel, so dass der Nebenkläger blutete. Die Anzahl der Schläge war nicht feststellbar, ebenso nicht, auf welche Art sie ausgeführt wurden. Durch die von dem Angeklagten gegen den Nebenkläger geführten Schläge erlitt dieser ein sog. Monokelhämatom des linken Auges einhergehend mit einer Unterblutung der Augapfelbindehaut, Einblutungen der linken Mundregion einhergehend mit Zahnabdruckverletzungen der linken Unterlippe, drei Hämatome der linken Gesichtshälfte, eine Einblutung des linken Ohres sowie weitere diffus verteilte Hautrötungen der linken Gesichtshälfte und des rechten Oberlides.

Darüber hinaus wies der Nebenkläger weitere Verletzungen auf, „deren Verursachung durch den Angeklagten nicht sicher feststellbar war“. Unter anderem zog er sich eine stark blutende Wunde an der Stirn in Form einer dreieckigen Prellmarke zu, als er zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt von der Couch unter den Tisch rutschte. Überdies wurde bei dem Nebenkläger eine Unterblutung der harten Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel festgestellt, die zu einer Hirnstammeinklemmung mit anschließender Hemiparese führte.

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) verurteilt. Dem BGH gefällt das nicht:

„Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen, wird weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht von den Feststellungen getragen und lässt sich auch mit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht begründen.

1. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt eine Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ voraus. Zwar muss die Tathandlung nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19 Rn. 6 mwN). Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Behandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1964 – 5 StR 182/64, BGHSt 19, 352; Senat, Urteile vom 8. März 1990 – 2 StR 615/89, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 5; vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07, Rn. 5; vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13, Rn. 7; Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12; BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – 6 StR 393/21).

2. Hiervon ausgehend belegen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht, dass die durch den Angeklagten ausgeführten Schläge in objektiver Hinsicht potentiell eine Gefahr für das Leben des Nebenklägers begründeten. Dies ist weder ausdrücklich festgestellt noch ergibt sich dies aus den erlittenen Verletzungen oder aus der mitgeteilten Vorschädigung des Nebenklägers.

a) Konkrete Feststellungen zur Art und Weise, wie der Angeklagte den Nebenkläger schlug, hat die Strafkammer nicht treffen können: Zwar habe der Angeklagte – entgegen seiner Einlassung – dem Nebenkläger mindestens drei heftige Schläge gegen den Kopf versetzt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Angeklagte jeweils (lediglich) mit der flachen Hand schlug. Grundsätzlich können auch Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf des Opfers eine das Leben gefährdende Behandlung sein; dies setzt jedoch Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Tatopfer voraus, welche das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung (§ 223 StGB) deutlich erhöhen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345). Die auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Feststellung, dass auch fest ausgeführte Schläge mit der flachen Hand „durchaus geeignet seien, schwerere Verletzungen hervorzurufen“, belegt nicht, dass die konkreten Schläge des Angeklagten gefährlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB waren.

b) Auch die festgestellten Verletzungen des Nebenklägers (diverse Hämatome im Gesicht sowie Einblutungen im Bereich des Mundes und an einem Ohr) sind kein Beleg einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Soweit dem Angeklagten Verletzungsfolgen zugerechnet werden konnten, ist nicht festgestellt, dass diese derart gravierend waren, dass sie nur Folge einer vorangegangenen lebensgefährdenden Behandlung sein konnten. Hinsichtlich des Ausmaßes der durch die ersten Schläge verursachten Verletzungen ist das Landgericht – gestützt auf die Angaben einer Zeugin – davon ausgegangen, der Nebenkläger habe „etwas am Auge und an der Lippe gehabt, was ein bisschen aufgeplatzt gewesen sei“. Bezüglich der vom Landgericht angenommenen nachfolgenden Gewalthandlungen teilen die Urteilsgründe mit, der Angeklagte habe „überwiegend“ auf die bereits verletzten Stellen in dessen Gesicht und an dessen Schädel geschlagen. Insgesamt habe der Sachverständige schließlich bei einer Untersuchung des Nebenklägers einen Tag nach dem Tattag Verletzungen festgestellt, die auf einem Lichtbild nach dem ersten Übergriff nicht vorhanden und die teilweise – im festgestellten Umfang – auf die Schläge des Angeklagten zurückzuführen waren. Hieraus lassen sich jedoch keine eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragenden Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit der ersten oder der sodann folgenden Schläge ziehen; dass die Kumulation der sukzessive beigebrachten Verletzungen geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden, ist nicht festgestellt.

c) Ihre Annahme, die Schläge des Angeklagten seien lebensgefährdend im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, wird auch nicht mit Blick auf Vorschädigungen des Nebenklägers belegt. Zwar ist auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass bei dem alkoholabhängigen Nebenkläger wegen dessen derangierter – auf einer Leberzirrhose beruhenden – Blutgerinnungssituation sowie wegen dessen Sturzneigung konkrete Risikofaktoren für das Auftreten von Blutungen bestanden. Den Urteilsgründen ist aber nicht zu entnehmen, wie sich diese Risikofaktoren in Bezug auf die Schläge des Angeklagten ausgewirkt haben. Denn die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die mit der „Blutgerinnungssituation“ im Zusammenhang stehende Subduralblutung des Nebenklägers durch Einwirkungen des Angeklagten verursacht wurde. Inwiefern die „Sturzneigung“ des Nebenklägers die Gefährlichkeit der vom Angeklagten geführten Schläge auch dann erhöht hat, wenn – wovon die Strafkammer gestützt auf Zeugenaussagen ausgeht – der Nebenkläger zum Zeitpunkt der Schläge jeweils saß, erhellt sich aus den Urteilsgründen nicht.“