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StPO II: Geheimnisverrat eines Polizeibeamten, oder: Durchsuchung im Disziplinarverfahren

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Die zweite Entscheidung, der OVG Greifswald, Beschl. v. 19.10.2022 – 10 LP 217/21 OVG – hat ebenfalls eine Durchsuchungsmaßnahme zum Gegenstand, allerdings in einem Disziplinarverfahren gegen einen Polizeibeamten. Dem werdem innerdienstliche Dienstvergehen vorgeworfen. Er soll im November 2015, Juni 2016 und Juni 2017 vertrauliche Informationen an eine dritte Person aus dem kriminellen Milieu weitergegeben haben, insbesondere zu einem gegen diese Person geführten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren.

Deswegen hat das VG die Durchsuchung der Wohnräume usw. des Polizeibeamten angeordnet. Die Durchsuchung ist inzwischen erfolgt. Der Polizeibeamte hatte dann Beschwerde eingelegt. Ohne Erfolg:

„2. Der angefochtene Beschluss ist auch materiell-rechtlich rechtmäßig.

a) Soweit der Antragsgegner rügt, es bestehe gegen ihn kein dringender Tatverdacht, geht seine Ansicht fehl.

Ein dringender Tatverdacht im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 3 LDG M-V ist dann anzunehmen, wenn nicht nur ein auf vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen, sondern ein auf Tatsachen gestützter hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht konkret ausgeschlossen ist und er schuldhaft gehandelt hat (OVG Greifswald, Beschluss v. 10. November 2010 – 10 O 92/10 -, NordÖR 2011, 408, zit. nach juris Rn. 15; vgl. VGH München, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 16b DC 09.2188 -, juris Rn. 20; OVG Koblenz, Beschluss vom 4. Oktober 2002 – 3 B 11273/02 – juris Rn. 5).

Daran gemessen besteht hier ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Antragsgegner jedenfalls gegen seine Verschwiegenheitspflicht aus § 37 BeamtStG verstoßen und damit ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen hat.

Noch zutreffend trägt der Antragsgegner vor, insoweit sei maßgeblich, dass nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen eine große bzw. hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen müsse, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen habe. Seine Schlussfolgerungen daraus, dass die vorhandenen Beweismittel aus der Auswertung des Chats mit der gesondert verfolgten Person mehrere Jahre zurücklägen und deshalb die Vorwürfe nicht „dringend“ seien, geht jedoch fehl. Denn der Begriff der Dringlichkeit bezieht sich nach dem genannten Maßstab auf die vorgeworfene Tat, nicht aber auf andere zeitlich nachfolgende etwaige Taten. Vorgeworfen wird dem Antragsgegner der Verrat von Dienstgeheimnissen zum damaligen Zeitpunkt, insoweit war er vor dem Erlass des Durchsuchungsbeschlusses wegen dieser Tat(en) mit hoher Wahrscheinlichkeit und deshalb dringend verdächtig. Die Durchsuchung diente der Auffindung von weiteren Beweismitteln zur weiteren Aufklärung dieser konkreten Taten und nicht etwaig weiterer (insbesondere nicht späterer) Tatvorwürfe.

Die Vermutungen sind auch nicht etwa nur vage. Dass der Chatverlauf lediglich „fragmentarisch“ war, heißt im vorliegenden Fall nicht, dass die darauf aufbauenden Vermutungen lediglich vage seien. Denn bei der gesondert verfolgten Person, in deren Ermittlungsverfahren der Chatverlauf mit dem Antragsgegner ermittelt worden ist, handelt es sich um eine polizeibekannte Person aus dem kriminellen Milieu, die nicht nur irgendeine „Bürger“frage hatte, bei der Antragsgegner „helfen“ sollte. Vielmehr bezog sich die Anfrage der gesondert verfolgten Person jedenfalls in einem Fall gezielt auf ein gegen diese Person aktuell laufendes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Auch die Anrede des Antragsgegners mit „Alter“ weist auf eine nähere Bekanntschaft dieser Person mit dem Antragsgegner – jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt – hin. Mit der Durchsuchung sollte die Kommunikation zwischen dieser Person und dem Antragsgegner weiter ausermittelt werden. Wegen des unvollständigen Chatverlaufs sollte die Auswertung der bei der Durchsuchung aufzufindenden Speichermedien, wie Handys und Computer, weiteren Aufschluss über die Kommunikation des Antragsgegners mit der gesondert verfolgten Person erbringen und so die jeweiligen Gesprächsverlaufe vervollständigen. Anhaltspunkte dafür, dass sich beide auch über andere Kommunikationswege ausgetauscht haben, finden sich schon im Chatverlauf („lass uns mal treffen/ reden“). Es ist deshalb wahrscheinlich, dass sich der Antragsgegner mit der gesondert verfolgten Person zumindest über weitere Kommunikationswege (z. B. whats app-Nachrichten, E-Mail) zu persönlichen Treffen verabredet und dabei auf diesen Wegen auch schriftliche inhaltliche Nachrichten versendet hat. Dabei handelt es sich auch nicht lediglich um private Kontakte, vielmehr haben – wie oben beispielhaft ausgeführt – die Anfragen jeweils dienstlichen Bezug gehabt. Dabei wurden auch dienstliche Informationen vom Antragsgegner an diese Person weitergegeben.

b) Hinsichtlich der Ausführungen des Antragsgegners, dass zwischen der Beschlussfassung und der tatsächlichen Durchsuchung eine Zeitspanne liege und deshalb die Dringlichkeit nicht im Fokus des Antragstellers gelegen habe, wird auf die obige Begründung verwiesen.

c) Auch soweit der Antragsgegner beanstandet, es sei nicht berücksichtigt worden, dass die Lebenszeit von Computern sich in der heutigen Zeit auf wenige Jahre beschränke und Handys, wie allgemein bekannt sei, alle zwei Jahre ausgetauscht und mit neuen Verträgen versehen würden, sodass das Auffinden von Nachrichten auf diesen Speichermedien wenig wahrscheinlich sei, bleibt dieser Vortrag allgemein und pauschal.

Es war nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bei der Durchsuchung noch Speichermedien gefunden werden könnten. Tatsächlich ist das nach der Beweismittelliste im Durchsuchungsprotokoll auch der Fall gewesen. So ist nach dem Durchsuchungsprotokoll (Bl. 90 u. 93 GA, Nr. 7) neben dem aktuellen Handy des Antragsgegners (IPhone 7) auch sein noch vorhandenes altes (defektes) Handy (IPhone 6) gefunden und beschlagnahmt worden.

d) Entgegen der Ansicht des Antragsgegners steht die Anordnung der Durchsuchung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme auch nicht außer Verhältnis (qualifizierte Verhältnismäßigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Satz 3 LDG M-V).

Die richterliche Anordnung einer konkreten Durchsuchung und Beschlagnahme kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in dem disziplinarrechtlichen Verfahren die Zurückstufung oder Entfernung des Beamten aus dem Dienst zu erwarten ist (OVG Greifswald, Beschluss vom 10. November 2010 – 10 O 92/10 -, NordÖR 2011, 408, zit. nach juris 4. Leitsatz u. Rn. 12).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Würden sich die hier vorgeworfenen Taten bewahrheiten, hätte der Antragsgegner dienstliche Geheimnisse unbefugt an Dritte – insbesondere auch an einen im Hinblick auf diese Dienstgeheimnisse konkret von einem polizeilichen bzw. staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren betroffenen Tatverdächtigen – unbefugt weitergegeben. Eine solche Dienstpflichtverletzung betrifft den Kern der polizeilichen Tätigkeit und Dienstpflicht und beinhaltet auch den Verdacht der Straftat eines Geheimnisverrats (§ 353b StGB). Nach der Aktenlage soll die Staatsanwaltschaft Anklage erheben wollen. Vor diesem Hintergrund hat der Antragsgegner mit einer erheblichen Disziplinarmaßnahme bis hin zur Entfernung aus dem Dienst zu rechnen.

e) Soweit der Antragsgegner noch vorträgt, es ergebe sich aus keinem Bereich des Beschlusses, warum die Nachrichten auf dem Handy des gesondert Verfolgten dem Antragsgegner zugeordnet werden könnten, führt das nicht zum Erfolg. Denn es genügt, dass sich die jeweiligen Telefonnummern aus den Ermittlungsakten ergeben. Einer ausdrücklichen Benennung im Beschluss bedurfte es nicht.

f) Auch soweit der Antragsgegner eine Verletzung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m Art. 1 Abs. 1 GG) rügt, vermag er damit nicht durchzudringen. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt den Einschränkungen durch die gesetzlichen disziplinarrechtlichen Regelungen über die Durchsuchung.

g) Zudem vermag der Antragsgegner nicht mit seinem Vortrag durchzudringen, der Antragsteller habe außer Acht gelassen, dass sich innerhalb seiner Wohnräume auch die seiner Lebensgefährtin befänden und diese ebenfalls der Durchsuchung ihrer Räume und Gegenstände sowie der Beschlagnahme ihres Handys unterzogen worden sei. Die Durchsuchung darf sich auf Räumlichkeiten erstrecken, die der Verdächtige tatsächlich nutzt, gleichgültig, ob er sie befugt oder unbefugt nutzt, ob er Allein- oder Mitinhaber ist (vgl. nur Köhler in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 102 Rn. 7). Da es sich bei der Mitbewohnerin des Antragsgegners um dessen Lebensgefährtin handelt, durfte der Antragsteller davon ausgehen, dass der Antragsgegner zusammen mit seiner Lebensgefährtin alle Räume der Wohnung gemeinsam nutzt. Auch aus dem insoweit unkonkreten Vortrag des Antragsgegners ergibt sich nichts anderes. Ebenso unkonkret ist der Vortrag des Antragsgegners zur angeblichen Beschlagnahme des Handys seiner Lebensgefährtin. Nach dem Durchsuchungsprotokoll (Bl. 94 GA) sind insgesamt drei Handys (IPhones) beschlagnahmt worden. Der Antragsgegner hat schon nicht vorgetragen, bei welchem davon es sich um das Handy seiner Lebensgefährtin handeln soll. Ein entsprechender Hinweis des Antragsgegners ist weder im Durchsuchungsprotokoll noch im Durchsuchungsverlaufsprotokoll (Bl. 89 GA) vermerkt. Auch hat der Antragsgegner nicht vorgetragen, dass seine Lebensgefährtin „ihr“ Handy als unbeteiligte Dritte vom Antragsgegner gemäß §§ 94 Abs. 4, 111n Abs. 1 u. Abs. 3 StPO herausverlangt hat.

h) Letztlich erfolgte die Durchsuchungsanordnung auch nicht zur Beweisausforschung. Soweit der Antragsgegner hierzu vorträgt, es sei die vordringliche Motivation des Antragsstellers, um aufgrund der Durchsuchung die Beweissituation zur Fortführung des Verfahrens auf anderer Ebene durchsetzen zu können, ist der Vortrag schon nicht nachvollziehbar, da nicht konkret dargelegt wird, woran der Antragsgegner damit anknüpfen will. Eine Beweisausforschung kommt nur in Betracht, wenn es gerade keine hinreichenden Beweismittel für einen dringenden Tatverdacht bereits gibt. Das ist aber – wie sich aus den oben ausgeführten Gründen ergibt – der Fall.“

Wenn der Prüfungskandidat mitschummelt, oder: Beihilfe zum Geheimnisverrat

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Der erste Beitrag der 4. KW. kommt dann etwas später, musste erst noch ein paar andere Dinge erledigen. Und ich eröffne die Woche dann mit dem OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2016 – 2 Ss 103/16. Bei ihm handelt es sich m.E. um einen „Ableger“ aus der Geschichte in Niedersachsen mit der Weitergabe von Prüfungsunterlagen, – ergebnissen usw. an Prüfungskandidaten für die 2. juristische Staatprüfung durch einen Mitarbeiter des Prüfungsamtes. In dem Beschluss geht es aber nicht um den Angehörigen des Prüfungsamtes, sondern um einen von dem Belieferten Prüfling. Der war wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verurteilt worden, und zwar – wie das OLG Celle dann sagt – zu recht. Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Die Weitergabe von Sachverhalts- und Lösungsskizzen des juristischen Staatsexamens an Prüfungskandidaten durch einen Referatsleiter des Landesjustizprüfungsamts erfüllt den Tatbestand des Geheimnisverrats gemäß § 353b Abs. 1 StGB.

2. Ein Prüfungskandidat, der sich nicht darauf beschränkt, die Sachverhalts- und Lösungsskizzen rein passiv entgegenzunehmen, kann sich wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß §§ 353b Abs. 1, 27 StGB strafbar machen.

3. Durch die mit der Tatbegehung einhergehende Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Funktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen werden wichtige öffentliche Interessen im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB gefährdet.

Wegen des Strafausspruchs hatte die Revision allerdings Erfolg. Denn – dazu der Leitsatz 4:

4. Eine weitere strafschärfende Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Strafzumessung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.“

Geheimnisverrat durch ermittelnden Kriminalbeamten?

Der Kollege Gieg vom OLG Bamberg hat mir leider erst jetzt eine Entscheidung des OLG Bamberg vom 22.12.2009 – 3 Ws 58/09 zukommen lassen, die einen recht interessanten Sachverhalt hat.

Im Verfahren ging es um den Tatvorwurf der unbefugten Offenba­rung der dem Be­schuldigten als Kriminalbeamten und damit als Amtsträger iSv. von § 11 I Nr. 2a StGB anver­trauter Geheimnisse. Der mit den Ermittlungen zur Aufklärung eines ärztlichen Abrechnungsbetruges betraute Beschuldigte/Kriminalbeamte  hatte im Rahmen mehrerer an verschiedene private Krankenversicherungsun­ternehmen gerichteten Auskunftsersuchen um Mitteilung über seitens des Tatverdächtigen dort privat­ärztlich abgerechneter und laut Rechnungsstellung von dem Tatverdächtigen jeweils persönlich er­brachter ärztlicher Leistungen ersucht und in diesem Zusammenhang u.a. Aufenthaltsorte und Zeit­räume mitgeteilt, in denen sich der Verdächtige außerhalb des Klinikbetriebes aufgehalten haben könnte.

Das OLG sagt im Klagerzwingungsverfahren abschließend:

„Eine Strafbarkeit des mit den Ermittlungen gegen einen Arzt wegen des Ver­dachts des Abrechnungsbetruges betrauten kriminalpolizeilichen Sachbearbei­ters wegen unbefugter Offenbarung der ihm als Amtsträger (§ 11 I Nr. 2a StGB) anvertrauten Geheimnisse gemäß § 203 II Nr. 1 StGB scheidet aus, wenn im Rahmen von zur Aufklärung gefertigter Anschreiben an potentiell geschädigte Krankenversicherungen auf den ‚Verdacht’ des Abrechnungsbetruges aus­drücklich hingewiesen wird und überdies z.B. durch die grammatikalische Verwendung der Möglichkeitsform klar gestellt ist, dass sich das Verfahren im Stand eines nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens befindet.“

Neben der Rechtsfrage ist an dem Beschluss interessant, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Rechtsanwalts ausreichend begründet und damit zulässig war. Wann gibt es das sonst schon. In der obergerichtlichen Rechtsprechung fast nie. Und dabei ist es im Grunde ganz einfach.