Die Haftbeschlüsse des KG lese ich als Autor immer besonders gern, nicht (nur), weil das KG gelegentlich auch mich zitiert – eitel sind wir alle – sondern vor allem, weil sie meist eine sehr schöne Zusammenstellung der aktuellen Rechtsprechung, die es zu den behandelten Fragen gibt, enthalten und man so immer sehr schön kontrollieren kann, ob man selbst auch auf dem Stand ist. Ich bin nicht immer derselben Auffassung wie das KG, aber das tut dem grundsätzlichen Nutzen der Beschlüsse keinen Abbruch
In die Kategorie gehört auch der KG, Beschl. v. 07.03.2014 – 4 Ws 21/14 – der sich mit der Frage des dringenden Tatverdacht nach einem erstinstanzlichem Urteil, der Fluchtgefahr und dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen befasst. Und zwar auf rund 21 Seiten, eben ein richtiges Kompendium, vom ich hier daher auch nur die Leitsätze vorstellen kann. Den Rest muss man selbst lesen. Die Leitsätze lauten:
„1. Zur Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Beschwerdeverfahren nach erstinstanzlichem Urteil.
2. Für die im Rahmen der Fluchtgefahr zu beurteilende Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 StGB ist hierbei zu berücksichtigen, wenn sie im Einzelfall wahrscheinlich bzw. konkret zu erwarten ist.
3. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen beansprucht grundsätzlich auch in Fällen Geltung, in denen die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, weil sich der Angeklagte in anderer Sache in Strafhaft befindet und für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist. Der Umstand, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird, hebt das Beschleunigungsgebot nicht auf, schwächt es aber ab. Der Maßstab für die Beurteilung des Gewichts von Verzögerungen verschiebt sich und die Anforderungen an die beschleunigte Verfahrensführung sind weniger streng, weil eine völlige Gleichstellung angesichts der geringeren Eingriffswirkung, d.h. der Tatsache, dass ein in anderer Sache inhaftierter, rechtskräftig verurteilter Straftäter von der Untersuchungshaft nicht in derselben Weise betroffen ist wie der als unschuldig geltende Gefangene, bei dem allein diese vorläufige staatliche Zwangsmaßnahme vollzogen wird, nicht sachgerecht ist.
4. Für die Frage, ob der Grundsatz der Beschleunigung bei der Durchführung der Hauptverhandlung ausreichend beachtet wurde, ist nicht eine ausschließlich retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und gar eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten entscheidend. Auch hinsichtlich der Dauer der einzelnen Sitzungen kommt es vielmehr grundsätzlich auf die Planung der Hauptverhandlung durch das Gericht an. Dem Einflussbereich des Gerichts entzogene Umstände können den Verlauf umfangreicher Hauptverhandlungen mit zahlreichen Beteiligten maßgeblich bestimmen sowie erheblich verzögern, weshalb nachträgliche, rein rechnerische Überlegungen zur tatsächlichen (Netto-) Verhandlungszeit ohne die Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung im Regelfall nicht überzeugend sind. Haben einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen, dass die Verhandlungsdichte im Verlaufe einer länger dauernden Hauptverhandlung absinken musste, erscheint es widersprüchlich, wenn sie dem Gericht nachträglich vorhalten, sich unter Beschleunigungsaspekten falsch verhalten zu haben.
5. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren und gilt demgemäß auch nach dem Urteilserlass; Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil fallen aber geringer ins Gewicht.“