Schlagwort-Archive: Feststellungen

„Halt die Fresse“ – damit beleidigt man einen Polizeibeamten

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Etwas hitziger ist es im April 2014 am Karlsruher HBF zugegangen, und zwar so hitzig, dass es zu einem Strafverfahren wegen Beleidigung am AG Karlsruhe gekommen ist. Das hat dann den Angeklagten wegen Beleidigung (von zwei Polizeibeamten) in zwei Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt und dazu (nur) folgende Feststellungen getroffen:

Am 13.032014 gegen 18.20 Uhr wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten PHM M. und POK L. am Karlsruher Hauptbahnhof einer allgemeinen polizeilichen Kontrolle unterzogen. Im Zuge dessen zeigte er sich unkooperativ und sollte zur Personalienfeststellung in die Polizeiwache verbracht werden. Auf dem Weg dorthin beleidigte er den Beamten L. mit den Worten »Halt die Fresse“. Bei der anschließenden Durchsuchung auf der Wache äußerte er gegenüber den Polizeibeamten noch die Worte „Du bist eine Nummer“ und „Für sowas wie euch bezahle ich meine Steuern“. Dabei handelte der Angeklagte in der Absicht, seine Missachtung gegenüber den Polizeibeamten auszudrücken. Strafanträge wurden form- und fristgerecht gestellt.“

Dem OLG Karlsruhe hat das so nicht gereicht. Es hat mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.09.2015 – 1(8) Ss 654/14 das AG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Dem OLG reicht die bloße Mitteilungen der (beleidigenden [?]) Äußerungen nicht, sondern:

„Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Feststellungen und Darlegungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht ausreichend, den Schuldspruch – Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen – sowie die diesem zugrunde-liegende Bewertung des Tatrichters, allen drei von dem Angeklagten getätigten inkriminierten Äußerungen sei nach ihrem objektivem Erklärungsinhalt jeweils ehrverletzender Charakter beizumessen, zu tragen. Um dem Senat die ihm obliegende – eingeschränkte – revisionsrechtliche Prüfung zu ermöglichen, ob und inwieweit die vom Tatgericht vorgenommene Deutung der drei inkriminierten Äußerungen als Beleidigung jeweils den oben dargelegten Maßstäben entspricht und ob das Amtsgericht jeweils alle in Betracht kommenden und nicht fernliegenden Deutungsvarianten – und hierbei auch solche, welche dem Grundrecht der Meinungsfreiheit Geltung verschaffen können – erwogen und geprüft hat, wäre es insoweit geboten gewesen, im Rahmen der Feststellung des Tatsachverhalts zu den das Tatgeschehen maßgeblichen prägenden äußeren und – soweit nach außen erkennbaren – inneren Umständen sowie zu den bestimmenden außer-textlichen Begleitumständen der inkriminierten Äußerungen nähere sowie hinreichend klare und konkrete Feststellungen zu treffen. Diesen Anforderungen wird das amtsgerichtliche Urteil in rechtsfehlerhafter Weise nicht gerecht.“

Da muss also nachgebessert werden. Eins schreibt das OLG allerdings schon mal fest:

bb) Was schließlich die auf dem Weg zur Polizeiwache gegenüber POK L getätigte Äußerung „Halt die Fresse“ angeht, ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Tatrichter der Auffassung, dass diese Äußerung, ohne dass es insoweit auf eine weitere Feststellung der näheren außertextlichen Begleitumstände sowie des konkreten Äußerungskontextes ankäme, bereits per se und ohne weiteres geeignet ist, den Adressaten in seinem ethischen, personalen und sozialen Geltungswert herabzusetzen, und damit den Straftatbestand der Beleidigung i.S.d. § 185 StGB erfüllt. Auch unter Beachtung der vom Verteidiger in dessen Revisionsbegründungsschrift vom 16.09.2014 vorgenommenen Interpretationsversuche kommt eine Deutung dieser Äußerung lediglich als unterhalb der Beleidigungsschwelle liegende, vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützte bloße Ungehörigkeit und grobe Taktlosigkeit nach Sachlage nicht in Betracht. Um das Gewicht und die Intensität der in der Äußerung liegenden Ehrverletzung bemessen und damit deren für die Rechtsfolgenentscheidung maßgeblichen Schuldumfang bestimmen zu können, wäre es allerdings auch insoweit geboten gewesen, nähere Feststellungen zu der konkreten Tatsituation sowie dem unmittelbaren kommunikativen Kontext, in der die Äußerung gegenüber POK gefallen ist, zu treffen. Da es sich nach ihrem Wortsinn offensichtlich um eine spontane und direkte Reaktion auf eine Äußerung des Polizeibeamten handelt, wäre es insbesondere erforderlich gewesen, hinreichend konkrete Feststellungen zu Art und Inhalt der der Äußerung unmittelbar vorangehenden Kommunikation zwischen dem Angeklagten und POK L. zu treffen. Dies ist rechtsfehlerhaft nicht erfolgt.“

Man darf gespannt sein, wie es nun weiter geht…. das AG wird sich jedenfalls freuen, die Situation aufdröseln zu müssen.

Klassiker I: Raub ist doch an sich ganz einfach

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Aus der Rechtsprechung des BGH zum Raub greife ich heute zwei Entscheidungen heraus, die m.E. – mal wieder – zeigen, dass selbst bei der Verurteilung und Feststellung von einfachsten Straftatbeständen – dazu zähle ich den Raub nach den §§ 249 ff. StGB – von den Tatgerichten Fehler gemacht werden, die man einem Erstsemester in der Klausur wahrscheinlich böse ankreiden würde.

Die erste Entscheidung ist der BGH, Beschl. v. 02.07.2015 – 2 StR 134/15. Der BGH führt zu den tatsächlichen Feststellungen des LG u.a. aus:

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts vermuteten die Angeklag-ten, dass der später Geschädigte ein Schlagzeug und Spielekonsolen des Angeklagten O. entwendet hatte; sie beabsichtigten, die entwendeten Sachen von ihm „zurückzuerlangen“ (UA S. 24). In der Wohnung des Angeklagten O. versetzte der Angeklagte R. dem Geschädigten ohne Vorankündigung ei- nen Faustschlag ins Gesicht, worauf dieser benommen zu Boden ging. Die An-geklagten traten und schlugen nun auf den Körper und den Kopf des Geschädigten. „Anschließend“ durchsuchten ihn die Angeklagten und nahmen dessen Geldbörse, Mobiltelefon, Autoschlüssel und einen Ehering an sich. …..“

Dem BGH reicht das zu Recht für die Verurteilung wegen (schweren) Raubes nicht aus:

„b) Diese Feststellungen belegen einen ([besonders] schweren) Raub nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156, 157; Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 4 StR 363/14; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 249 Rn. 6 ff. jeweils mwN).

Hier lässt sich den Feststellungen schon nicht entnehmen, dass die An-geklagten den Entschluss zur Wegnahme der Geldbörse, des Mobiltelefons, der Autoschlüssel und des Eherings schon vor der Gewaltanwendung gefasst haben. Eine Äußerung oder sonstige Handlung der Angeklagten vor der Wegnahme, die eine auch nur konkludente Drohung mit weiterer Gewalt nach dem Fassen des Wegnahmeentschlusses beinhaltet, ist ebenfalls nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmeabsicht eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156, 157 mwN).“

Und nun komm mir bloß keiner mit dem Einwand: Ja, der 2. Strafsenat. Denn Raub ist im Grunde genommen „ganz einfach“.

Geldbuße von mehr als 250 € – dann wollen wir wissen, ob du die bezahlen kannst

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Nichts wesentlich Neues bringt der OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.06.2015 – 2 Ss OWi 474/15, aber: Er ruft noch einmal in Erinnerung, dass die OLG i.d.R. ab einer Geldbuße von 250 € Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erwarten. Denn: Sie wollen prüfen können, ob er zahlen kann und ihn die Geldbuße nicht zu stark trifft:

„Daneben kann das Rechtsbeschwerdegericht im vorliegenden Fall allerdings auch nicht überprüfen, ob das Amtsgericht die Verhängung einer deutlichen Erhöhung der Regelgeldbuße von 70,00 € auf 420,00 € zu Recht als angemessen erachtet hat, denn das Amtsgericht hat es hier rechtsfehlerhaft unterlassen, Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen.

Gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG sind bei der Bußgeldbemessung auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einer relativ hohen Geldbuße – ab einer die Geringfügigkeitsgrenze von 250,00 € (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 17 Rn. 24; Senat – 2 Ss-OWi 486/11) – auch die Leistungsfähigkeit des Täters berücksichtigt werden muss, weil es von ihr abhängt, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße den Täter trifft (ständige Rechtsprechung des angerufenen Senats, vgl. u.a. – 2 Ss-Owi 65/12; — 2 Ss-OWi 483/09; ebenso Göhler, a.a.O., § 17 Rn. 22 m. N.). Dies lässt sich vorliegend jedoch anhand der Urteilsgründe, denen sich keine Feststellungen zur familiären (Unterhaltsverpflichtungen?) beruflichen und finanziellen Situation des Betroffenen entnehmen lassen, nicht beurteilen. Insoweit wären daher ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern das Amtsgericht im Rahmen der erneuten Verhandlung wieder die Verhängung einer Geldbuße von mehr als 250,00 € in Betracht ziehen sollte.“

Bitte nicht schon wieder: BGH zur Straßenverkehrsgefährdung

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Die sprichwörtliche Tinte unter dem Blogbeitrag Ist das denn so schwer?, oder: Butter bei die Fische im Verkehrsrecht zum BGH, Beschl. v. 21.05.2015 – 4 StR 164/15 – ist noch nicht trocken, da stoße ich auf der Homepage des BGH gleich auf die nächste Entscheidung, die zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung Stellung nimmt. Zwar nicht tragend und auch nicht an „prominenter Stelle“ im Beschluss, aber der BGH „legt noch einmal nach“, na ja, wenn man aufs Datum schaut: vor 🙂 -, wenn er im BGH, Beschl. v. 21.04.2015 – 4 StR 92/15 – wiederum ausführt:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:

1. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese ab-strakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (BGH, Beschluss vom 9. September 2014 – 4 StR 251/14, NStZ 2015, 278; Beschluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13, Rn. 7; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315b Rn. 5, 17). Hierzu sind konkrete Feststellungen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass durch die Tathandlung ein so hohes Verletzungs- oder Schädigungsrisiko begründet worden ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob es zu einer Rechtsgutsverletzung kommt (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 StR 340/11, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 6; Urteil  vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315b Rn. 16). Die Gefährdung des dem Täter nicht gehörenden, aber als Tatwerkzeug benutzten Fahrzeugs genügt dazu nicht (BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 – 4 StR 509/91, NStZ 1992, 233, 234). Der neue Tatrichter wird diese Grundsätze – näher als bisher geschehen – in den Blick zu nehmen haben.“

Also: Darauf achten – egal wer 🙂 .

„Butter bei die Fische“ II: Was ist ein „Fußgängerüberweg“?

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Ich hatte ja schon über den BGH, Beschl. v. 21.05.2015 – 4 StR 164/15 berichtet, und zwar soweit es in ihm um die Anforderungen an die Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung ging (vgl. Ist das denn so schwer?, oder: Butter bei die Fische im Verkehrsrecht). Der Beschluss behandelt allerdings noch eine weitere Frage, die ebenfalls einen Hinweis wert ist.

Der Angeklagte war vom LG u.a. auch wegen eines Verstoßes gegen § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB, also falsches Fahren an einem Fußgängerüberweg, verurteilt worden. Dazu hieß es im Urteil, dass der der Angeklagte mit seinem Pkw „gleichgültig gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern mit derart überhöhter Geschwindigkeit [fuhr], dass er von der Fahrbahn abkam, auf den in gleicher Fahrtrichtung eingerichteten Fahrradschutzstreifen geriet und einen mit einer Lichtzeichenanlage versehenen „Fußgängerüberweg“ überfuhr. Dort kollidierte er mit der rechten Front seines Fahrzeugs mit dem Vorderrad des Fahrrads des am „Fußgängerüberweg“ wartenden Zeugen C.

Das reicht dem BGH (auch nicht):

c) Im Fall II. 5 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB an einem Fußgängerüberweg falsch gefahren ist.

315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB erfasst nur das Falschfahren an Fußgängerüberwegen im Sinne des § 26 StVO. Das sind allein die durch Zeichen 293 (Zebrastreifen) markierten Fahrbahnflächen (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07, NZV 2008, 528, 529; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 102; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315c Rn. 17 mwN), an denen zu Fuß Gehende und ihnen gleichgestellte Verkehrsteilnehmer nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO vor Fahrzeugen uneingeschränkt Vorrang haben und Fahrzeug Fahrende gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 StVO sowie § 41 Abs. 1 StVG i.V.m. Anlage 2 und Zeichen 293 besonderen Pflichten unterliegen (Einzelheiten bei König in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StVO, § 26 Rn. 18-21, 23-25 mwN). Dass es sich bei der Unfallstelle um eine mit „Zebrastreifen“ markierte Fahrbahnfläche und damit um einen Fußgängerüberweg im Sinne der § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB, § 26 StVO gehandelt hat, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Verwendung des Rechtsbegriffes „Fußgängerüberweg“ vermag die Angabe der zu dessen Ausfüllung erforderlichen Tatsachen nicht zu ersetzen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO). Schließlich bleibt auch offen, ob die angeführte Lichtzeichenanlage in Betrieb war und deshalb ihre Lichtzeichen nach § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 StVO einer etwa bestehen-den Vorrangregel oder Vorrang regelnden Verkehrszeichen vorgingen (vgl. da-zu König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., StVO, § 26 Rn. 11 mwN; zum persönlichen Schutzbereich des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB siehe König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 103 mwN).“

Also auch hier: „Butter bei die Fische“ = Tatsachen ins Urteil.