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Fassungslos

Da ist man doch ziemlich fassungslos, wenn man die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11.11.2010 liest, die kein Karnevalsscherz ist. Fassungslos nicht über das OLG Düsseldorf (1 Ws 290/10) , sondern über den Pflichtverteidiger, den das OLG in seiner Entscheidung wegen einer „tiefgreifende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinem Pflichtverteidiger“ entpflichtet hat. Grund: Dieser hatte sich nach seiner Bestellung (mindestens) zwei Monate nicht beim Angeklagten gemeldet. Da hatte das OLG gar keine andere Wahl als zu entpflichten.

Was dann aber schon ein wenig erstaunt: Ergangen ist der Beschluss auf die Beschwerde des Angeklagten. D.h.: der Vorsitzende der Strafkammer hatte eine Störung des Vertrauensverhältnisses wohl nicht gesehen und die Entpflichtung abgelehnt. Da fragt man sich ja dann doch: Was muss denn noch passieren bzw. was muss denn noch nicht passieren?

Was häufig übersehen wird: I.d.R. kein Rechtsmittel des entpflichteten Verteidigers

Häufig übersehen Verteidiger, dass ihnen i.d.R. gegen ihre Entpflichtung als Pflichtverteidiger kein Rechtsmittel zusteht. Darauf hat jetzt das LG Stuttgart in seinem Beschl. v. 10.09.2010 – 3 Qs 37/10 – noch einmal hingewiesen. Einem entpflichteten Pflichtverteidiger stehe grundsätzlich kein Beschwerderecht gegen die Rücknahme seiner Bestellung zu. Eine Ausnahme gelte  allerdings bei Vorliegen eines groben und schwerwiegenden Verfahrensfehlers oder bei Vorliegen von Willkür. Den hat das LG verneint.

Umpflichtung des (Pflichtverteidigers) mit zeitlicher Beschränkung – ist das zulässig?

 Mal wieder eine gebührenrechtliche Frage aus dem Forum auf meiner HP www.burhoff.de, die in er Praxis immer wieder eine Rolle spielt.

Der Verteidiger fragt:

Ich verteidige einen Mandanten seit 1.6.2010 in einem Verfahren vor dem AG L.. Der bisherige Pflichtverteidiger wird entpflichtet und ich werde durch Beschluss vom 1. 7. 2010 zum neuen Pflichtverteidiger bestellt, und zwar wörtlich „ab 1. 7. 2010“.
Rechtspflegerin beim AG Lüdenscheid meint nun, Gebühren und Auslagen für Tätigkeiten vor dem 1.7.2010 seien nicht zu erstatten. Trotz meines Hinweises auf §
48 Abs. 5 S. 1 RVG werden die von mir insoweit angemeldeten Gebühren und Auslagen vom Justizamtsrat abgesetzt. Der Bezirksrevisor beim LG Hagen meint, meine Erinnerung hiergegen sei unbegründet. Bei der Festsetzung sei der Urkundsbeamte an den Beiordungsbeschluss gebunden. Selbst die Grundgebühr hätte nicht festgesetzt werden dürfen. Insoweit legt er sogar Anschlusserinnerung ein.
M.E. ist das grober Unfug oder übersehe ich irgendwas?

Ich habe geantwortet:

Hallo, m.E. nicht zulässig, aber leider eine Einschränkung, die von den Gerichten immer wieder gemacht wird und dazu führt bzw. führen kann, dass der neue Verteidiger nur die Terminsgebühr erhält. Der Grundsatz ist nach § 48 Abs. 5 S. 1 RVG aber ein anderer. Ich gehe mal davon aus, dass ein „notwendiger Verteidigerwechsel“ vorgelegen hat (Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO), oder?. Die Konstellation hat vor einiger Zeit das LG Osnabrück (vgl. hier) entschieden, allerdings auch zu Ungunsten (und m.E. auch falsch). Die Entscheidung mit Anmerkung finden Sie in StRR 2010, 270 = StV 2010, 563 (dort allerdings ohne die gebührenrechtliche Passage). Sie sollten gegen die Argumentation der Staatskasse die Rechtsprechung zur „Erstattung der Gebühren für mehrere Verteidiger“(vgl. zu dieser Problematik Volpert in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., ABC-Teil: Kostenfestsetzung in Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 27 ff.) geltend machen und sich darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung der Obergerichte, die beschränkte Beiordnung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ zutreffend als unzulässig angesehen wird (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1200 m.w.N.). Letzeres passt auf Ihren Fall.“

Ich bin gespannt, was daraus wird. Das ist sicherlich eine Problamtik, die – vor allem im Bereich des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO – von großer praktischer Bedeutung ist. Vielleicht liefert mir der Kollege ja noch ein wenig Sachverhalt nach. Dann werde ich weiter berichten.

Entpflichtung des Pflichtverteidigers, ja oder nein? Warum fragt man nicht mal nach?

In den schwierigen Bereich der Pflichtverteidigerentpflichtung gehört die Entscheidung des OLG Celle v. 19.08.2010 – 1 Ws 419/10. Dort war offenbar unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dem Beschuldigten – mit dessen Einverständnis – weil er einen anderen Rechtsanwalt nicht kannte – so sagt es offenbar das Protokoll (?), die Beschwerdebegründung sagt etwas anderes – ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dann meldet sich ein Wahlverteidiger und beantragt seine Beiordnung und die Entpflichtung des ersten Pflichtverteidigers. Der Antrag hat keinen Erfolg, u.a. auch deshalb, weil der Beschuldigte der Beiordnung zugestimmt habe. Zudem scheide eine Beiordnugn/Umpflichtung aus, wenn die Bevollmächtigung des Wahlanwalts nur erfolgt, um die Entbindung des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle Pflichtverteidiger wird.

Na ja, ob das so richtig ist, habe ich meine Zweifel. Letztlich kann man die Frage aber, ohne Kenntnis der Akten, nicht abschließend beurteilen. Dafür müsste man mehr um die Umstände der Beiordnung wissen. Die liegen im Dunklen, denn m.E. stehen sich „Aussage gegen Aussage“ gegenüber. Hat der Beschuldigte nun zugestimmt, oder nicht. wenn nicht, wäre m.E. zu entpflichten gewesen. Das hat in dem Zusammenhang auch schon bei einer ähnlichen Fallgestaltung das OLG Düsseldorf entschieden. So bleibt nur die Frage: Warum hat das OLG nicht einfach mal beim Amtsrichter nachgefragt.? Vielleicht ist ja auch nur das Protokoll nicht richtig. Soll ja vorkommen.

Leider etwas vorschnell entpflichtet… leider aber auch „sitzen geblieben“

Leider etwas vorschnell entpflichtet hatte die Berufungskammer den nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vom AG bestellten Pflichtverteidiger in dem dem Beschl. des OLG Celle v. 29.07.2010 – 1 Ws 392/10 zugrunde liegenden Verfahren.

Das LG hatte sich auf § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO bezogen und in (!!) der Hauptverhandlung entpflichtet. Das OLG hat auf die Beschwerde hin aufgehoben und darauf hingewiesen, dass bei der Ermessensentscheidung, ob die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO aufgehoben wird, weil der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen worden ist, stets sorgfältig zu prüfen sei, ob die frühere, auf der Inhaftierung beruhende Behinderung der Verteidigungsmöglichkeiten es weiter notwendig macht, dass der Angeklagte trotz Aufhebung der Inhaftierung durch einen Pflichtverteidiger unterstützt wird, was in der Regel der Fall sein werde. Wolle das Gericht von dieser Regel abweichen, müsse es insoweit nachvollziehbare Erwägungen anstellen und diese zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Auf Grund seiner Fürsorgepflicht sei das Gericht zudem gehalten, dem Angeklagten bei Aufhebung der Bestellung seines Verteidigers genügend Zeit zu lassen, sich ggf. um einen Wahlverteidiger zu bemühen.

So weit, so gut – die Entscheidung entspricht der h.M. in der Rechtsprechung -, nur: Für die Revision bringt sie dem Verteidiger nichts. Denn den Verstoß des AG gegen § 140 StPO kann in der Revision vorliegend nicht geltend gemacht werden. § 338 Nr. 5 StPO setzt nämlich voraus, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattfindet, deren Anwesenheit das Gesetz als notwendig ansieht. Das ist im Fall der notwendigen Verteidigung der Verteidiger. Der war hier aber anwesend (geblieben). Wenn der Verteidiger aus der Entpflichtung für die Revision hätte Gewinn ziehen wollen, hätte er den Mandanten in der Hauptverhandlung verteidigungslos stellen müssen.