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Sorry, aber das kann der Rechtspfleger nicht ernst gemeint haben, oder doch?

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Im gebührenrechtlichen Forum auf meiner Homepage Burhoff-online hat ein Kollege vor einigen Tagen eine Frage  eingestellt, die mich dann doch ein wenig in Erstaunen – gelinde ausgedrückt – versetzt hat. Er schreibt:

„Ich benötige mal Hilfe in folgender Sache:
Mandant bekommt Pflichtverteidiger im Ermittlungsverfahren.
Es meldet sich ein Wahlverteidiger
Daraufhin wird gemäß § 143 StPO die PV zurückgenommen.
Bevor der Beschluss nach § 143 StPO zugestellt wurde, haben wir die bisherigen Kosten bei Gericht geltend gemacht. Nachdem der Beschluss ergangen ist, hat der Kostenbeamte die Erstattung der Gebühren mit dem Hinweis der Rücknahme des § 143 StPO abgelehnt.
Gibt es da eine Entscheidung zu? Ich finde hierüber nichts.
Laut Argumentation des Gerichts würde kein Pflichtverteidiger Geld bekommen wenn der Pflichtverteidiger entpflichtet wird oder die PV zurückgenommen wird.
Die Gebühren sind ja schon vor der Rücknahme entstanden.
Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass keine Entpflichtung stattgefunden hat, sondern eine Rücknahme der PV so dass die Gebühren und Auslagen eines PV nicht festgesetzt werden können.

Sorry, aber das kann der Rechtspfleger nicht ernst gemeint haben. Daher mein Antwort:

„Hallo, in meinen Augen nicht haltbar, ich wollte erst schreiben „Blödsinn“. Zunächst: Wo bitte soll der Unterschied zwischen einer Rücknahme und einer Entpflichtung liegen? Den sehe ich nicht.
Und dann: Die bis zur Beendigung der Pflichtverteidigung entstandenen Gebühren bleiben dem ehemaligen Pflichtverteidiger (natürlich) erhalten (das ergibt sich schon aus dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG). Die Auffassung des Rechtspflegers würde ja dazu führen, dass in allen Fällen der Entpflichtung/Rücknahme die Staatskasse „vergütungsfrei“ würde und der Pflichtverteidiger „umsonst“ gearbeitet hätte.“

Aber, man weiß ja nie. Vielleicht habe ich ja auch ein gebührenrechtliches Brett vor dem Kopf.

Ich brauche jetzt aber keinen Kommentar, der auf § 54 RVG verweist. Den kenne ich und die Problematik stellt sich nach dem Sachverhalt.

 

Interessenkonflikt – Pflichtverteidigerwechsel?

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Ist dem Beschuldigten/Angeklagten erst einmal ein Pflichtverteidiger bestellt worden, ist es schwer – um es salopp zu formulieren – den wieder „los zu werden“. Allein der Wunsch des „Beschuldigten/Angeklagten“ reicht dafür nicht. Es muss schon das Vertaruensverhältnis gestört sein und das muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Das mussten vor einiger Zeit ein Beschuldigter/Angeklagter und sein Pflichtverteidiger vom KG erfahren im KG, Beschl. v. 28.03.2012 – 4 Ws 28/12 – zur Kenntnis nehmen. Vorgetragen war, dass es hinsichtlich der Verteidigungsstrategie zu unüberbrückbaren Differenzen und damit zu einem endgültigen und nachhaltigen Bruch des Vertrauensverhältnisses gekommen sei. Maßgeblich dazu beigetragen hätte auch, dass der mit dem Pflichtverteidiger in Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt S. den inzwischen rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten St. , der den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung belastet habe, verteidigt hätte.

Dem KG hat das nicht gereicht:

Wichtige Gründe für die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt M. werden nicht mitgeteilt.

Dass der frühere Mitangeklagte St. von einem in der Bürogemeinschaft des Pflichtverteidigers tätigen Anwalt vertreten war und den Angeklagten in seinem eigenen Verfahren im Rahmen einer Verfahrensverständigung vor dem Landgericht am 14. Juni 2011 belastet hat, kann für sich genommen das Vertrauensverhältnis des Angeklagten zu Rechtsanwalt M. nicht beeinträchtigen; denn weder Rechtsanwalt M. noch der Angeklagte durch Rechtsanwältin R.     haben irgendwelche Verhaltensweisen Rechtsanwalt M. dargelegt, die gegen seinen Mandanten gerichtet wären oder sonst zu einem konkret erkennbaren Interessenwiderstreit des Pflichtverteidigers und damit zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses führen könnten (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 146 Rdn 8 m.w.Nachw.). Insbesondere ist nicht dargetan, dass Rechtsanwalt M.in irgendeiner Weise an der „aus der Kanzlei unterstützten“ Verfahrensabsprache beteiligt war. Grundsätzlich kann nicht einmal der Umstand, dass als Mittäter Beschuldigte durch Rechtsanwälte dergleichen Sozietät vertreten werden, ohne konkrete Anhaltspunkte, einen Interessenkonflikt begründen (vgl. OLG Hamm. Beschluss vom 1. Juni 2006 – 2 Ws 156/04 -). Dies muss umso mehr für Mitglieder einer Anwaltsbürogemeinschaft gelten, bei der jeder Anwalt wirtschaftlich für sich alleine arbeitet.

„Der Vorsitzende legt die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor, ..“ – beim LG Marburg geht es zur Sache

Vor einigen Tagen hatte der Kollege Wolf in seinem Blog unter dem Titel: „LG Marburg: Honorarverlangen des Pflichtverteidigers stört Vertrauensverhältnis“ über den LG Marburg, Beschl. v. 22.05.2012 – 7 StV 442/10 – berichtet (vgl. hier den Beitrag). Der Beitrag ist – was mich ein wenig erstaunt- untergangen. Darum will das Thema hier noch einmal aufgreifen, vielleicht habe ich ja mehr Resonanz.

Worum geht es? Dem LG-Beschluss lässt sich folgender Sachverhalt entnehmen:  Der Verurteilte befindet sich zum Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Im Prüfungsverfahren nach §§ 67e, 67d Abs. 2 StGB wurde ihm Rechtsanwalt P. nach § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 29.03.2012 beschwerte sich der Verurteilte über den Pflichtverteidiger und trug u.a. vor, dieser habe ein Zusatzhonorar zu den Pflichtverteidigergebühren vereinbaren wollen. Dem habe der Verurteilte nicht zugestimmt, und er habe nun den Eindruck, dass die Verteidigung schlecht geführt werde. Der Verurteilte beantragt, den Verteidiger zu entpflichten und einen anderen Anwalt beizuordnen. Dem Antrag hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer entsprochen.

Zur – mehr als knappen – Begründung:

Der Antrag der Verurteilten ist begründet. Es ist allgemein anerkannt, dass die Pflichtverteidigung aufgehoben werden kann, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger schwerwiegend gestört ist (Meyer-Goßner StPO § 143 Rdn. 3 m. zahlreichen Nachweisen). So ist es fraglos hier: Ein Verteidiger, der gegenüber dem Mandanten deutlich macht, dass ihm das Honorar eines Pflichtverteidigers nicht genügt, erweckt bei jedem vernünftig denkenden Mandanten den klaren Anschein, ohne das Zusatzhonorar werde die Verteidigung nicht ordentlich geführt. Auf dieser Grundlage sollte niemand Vertrauen in die Güte der Verteidigung entwickeln müssen.

Und was soll/muss man davon halten: Nun – m.E. ist der Beschluss falsch, und zwar aus folgenden Gründen: Es ist allgemein anerkannt, dass auch der Pflichtverteidiger mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung treffen kann (vgl. dazu die Nachw. bei Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, Teil A: Vergütungsvereinbarung [§ 3a], Rn. 1514). Der Pflichtverteidiger darf allerdings keinen Druck auf den Mandanten im Hinblick auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ausüben (vgl. dazu u.a. BGH NJW 1980, 1394; StRR 2010, 236), also ihm deren Abschluss z.B. in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einem Termin antragen (vgl. BGH, a.a.O., für Hauptverhandlung). Auch darf er den Mandanten nicht massiv bedrängen und eine „Schlecht-/Minderleistung“ in Aussicht stellen (vgl. dazu die Fallgestaltung bei KG StRR 2011, 261 m., Anm. Burhoff). Aber hat der Pflichtverteidiger das hier getan? M.E. nicht. Denn er hatte den Mandanten wie folgt angeschrieben:

Sehr geehrter Herr NN,

ich teile Ihnen gegenüber mit, dass ich nunmehr Ihrem Wunsch entsprechend zum Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren beauftragt wurde. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass wir uns bei der nächsten Besprechung ggf. über die Verabredung eines Zusatzhonorars unterhalten können, da Sie sich bestens vorstellen können, dass das Honorar eines Pflichtverteidigers — zumal im Vollstreckungsverfahren — als vollkommen unangemessen zu bewerten ist.

Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich Sie zu einer Besprechung in Gießen aufsuchen.
Zur Ihrer Einstellung und Vorbereitung übersende ich Ihnen in Kopie das Prognosegutachten der Klinik vorab.

Mit freundlichem Gruß“

 

In dem Schreiben kann ich ein unangemessenes Bedrängen des Mandanten, aus dem der schließen kann/muss, der – von ihm gewünschte – Rechtsanwalt werde, wenn es nicht zum Abschluss der Vergütungsvereinbarung komme, seine Verpflichtungen ihm gegenüber nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfüllen, nicht erkennen. Anders im Fall des KG (vgl. den Sachverhalt in StRR 2012, 261). Hier ist bislang lediglich angekündigt worden, dass man sich über die „Verabredung eines Zusatzhonorars“, also eine Vergütungsvereinbarung „unterhalten“ wolle. Nachteilige Folgen für den Fall, dass diese nicht abgeschlossen wird, werden nicht in Aussicht gestellt und kann man m:E. auch nicht in das Schreiben des Verteidigers hineinlesen. Damit stellt die Entscheidung des Vorsitzenden die Rechtsprechung des BGH, ohne das mit einem Wort zu begründen auf den Kopf: Wenn nämlich allein der Vorschlag, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen, ausreicht, um eine Störung des Mandatsverhältnisses anzunehmen, dann gilt der Grundsatz, dass auch der Pflichtverteidiger eine Vergütungsvereinbarung treffen kann, nicht mehr. Die Entscheidung schießt damit weit über das Ziel hinaus.

 

2. Und Letzteres gilt erst recht für die im Beschluss enthaltene Mitteilung des Vorsitzenden, die ich wörtlich zitiere: „Der Vorsitzende legt die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor, denn der Pflichtverteidiger hat keinen Anspruch auf ein Zusatzhonorar und stellt dem Mandanten hinreichend deutlich vor Augen, dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle.“ Also: Anregung eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung (§ 240 StGB). Aber: Wo bitte wird vom Pflichtverteidiger damit gedroht/in Aussicht gestellt, „dass er ohne das Zusatzhonorar seine gesetzlichen Pflichten als Verteidiger nicht ordentlich erfüllen wolle“. Es wird lediglich ein Gespräch über die Vergütungsvereinbarung angekündigt. Das ist aber noch keine Nötigung. Offenbar wird das aber beim LG Marburg anders gesehen.

 

3. Was mich zusätzlich erstaunt: Der Pflichtverteidiger hat die Entscheidung rechtkräftig werden lassen. Das verstehe ich nun gar nicht. M.E. wäre die Beschwerde angebracht und auch erfolgreich gewesen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Pflichtverteidigerentpflichtung: Lieber Herr Kollege, was soll das?

Vielleicht bin ich ja noch nicht lange genug als Rechtsanwalt tätig, um das Verhalten eines Berliner Kollegen, das dieser in der Hauptverhandlung beim LG an den Tag gelegt hat, zu verstehen. Vielleicht kann mir ja mal jemand erläutern, was es dem Mandanten eigentlich bringen soll, wenn ich mich als Verteidiger so verhalte – wobei ich davon ausgehe, dass das Verhalten in KG, Beschl. v. 09.02.2011 – 4 Ws 16/11 zutreffend dargestellt ist. Dort heißt es:

„Einzelne Situationen der ursprünglich auf vier Tage anberaumten und inzwischen 49 Tage andauernden Hauptverhandlung belegen dies:

  • Am 26. Oktober 2010, als er als einziger Verteidiger des Angeklagten X. anwesend war, stand er demonstrativ während der laufenden Hauptverhandlung auf, packte seinen Aktenkoffer und erklärte auf die Aufforderung des Vorsitzenden, er möge sich wieder setzen, er könne aufstehen, wann er wolle, er sei ein freier Mensch. Nach langer Diskussion mit dem Vorsitzenden setzte sich der Anwalt zwar wieder, gab aber unentwegt weitere störende lautstarke Erklärungen ab, bis er die Unterbrechung der Hauptverhandlung schließlich erzwungen hatte.
  • Nach einer Inaugenscheinnahme weigerte er sich mit den Worten, „Sie können mich nicht zwingen“, wieder an seinen Platz zu gehen und gab erneut mit erhobener, den Vorsitzenden übertönender Stimme Erklärungen ab.
  • Am 21. Juni 2010 bestand Rechtsanwalt Y. anlässlich einer Zeugenvernehmung darauf, das gesamte Vernehmungsprotokoll eines Mitangeklagten als Vorhalt vorzulesen und verbat sich lautstark und vehement jede Unterbrechung durch den Vorsitzenden.
  • Einige Tage später erhob sich Rechtsanwalt Y. während der laufenden Hauptverhandlung, ging zu einem Mitverteidiger und unterhielt sich mit ihm. Auf die Ermahnung, er störe die Hauptverhandlung, behauptete er, hierzu berechtigt zu sein.

Dabei hat es sich ausweislich der angefochtenen Entscheidung auch nicht um ein situationsgebundenes einmaliges Versagen, sondern um von dem Rechtsanwalt trotz Beanstandung durch den Vorsitzenden wiederholt während der Hauptverhandlung praktizierte Verfahrensweisen gehandelt.

Hinzu kommen ferner die zahlreichen in dem angefochtenen Beschluss aufgeführten verbalen Ausfälle Rechtsanwalt Y. in der Hauptverhandlung.

  • So beriet er unter anderem bei einer Gewährung rechtlichen Gehörs seinen Mandanten lautstark, er „müsse auf diesen Unsinn nicht antworten“ und gegen den Vorsitzenden gerichtet, „den ganzen Dreck“ könne dieser sich sparen.
  • Gegenüber einer Sachverständigen erklärte er, sie missachte das Rechtsstaatsprinzip und zeige eine obrigkeitliche Repressionshaltung, indem sie Mechanismen, die aus der Diktatur stammen, anwende.
  • Als der Vorsitzende eine Frage des Rechtsanwalts an einen Zeugen beanstandete, entgegnete ihm Rechtsanwalt Y.: “Wäre nett, Sie halten den Mund; ich fordere Sie auf, halten Sie den Mund“.

Sorry, und wenn ich dann noch lese, dass die Hauptverhandlung ursprünglich für 4 Tage gedacht war, dann aber mindestens 49 Tage gedauert hat, kann ich nur sagen: da fällt mir nicht mehr ein, außer: Lieber Herr Kollege, was soll das bzw. was bringt das?

Pflichtverteidiger die 2.: Raus aus der Haft, keinen Pflichtverteidiger mehr?

Machen wir heute mal einen Pflichtverteidigungstag 🙂 – sollte an sich als zweite raus, hat aber nicht geklappt 🙁

Das OLG Düsseldorf weist in seinem Beschl. v. v. 09.11.2010 – III-4 Ws 615/10 darauf hin, dass die Entlassung eines in anderer Sache Inhaftierten nicht automatisch die Aufhebung einer deswegen erfolgten Pflichtverteidigerbeiordnung rechtfertigt. Vielmehr setze die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung stets das Vorliegen einer objektiven Änderung der Notwendigkeit einer Verteidigung voraus. Erfolge die Beiordnung aufgrund des Umstandes, dass ein Angeklagter in anderer Sache inhaftiert ist und werde der Inhaftierte später entlassen, reiche dieser formelle Umstand allein als Grund für die Änderung der Umstände nicht aus. Der bloße Umstand, dass ein Inhaftierter entlassen werde und entsprechend die Möglichkeit hätte, sich um einen Verteidiger nach Wahl zu bemühen, eröffne lediglich einen Ermessensspielraum, um die Bestellung zu überprüfen. Von diesem Ermessen müsse das Gericht vor einer Aufhebung zumindest erkennbar Gebrauch machen. Stimmt., wird leider aber in der Praxis häufig anders gesehen