Schlagwort-Archive: Einstellung

Binsenweisheit: Eingestellt ist eingestellt, oder: Buchführung durcheinander

© Dmitry – Fotolia.com

An sich eine Binsenweisheit, die zum BGH, Beschl. v. 04.06.2013 – 4 StR 192/13 – geführt hat. Nämlich: Nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten können bei der Urteilsfindung nicht mehr berücksichtigt werden, es sei denn das Verfahren ist wieder aufgenommen worden. Das hatte eine Strafkammer beim LG Magdeburg übersehen. Der BGH hat das Vorliegen dieses von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses aber erkannt und dann selbst eingestellt.

„1. Das Verfahren in den Fällen II. 3 bis II. 6 der Urteilsgründe ist einzustellen.

Dazu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. Mai 2013 Folgendes ausgeführt:

„Die Revision ist teilweise begründet, da bezüglich der Fälle II. 3. bis 6. ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vorliegt, das zur Teileinstellung gemäß § 260 Abs. 3 StPO – und damit verbunden auch zu einer Änderung des Schuldspruchs – führt. Hinsichtlich dieser Fälle (Ziffern 9. bis 16. der Anklageschrift vom 26. September 2012) hat das Landgericht durch Beschluss auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 04. Januar 2013 vorläufig gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt (Bd. V, Bl. 84 d.A.).

In der Anklageschrift vom 26. September 2012 hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten unter den Ziffern 1. bis 18. zur Last gelegt, in den Monaten von März 2011 bis November 2011 dem gesondert verfolgten B. 2 Mal im Monat Betäubungsmittel, deren Art und Mengen genauer bezeichnet sind, verkauft zu haben (Bd. IV, Bl. 87 d.A.). Die Anklage geht bei der vorgenommenen Bezifferung ersichtlich von einer – einzig auch sinnvollen – chronologischen Reihenfolge aus. So werden etwa die Verkäufe im November 2011 ausdrücklich als Taten 17. und 18. bezeichnet.

Die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Taten, Ziffer 9. bis 16. der Anklageschrift, betreffen daher die Betäubungsmittelverkäufe in den Monaten Juli, August, September und Oktober 2011. Dass die Strafkammer abweichend von der Chronologie der Anklage andere Taten hat einstellen wollen, ist weder den Urteilsgründen noch dem Protokoll der Hauptverhandlung zu entnehmen. Einer solchen Annahme widerspricht auch der am gleichen Tag erfolgte Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 258 Abs. 1 StPO, der ausdrücklich auf die Bezifferung der Anklageschrift Bezug genommen hat (Bd. V, Bl. 84 d.A.). Daher steht der erfolgten Verurteilung in den Fällen II. 3. bis 6. der Urteilsgründe die vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, die mangels Wiederaufnahme des Verfahrens nach wie vor in Kraft ist, entgegen. Dies führt zur Teileinstellung des dem Beschluss vom 04. Januar 2013 nachfolgenden Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO (vgl. Senat; Beschluss vom 27. April 2000, 4 StR 85/00; BGH, Beschluss vom 13. November 2003, 3 StR 359/03).“

Man fragt sich natürlich, wie so etwas zustande kommt? Nun, da muss die Buchführung der Kammer durcheinander geraten sein. Kann passieren, wenn viele Taten angeklagt sind, darf aber an sich nicht.

Akten zurück an die Verwaltungsbehörde –> Verjährung –> Einstellung –> Befriedungsgebühr +

In einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren kommt es zu folgendem Ablauf: Der Verteidiger moniert,  dass er ihm überlassen Unterlagen nicht ausdrucken kann. Der Hauptverhandlungstermin wird aufgehoben, die Akten werden gem. § 69 Abs. 5 OWiG zurück an die Verwaltungsbehörde geschickt. Bis die Akten wieder beim AG ankommen, ist Verjährung eingetreten, das Verfahren wird eingestellt. Der Verteidiger macht dann auch die Befriedungsgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend. Der LG Oldenburg, Beschl. v. 22.05.2013 – 5 Qs 149/13 – sagt: Zu Recht:

„Jedoch war die Entscheidung in Bezug auf die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu ändern. Diese ist angefallen, weil es hierfür lediglich einer Tätigkeit des Verteidigers bedarf, welche die Verfahrenserledigung fördert und dabei keine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 20.01.2011, Az. IX ZR 123/10, juris). Dabei ist auch eine Förderung der Sachaufklärung nicht erforderlich (BGH, ebenda), es genügt ein ursächlicher Beitrag zur Erledigung des Verfahrens (LG Baden-Baden, Beschluss vom 09.08.2000, Az. 1 Qs 111/00, juris), welcher auch in einer Aktivität zwecks Verjährung bestehen kann (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, Nr. 4141 VV RVG Rn. 9). So liegt der Fall hier. Denn das Amtsgericht hat die zuvor einmal terminierte Sache nicht wieder terminiert, nachdem der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.07.2012 mitgeteilt hat, die ihm von dem Landkreis per E-Mail übersandte Bedienungsanleitung für das Messgerät sei lediglich zu öffnen, nicht aber auszudrucken. Auf dieses Schreiben hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.07.2012 gem. § 69 Abs. 5 OWiG mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung im Sinne des § 69 Abs. 5 OWiG an den Landkreis Cloppenburg zurückverwiesen. Nachdem der Landkreis sodann die Bedienungsanleitung an den Verteidiger übersandt und die Akten im Januar 2013 an die Staatsanwaltschaft geleitet hat, ist durch Beschluss des Amtsgerichts vom 11.02.2013 das Verfahren wegen der zwischenzeitig eingetretenen Verjährung eingestellt worden. Die Mitteilung des Verteidigers, die Bedienungsanleitung nicht ausdrucken zu können, ist folglich ursächlich für den Eintritt der Verjährung geworden. Ohne die Mitteilung wäre durch das Amtsgericht nicht gem. § 69 Abs. 5 OWiG verfahren worden. Es ist auch keinesfalls offenkundig, dass unabhängig von der Tätigkeit des Verteidigers das Verfahren sowieso eingestellt worden wäre (dazu: BGH a.a.O.). Schließlich sind keine Gründe für eine Verfahrenseinstellung aus einem anderen Grund erkennbar.“

Insoweit zutreffend. Über die m.E. unzutreffenden Ausführungen des LG betreffend Auslagenpauschale und Festgebühr decken wir das Mäntelchen des Schweigens. Die Frage, ob die Auslagenpauschale doppelt anfällt, wird sich hoffentlich bald erledigt haben. Das 2. KostRMoG trifft in § 17 Nr. 11 RVG eine ausdrückliche Regelung: Ja.

Christian Wullff lehnt § 153a StPO ab…..na, dann auf in die Hauptverhandlung?

© Timur Emek/dapd

LTO meldet, dass Ex-Bundespräsident Christian Wulff die Einstellung des gegen ihn anhängigen Korruptionsverfahrens gegen Auflage (§ 153a StPO) abgelehnt hat (vgl. hier LTO und auch Spiegelonline; vgl. auch hier: Ein teures Upgrade – 20.000 € für zwei Hotelübernachtungen?, oder: Wie entscheidet sich Christian Wulff?).

In der Meldung heißt es:

„Christian Wulff hat das Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt, das Ermittlungsverfahren gegen ihn einzustellen. Er hätte eine Geldauflage von 20.000 Euro bezahlen müssen. Stattdessen hofft er nun darauf, vollständig von den Vorwürfen entlastet zu werden.

Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt seit Anfang letzten Jahres gegen Christian Wulff, weil der Filmproduzent David Groenewold ihm 700 Euro für eine Reise nach München gezahlt haben soll. Im Gegenzug soll sich Wulff für ein Filmprojekt Groenewolds eingesetzt haben. Wegen der drohenden Ermittlungen war Wulff am 16. Februar 2012 als Bundespräsident zurückgetreten.

Mitte März boten die Strafverfolger an, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage von 20.000 Euro einzustellen. Der ehemalige Bundespräsident hat sich nun dagegen entschieden. Seinen Anwälten zufolge soll das Gerichtsverfahren ihn rehabilitieren. Die Staatsanwaltschaft muss jetzt entscheiden, ob sie Anklage erhebt.“

Nun, dann haben wir da ja ggf. den nächsten Dauerbrenner.

Wer den Mund hält, wird mit Kosten „bestraft“?

© Gina Sanders – Fotolia.com

Im Bußgeldverfahren ist folgende Konstellation, die dem AG Leipzig, Beschl. v. 12.02.2013 – 231 OWi 208/13 – zugrunde gelegen hat, nicht selten: Nach Einstellung des Bußgeldverfahren gegen die Betroffene und Rücknahme des Bußgeldbescheides wird die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Stadtkasse gemäß § 109a Abs.2 OWiG abgelehnt, da durch ein rechtzeitiges Vorbringen der entlastenden Umstände die entstandenen Auslagen hätten vermieden werden können. Grundlage dieser Kostenentscheidung ist folgender Sachverhalt:

„Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, dass Ihre Mandantin am 15.03.2012 mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen XXXXX, trotz eines Verkehrsverbots zur Vermeidung schädlicher Luftverunreinigungen am Verkehr teilgenommen haben soll.
Im daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren wurde Ihrer Mandantin am 21.03.2012 unter der vom Kraftfahrtbundesamt mitgeteilten Wohnanschrift ein Anhörungsbogen zugesandt. Der Anhörungsbogen kam nicht als unzustellbar zurück, so dass davon auszugehen ist, dass Ihre Mandantin dieses Schreiben auch erhalten hat, zumal sie unter Vorlage einer Vollmacht mit Schreiben vom 27.03.2012 Akteneinsicht beantragten. Diese wurde Ihnen am 02.04.2012 gewährt. Eine Äußerung erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht, weshalb nach Aktenlage zu entscheiden und von der Fahrereigenschaft Ihrer Mandantin auszugehen war. Gegen den am 10.05.2012 erlassenen und Ihnen am 12.05.2012 zugestellten Bußgeldbescheid legten Sie mit Schriftsatz vom 25.05.2012 Einspruch ein. Eine weitergehende Entlastung, beispielsweise durch die Mitteilung, dass die Mandantin nicht Fahrzeugführerin war bzw. wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hatte, erfolgten nicht.
Erst mit Schreiben vom 15.06.2012 teilten Sie mit, dass Ihre Mandantin zwar Halterin des Fahrzeuges, jedoch nicht Nutzerin im Zeitraum 12.03. – 16.03.2012 gewesen sei.
Der Fahrzeugführer sei der Sohn ihrer Mandantin, Herr pppppp, gewesen. Die Ordnungswidrigkeit konnte wegen Verfolgungsverjährung gegenüber dem tatsächlichen Fahrzeugführer nicht mehr verfolgt werden. Somit wurde das Verfahren am 20.06.2012 eingestellt und der Bußgeldbescheid zurückgenommen.“

Das sieht das AG anders: Für die Ermessensausübung nach § 109a Abs. 2 OWiG sei darauf abzuheben, ob sich für das Verhalten des Betroffenen, Entlastungsmomente erst spät vorzutragen ein verständlicher und einfühlbarer Grund finden lasse, oder ob es vom Standpunkt eines redlichen Betrachters aus nicht gebilligt oder entschuldigt werden könne. Billigenswerter Grund in diesem Sinne sei u.a. der Schutz eines nahen Angehörigen vor Verfolgung. M.E. zutreffend weist das AG darauf hin, dass „jede andere Entscheidung vorliegend das Recht eines jeden Betroffenen im Bußgeldverfahren zum Tatvorwurf zu schweigen, letztlich untergraben würde, da in diesem Falle immer mit negativen Kostenfolgen zu rechnen hätte.

 

Das Gute kommt (fast) zum Schluss – (Ausnahme)Kostenentscheidung bei § 153a StPO

© M. Schuppich – Fotolia.com

Das Gute kommt (fast) zum Schluss? Ja, das Arbeitsjahr ist bei vielen, wie mir die große Zahl an automatischen Antworten auf Mails zeigt, fast zu Ende. Das Jahr 2012 hat zwar noch eine Woche, aber da scheint dann auch nicht mehr viel los zu sein an den beiden „Arbeitstagen“ am 27. und 28.12.2012- Daher schon heute – natürlich bloggen wir auch an den kommenden Tagen – der Hinweis auf den kosten- und auslagenmäßig interessanten AG Backnang, Beschl. v. 16.10.2012 – 2 Ds 93 Js 111535/11, der nach Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO ergangen ist und die notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt hat, was in der Praxis eher die Ausnahme sein dürfte.

Das AG Backnang begründet seine Entscheidung wie folgt:

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO.

Von der Möglichkeit des § 467 Abs. 4 StPO, wonach im Falle einer Ermessenseinstellung davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, hat das Gericht keinen Gebrauch gemacht. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

Auch bei Einstellungen nach Ermessen gilt als Grundsatz die Regelung des § 467 Abs. 1 StPO. Ferner ist anerkannt, dass die Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind, wenn der bei der Einstellung noch vorhandene Verdacht sich auf eine Straftat bezieht, die sehr viel leichter wiegt als der Vorwurf, zu dessen Entkräftung der Angeklagten die Auslagen entstanden sind (Meyer-Goßner, § 467 StPO, Rn. 19). Dies ist vorliegend der Fall. Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten zunächst gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt, das Gericht hat die entsprechende Anklage in vollem Umfang zur Hauptverhandlung zugelassen. Aufgrund des auf Antrag des von der Angeklagten hinzugezogenen Verteidigers eingeholten Sachverständigengutachtens stellte sich heraus, dass der diesbezügliche Anklagevorwurf nicht aufrecht erhalten werden kann; die verbliebenen weiteren Anklagevorwürfe waren allesamt von deutlich geringerem Gewicht. Bereits dieser Umstand führt dazu, dass ein Abweichen vom Grundsatz des § 467 Abs.1 StPO nicht sachgerecht erscheint.

Hinzu kommt vorliegend, dass der wesentliche entlastende Umstand, der überhaupt erst zur Einstellung führte, ausschließlich aufgrund des begründeten Antrags des Verteidigers ermittelt wurde. Die Staatsanwaltschaft sah im Ermittlungsverfahren keinen Anlass, die Angaben des Zeugen S. überprüfen zu lassen, und das Gericht ließ die Anklage in vollem Umfang zu, ohne etwa von der Möglichkeit des § 202 StPO Gebrauch zu machen. Werden aber wesentliche entlastende Umstände von den Strafverfolgungsbehörden nicht von Amts wegen ermittelt, sondern bedarf es hierzu entsprechender Verteidigeranträge, so erschiene es unbillig, die Angeklagte mit den hierfür anfallenden Anwaltskosten zu belasten.

Die Argumentation sollte man im Augen/Gedächtnis behalten.