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OLG Koblenz: Keine Aufhebung der Sicherungsverwahrung aufgrund EGMR-Urteil

Nach einer Pressemitteilung des OLG Koblenz, über die LNCA berichtet, hat der 1. Strafsenat des OLG Koblenz jetzt zur Sicherungsverwahrung Stellung genommen. Es heißt dort:

„Das Kammerurteil des EGMR vom 17.12.2009 führt in gleich gelagerten Fällen nicht zwangsläufig zur Aufhebung der Sicherungsverwahrung. Darauf hat das OLG Koblenz mit einem Beschluss hingewiesen.

In seinem Beschluss vom 07.06.2010 hatte der 1. Strafsenat des OLG Koblenz über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in einem Fall zu entscheiden, in dem die Sicherungsverwahrung bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1984 angeordnet worden war. Zu dieser Zeit war die Sicherungsverwahrung selbst bei Fortbestehen der Gefährlichkeit des Untergebrachten auf 10 Jahre begrenzt (§ 67d Abs. 1 StGB alter Fassung). Die Zehnjahresgrenze ist erst mit der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB durch Gesetz vom 26.01.1998 weggefallen. Aus diesem Grund hatte der EGMR in einem gleich gelagerten Fall, in dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung und die Anlasstat ebenfalls vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über 10 Jahre hinaus als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und damit als unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK angesehen.

Der zuständige Strafsenat des OLG Koblenz hat in seinem Beschluss festgestellt, dass das Urteil des EGMR keine Bindungswirkung über den konkret entschiedenen Fall hinaus entfaltet. Zwar folge aus Art. 1 EMRK eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats, eine durch den Gerichtshof festgestellte Konventionsverletzung auch in parallelen Fällen zu beenden. Urteile des EGMR hätten jedoch keine Gesetzeskraft. Sie wirkten nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hinein und könnten damit eine konventionskonforme innerstaatliche Rechtslage nicht erzeugen. Die Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt hätten die Europäische Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den EGMR lediglich im Wege der Gesetzesauslegung zu beachten.

Schon der Wortlaut der §§ 67d Abs. 3, 2 Abs. 6 StGB, der die Grenze jeder Gesetzesauslegung bilde, lasse aber eine Ausnahme für Altfälle nicht zu. Es sei der erklärte Wille des Gesetzgebers gewesen, dass der Wegfall der Zehnjahresdauer gemäß § 67d Abs. 1 StGB alter Fassung nicht nur für künftige Anordnungen der Sicherungsverwahrung, sondern auch für „Altfälle“ gelte. Da die Gesetzesänderung nicht die Anordnung, sondern lediglich die Dauer der Sicherungsverwahrung betrifft, habe der Gesetzgeber darin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gesehen. Dessen Ziel sei es gewesen, mit der Neuregelung einen möglichst umfassenden Schutz der Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten. Auch das BVerfG habe in seinem Urteil vom 05.02.2004 (Az.: 2 BvR 2029/01) die Geltung des § 67d Abs. 3 StGB für Altfälle für verfassungsgemäß erklärt. Die Umsetzung des Urteils des EGMR in das innerstaatliche Recht sei letztlich dem Gesetzgeber vorbehalten.

Der Senat sah daher in dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 keinen Anlass, die angeordnete Sicherungsverwahrung im konkreten Fall zu beenden. Vor einer Entscheidung über eine Erledigung der Sicherungsverwahrung hielt er vielmehr die Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen gem. § 463 Abs. 3 S. 4 StPO für erforderlich.

Beschluss des OLG Koblenz vom 07.06.2010

Az.: 1 Ws 108/10

Quelle: Pressemitteilung des OLG Koblenz vom 09.06.2010

Fall Gäfgen: Urteil der Großen Kammer des EGMR ist da; und zwar mit einem Teilerfolg

In der beim EGMR anhängigen Beschwerdesache Gäfgen – uns allen bekannt – liegt jetzt das Urteil der Großen Kammer vor. Bisher kenne ich nur die Pressemitteilung, die hier auf Deutsch steht. Wenn man die Entscheidung zusammenfassen will/kann: Es hat es sich bei der Gewaltandrohung wohl um eine unmenschliche Behandlung gehandelt, die aber keine Auswirkungen auf die Fairness der Verfahrens gehabt hat. Verletzung von Art. 3 MRK und nicht auch von Art. 6 MRK. Keine Wiederaufnahme des Verfahrens, also nur ein Teilerfolg. Das Urteil selbst liegt bisher nur in Englisch oder Französisch vor. Das kann ich nicht :-).

Neu!!! § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO: Erweiterte Akteneinsicht bei Untersuchungshaft

Zu den Neuerungen, die am 01.01.2010 in Kraft getreten sind, gehört auch die Ergänzung in § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO, die u.a. auch Rechtsprechung des EGMR zurückgeht (Lamy, Schöps u.a.). Danach können jetzt bei einem inhaftierten Mandanten diejenigen Aktenteile nicht mehr zurückgehalten werden, die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung erforderlich sind. Und das sind m.E. alle. In die ist in geeigneter Weise Akteneinsicht zu gewähren. Nicht ausreichend dürften „ausgedünnte Aktenteile“ sein. Und: Im Gesetzgebungsverfahren ist der letzte Halbsatz noch eingefügt worden. „.. in der Regel ist Akteneinsicht zu gewähren“. Damit ist klar, was mit „geeigneter Weise“ gemeint ist: Akteneinsicht. Der Verteidiger muss sie nur noch durchsetzen.

EGMR: Deutsches Recht zur Sicherungsverwahrung verstößt gegen EMRK

Der EGMR hat heute ein Urteil über die Verlängerung der Sicherungsverwahrung von Straftätern verkündet. Der EGMR beanstandet darin, dass der deutsche Gesetzgeber die ursprünglich vorgesehene Höchstfrist der Sicherungsverwahrung von 10 Jahren auch für solche Straftäter aufgehoben hat, die ihre Tat schon vor dem Zeitpunkt der Gesetzesänderung begangen hatten. Der EGMR sieht darin einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 05.02.2004 (2 BvR 2029/01) die Vereinbarkeit der Aufhebung der Höchstfrist auch für solche „Altfälle“ mit dem Grundgesetz bestätigt.

Das BMJ teilt dazu u.a. mit:

Da das Urteil des EGMR nach dem Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention zu einem anderen Ergebnis kommt, bedarf seine Begründung einer ausführlichen Analyse und einer sorgfältigen rechtlichen Bewertung. Tragfähige Schlüsse auf mögliche Konsequenzen für das deutsche System der Sicherungsverwahrung können erst nach Abschluss dieser Prüfung gezogen werden.

Das Urteil des EGMR ist zunächst nicht endgültig und daher nicht unmittelbar verbindlich. Die Bundesregierung erwägt, gemäß Art. 43 EMRK die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer des EGMR zu beantragen. Im Lichte des endgültigen und für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Urteils wird dann entschieden, auf welche Weise der festgestellte konventionswidrige Zustand beendet werden kann.

Eine zentrale Rolle wird auch die Frage spielen, wie auf rechtsstaatlicher Grundlage der notwendige Schutz der Bevölkerung vor notorisch gefährlichen Straftätern mit dem unbedingten Ausnahmecharakter der Sicherungsverwahrung sachgerecht zum Ausgleich gebracht werden kann.

vgl. PM vom heutigen Tage.

Ich frage mich: Was muss man denn da groß prüfen und analysieren. Der EGMR hat doch gesagt: Gewogen und zu leicht befunden.

EGMR, Urt. v. 17.12.2009 – 19359/04

EGMR zur Akteneinsicht beim inhaftierten Beschuldigten

Der EGMR hat mal wieder zur Akteneinsicht beim inhaftierten Beschuldigten entschieden (vgl. Beschl. v. 02.06.2009, 29705/05). Danach verstößt es gegen das völkerrechtlich verbürgte Recht auf Freiheit und Sicherheit, wenn einem anwaltlichen Verteidiger in einem nationalen Haftprüfungsverfahren die von ihm beantragte Akteneinsicht versagt wird. In einem solchen Fall kommt ein inhaftierter Beschwerdeführer nicht in den Genuss eines kontradiktorischen Verfahrens, in dem die Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien sichergestellt ist. Das ist eine Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des EGMR. Die Problematik wird sich aber hoffentlich nach Inkrafttreten des neuen § 147 Abs. 1 Satz 2 StPO am 01.01.2010 entschärfen. Danach ist in den Fällen „in der Regel“ Akteneinsicht zu gewähren.