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Man könnte k……, wenn man das liest. Schon wieder Busemann zur Sicherungsverwahrung….

Das OLG Karlsruhe hat heute zwei langjährig in Sicherungsverwahrung Untergebrachte  entlassen (vgl. u.a. hier) und sich damit hinsichtlich der Umsetzung der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 der wohl inzwischen h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung angeschlossen. Nur das BVerfG scheint das anders zu sehen. Und natürlich, na, wer wohl. Richtig: JM Busemann aus Niedersachsen, der sofort mit einer PM reagiert hat, in der es heißt:

„Mit mehr als deutlichem Unbehagen“ hat der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann den am Donnerstag (15.07.2010) ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe zur Kenntnis genommen, wonach ein wegen mehrfacher Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung Vorbestrafter aus der gerichtlich angeordneten Sicherungsverwahrung in die Freiheit entlassen wird, obwohl er Gutachten zufolge noch gefährlich ist. „Besonders fatal ist, dass der Betreffende angekündigt hat, sich jetzt in Niedersachsen aufhalten zu wollen“, sagte Busemann.

Der jetzt freizulassende Vergewaltiger sei zwar grundsätzlich der Führungsaufsicht, mit der bestimmte Verhaltensregeln auferlegt werden, durch die Strafvollstreckungskammer Freiburg unterstellt worden. „Es liegt aber noch kein entsprechender Beschluss vor. Deshalb sind jetzt die Polizei- und Justizbehörden in Niedersachsen gefordert, alle Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Polizei und Justiz arbeiten eng zusammen. Der Freigelassene muss notfalls rund um die Uhr überwacht werden“, sagte Busemann. All das könne aber die Sicherungsverwahrung nicht ersetzen und sei für mehr als in einem Fall kaum zu schaffen.

Erneut zeige sich, dass in Fällen dieser Art die Sicherungsverwahrung, auch und gerade die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung, ein unverzichtbares Instrument sei, um die Bevölkerung vor gefährlichen Sexualstraftätern zu schützen. „Ich halte es für eine Zumutung, dass sich seit der Rechtskraft der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf Bundesebene noch nichts Weiterführendes getan hat. An der niedersächsischen Rechtsauffassung halte ich fest. Trotz des EGMR-Urteils muss niemand freigelassen werden, der als weiterhin gefährlich eingestuft ist“, machte Busemann deutlich. Dies sei inzwischen auch durch die unabhängige niedersächsische Gerichtsbarkeit so bestätigt worden. „Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum die durch das EGMR-Urteil entstandene Situation bis zu einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht nicht in allen Bundesländern gleichermaßen eindeutig bewältigt wird“, so Busemann abschließend.“

Wenn man es liest, man könnte k……., aber es überrascht nicht mehr. Herr Busemann ist, was die SV angeht wohl ein richtiger Hardliner, der offenbar nicht begriffen hat, dass der Zug in Richtung Europa fährt und was von dort kommt, nun mal umzusetzen ist; egal ob es uns gefällt (mir gefällt auch nicht alles).

Sehr „schön“ auch diese Passage:

Dies sei inzwischen auch durch die unabhängige niedersächsische Gerichtsbarkeit so bestätigt worden. „Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum die durch das EGMR-Urteil entstandene Situation bis zu einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht nicht in allen Bundesländern gleichermaßen eindeutig bewältigt wird“, so Busemann abschließend.“

Das impliziert doch: Nur unsere Justiz ist unabhängig und nur unsere Justiz macht es richtig. Alle andere machen es falsch. Da werden sich die (ehemaligen) Richterkollegen aber freuen, wenn sie das lesen.

Abschließend: Jetzt weiß ich endlich, warum Christin Wulff unbedingt Bundespräsident werden wollte. Das war der sicherste Weg von JM Busemann wegzukommen. 🙂 Und. Man will nicht glauben, dass Herr Busemann Rechtsanwalt ist/sein soll.

Sicherungsverwahrte bleiben drin (II) – gut so, meint Herr Busemann

Heute ist ja schon in mehreren Blogs über die Entscheidung des BVerfG zur Fortdauer der Sicherungsverwahrung für einen Sexualstraftäter berichtet worden (vgl. hier, hier und hier). Zu dieser Entscheidung (vgl. hier) meldet sich dann natürlich auch die Politik zu Wort. Vorneweg der JM Busemann aus Niedersachsen. In seiner PM heißt es:

„Das höchste deutsche Gericht gibt uns mit dieser Entscheidung einen wichtigen Hinweis für die gesetzliche Neuregelung der Sicherungsverwahrung“, hat der Niedersächsische Justizminister Bernd Busemann den am Dienstag (13.07.2010) vom Bundesverfassungsgericht veröffentlichten Beschluss vom 30. Juni 2010 begrüßt.

Dabei ging es um einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Entlassung eines wegen Missbrauchs von Kindern und Vergewaltigung vorbestraften Sexualstraftäters aus der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung. Weil das Bundesverfassungsgericht erneut das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit höher bewertete als das Interesse des Sicherungsverwahrten an seiner persönlichen Freiheit, wurde der Antrag abgewiesen. Der als gefährlich eingestufte Sexualstraftäter bleibt in Verwahrung.

„Das Bundesverfassungsgericht hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung erneut nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor gefährlichen Gewalttätern ist Verpflichtung des Staates. Deshalb ist es weder richtig noch nachzuvollziehen, warum ohne Not auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung verzichtet werden sollte“, sagte Busemann. Für die Rechtspolitik müsse es vielmehr darum gehen, bestehende Schutzlücken zu schließen. „Die Sicherheit der Bevölkerung muss den höchsten Stellenwert haben „, machte Busemann deutlich.“

In meinen Augen reiner Populismus. Ich sehe auch nicht ganz, wo man in den paar Zeilen die Hinweise für den Gesetzgeber sieht.

Und: Wie heißt es so schön in einem Kommentar zu meinem Posting:

„Vielleicht hat das BVerfG die Entscheidung des EGMR nicht verstanden: Sicherungsverwahrung ist als Strafe im Sinne der Konvention anzusehen, für die das Rückwirkungsverbot gilt. Eine Folgenabwägung oder Verhältnismäßigkeitserwägungen sind daher überhaupt nicht zulässig und schon vom Ansatz her falsch.“

Vielleicht hat Herr Busemann die Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 auch nicht verstanden. Würde mich nicht überraschen.

BVerfG: Keine sofortige Freilassung aus der Sicherungsverwahrung

Das BVerfG teilt in einer PM vom heutigen Tage zu seinem Beschl. v. 30. Juni 2010 – 2 BvR 571/10 gerade mit, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung und damit die sofortige Freilassung des Untergebrachten abgelehnt worden ist.

In der Sache ging es um die Umsetzung der inzwischen rechtskräftigen Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009. Der Untergebrachte hatte gegen den Beschl. des BGH in seiner Sache 1 StR 585/09 Verfassungsbeschwerde eingelegt.  Das BVerfG nimmt eine Folgenabwägung vor, die dazu führt, dass eine sofortige Freilassung des Beschwerdeführers nicht geboten ist. Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, entstünde dem Beschwerdeführer zwar in der Zwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit. Das Landgericht habe jedoch hat auf der Grundlage zweier psychiatrischer Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu schweren Sexualstraftaten (sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung) habe und deshalb im Falle seiner
Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Angesichts der besonderen Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit.

Also: Entscheidung im Haupsacheverfahren

Kommt im Strafverfahren die Divergenzvorlage zum BGH?

Die unterschiedlichen Auffassungen der OLG zur Frage der Auswirkungen des Urteils des EGMR vom 17.12.2009, über die wir ja auch schon berichtet haben, machen m.E. deutlich, dass eins in der StPO fehlt: die sog. Divergenzvorlage an den BGH, die in solchen Fragen dann Rechtssicherheit bringen könnte bzw. zumindest eine einheitliche Behandlung solcher Fragen.

Das scheint auch der Politik aufgegangen zu sein. Ich zitiere dazu aus einer PM des Justizministeriums des Landes Rheinland-Pfalz v. 09.07.2010

Bamberger zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Divergenzvorlage

Der rheinland-pfälzische Justizminister Heinz Georg Bamberger wies heute im Bundesrat auf die Wichtigkeit einer Ausweitung der sogenannten Divergenzvorlage nach § 121 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) hin. „In Folge der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach der rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Höchstfrist bei der deutschen Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechtskonvention verstoße, hat sich eine intensive Diskussion über die Konsequenzen dieser Entscheidung ergeben, deren Ergebnis noch nicht abzusehen ist“, so Bamberger.

Die Gerichte hätten nun zu entscheiden, ob vor dem Hintergrund des Urteils des EGMR gefährliche Straftäter, die sich in der Sicherungsverwahrung befinden, freizulassen seien. Gegen die Entscheidungen der erstinstanzlich zuständigen Strafvollstreckungskammern gebe es bisher – mit Ausnahme der Verfassungsbeschwerde – lediglich das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu den Oberlandesgerichten. Diese Entscheidung sei abschließend und könne – nach der derzeit geltenden Rechtlage – nicht mehr beim Bundesgerichtshof angefochten werden.

Widersprechende Entscheidungen der Oberlandesgerichte seien also möglich und auch bereits ergangen. Während das Oberlandesgericht Frankfurt/Main in dem Ausgangsverfahren die Freilassung des Sicherungsverwahrten angeordnet habe, hätten die Oberlandesgerichte in drei anderen Ländern eine Freilassung in parallelen Fällen abgelehnt. Um in dieser wichtigen Frage zu einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung zu gelangen, sei die Ausweitung der sogenannten Divergenzvorlage durch Änderung des § 121 Abs. 2 GVG erforderlich.

Bamberger: „Auch wenn sich die Bundesregierung nicht mit den Koalitionsfraktionen von CDU / CSU und FDP einigen kann, wie eine Reform der Sicherungsverwahrung in Deutschland auszusehen hat, so muss doch zumindest bundesweit für Rechtssicherheit gesorgt werden“.

Hintergrund:

Mit der Divergenzvorlage können Gerichte die Entscheidung eines obersten Bundesgerichts herbeiführen, wenn sie in einer ihrer Entscheidungen von der Rechtsprechung eines anderen Obergerichts oder der des obersten Bundesgerichts abweichen möchten.“

Dem möchte ich in der Sache beitreten, die politischen Akzente in der PM aber außen vorlassen.

Noch druckfrisch: Hier das OLG Hamm vom heutigen (!!) Tage zur Sicherungsverwahrung nach der Entscheidung des EGMR – mit Hieb auf den Gesetzgeber

Schneller geht es – glaube ich – nun wirklich kaum noch.

Die (ehemaligen) Kollegen in Hamm haben heute zur Anwendung/Auswirkung der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 auf die nach altem Recht in Sicherungsverwahrung Untergebrachten entschieden (vgl. Beschl. v. 06.07.2010 – 4 Ws 157/10) und mir den Beschluss freundlicher Weise übersandt (geht also doch noch :-).

Der 4. Strafsenat des OLG hat sich dafür entschieden, die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB  mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009, die seit dem 10.05.2010 rechtskräftig ist, dahin auszulegen, dass der Wegfall der 10-Jahres-Frist in § 67 d Abs. 1 a.F. keine Rückwirkung haben darf, so dass auf Straftaten, die vor dem 31.01.1998 begangen wurden, die alte Norm Anwendung finden muss und die Sicherungsverwahrung ggf. für erledigt zu erklären ist.

Ebenso haben bereits entschieden:

  • BGH, Beschluss vom 12.05.2010 – 4 StR 577/09 für den parallel gelagerten Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung;
  • OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.06.2010 – 3 Ws 485/10;
  • LG Koblenz, Beschluss vom 19.05. 2010 – 7 StVK 139/10;
  • LG Marburg, Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10;
  • LG Kassel, Beschluss vom 15.06.2010 – 34 StVK 162/10;
  • sowie Grabenwarter in seinem Rechtsgutachten für die Bundesregierung zu den Rechtsfolgen der Entschei­dung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 42 ff.).

Anderer Auffassung sind das

  • OLG Celle (Beschluss vom 25.05.2010, 2 Ws 169 u. 170/2010) und das
  • OLG Stuttgart (Beschluss vom 01.06.2010, 1 Ws 57/10).

Einen Hieb auf den Gesetzgeber hat sich das OLG dann nicht verkneifen können, wenn es im Beschluss heißt:

Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nicht tätig geworden. Soweit es den Äußerungen der Bundesjustizministerin zu entnehmen ist, soll die Verantwortung auf die Gerichte abgeschoben werden.