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Durchsuchung I: Durchsuchen wir doch mal beim Verteidiger….

© dedMazay - Fotolia.com

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Wenn man den LG Rostock, Beschl. v. 21.07.2015 – 18 Qs 212/14 liest, dann hat man schon den Eindruck, dass das AG Rostock nach der Devise verfahren ist: Ach, durchsuchen wir doch mal beim Verteidiger/die Rechtsanwaltskanzlei. Jedenfalls hat es m.E. wenig Gedanken an den Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§§ 53, 160a StPO) und überhaupt an die Voraussetzungen für die Anordnung eines Durchsuchungsmaßnahme verschwendet. Das führt dann zur Feststellung des LG, dass die Durchsuchung der Kanzleiräume des beschuldigten Rechtsanwalts rechtswidrig war. Das LG hat zwei Beanstandungen:

  1. „Inhaltlich leidet die Anordnung der Durchsuchung an Mängeln, da sie nicht hinreichend erkennen lässt, auf welche Straftat sich der die Anordnung begründende Anfangsverdacht richtet. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 9. 2. 2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 und 1030/04, NStZ-RR 2005, 203-205; BVerfG: Beschluss vom 07.09.2007 – 2 BvR 260/03, BeckRS 2007 26569, jew. m.w.Nachw.). In dem Durchsuchungsbeschluss vom 25.09.2014 fehlen konkrete Ausführungen zu der Haupttat, an welcher sich der Beschuldigte als Gehilfe beteiligt haben soll. Dort wird nur ausgeführt, dass es Anhaltspunkte für eine bewusste uneidliche Falschaussage gegeben habe. Ohne die Darstellung, inwieweit die Zeugen falsch ausgesagt haben, ist aber auch die Annahme, dass der Beschuldigte J. „steuernden Einfluss auf die falschen Aussagen der Zeugin S. genommen und diese dazu angestiftet“ habe, nicht zu begründen.“
  1. Die Anordnung der Durchsuchung war zudem auch unverhältnismäßig. Denn: Zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung gab es zwar gewisse Verdachtsmomente dahin, dass zumindest die Zeugen S. und W. in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Rostock im Verfahren 18 KLs 69/13 in Teilen die Unwahrheit gesagt haben könnten. Die Akten, welche dem Ermittlungsrichter vorlagen, bestanden indes hauptsächlich aus einer knappen Darstellung des komplexen Verfahrens und der Hauptverhandlung innerhalb der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 24.09.2014. Weitgehend auf Vermutungen wurde der Verdacht gestützt, dass der Beschuldigte die Zeugen in rechtswidriger Weise zu einer Falschaussage verleitet oder eine solche unterstützt haben sollte. Die Darstellung ist möglicherweise noch ausreichend, um plausibel einen Anfangsverdacht zu begründen. Eine ausreichende Grundlage für die Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei ist sie jedoch nicht.

Sondermeldung!! BVerfG schafft das Schweigerecht des Beschuldigten ab….

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Ja, in der Tat. Das wäre eine Sondermeldung (wert), wenn das BVerfG das Schweigerecht des Beschuldigten abschaffen würde bzw. abgeschafft hätte. Nun, so schlimm ist es dann doch (noch) nicht, aber: Ich habe mit dem BVerfG, Beschl. v. 30.07.2015 – 1 BvR 1951/13 – Probleme. Und nicht nur ich. Denn ich bin auf den Beschluss von verschiedenen Seiten hingewiesen worden, und zwar von meiner „Urteilsmutter“ hier für das Blog sowie auch von einem Mitherausgeber des StRR für den StRR. Beiden „gefiel“ der Beschluss nicht.

Und in der Tat: Zu Recht. Denn im Beschluss ist eine Passage enthalten, die stutzen lässt bzw. sauer aufstößt. In der Sache ging es um die Durchsuchung bei einer Bloggerin, die sich in ihrem Blog vor allem mit Themen aus dem Bereich sozialer Medien auseinandersetzt. Die hatte zuu ihrem Geburtstag einen „Ehrendoktor“ geschenkt bekommen, der über das Internet zum Kauf angeboten worden war. In ihrem Blog schrieb die Bloggerin dann dazu in einem Beitrag: „Sollte ich mir also zum Geburtstag einen Ehrendoktortitel gönnen? Meine Kinder fanden die Idee gut und wollten sich an der Aktion gern beteiligen (…). Im Internet fand ich einige Dr. h.c.?s, denen ihr Ehrentitel alles andere als unangenehm war: …. Ich bin stolz auf das, was um mich herum entstanden ist, auf unser Netzwerk, unsere Zusammenarbeit, unser Wirken (…). Herzlichen Dank für diese unsichtbare Fakultät von großartigen Menschen, mit deren Hilfe ich das geworden bin, was ich seit dem 10.3.2012 bin: Dr. h.c. of Ministry I., MLDC Miami!“ Unterzeichnet hat die Bloggerin den Beitrag mit ihrem Namen, aber ohne den Zusatz.

Daraus wird dann ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 132a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB. Das AG ordnet nach §§ 94 ff. StPO die Durchsuchung u.a. der Wohn- und Geschäftsräume der Bloggerin an. Es werden die Geschäftsräume durchsucht und es wird die Ernennungsurkunde aufgefunden und beschlagnahmt. Der von der Bloggerin eingelegten Beschwerde half das AG nicht ab; das LG hat die Beschwerde verworfen. Das Strafverfahren ist dann später nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden.  Die Verfassungsbeschwerde hatte dann allerdings Erfolg.

Das BVerfG sieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Denn die Durchsuchung wäre zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat nicht erforderlich gewesen. Hierfür hätten andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung gestanden. Die tatsächlichen Umstände für die Prüfung eines tatbestandsmäßigen Handelns seien nämlich aufgrund einer Internetrecherche bekannt gewesen. Für das Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs von Titeln hätte es daher der Ernennungsurkunde als Beweismittel nicht bedurft. Der Zweck, verwertbare und verfahrenserhebliche Beweismittel zu erlangen, hätte auch durch die Aufforderung wirksam erreicht werden können, den Strafverfolgungsbehörden die Ernennungsurkunde und weitere Beweismittel (Visitenkarten, etc.) zeitnah vorzulegen. Diese wäre gegenüber der Durchsuchung ein milderes, aber für die Verfolgung der eher gering wiegenden Straftat ein hinreichend wirksames Mittel gewesen.

Und dann kommt es:

Zwar ist die Beschwerdeführerin als Beschuldigte nicht dazu verpflichtet, zu ihrer Strafverfolgung durch aktives Handeln beizutragen (vgl. BGHSt 34, 39 <46>) und unterliegt im Strafverfahren keiner Darlegungs- und Beweislast (vgl. BVerfGK 4, 227, 234 m.w.N.). Im Falle einer etwaigen Nichtvorlage der Ernennungsurkunde wären die Fachgerichte jedoch nicht gehindert gewesen, hieraus verwertbare Schlüsse zu ziehen. Diese Folgerungen hätten dem Beweiswert einer vollzogenen, die Beschwerdeführerin in schwer wiegender Weise belastenden Durchsuchung im Wesentlichen entsprochen….“

Im Klartext heißt das: Die Ermittlungsbehörden hätten aus einer Nichtvorlage der Ernennungsurkunde – verwertbare – Schlüsse ziehen dürfen. Wäre also die Bloggerin einem Herausgabeverlangen nicht nachgekommen, hätte unterstellt werden dürfen, dass sie nicht im Besitz einer Promotionsurkunde war, die sie zum Führen des Doktorgrades berechtigte. Die bloße Untätigkeit der Bloggerin hätte daher als Beweiszeichen gegen sie gewertet werden. Das ist dann doch ein „Hammer“. Denn das widerspricht ganz eindeutig dem  Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit, das aus den Art. 1; 2 Abs. 1; 20 Abs. 3 GG  und den §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO folgt.

Tja, und nun? Änderung der Rechtsprechung und/oder sogar der Prinzipien des Strafverfahrens? Im Zweifel wohl nicht. Ich vermute mal, dass da jemand im Schlossbezirk nicht richtig aufgepasst hat. Denn das BVerfG nimmt in seiner Entscheidung Bezug auf BVerfGK 4, 227, 234 m.w.N. = NJW 2005, 1640 und will die Grundsätze wohl übertragen. Allerdings hat man dabei dann übersehen, dass der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen hat. Da ging es nämlich um eine Art „Teilschweigen“ bzw. dort hatte der Beschuldigte in seiner Einlassung behauptet, er besitze entlastende Beweismittel, dann aber deren Herausgabe verweigert. Das ist etwas ganz anderes als hier, wo die Bloggerin sich überhaupt noch nicht zur Sache eingelassen hatte.

Ableiten kann man daraus allerdings: Auch im „Schlossbezirk“ werden Fehler gemacht 🙂 .

Und man kann aus der Entscheidung noch mehr ableiten, was allerdings die Ermittlungsbehörden nicht so freuen wird: Nach dieser Entscheidung werden sie sich vor der Beantragung einer Durchsuchung verstärkt die Frage nach „Verhältnismäßigkeit“ stellen und prüfen müssen, ob man an die erstrebten Beweismittel nicht auch einfach mit einem Herausgabeverlangen kommt. Das geht schneller und belastet den Betroffenen wenigr. Und das müssen sich auch die AG fragen. Wenn sie es nicht tun, wird sie sonst ggf. das BVerfG fragen, warum sie es sich nicht gefragt haben 🙂 .

 

Durchsuchung II: Geht es vielleicht etwas „bestimmter“?

© eyetronic - Fotolia.com

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Mein „Lieblings-Urteils-Lieferant vom Dienst“ weist mich gerade auf den BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015 – 2 BvR 440/14 – hin, der ganz gut zu dem leidigen Thema „Rechtswidrigkeit von Durchsuchungsbeschlüssen“ hinpasst (vgl. dazu heute schon der BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 – 2 BvR 497/12 –und dazu: Achtung/Vorsicht bei der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei). Also schiebe ich ihn hinterher.

Im Beschluss geht es allerdings nicht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei, sondern um eine Steuerberater-/Wirtschaftsprüferdatei. Zur Anordnung der Durchsuchung im Beschluss des AG Wuppertal heißt es im BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015:

„1. Gegen einen der Geschäftsführer der Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. wurde wegen des Verdachts der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall ermittelt. Die Beschwerdeführerin zu 3. und der Beschwerdeführer zu 4. verfügten über Büroräume unter derselben Adresse wie die Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. Die elektronischen Daten der Beschwerdeführer zu 1. bis 4. befinden sich auf einem gemeinsamen Server.

2. Mit angegriffenem Beschluss ordnete das Amtsgericht unter anderem die Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräume der „D. GmbH, A.-str., M.“ an. Eine ausdrückliche Eingrenzung auf einen oder mehrere der Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 3. erfolgte nicht…..“

Im Beschwerdeverfahren verteidigt das AG (wortreich) seine „knappe“ Anordnung. Das LG übernimmt die. Das BVerfG macht es dann kurz und zackig. Nach dem üblichen „Mantra“/Textbaustein zur „Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG“ und der Erstreckung dieses Schutzes „auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 44 <51>; BVerfGK 15, 225 <240>)“ zur Anordnung dann nur recht knapp:

„Diesen Anforderungen wird der Durchsuchungsbeschluss nicht gerecht.

Der Durchsuchungsbeschluss ist hinsichtlich der Anordnung, die Geschäftsräume der „D. GmbH, A.-str., M.“ zu durchsuchen, unbestimmt. Ein Unternehmen mit der ausschließlichen Firma „D. GmbH“ nutzt unter der angegebenen Adresse keine Räumlichkeiten. Hinsichtlich der Unternehmen, die Büros in der A.-str. unterhalten und deren Firmenbezeichnung aus den Worten „D. GmbH“ mit einem daran anknüpfenden Zusatz besteht, ist dem Durchsuchungsbeschluss nicht zu entnehmen, welches dieser Unternehmen gemeint ist. Eine Bestimmung der Gesellschaft, deren Räumlichkeiten durchsucht werden sollen, ist auch anhand der weiteren Angaben in dem Beschluss nicht möglich. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts reicht es nicht, dass sich in den Ermittlungsakten eine Vollmacht der Unternehmensgruppe befindet, die beschuldigt wird, Steuern hinterzogen zu haben, aus der sich ergibt, welche Gesellschaft mit der Wahrnehmung der steuerlichen Beratung beauftragt war. Denn der Durchsuchungsbeschluss muss aus sich heraus verständlich und hinreichend bestimmt sein. Eine solche Bestimmtheit ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Tatverdacht sich aus einer steuerlichen Beratung ergibt, da sowohl Rechtsanwälte als auch Steuerberater zur steuerlichen Beratung befugt sind.“

Sicherlich kein Meilenstein, aber eins der vielen kleinen Mosaiksteinchen zur „Rechtswidrigkeit eine Durchsuchungsmaßnahme“ und eine weitere Mahnung an die Instanzgerichte mit der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ vielleicht doch etwas weniger „unbestimmt“ umzugehen.

Achtung/Vorsicht bei der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei

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Das BVerfG hat schon länger nichts mehr zur Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei „gemacht – hatte ich gedacht, aber den BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 – 2 BvR 497/12 – übersehen, auf den ich dann jetzt in anderem Zusammenhang, nämlich durch den Newsletter des Kollegen Strate zu HRRS, gestoßen bin. Ergangen ist der Beschluss des BVerfG aufgrund von/gegen Durchsuchungsentscheidungen des AG und LG Stuttgart, erlassen in einem Verfahren gegen einen Rechtsanwalt mit dem Vorwurf der Unterhaltspflichtverletzung. Die entsprechende Strafanzeige war von der geschiedenen Ehefrau des Rechtsanwalts erstattet worden. Durchsucht wurden dann die Kanzleiräume der Rechtsanwaltskanzlei, die der Beschuldigte zusammen mit seiner neuen Ehefrau betrieb. Beschlagnahmt worden sind Aktenordner und ein Terminkalender.

Das BVerfG hat da so seine Bedenken und äußert die im Beschl. v. 29.01.2015 auch recht deutlich:

Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGK 17, 550 <556>). Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme (vgl. BVerfGE 113, 29 <47 ff.>).

Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166 <198>): Für die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat spricht, wenn sie nicht von erheblicher Bedeutung ist. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 124, 43 <64>).

b) Diesen Maßstäben werden die vorliegenden Entscheidungen nicht gerecht…..“

Und: Das BVerfG hatte auch Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, mit der sich AG und LG nur unzureichend auseinander gesetzt hatten. Insoweit: Bitte Selbststudium der Entscheidung.

Wenn es zu schnell geht mit der Durchsuchung, gibt es einen Rüffel aus Karlsruhe

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Ein wenig zu sorglos/lax ist man beim AG Münster und dann in der Beschwerdeinstanz beim LG Münster mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 2 GG) umgegangen. Das hat vor kurzem das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 – den beteiligten (Instanz)Gerichten attestiert. Der ehemalige Beschuldigte, ein Arzt (?), hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde Durchsuchungsbeschlüsse des AG/LG Münster angegriffen. In einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung war seine Privatwohnung durchsucht worden. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ging zurück auf ein anderes Verfahren, in dem die StA Münster zunächst wegen des Verdachts der Vergewaltigung beziehungsweise sexuellen Nötigung gegen einen früheren Kollegen des Beschwerdeführers am Klinikum in I., der zugleich an der Klinik des Landschaftsverbands W. in L. tätig war, ermittelt hatte. Dieser war in mehreren anonymen Schreiben aus November 2011 an die StA Münster, die Polizei L., die Ärztekammer Münster und die Leitung des Landschaftsverbands W. in M. beschuldigt worden, in der Klinik in L. eine 15 Jahre alte Patientin während ihres fünfwöchigen Aufenthalts im Sommer 2011 nachts unter Verabreichung von Medikamenten missbraucht zu haben. Diese anonymen Beschuldigungen hatten sich schnell als offensichtlich gegenstandslos erwiesen, da in der Klinik in L. im angegebenen Zeitraum keine Patientin dieses Alters über fünf Wochen in Behandlung war.

Bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Dezember 2011 gab der frühere Kollege des Beschwerdeführers, Dr. B., an, er habe sich nach Bekanntgabe der Vorwürfe gegen ihn mit der Betriebsleitung zusammen überlegt, wer Interesse daran haben könnte, ihm persönlich zu schaden. Er könne sagen, dass er sich mit einer Ausnahme mit allen Mitarbeitern stets sehr gut verstanden habe, seit er als Chefarzt der Neurologie sowohl in L. als auch in I. arbeite. Er nannte sodann den Namen des Beschwerdeführers, der bis zum September 2011 als Honorararzt für die Neurologie in I. tätig war. Mit ihm sei es wegen verschiedener Vorkommnisse zum Streit gekommen.

Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. AG und LG gehen von einem hinreichenden Tatverdacht aus. Es wird die Durchsuchung angeordnet und durchgeführt. Rechtsmittel des Beschuldigten haben keinen Erfolg. Erst das BVerfG rückt die Dinge in seinem Beschl. v. 16.12.2014 wieder gerade:

„Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob vorliegend ein hinreichender Anfangsverdacht gegeben war, denn die Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer war bezogen auf den geringen Grad des Anfangsverdachts und die weiteren zur Ermittlung zur Verfügung stehenden Maßnahmen jedenfalls unverhältnismäßig. Dies gilt schon ungeachtet der Frage, ob das mögliche Vorhandensein von Patientendaten auf dem privaten Laptop des Beschwerdeführers im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu einer Berücksichtigung seiner Stellung als Berufsgeheimnisträger hätte führen müssen.

Das Amtsgericht begründet die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung allein mit der Schwere der Vorwürfe; das Landgericht nimmt hierauf lediglich Bezug. Zwar sind umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit weder im Durchsuchungsbeschluss noch in der Beschwerdeentscheidung grundsätzlich und stets von Verfassungs wegen geboten. Insbesondere bei einem nur vagen Auffindeverdacht ist allerdings die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs eingehend zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10 -, NJW 2014, S. 2265 <2266>, Rn. 19, 23 jeweils m.w.N.). Vorliegend hätten sich derartige Ausführungen angesichts der Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens aufdrängen müssen.

Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer fußte allein auf dem Vorliegen eines möglichen Motivs zur Schädigung Dr. B. aufgrund der von diesem geschilderten Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeführer. Da Dr. B. in seiner Vernehmung durch die Polizei zwar in der Tat konkret allein den Beschwerdeführer, darüber hinaus aber auch weitere für eine Täterschaft in Betracht kommende Personenkreise, namentlich psychisch kranke Patienten und andere Mitarbeiter benannt hatte, wären vor der Anordnung einer in die Grundrechte des Betroffenen schwerwiegend eingreifenden Durchsuchung andere grundrechtsschonende Ermittlungsschritte vorzunehmen gewesen, um den allenfalls geringen Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer zu erhärten oder endgültig zu zerstreuen (vgl. zur Ausschöpfung grundrechtsschonenderer Ermittlungsschritte bei Vorliegen von auf eine Täterschaft des Beschwerdeführers hinweisenden Umständen mit allenfalls geringem Gewicht BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 u.a. -, NStZ-RR 2006, S. 110).

So wäre zunächst eine Befragung weiterer Mitarbeiter der Kliniken in I. und L. geboten gewesen. Dies hätte sowohl das Verhältnis zwischen Dr. B. und dem Beschwerdeführer aus einer neutralen Perspektive näher aufklären – und den Beschwerdeführer im Übrigen auch entlasten -, als auch dazu beitragen können, weitere mögliche Autoren der anonymen Briefe zu ermitteln.

Eine besondere Eilbedürftigkeit, die diese naheliegenden Ermittlungen hätte ausschließen können, ist bereits deshalb nicht zu erkennen, weil zwischen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Dezember 2011 und dem Erlass der (zweiten) Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Amtsgerichts vom 10. April 2012 mehrere Monate vergingen, ohne dass die Staatsanwaltschaft im hier vorliegenden Ermittlungsverfahren andere weiterführende Ermittlungen angestellt hätte. Dieser Umstand führt im Übrigen auch dazu, dass sich das Fortbestehen eines Auffindeverdachts jedenfalls zu diesem Zeitpunkt als allenfalls vage darstellte.“

Der Beschluss ist nicht nur „unschön“ für AG und LG Münster, auch die Staatsanwaltschaft Münster bekommt „ihr Fett ab“. Ihr hält das BVerfG vor:

„Ohne weitere Ermittlungen durchzuführen beantragte die Staatsanwaltschaft Münster daraufhin am 12. Januar 2012 den Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers, zur Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel sowie zur Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers für einen Abgleich mit DNA an den Briefmarken auf den sichergestellten anonymen Schreiben wegen des Verdachts eines Betruges, der Verleumdung und der falschen Verdächtigung.“

und legt dann im Beschluss ja auch gleich da, welche weiteren Ermittlungen möglich und auch wohl nötig gewesen wären. Also: In Zukunft nicht mehr zu schnell mit der Durchsuchungsanordnung sein, dann gibt es auch keinen Rüffel aus Karlsruhe mehr.