Der Kollege Helling aus Waldshut-Tiengen hat mir gestern den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.08.2016 – 2 (4) Ss 356/16 – AK 124/16 – übersandt. Dem Kollegen ging es um die Ausführungen des OLG zur Beweiswürdigung, einem, wie er meinte, meiner „Lieblingsthemen“. Nachdem ich den Beschluss dann gelesen hatte, ist mir aber der sprichwörtliche „Draht aus der Mütze“ gesprungen. Und ich denke, ich bin damit (hoffentlich) nicht allein.
Zur Sache: Das AG verurteilt am 12.08.2015 den Angeklagten M. – unter Freispruch im Übrigen – wegen Diebstahls mit Waffen, Hehlerei und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und den Angeklagten Sch. wegen Diebstahls, Diebstahls mit Waffen und Hehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Dagegen werden unbestimmte Rechtsmittel eingelegt, die nach Urteilszustellung als Revision bezeichnet werden. Und das OLG hebt mit Pauken und Trompeten auf. In Kurzform:
- Soweit der Angeklagte M. wegen Hehlerei verurteilt wurde, fehlt es – so das OLG – an den Prozessvoraussetzungen der Erhebung einer Klage (§ 151 StPO) sowie eines korrespondierenden Eröffnungsbeschlusses gemäß § 203 StPO. Mit der Anklageschrift der StA war dem Angeklagten M. insoweit zur Last gelegt, zwischen dem 02.01.2015 und dem 05.01.2015 aus einem Pkw ein Navigationsgerät nebst Kabel sowie Bargeld entwendet zu haben. Zur Verurteilung gelangte er, weil er im Januar 2015 von einem nicht näher bekannten litauischen Staatsangehörigen ein Navigationsgerät nebst Kabel erworben habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass dieses Navigationsgerät durch eine rechtswidrige Wegnahme in den Gewahrsam des Litauers gekommen sei. Das OLG sagt: Unterschiedliche Taten. Die Verurteilung wegen Hehlerei durfte daher nicht allein aufgrund eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO erfolgen, sondern hätte der Erhebung einer Nachtragsanklage sowie eines gerichtlichen Einbeziehungsbeschlusses gemäß § 266 Abs. 1 StPO bedurft.
- Soweit beide Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt wurden, tragen die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils dies nicht hinreichend. Das AG hat nur festgestellt, dass beide Angeklagten bei der Tat Messer „mit sich führten“ und damit hat es der Sache nach lediglich das Tatbestandsmerkmal des „Beisichführens“ gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB wiederholt. ).
- Zudem fehlt es an jeglichen Ausführungen des Amtsgerichts zur inneren Tatseite, hinsichtlich derer ein Bewusstsein der Angeklagten, die Messer bei sich zu haben, festzustellen gewesen wäre, um zu einer Verurteilung zu gelangen.
- Auch wäre es – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Bemessung der Schuldschwere im Rahmen der Strafzumessung – erforderlich gewesen, nähere Feststellungen zur Größe und Beschaffenheit der Messer zu treffen.
- Auch die Beweiswürdigung durch das AG ist rechtsfehlerbehaftet. Sie weist durchgreifende Lücken auf. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, dass die Feststellungen zu allen zur Verurteilung gelangten Straftaten auf den Einlassungen der Angeklagten und den Angaben der vernommenen Zeugen beruhten. Welche Zeugen insoweit gehört wurden und welche Angaben diese gemacht haben, ist dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen.
- Unzureichend ist zudem die bloße pauschale Angabe, die Angeklagten hätten die zur Verurteilung gelangten Taten gestanden. insoweit wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, zumindest knapp anzugeben, dass und aufgrund welcher Umstände (ggf. weiterer Beweismittel) es die Geständnisse der Angeklagten als glaubhaft angesehen hat.
Und das ist noch nicht alles. Das OLG legt in der „Segelanweisung“ noch nach:
- Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob das (Revisions-) Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert wurde, nachdem die StA Waldshut-Tiengen nach Zustellung der Revisionsbegründungen am 27.10.2015 die Akten entgegen § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO erst nach Ablauf von mehr als drei Monaten am 30.01.2016 mit einer Revisionsgegenerklärung an das AG Waldshut-Tiengen zurückreichte und das AG entgegen § 347 Abs. 2 StPO sogar mehr als vier weitere Monate verstreichen ließ, bevor es am 02.06.2016 die Akten an die StA zum Zwecke der Vorlage beim Senat übersandte.
- Die Zulässigkeit und Begründetheit der gleichfalls erhobenen Verfahrensrügen hat das OLG offen gelassen, aber: „Daher bedarf insbesondere die Frage, wie sich die Unzulänglichkeiten des Hauptverhandlungsprotokolls — bis hin zur Unverständlichkeit in Teilbereichen — auf dessen Beweiskraft gemäß § 274 StPO auswirken, keiner Beantwortung“.
- Und schließlich – ich will es verkürzen: Das OLG weist zudem darauf hin, dass eine mit Beschluss vom 18.06.2015 ausgesprochene Übernahme eines (Strafbefehls-)Verfahrens durch das Schöffengericht und die Verbindung zu dort bereits anhängigen Verfahren unwirksam gewesen sein dürfte.
Der Kollege Helling meinte in seiner Übersendungsmail: „Bei mir hat das durchaus für Erheiterung gesorgt, auch wenn ich es schade finde, dass über die zahlreichen Verfahrensrügen nicht entschieden wurde. Da wäre auch noch sehr viel Musik dringewesen.“ Das Letztere glaube ich ihm gern, allerdings meine ich, dass der Beschluss des OLG kaum für „Erheiterung“ sorgt, jedenfalls bei mir nicht. Sondern: Wenn man ihn liest und damit erfährt, was sich das AG Waldshut-Tiengen in der Ausgangsentscheidung/im Verfahren alles „geleistet“ hat, kann man m.E. nur noch weinen und sich die Frage stellen: Wofür bekommt der Amtsrichter da eigentlich seine monatlichen Bezüge? Wenn man das liest, kann man nur den Eindruck haben: Ein Fall von Arbeitsverweigerung. Ok, es ist ein amtsgerichtliches Urteil, aber: Hat nicht auch der Angeklagte beim AG einen Anspruch auf eine ordnungsgemäße Begründung? Und der Dienstherr sicherlich auch. Und es ist ja nicht nur das Urteil, das „aufhorchen“ lässt. Vom Verfahrensrecht scheint der Vorsitzende des Schöffengerichts auch keine Ahnung zu haben. Traurig.