Die Frage, ob Schwangerschaft eine Krankheit ist, ist eine Frage, die Strafkammern sicherlich schon häufiger beschäftigt hat. Eine Antwort auf die Frage gab es – so weit ich das übersehe – bisher nicht. Nun gibt es aber den LG Bremen, Beschl. v. 28.04.2010 – 22 Ks 210 Js 2251/09 -, auf den ich bei openjur gestoßen bin. Da spielte die Frage eben für die zulässige Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 3 StPO eine Rolle. Nämlich für die Frage, ob die Unterbrechungsfrist während der Mutterschutzfrist gehemmt ist, oder nicht. Das LG Bremen hat das bejaht und somit § 229 Abs. 3 StPO entsprechend angewendet.
„Die in § 229 Abs. 3 StPO getroffene Regelung einer Hemmung der Unterbrechungsfristen gilt seit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004 (BGBl. I, 2198) nicht nur für Angeklagte, sondern auch für zur Urteilsfindung berufene Personen. Weitere Änderungen wurden durch das Gesetz an dem Absatz 3 nicht vorgenommen. Mit dieser Ausdehnung der Hemmungsregelung sollte vermieden werden, dass Verfahren nach mehreren Verhandlungstagen wegen der Erkrankung von Richtern und Schöffen ausgesetzt werden müssen. Bei mehrtägigen, jedoch nicht langwierigen Verfahren vor dem Landgericht sollte dem Erfordernis einer Neuverhandlung des gesamten Prozesses im Fall des „Ausfall(s) einzelner Mitglieder des Gerichts“ entgegen gewirkt werden. Die Neuregelung sollte sicherstellen, dass die von § 192 GVG vorgesehene Möglichkeit der Bestellung von Ergänzungsrichtern und –schöffen auf die vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmefälle beschränkt bleibt (vgl. zu den Begründungen der Entwürfe BTagDrs. 15/1508, 25; 15/999, 25).
Bei dieser Neufassung ging es mithin darum, Neuverhandlungen möglichst zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat ersichtlich dabei nicht geprüft, ob es – außerhalb der Krankheit – andere ähnliche Sachlagen geben könnte, auf die der Regelungszweck ebenso zutreffen und der Sachverhalt daher in gleicher Weise geregelt werden könnte. Diese Ähnlichkeit liegt bei einem gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beschäftigungsverbot nach Entbindung im Fall der zur Entscheidung berufenen Personen offen zu Tage. Im Geltungsbereich der früheren Gesetzeslage, wo die Hemmungsmöglichkeit nur für Angeklagte galt, musste sich der Gesetzgeber hingegen nicht veranlasst sehen, über die Möglichkeit der Hemmung bei Verhandlungen gegen insoweit betroffene Angeklagte zu befinden, da angesichts der völlig anderen prozessualen Stellung niemand auf den Gedanken kommen würde, überhaupt gegen eine hochschwangere Angeklagte eine längere, mehr als 10 Tage dauernde Verhandlung durchzuführen. Anderes galt und gilt bei Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, die etwa wegen Schwangerschaft nicht zu Gericht erscheinen können, wo § 223 StPO die kommissarische Vernehmung neben den Fällen der Krankheit und Gebrechlichkeit auch bei „andere(n) nicht zu beseitigende(n) Hindernisse(n)“, zu denen die Schwangerschaft zählt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 223 Rz. 6), ermöglicht.
Der Gesetzeszweck zur Vermeidung von Neuverhandlungen erfordert es auch, die Regelung für den Bereich des Beschäftigungsverbotes infolge einer Entbindung anzuwenden. Denn gerade der vorliegende Fall mit all den dargestellten, nicht vorhersehbaren Entwicklungen eines Strafprozesses zeigt, dass ansonsten bei auch nur denkbaren Verhandlungen über längere Zeiten im Fall des Einsatzes von gebärfähigen Frauen im richterlichen Bereich – dieses ist in den letzten Jahren auf Grund der geänderten Einstellungspraxis zunehmend der Fall – bei normaler Entwicklung von Schwangerschaft und Entbindung, also ohne Entwicklungen im Sinne eines krankhaften körperlichen Zustands, regelmäßig die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 GVG angeordnet werden müsste. Gerade dieses sollte, wie dargelegt, die Neuregelung aber verhindern.“
Was mich wundert: Zu der Problematik gibt es keine nachfolgende BGH-Entscheidung. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Verteidiger diese „Steilvorlage“ nicht zum BGH getragen haben. Aber möglicherweise eine der vielen Sachen, in denen der BGH schon auf die Sachrüge hin aufgehoben hat und es somit auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankam. Andererseits kann ich mir nun aber auch nicht vorstellen, dass der BGH die Frage unentschieden gelassen hat.