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Corona I: Durchsuchung wegen Impfausweisfälschung?, oder: „Anfangsverdacht“ auch nach altem Recht bejaht

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Den Start in die 5. KW mache ich heute mal wieder mit zwei Entscheidungen zu Corona. Sie haben einen verfahrensrechtlichen Aspekt.

Zumindest der LG Heilbronn, Beschl. v. 11.01.2022 – 1 Qs 95/21 -, der mich eine wenig ratlos zurück lässt.

Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte aufgrund des Verdachts der Urkundenfälschung. Dem lag zugrunde, dass die Beschuldigte am 16.11.2021  einen gefälschten Impfausweis hinsichtlich zwei tatsächlich nicht erfolgter Covid-19-Impfungen vorgezeigt haben soll, um hierdurch die Mitarbeiterin der Apotheke zur Ausstellung eines digitalisierten Impfzertifikats zu bewegen. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft beim AG den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses, um den gefälschten Impfausweis, den Stempel des Klinikums und „COMIRNATY“-Chargenaufkleber, schriftliche Unterlagen zum Erwerb und zur Verwendung eines gefälschten Impfausweises, Mobiltelefone, Computer und sonstige Datenträger, auf denen entsprechende Unterlagen gespeichert sind, beschlagnahmen zu können.

Das AG lehnt den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, da das in Rede stehende Verhalten der Beschuldigten nach der bis 23.11.2021 geltenden Rechtslage aufgrund einer Strafbarkeitslücke kein strafbares Verhalten dargestellt hätte. Dabei verwies das AG auf die Rechtsprechung des LG Osnabrück und die „überwiegende“ Auffassung in der Literatur. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der vorliegenden Beschwerde. Und die ist nach Auffassung des LG begündet:

„Zwar ist die Rechtsauffassung des Amtsgerichts nachvollziehbar und angesichts der verschiedenen Meinungen in Literatur und Rechtsprechung durchaus gut vertretbar. Gleichwohl teilt die Kammer diese nicht. Insbesondere vermag sie nicht zur Ablehnung des beantragten Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses führen.

Im Einzelnen ist zur Rechtslage bis zum 23. November 2021 Folgendes auszuführen:

Die §§ 277, 279 StGB sind, wie die Urkundenfälschung nach § 267 StGB, im 23. Abschnitt des StGB verortet und stellen damit eine speziellere Regelung im Vergleich zum allgemeinen § 267 StGB dar. In ihrer bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung enthielten sie eine Privilegierung für Gesundheitszeugnisse – darunter fallen nach einhelliger Meinung auch Impfbescheinigungen – dergestalt, dass in diesen Vorschriften nur die Vorlage gegenüber Behörden oder Versicherungsgesellschaften strafbar war und dies dann auch mit einem insgesamt geringeren Strafrahmen als dem in § 267 StGB vorgesehenen. Hieraus folgte jedenfalls, dass die §§ 277 ff. StGB § 267 StGB als lex specialis verdrängten, sobald die Voraussetzungen der §§ 277 ff. StGB vorlagen.

Teilweise, und das durch durchaus gewichtige Stimmen in der Literatur (Erb in Münchner Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 277 Rn. 11, § 279 Rn. 5; Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 277 Rn. 16 und Hoyer in SK-StGB – Systematischer Kommentar, § 277 Rn. 5), wurde für die alte Rechtslage vertreten, dass die Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB darüber hinausgehend auch dann eingetreten sei, wenn es um Gesundheitszeugnisse ging, aber die übrigen Voraussetzungen der §§ 277 ff. StGB, also die Vorlage gegenüber einer Behörde oder Versicherung, nicht gegeben waren. Dies wurde im Wesentlichen mit einem „Wertungswiderspruch“ begründet, der sich gegenüber der Privilegierung ergebe, wenn die Fälle, die dann unter die allgemeine Regelung fallen würden, geringere Voraussetzungen, aber einen weiteren Strafrahmen hätten. Dieser Argumentation sind zuletzt auch einige Landgerichte (LG Osnabrück am 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21; LG Karlsruhe am 26. November 2021 hinsichtlich Corona-Tests – 19 Qs 90/21; LG Paderborn am 1. Dezember 2021 – 5 Qs 33/21 und LG Landau/Pfalz am 13. Dezember 2021 – 5 Qs 93/21) gefolgt und haben folgerichtig daraus eine Strafbarkeit der Vorlage gefälschter Impfausweise (und im Fall des LG Karlsruhe gefälschter Testbescheinigungen) vor anderen als den in §§ 277, 279 StGB a.F. bezeichneten Adressaten verneint. Die durch die Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnene Fallgestaltung in Verbindung mit der ersten gerichtlichen Entscheidung, die hier eine Strafbarkeit verneinte, bewegte den Gesetzgeber dazu, die Gesetzeslage für künftige Fälle zu ändern und nunmehr die §§ 277, 279 StGB neu zu fassen. Dabei ist den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 20/15, Seite 2) hiesiger Auffassung nach zu entnehmen, dass der Gesetzgeber keineswegs selbst vom Bestehen von Strafbarkeitslücken ausging, sondern im Hinblick auf die in der Literatur vertretene Meinung ein Bedürfnis sah, zur Klarstellung tätig zu werden.

Soweit das Amtsgericht Heilbronn in dem angefochtenen Beschluss weiteren Vertretern der Literatur die oben dargelegte Meinung zuschreibt, kann das nicht uneingeschränkt nachvollzogen werden. Puppe/Schumann in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017 setzen sich mit dieser Problematik zwar auseinander und versuchen, die Auffassung des Münchner Kommentars zu erklären, lassen aber letztlich die Lösung offen und zeigen auf, dass auch die Auffassung des Münchner Kommentars zu Wertungswidersprüchen führt (§ 277 Rn 13):

„Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass die Herstellung eines unechten Attests zur Vorlage bei einer Privatperson auch nicht nach §?267 strafbar ist, weil es absurd wäre, die Herstellung solcher Atteste zur Täuschung v. Privatpersonen nach §?267 schärfer zu bestrafen als die zur Täuschung v. Behörden und Versicherungsgesellschaften mit unechten Attesten. Aber die Straflosigkeit der Herstellung unechter Atteste zur Täuschung v. Privatpersonen im Rechtsverkehr im Gegensatz zu der Herstellung beliebiger anderer Urkunden ist nicht weniger absurd. Das Ergebnis folgt auch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des §?277, sondern aus einem argumentum e contrario aus dieser Vorschrift. Ein argumentum e contrario ist logisch nicht zwingend, sondern erweitert die Bedeutung der Vorschrift über deren Wortlaut hinaus. Es sollte also auf eine Vorschrift nicht angewandt werden, die wie §?277 nicht bzw nicht mehr in das Gesamtgefüge des Urkundenstrafrechts passt.“

Die Kommentare BeckOK StGB, 51. Edition, Stand 01.11.2021, § 277 Rn. 13; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, Rn. 12 und Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 277 Rn. 5 enthalten zur Reichweite der Sperrwirkung keine Ausführungen, sondern legen sich nur dahingehend fest, dass die §§ 277 ff. StGB dem § 267 StGB als lex specialis vorgehen. Damit ist aber gerade nicht geklärt, ob das nur der Fall ist, wenn die Voraussetzungen der §§ 277 ff. StGB auch tatsächlich vorliegen oder ob die Sperrwirkung genauso weitreichend angenommen werden soll wie im Münchner Kommentar.

Dass die Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB a.F. so weitreichend anzunehmen ist, dass selbst die Fälle nicht mehr unter § 267 StGB fallen, für die der Anwendungsbereich der §§ 277 ff. StGB a.F. nicht eröffnet ist, ist allerdings keineswegs zwingend. Aus dem Gesetzeswortlaut der alten Fassungen der §§ 277 ff. StGB ergibt sich das nicht. Auch systematisch wird ist es im deutschen Strafrecht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen und dann nicht von der herrschenden Meinung und ständigen Rechtsprechung vertreten, dass eine Vorschrift noch über ihren eigenen Anwendungsbereich hinaus eine Sperrwirkung gegenüber einer anderen Vorschrift entfaltet. Zudem vertrat ein anderer, durchaus gewichtiger Vertreter der Literatur (Fischer, StGB, 68. Auflage 2021, § 277 Rn. 11) zur alten Rechtslage die Auffassung, dass in diesen Fällen eine Strafbarkeit nach § 267 StGB vorlag, es aber im Hinblick auf den „offenen Wertungswiderspruch“ unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten erschien, die Strafandrohung gemäß der der §§ 277 ff. StGB a.F. zu limitieren. Auch die oben dargestellte Argumentation von Puppe/Schumann in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen ist nicht von der Hand zu weisen.

Schließlich wäre zur Interpretation der Rechtslage vor dem 24. November 2021 der gesetzgeberische Wille des Gesetzgebers von 1871 heranzuziehen, der aber nach nunmehr 150 Jahren nicht mehr im Einzelnen eruierbar ist. Allerdings ist aus hiesiger Sicht durchaus vorstellbar, dass der damalige Gesetzgeber die Privilegierung der Vorlage von Gesundheitszeugnissen gegenüber Versicherungen und Behörden im Gegensatz zur Vorlage gegenüber Privaten deshalb eingeführt hat, weil er davon ausging, dass Versicherungen und Behörden die Fälschungen leichter zu erkennen vermögen als Privatpersonen. Würde man den gesetzgeberischen Willen von damals in diesem Sinn interpretieren, gäbe es noch nicht einmal einen „Wertungswiderspruch“ und die Vorlage von Gesundheitszeugnissen gegenüber anderen als den in §§ 277 ff. StGB a.F. bezeichneten Adressaten wäre ganz selbstverständlich nach § 267 StGB und mit dem dortigen Strafrahmen strafbar.

Insgesamt ist die Problematik nach alledem umstritten. Es gibt nachvollziehbare Argumente für beide Meinungen und es werden in der Literatur auch beide Meinungen vertreten. Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, erst seit kurzer Zeit mit der Thematik näher befasst. Eine obergerichtliche Entscheidung ist dazu bislang noch nicht ergangen, weder durch ein Oberlandesgericht noch durch den Bundesgerichtshof.

Für die Frage der Anordnung oder Nicht-Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, hat das folgende Konsequenz:

Für den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses ist in prozessualer Hinsicht das Vorliegen eines Anfangsverdachts im Hinblick auf eine strafbare Handlung erforderlich. Vorliegend bestehen im Tatsächlichen keine Zweifel daran, dass ein Anfangsverdacht für die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke gegeben ist. Hinsichtlich der Frage, ob deshalb aufgrund einer unklaren Rechtsauslegung, die letztlich nach obergerichtlicher Klärung dazu führen kann, dass das Verhalten als strafbar angesehen wird oder auch nicht, eine Ermittlungsmaßnahme, wie die vorliegend beantragte Durchsuchung und Beschlagnahme, zulässig oder gar geboten ist, sind die Grundsätze zur Anklageerhebung heranzuziehen. Dieser ist die Ermittlungsmaßnahme schließlich vorgelagert. § 152 StPO bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Hierfür muss sich die Staatsanwaltschaft an der obergerichtlichen Rechtsprechung, nämlich an gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beziehungsweise, soweit letztinstanzlich vorliegend, des für sie zuständigen Oberlandesgerichts, orientieren. Daraus wiederum folgt, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es mehrere gangbare Wege, aber gerade noch keine obergerichtliche Rechtsprechung, erst recht keine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung gibt, eine Anklageerhebung im Interesse einer effektiven und einheitlichen Strafverfolgungspraxis sogar verpflichtend sein kann (so auch Diemer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, Rn. 13; Peters in Münchner Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 152 Rn. 69).

So liegt der Fall hier. Gerade weil die Fälschung von Impfpässen und deren Vorlage in Apotheken zur Erlangung digitaler Impfzertifikate im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen ungeimpfter Personen in jüngster Vergangenheit und gerade auch vor der Änderung des Gesetzes stark an Bedeutung gewonnen haben und hierzu verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden, ist nach hiesiger Sichtweise eine obergerichtliche Klärung dieser Fälle anzustreben. Dies kann indes nicht gelingen, wenn bereits im Rahmen der Prüfung des Anfangsverdachts zu hohe Anforderungen gestellt werden. Wenn bereits in einem frühen Stadium der Ermittlungen, die notwendigerweise einer Anklageerhebung vorausgehen müssen, die Ermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft beschnitten werden, kann es denklogisch nicht zu einer obergerichtlichen Klärung kommen. Der Kammer ist bei dieser Sichtweise bewusst, dass mit einer Durchsuchung und Beschlagnahme gewichtige Grundrechtseingriffe zulasten der Beschuldigten einhergehen, die, sollte sich durch die weitere Entwicklung ergeben, dass das Verhalten der Beschuldigten nicht strafbar war, auch zu Schadensersatzansprüchen führen können. Aus Sicht der Kammer sind diese Umstände in der Abwägung aber nicht so gewichtig wie eine effektive und insbesondere einheitliche Strafverfolgungspraxis, sodass diese in Kauf zu nehmen sind. Der Umstand, dass die Frage nach der Strafbarkeit des von der Beschuldigten gezeigten Verhaltens noch nicht obergerichtlich geklärt ist, steht demnach der Bejahung des für die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung notwendigen Anfangsverdachts nicht entgegen.

Bezogen auf den konkreten Fall war zudem zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht auch hinsichtlich eines schuldhaften Handelns vorliegt, insbesondere, ob der Beschuldigten die Strafbarkeit ihres Verhaltens bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Hierzu ist im konkreten Fall nichts bekannt. Die Beschuldigte selbst kann dazu im Hinblick auf § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO vorab nicht befragt werden, da dies den Untersuchungszweck gefährden würde. Allerdings ist grundsätzlich zu sehen, dass zwar gerade im November 2021 bis zur Gesetzesänderung die Frage, ob die Vorlage gefälschter Impfzertifikate in Apotheken strafbar ist, in den Medien diskutiert wurde. Dabei sind allerdings nicht nur das Landgericht Osnabrück als damals erstes und einzig bekanntes Landgericht, das eine Strafbarkeit verneint hatte, sondern auch zahlreiche weitere Juristen in der öffentlichen Diskussion zu Wort gekommen, die die gegenteilige Meinung vertreten haben. Insgesamt war deshalb auch für juristische Laien zu erkennen, dass dieses Thema nicht abschließend geklärt ist, sodass man sich diesbezüglich nicht guten Gewissens auf die eine oder andere Rechtsmeinung verlassen konnte, zumal es sich beim Landgericht Osnabrück nicht um ein Obergericht handelt. Sollte sich letztlich herausstellen, dass dieses Verhalten als grundsätzlich strafbar anzusehen ist, so wäre hier allenfalls ein vermeidbarer Verbotsirrtum gegeben, der eine Strafbarkeit im Hinblick auf die Schuld nicht beseitigt.

Insgesamt bejaht die Kammer vor diesem Hintergrund auch in rechtlicher Hinsicht derzeit das Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Urkundenfälschung nach § 267 StGB, weshalb entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss zu erlassen war.

Sollte bis zur Vollstreckung des Beschlusses obergerichtlich eine Entscheidung dahingehend getroffen worden sein, dass die Vorlage gefälschter Impfzertifikate in Apotheken nach der bis 23. November 2021 geltenden Rechtslage kein strafbares Verhalten darstellt, darf dieser Beschluss nicht mehr vollzogen werden.“

Ja was denn nun: Ist es nun strafbar – die h.M. in der Rechstprechung sagt nein. Insoweit ist das LG am 11.01.2022 nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Und die Durchsuchung ist erlaubt/zulässig, damit man die Frage einer „obergerichtlichen Klärung“ zuführen kann. Und dann stellt man die Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung uner den Vorbehalt einer ggf. ergangenen abweichenden obergerichtlichen Entscheidung. In meinen Augen nicht zulässig. Die „eigenverantwortliche Prüfung“ lässt grüßen. Im Übrigen: Die obergerichtliche Entscheidung liegt mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 17.01.2022 – 1 Ws 732-733/21 vor (dazu StGB I: Strafbarer Verkauf gefälschter Impfausweise?, oder: Auch beim OLG Bamberg nach altem Recht nicht ).

Corona II: Bin Corona-Kontaktperson 1. Grades, oder: Darf ich deshalb der Hauptverhandlung fernbleiben?

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Die zweite Entscheidung stammt dann mit dem KG, Beschl. v. 30.08.2021 – 3 Ws (B) 163/21– vom KG aus Berlin. Thema: Covid 19 und unentschuldigtes Fernbleiben in der Hauptverhandlung.

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen verworfen. Der Betroffene war in der Haupverhandlung ausgeblieben und hatte das damit entschuldigt, er sei Kontaktperson ersten Grades einer an Covid-19 erkrankten Person. Das hat dem KG nicht gereicht:

„Die Verfahrensrüge des Betroffenen, das Amtsgericht habe mit der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, ist jedenfalls unbegründet. Das Amtsgericht hat den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerfrei verworfen.

Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Die Entschuldigung eines Ausbleibens im Termin ist dann als genügend anzusehen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen (vgl. Senat VRS 134, 143). Maßgebend dafür ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist, weswegen der Tatrichter von Amts wegen prüfen muss, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Die ihn insoweit treffende Nachforschungspflicht setzt jedoch erst ein, wenn überhaupt ein hinreichend konkreter und schlüssiger Sachvortrag vorliegt, der die Unzumutbarkeit oder die Unmöglichkeit des Erscheinens indizierende Tatsachenbehauptungen enthält (vgl. Senat a.a.O. und Beschluss vom 18. Januar 2018 – 3 Ws (B) 5/18 -; KG, Beschluss vom 28. Oktober 2013 – (4) 161 Ss 198/13 (229/13) -, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013 – 3 Ss 20/13 -, juris m.w.N.) und dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20 -, juris).

a) Der Vortrag des Betroffenen im – dem Amtsgericht vor Sitzungsbeginn vorgelegten – Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 22. März 2021, er sei “Kontaktperson 1. Grades” einer an Covid-19 erkrankten Person, mit der er am 17. März 2021 Kontakt gehabt habe, die am 19. März 2021 positiv getestet worden sei und dies dem Betroffenen am 20. März 2021 mitgeteilt habe, belegt noch keinen triftigen Grund, der Hauptverhandlung fernzubleiben. Die vom Betroffenen gemachten Angaben waren dafür zu vage und unpräzise. In dem Schriftsatz der Verteidigerin vom 22. März 2021 wird noch nicht einmal die vermeintlich an Covid-19 erkrankte Kontaktperson des Betroffenen sowie die Art des Kontakts benannt, geschweige denn ein – vom Gericht überprüfbares – Dokument über die tatsächliche Erkrankung dieser Kontaktperson vorgelegt oder zumindest Ort und Zeit der Testung mitgeteilt. Auf die – nicht verifizierbare – bloße Behauptung des Betroffenen musste und durfte sich das Amtsgericht bei seiner Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs mithin nicht verlassen.

b) Ebenso wenig löste der Schriftsatz vom 22. März 2021 eine Nachforschungspflicht des Amtsgerichts aus. Denn – wie dargelegt – enthält er keinerlei auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare Angaben. Dazu hätte der Betroffene zumindest die Identität der Kontaktperson preisgeben und mitteilen müssen, wann und wo diese durch wen auf Covid-19 positiv getestet worden sein soll, woran es hier fehlt.

c) Das nachträgliche Vorbringen im Schriftsatz der Verteidigerin vom 31. März 2021 ist im Rechtsbeschwerdeverfahren unbeachtlich, weil es für die rechtliche Überprüfung des Verwerfungsurteils allein auf solche Umstände ankommt, die dem Gericht bei dessen Erlass bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Januar 2021 – 3 Ws (B) 330/20 -, 5. Juni 2009 – 3 Ws (B) 245/09 – und 23. Februar 2005 – 3 Ws (B) 74/05 -; alle juris; zu § 329 StPO vgl. KG BeckRS 2014, 9668; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2021 – III-2 RVs 5/21 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 329 Rdn. 48 m.w.N).2

Na ja, da hätte man m.E. auch großzügiger sein können…..

Corona II: Fälschung von Corona-Antigentests, oder: Nach altem Recht nicht strafbar

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Und als zweite Entscheidung dann etwas aus dem materiellen Strafrecht, nämlich der LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.11.2021 – 16 Qs 90/21 – zur Strafbarkeit der Fälschung von Corona-Antigentests, allerdings auf der Grundlage des Rechtszustandes bis zum 23.11.2021.

Folgender Sachverhalt liegt der LG-Entscheidung zugrunde:

Der Arbeitgeber des Beschuldigten fand am 15.09.2021 am Arbeitsplatz auf dem Schreibtisch des Beschuldigten ein Stapel mit Blankoformularen für die Bescheinigung über die Durchführung eines Corona-Antigentests. Auf den Blankoformularen war der Beschuldigte als für den Betrieb den Test ausführende Person ausgewiesen und es befand sich darauf ein Stempel der Firma. Der Beschuldigte war hierzu aber zu keiner Zeit berechtigt gewesen.

Auf Beschluss des AG wurde dann die Wohnung des Beschuldigten am 20.9.2021 durchsucht. Dabei wurden entsprechende Blankoformulare gefunden und sichergestellt. Nach Durchführung der Durchsuchung die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte. Das LG hat einen Anfangvserdacht verneint:

„Ein Anfangsverdacht wegen Fälschen von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB bestand nicht, da hierfür Voraussetzung ist, dass durch den Täter ein Gesundheitszeugnis unter der Bezeichnung als Arzt oder als eine approbierte Medizinalperson oder unter dem Namen einer solchen Person erstellt worden ist. Hier bestand nie der Verdacht, dass der Beschuldigte Bescheinigungen unter der Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson oder unter dem Namen einer solchen Person erstellt habe.

Aus den gleichen Gründen scheitert eine Anwendung der §§ 278, 279 StGB

Es bestand aber auch kein Anfangsverdacht einer Urkundenfälschung nach § 267 StGB: Bei einer Bescheinigung über die Durchführung eines Corona-Antigentests handelt es sich um ein Zeugnis über den Gesundheitszustand im Sinne des Tatbestands des § 277 StGB, sodass der Anwendungsbereich des § 277 StGB eröffnet ist. Gesundheitszeugnisse sind Bescheinigungen über den gegenwärtigen körperlichen oder psychischen Gesundheitszustand oder die Krankheit eines Menschen sowie über früher durchgemachte Krankheiten und die von ihren verursachten Spuren, weiter Bescheinigungen über Aussichten, von gewissen Krankheiten befallen oder verschont zu werden (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 277 StGB Rn. 2). Hier handelte es sich bei den aufgefundenen Formularen noch nicht um Gesundheitszeugnisse. Die am 15.09.2021 bei dem Beschuldigten festgestellten Formulare waren in den Punkten hinsichtlich der Personaldaten der getesteten Person, des Testergebnisses und des Testdatums nicht ausgefüllt. Allerdings bestand der Verdacht, dass der Beschuldigte derartige Formulare zur Bescheinigung von Corona-Antigentests zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 15.09.2021 und dem 20.09.2021 auch bereits mit den oben genannten und noch nicht ausgefüllten Punkten vollständig ausgefüllt habe und damit eine Bescheinigung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Coronainfektion der in das Formular als getestet eingetragene Person erstellt habe, mithin eine Bescheinigung über den körperlichen Gesundheitszustand dieser Person verfasst habe. Nach h.M. ist aber die Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber anderen Urkundenfälschungen privilegiert (Erb, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 277 Rdnr. 1; Puppe/Schumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 277 Rdnr. 9): Die Urkundenfälschung kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Die Straftatbestände der §§ 277 bis 279 StGB, die die Fälschung von Gesundheitszeugnissen betreffen, sehen dagegen als Strafrahmen nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem oder zwei Jahren vor. Zudem gibt es bei den §§ 277 bis 279 StGB keine Versuchsstrafbarkeit. Außerdem muss die Täuschung gegen eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sein. Schließlich handelt es sich bei § 277 StGB um ein vollständig zweiaktiges Delikt (Puppe/Schumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 277 Rdnr. 9). Die überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft schließt daraus, dass eine umfassende Sperrwirkung gegenüber dem Straftatbestand der Urkundenfälschung besteht. § 267 StGB ist danach bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht anwendbar – auch wenn dadurch Strafbarkeitslücken entstehen. Diese Auslegung hat auch das Landgericht Osnabrück mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 (3 Qs 38/21; juris) bestätigt: Die allgemeinen Regelungen zur Herstellung einer unechten Urkunde, zum Fälschen einer echten Urkunde sowie zur Verwendung einer unechten oder verfälschten Urkunde gemäß § 267 StGB fänden keine Anwendung, da die Regelungen zu den §§ 277 ff. StGB als Privilegierung mit einer deutlich niedrigeren Strafandrohung spezieller seien und daher einen Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen sperren würden (so auch Gaede/Krüger: Unrichtige Corona-Impf- und Testnachweise – Alte und neue Strafbarkeitslücken, NJW 2021, 2159). Für die Sperrwirkung ist es unerheblich, ob es im konkreten Fall zu einer Strafbarkeit nach § 277 StGB kommt oder nicht. Für das Eingreifen der Sperrwirkung genügt, dass lediglich das Tatbestandsmerkmal des Gesundheitszeugnisses und nicht einer anderen Urkunde vorliegt und damit der Anwendungsbereich des § 277 StGB eröffnet ist; die übrigen Voraussetzungen der Norm müssen nicht vorliegen. Die Privilegierung besteht allein aufgrund des Vorliegens eines Gesundheitszeugnisses. Vor diesem Hintergrund hatte die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister mit Beschluss vom 16. Juni 2021 die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz aufgefordert, eine entsprechende Gesetzesreform vorzulegen. In der Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 20. bis 22. Oktober 2021 wurde der Bund ebenfalls um eine kurzfristige Prüfung gebeten. Inzwischen gibt es einen entsprechenden Gesetzentwurf.

Ein Anfangsverdacht nach anderen Vorschriften ist nicht ersichtlich, insbesondere ist der Beschuldigte auch nicht strafbar nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes.“

Nur zur Sicherheit: Die Lücken in den §§ 275, 277 – 279 StGB sind durch das ÄnderungsG vom 23.11.2021 (BGBL. I, 4906), das seit dem 24.11.2021 in Kraft ist, geschlossen worden. Und man sollte aich einen Blick in § 75a IfSG n.F. werden.

Im Übrigen: Warum man „Antigen-Tests“ fälscht erschließt sich (mir) nicht. Aber das ist eine ganz andere Frage.

Zur Erstattung von Corona-Desinfektionskosten, oder: AG Altena, AG Heinsberg. LG Aachen, LG Hamburg: Ja

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Und heute dann zum letzten Mal in 2021 der „Kessel Buntes“, denn am nächsten Samstag ist der 1. Weihnachtsfeiertag und dann ist das Jahr auch schon vorbei.

Ich stelle hier dann zunächst vier Entscheidungen zur Erstattung von Desinfektionkosten vor, und zwar:

Alle vier Gerichte haben die Desinfektionskosten erstattet, ich erspare mir hier die Einzelheiten, sondern ordne das Selbstleseverfahren an. Das LG Hamburg hat die Revision zugelassen, vielleicht hören wir dann ja mal etwas vom BGH dazu.

Doe Volltexet zu AG Heinsberg und LG Aachen findet man übrigens nicht bei mir, sondern beim Kollegen Frese aus Heinsberg. Ich habe auf die von ihm eingestellten Entscheidungen verlinkt. Ging schneller 🙂 .

 

Corona II: Sachverständigenvergütung nach dem JVEG, oder: Vergütung für erhöhten Hygieneaufwand?

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Und die zweite Entscheidung fällt dann etwas aus dem Rahmen meiner üblichen Berichterstattun- Sie kommt nämlich aus dem Sozialrecht. Gestritten worden ist dort um die Höhe der Vergütung eines Sachverständigengutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). In dem Klageverfahren war von dem sachverständigen Arzt die  Erstellung eines Gutachtens erbeten worden. Das Gutachten ist erstellt worden.

Mit der Kostenrechnung wird dann eine Vergütung in Höhe von insgesamt 1.577,86 EUR geltend gemacht, darunter „Vergütung für erhöhten Hygieneaufwand aus Anlass der Covid-19-Pandemie 6,41 €“. Den Betrag setzt die Urkundsbeamtin nicht fest. Das LSG hat dann im Hess. LSG, Beschl. v. 15.11.2021 – L 2 SB 128/21 B – festgesetzt.

Hier die Leitsätze:

1. Die Kosten eines Sachverständigen für die Einhaltung der Hygienemaßnahmen anlässlich einer Begutachtung während der Covid-19-Pandemie sind besondere Aufwendungen im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG.
2. Liegt ein Einzelnachweis der Aufwendungen nicht vor, ist zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „notwendige besondere Kosten“ auf einen pauschalisierenden Ansatz zurückzugreifen.
3. Für die Schätzung der Kosten ist auf Nr. 245 der Anlage Gebührenverzeichnis zur GOÄ zurückzugreifen, so dass sich ein Kostenansatz i.H.v. 6,41 € (1-facher Satz) netto ergibt.

Ich erinnere an die Desinfektionskosten als Schadensersatz im Zivilrecht.