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Klatsche aus Karlsruhe: Einen Tag nackt – Guantanamo lässt grüßen

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Im Moment „rappelt“ es im Strafvollzug, meint: Derzeit werden doch eine ganze Reihe von Entscheidungen des BVerfG veröffentlicht, die ein in meinen Augen nicht allzu gutes Licht auf den Strafvollzug werfen und auch nicht auf die Art und Weise, wie damit bei den LG und OLG umgegangen wird. Nach dem BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 BvR 746/13 (vgl. dazu Der entkleidete Gefangene, oder: Guantanamo ist wohl doch überall) ist gestern die PM zum BVerfG, Beschl. v. 18.03.2015 – 2 BvR 1111/13 – über die Ticker gelaufen.

In ihm geht es mal wieder um einen entkleideten/nackten Gefangenen. Der mittlerweile entlassene Gefangene war 2010 in der JVA Kassel I, Abteilung für psychisch auffällige Gefangene, untergebracht, wo er für den 08. 09. 2010 zur Zahnarztsprechstunde vorgesehen war. Nachdem die JVA die Behandlung an diesem Tag nicht gewährleisten konnte, begann der Gefangene gegen seine Haftraumtür zu schlagen und zu treten. Im weiteren Verlauf wurde er unter Anlegung von Handfesseln in einen besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände mit durchgehender Kameraüberwachung verbracht und dort nach Entfernung der Handfesseln vollständig entkleidet. Am 09. 10. 2010 erhielt er eine Hose und eine Decke aus schnell reißendem Material. Am 10. 09. 2010 wurde er in seinen Haftraum zurückverlegt. Eine nach seiner Rückverlegung erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde wies der Anstaltsleiter zurück. Es sei kein dienstaufsichtsrechtliches Fehlverhalten der von dem Gefangenen genannten Bediensteten ersichtlich.  Letztlich hat dann sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung weder beim LG noch beim OLG Frankfrut Erfolg. Das OLG hat seine Rechtsbeschwerde als unzulässig, u.a. weil die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet war, verworfen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte dann jetzt aber Erfolg. Nach Ausführungen zur Zulässigkeit führt das BVerfG zur Begründetheit u.a. aus:

Die weiteren Ausführungen des Landgerichts, bei der Feststellung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sei zu berücksichtigen, dass die Eingriffsintensität dadurch abgemildert worden sei, dass der besonders gesicherte Haftraum dauerhaft beheizt gewesen und von außen nur durch einzelne Vollzugsbedienstete per Kameraüberwachung einsehbar gewesen sei, gehen ebenfalls fehl. Die ausreichende Beheizung eines besonders gesicherten Haftraums (die im Übrigen vorliegend strittig war), ist eine Selbstverständlichkeit und gerade nicht dazu geeignet, als besonderes Entgegenkommen der Justizvollzugsanstalt einen so schwerwiegenden Eingriff wie die vollständige Entkleidung eines Gefangenen als verhältnismäßig zu rechtfertigen. Sie steht in keiner Beziehung zu der hier in Frage stehenden Verletzung der durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Intimsphäre des Betroffenen und ist im Übrigen Mindestvoraussetzung dafür, dass bei der einschneidenden Unterbringung nicht noch weitere Grundrechte des Gefangenen – etwa dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – verletzt werden. Ebenso wenig sind die Ausführungen des Landgerichts, das Schamgefühl des Beschwerdeführers sei dadurch geschont worden, dass der Haftraum nur durch einzelne Vollzugsbedienstete per Kameraüberwachung einsehbar gewesen sei, geeignet, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu begründen. Die diesbezügliche Feststellung des Landgerichts entbehrt bereits einer Tatsachengrundlage. Aus dem Vorbringen der Justizvollzugsanstalt ist nicht ersichtlich, wie viele Vollzugsbedienstete den besonders gesicherten Haftraum des Beschwerdeführers einsehen konnten. Insbesondere geht aus dem Vortrag der Justizvollzugsanstalt nicht hervor, dass die Überwachung des Beschwerdeführers nur durch gleichgeschlechtliche Bedienstete erfolgt ist (vgl. zu diesem Gebot zur Wahrung des Schamgefühls des Betroffenen Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 88 Rn. 8). Im Übrigen ändert die Frage, wie viele Bedienstete durch die Kamera tatsächlich den besonders gesicherten Haftraum einsehen konnten, nichts daran, dass sich der Beschwerdeführer bereits durch das Bewusstsein der permanenten Beobachtung durch die Videokameras bei gleichzeitig vollständiger Entkleidung erniedrigt und in seiner Intimsphäre verletzt fühlen musste….“

Das alles wird man in Kassel und in Frankfurt nicht so gerne lesen: „grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts„, „nicht nachvollziehbar„, „verkennt“ , „gehen fehl“ sind deutliche Worte, die, wenn nicht eine „schallende Ohrfeige“ und/oder „Klatsche“, dann aber doch einen „dicken Rüffel“ aus Karlsruhe bedeuten.

Das einzig unschöne an der Entscheidung des BVerfG: Warum kommt sie erst nach gut zwei Jahren?

Der entkleidete Gefangene, oder: Guantanamo ist wohl doch überall

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Die vorhin gestellte Frage, warum manche Dinge erst vom OLG entschieden werden (vgl: Die Besuchserlaubnis für die (mitangeklagte) Verlobte – warum erst vom OLG?), kann man noch toppen und fragen: Und warum ist manches so schwierig (?), dass erst das BVerfG die Lösung findet oder, um es salopp auszudrücken: Ran muss und dem jeweiligen Betroffenen zu seinem Recht verhelfen muss, obwohl die Lösung an sich auf der Hand liegen müsste. Ein Paradebeispiel ist dafür der BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 BvR 746/13, den man unter die Überschrift einordnen kann: Guantanamo ist wohl überall. Aufmerksam gemacht worden bin ich auf die Entscheidung in Zusammenhang mit dem Posting Causa Middelhoff, oder: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg. Besten Dank an den „Informanten“.

Und es stimmt: Es ist nicht weit weg, sondern die Geschichte spielt in der JVA Gera, also in Thüringen. Der Gefangene, der dann später Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, war bis April 2014 in der JVA Mannheim inhaftiert. Am 06. 09. 2011 wurde er für eine Zeugenvernehmung in einem Verfahren vor dem AG Altenburg in die JVA Gera überstellt. Während der Zeit in der JV Gera erhielt er Besuch von seiner Großmutter. Jeweils kurz vor der Besuchsdurchführung und vor der Vorführung bei Gericht durchsuchten ihn Beamte der JVA. Nach seinen Angaben musste er sich bis auf die Unterhose ausziehen und seine Kleidung zur Kontrolle an einen Beamten weiterreichen. Danach musste er die Arme heben. Schließlich wurde er aufgefordert, die Unterhose herunterzuziehen, so dass seine unverdeckten Genitalien und nach einer Drehung auch seine unverdeckte Rückenansicht in Augenschein genommen werden konnten. Der Gefangene hat dann gegenüber dem Leiter der JVA beanstandet, dass er vor der Besuchsdurchführung einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen worden sei. Für die Durchsuchung sei ihm kein Grund genannt worden. Auch sei ihm auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass eine einzelfallbezogene Anordnung des Anstaltsleiters nicht vorliege. Vielmehr würden Durchsuchungen vor und nach jedem Kontakt mit Besuchern aufgrund einer allgemeinen Anordnung des Anstaltsleiters vorgenommen. Das BVerfG habe jedoch entschieden, dass eine Anordnung auf der Grundlage des § 84 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StVollzG jedenfalls nicht zur Durchsuchung aller oder fast aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt und damit nicht zu einer Durchsuchungspraxis führen dürfe, die das Strafvollzugsgesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nur in den Konstellationen des § 84 Abs. 3 StVollzG erlaube.

Und dann geht es los: Die Thüringer Justiz – das LG Gera – war der Auffassung, eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung liege nicht vor, wenn der Gefangene zwar seine Kleidung komplett ablegen, seine Unterhose indes „lediglich herunter-, aber nicht vollständig ausziehen“ müsse. Dass der Gefangene hierbei „vorübergehend unbekleidet“ sei, sei unerheblich. Denn eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung sei nur dann gegeben, „wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren oder Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln“. Der Prozessbevollmächtigte des Gefangenen findet das „kreativ“ und geht zum OLG, wo aber aus formalen Gründen die Rechtsbeschwerde scheitert und PKH abgelehnt wird.

Das sieht dann das BVerfG anders und schreibt mit einem schönen Gruß an das OLG Jena:

„Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe stelle eine unzulässige Verkürzung des Rechtswegs dar. Bei der in Streit stehenden Untersuchungspraxis der Thüringer Justizbehörden handele es sich zweifelsfrei um eine rechtswidrige Anwendung materiellen Strafvollzugsrechts bei der Auslegung des § 84 StVollzG. Dies sei ein schwerer Rechtsfehler, der die Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig mache. Für die Intensität des Grundrechtseingriffs mache es keinen Unterschied, ob die Entkleidung Zweck oder Folge der Maßnahme der Justizvollzugsanstalt sei.“

Und in der Sache. Nun, das BVerfG setzt das „Kreativität“ des LG Grenzen und sieht die Rechte des Verurteilten verletzt, denn:

„….Jedenfalls die explizite visuelle Kontrolle des Körpers des Gefangenen muss jedoch für die Bejahung einer ‚körperlichen Durchsuchung‘ im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG ausreichen. Zudem ist § 84 Abs. 2 StVollzG hinsichtlich des Entkleidungsgrades mindestens dann einschlägig, wenn die Genitalien des Gefangenen – unabhängig von der zeitlichen Dauer – entblößt werden müssen, da die visuelle Kontrolle dieser Körperteile durch Andere eine der schwerwiegendsten, mit einer Entkleidung verbundenen Beeinträchtigungen des menschlichen Schamgefühls darstellt….

c) Mit der Annahme, eine körperliche Durchsuchung im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG liege nur dann vor, wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren und Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln, hat das Landgericht diesen eindeutigen Sinn der vom Gesetzgeber getroffenen differenzierten, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Regelung verkannt. Auch die Annahme, es handele sich jedenfalls – selbst wenn der Beschwerdeführer seine Unterhose herunterziehen müsse und seine unbedeckten Genitalien und seine unbedeckte Rückenansicht kontrolliert würden – nicht um eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 StVollzG, lässt sich mit den dargestellten Grundsätzen nicht vereinbaren und die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers vermissen. Die vom Landgericht ebenfalls zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Umstände, dass weder Unbefugte im Untersuchungsraum anwesend gewesen seien noch Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Beschwerdeführer willkürlich oder diskriminierend behandelt worden sei, sind zwar notwendige, jedoch in keiner Weise hinreichende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der erfolgten Durchsuchung.“

Und was sagt man nun dazu, wenn man die Worte wieder gefunden hat? Einmal: Warum erst das BVerfG? Und: Unerklärlich/unfassbar, dass nicht nur die JVA, sondern auch das LG, das OLG und das Justizministerium Thüringen die vom BVerfG als unhaltbar angesehene Rechtsauffassung bis zum Schluss hartnäckig vertreten und verteidigt haben! Und zum Schluss: Guantanamo ist wohl doch überall.

Verkehrsrechtler aufgepasst – BVerfG: „erhebliche Bedenken“, wenn man den Richtervorbehalt „flächendeckend aushebelt…“

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Der “Urteilsdealer des Vertrauens” – der Kollege Garcia von de legibus – hat mich mal wieder auf zwei interessante Entscheidungen hingewiesen. Ich bin für diese Hinweise immer echt dankbar, weil man nicht alles selbst finden kann.

Hier also die dann die erste Entscheidung, und zwar der BVerfG, Beschl. v. 28.06.2014 – 1 BvR 1837/12, mit einem – vor allem für Verkehrsrechtler – interessanten obiter dictum. Es geht um die Auswirkungen einer Problematik, die uns seit – auf den Tag genau heute acht Jahre (!!!) – beschäftigt, nämlich die mit dem Richtervorbehalt bei  § 81a StPO zusammenhängenden Fragen (vgl. dazu zunächst der BVerfG, Beschl. v. 12.02.2007 – 2 BvR 273/06). Im Anschluss an diese Entscheidungen und die daran anschließende Rechtsprechung hatte die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Auffassung vertreten: Die Fragen interessieren uns nun weniger. Selbst wenn ggf. ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO vorliegt und sich darauf – im Strafverfahren – ein Beweisverwertungsverbot gründen sollte, gilt das nicht für Verwaltungsverfahren, insbesondere nicht für die Entziehung der Fahrerlaubnis. In den Verfahren können die Blutentnahmen etc verwendet werden. Nun, ob das so richtig ist, habe ich bezweifelt, aber: der Zug ist in die andere Richtung gefahren.

Nun aber das BVerfG im Beschluss vom 24.06.2014:

„Mangels zulässiger Rüge besteht daher kein Anlass, der Frage nachzugehen, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, dass nicht nur im Einzelfall sondern nach gefestigter Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 11 CS 09.1443 -, juris, Rn. 27; Beschluss vom 21. November 2011 – 11 CS 11.2247 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 9. Mai 2012 – 11 ZB 12.614 -, juris, Rn. 4) wie auch anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Juni 2010 – 10 S 4/10 -, juris, Rn. 11; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. November 2009 – OVG 1 S 205.09 -, juris, Rn. 3; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 M 12/08 -, juris, Rn. 7; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. August 2008 – 12 ME 183/08 -, juris, Rn. 6; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. September 2010 – 16 B 382/10 -, juris, Rn. 2; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 10 B 11226/09 -, juris, Rn. 8; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. November 2012 – 3 O 141/12 -, juris, Rn. 7; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 1. Februar 2010 – 3 B 161/08 -, juris, Rn. 7; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – 4 MB 121/09 -, juris, Rn. 3 f.) bei der Entziehung von Führerscheinen offenbar generell die Verwertung von Erkenntnissen akzeptiert wird, die auf Blutentnahmen beruhen, welche unter Verstoß gegen den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden. Auch wenn der in § 81a Abs. 2 StPO gesetzlich angeordnete Richtervorbehalt nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe beruhen mag (vgl. BVerfGK 14, 107 <113>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 -, EuGRZ 2011, S. 183 <185>), bestehen doch aus rechtsstaatlicher (Art. 20 Abs. 3 GG) wie auch grundrechtlicher (Art. 2 Abs. 2 GG) Sicht erhebliche Bedenken gegen eine Praxis, die den gesetzlichen Richtervorbehalt für den Bereich verwaltungsbehördlicher Eingriffsmaßnahmen durch eine großzügige Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel (vgl. zu Beweisverwertungsverboten BVerfGE 65, 1 <43 ff.>; 106, 28 <48 ff.>; 113, 29 <61>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, NJW 2006, S. 2684 <2686>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09 -, NJW 2011, S. 2417 <2419>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 und 2 BvR 2346/10 -, juris, Rn. 18) flächendeckend aushebelt.“

Und: Die Mahnung scheint beim BayVGH – um eine Entscheidung von ihm ging es beim BVerfG – angekommen zu sein. Denn im VGH Bayern, Beschl. v. 31.120.2014 – 11 CS 14.1627 – heißt es: „Die Frage eines Verwertungsverbots (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 28.6.2014 – 1 BvR 1837/12 – juris) stellt sich insoweit im Fahrerlaubnisverfahren wohl nicht.“ „wohl nicht“ – das ist doch schon mal was 🙂 .

Schneckenpost II: Schnell, schneller, am schnellsten – nur nicht bei uns

© Elena Schweitzer - Fotolia.com

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Ich hatte ja neulich schon zum BVerfG, Beschl. v. 02.12.2014 – 1 BvR 3106/09 –beklagt, dass es beim BVerfG leider häufig nicht so schnell geht, wie man es sich wünscht (vgl. hier: Schneckenpost aus Karlsruhe – das BVerfG schafft 1,75 Worte/Tag) und dass dadurch sicherlich nicht die Akzeptanz bei den Instanzgerichten hinsichtlich der Entscheidungen aus Karlsruhe steigt. Ein Paradebeispiel ist dafür dann jetzt auch der BVerfG, Beschl. v. 09.10.2014 – 2 BvR 2874/10, auf den ich durch den Newsletter von HRRS gestoßen bin, da habe ich auch die Leitsätze „entlehnt“. Der Beschluss zeigt m.E. noch viel deutlicher die Schere, in der das BVerfG offenbar steckt: Einerseits Beschleunigung anmahnen, andererseits aber selbst nicht „aus den Pötten kommen“.

In der Sache ist zu der Entscheidung nichts anzumerken. Es ging um einen Verurteilten, der eine Haftstrafe von vier Jahren wegen erpresserischen Menschenraubs verbüßte. Er hat Ende 2008 Strafaussetzung zur Bewährung beantragt, was ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt worden ist. Auf die Beschwerde hat das OLG Düsseldorf die Entscheidung etwa zwei Wochen vor dem 2/3-Termin aufgehoben und zurückverwiesen. Das LG hat dann gut weitere vier Wochen später ein Sachverständigengutachten eingeholt und dann die bedingte Entlassung des Verurteilten angeordnet. Die erfolgte dann ca. 16 Wochen nach dem 2/3-Termin, wobei zwischen der Aussetzungsentscheidung und der tatsächlichen Entlassung aus der Haft fünf Tage lagen.

Der Verurteilte war dann schon einmal beim BVerfG, nachdem das OLG seinen Antrag auf Feststellung einer sachwidrigen Verzögerung des Verfahrens abgelehnt hat. Das BVerfG hat eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts festgestellt und den Beschluss des OLG Düsseldorf unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben (BverfG, Beschl. v. 13.09.2010, 2 BvR 449/10).

Aber die Düsseldorfer haben es anders gesehen und den den Antrag auf Feststellung sachwidriger Verzögerung erneut zurückgewiesen, u.a. mit dem Argument, die Überschreitung des 2/3-Zeitpunkts um etwa 16 Wochen schränke den Verurteilten nicht unangemessen ein. Daraufhin dann nochmals zum BVerfG, das nun im BVerfG, Beschl. v. 09.10.2014, 2 BvR 2874/10 – nochmals das OLG in die Schranken weist. HRRS stellt folgende Leitsätze voran:

1. Das Freiheitsgrundrecht gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die angemessene Beschleunigung gerichtlicher Verfahren im Zusammenhang mit einer Freiheitsentziehung.
2. Im Verfahren über die Aussetzung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Betracht, wenn das Freiheitsrecht nach den Umständen des Einzelfalls gerade durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird.
3. Für die Klärung der Frage, ob in einem Verfahren über die Reststrafaussetzung zur Bewährung der Beschleunigungsgrundsatz verletzt worden ist, hat der Verurteilte auch nach seiner Entlassung aus der Strafhaft ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse.
4. Zu berücksichtigen und zu erörtern sind in diesem Zusammenhang insbesondere der Zeitraum der Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer der Strafvollstreckung und des Verfahrens über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung, die Bedeutung dieses Verfahrens mit Blick auf die abgeurteilte Tat und die verhängte Strafe, der Umfang und die Schwierigkeit des Entscheidungsgegenstandes, das Ausmaß der mit dem schwebenden Verfahren verbundenen Belastung des Verurteilten und sein Prozessverhalten.
5. Bei der Auswahl und Beauftragung eines Sachverständigen hat das Vollstreckungsgericht dem Beschleunigungsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass es maßgeblich auf die voraussichtliche Bearbeitungsdauer abstellt. Für die Zeit der Gutachtenerstellung hat das Gericht Bearbeitungsfristen zu setzen und zeitnah deren Einhaltung zu überwachen.
6. Der Beschleunigungsgrundsatz ist verletzt, wenn bei der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung ein Sachverständigengutachten zunächst überhaupt nicht in Auftrag gegeben worden ist, obwohl angesichts einer positiven Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt eine Strafaussetzung nahe lag.
7. Der Beschleunigungsgrundsatz ist auch dann verletzt, wenn ein erforderliches Sachverständigengutachten und die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt nicht parallel, sondern nacheinander eingeholt werden oder wenn das Vollstreckungsgericht nach Aufhebung seiner Fortdauerentscheidung bis zu einer erneuten Entscheidung etwa einen Monat zuwartet, obwohl die Sache entscheidungsreif ist und der Zweidrittelzeitpunkt unmittelbar bevorsteht. 8. Verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar ist es auch, wenn zwischen der Aussetzungsentscheidung und der bedingten Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft mehrere Tage liegen.“

Wie gesagt: In der Sache alles gut und richtig. Nur im Verfahren? Der zweite Beschluss des OLG Düsseldorf datiert vom 04.11.2010, es hat also vier Jahre gedauert, bis das BVerfG entschieden hat. Nun gut. Man kann ihm zu Gute halten, dass es ja „nur“ noch um ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse geht./ ging. Aber dennoch. Dafür braucht man fast vier Jahre?

Und eine Anmerkung zum zweiten OLG Düsseldorf-Beschluss: Das Argument, die Überschreitung des 2/3-Zeitpunkts um etwa 16 Wochen schränke den Verurteilten nicht unangemessen ein, halte ich schon für „stark“ und frage mich: Um die vier Monate Überschreitung des 2/3 Zeitpunktes schränken nicht unangemessen sein? Wenn nicht bei dieser Fristüberschreitung, wann denn dann? Im Verfahren hat das Justizministerium des Landes NRW übrigens, „von der Abgabe einer Stellungnahme abgesehen.“. Gut so, denn was soll man dazu auch sagen?

Beim Verteidiger gefunden –> „Verteidigungsunterlage“, kann doch nicht so schwer sein

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Was beim Verteidiger gefunden wird, ist im Zweifel eine „Verteidigungsunterlage“, das kann doch nicht so schwer sein. So kann man m.E. den BVerfG, Beschl. v. Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, überschreiben, über den neulich ja auch schon der der Kollege Hoenig berichtet hatte (vgl. hier: Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei). Ich greife den Beschluss dann hier noch einmal auf, weil er doch einige recht bemerkenswerte Passagen des BVerfG und ein in meinen Augen – gelinde ausgedrückt – doch eigenartiges Verständnis der beteiligten Instanzgerichte von „Verteidigungsunterlagen“ hat.

Es geht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Rechtsanwalt war Verteidiger eines Zahnarztes, gegen den wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges und der fahrlässigen Körperverletzung ermittelt wird.  Während der Hauptverhandlung vor dem AG (fast hätte ich geschrieben: wo sonst, aber dann schimpfen „meine Bayern“ wieder) hielt der Verteidiger einem Sachverständigen sowie einem Zeugen Patientenunterlagen vor. Das AG erließt daraufhin nach § 103 StPO einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume des Rechtsanwalts mit der Begründung, dass aufgrund der Prozessvertretung für den Zahnarzt die Annahme gerechtfertigt sei, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Patientenunterlagen führen werde. Es handele sich nicht um beschlagnahmefreie Unterlagen nach § 97 StPO, weil keine schriftlichen Mitteilungen zwischen Rechtsanwalt und Angeklagtem, sondern lediglich „Geschäftsunterlagen“ des Angeklagten betroffen seien.

Bei der Durchsuchung werden dann in der Kanzlei des Rechtsanwalts 17 Einzelunterlagen – weitestgehend Kopien – beschlagnahmt, darunter die getippte Form zweier „Patientenkarteikarten“, in denen der Zahnarzt den Behandlungsablauf aus seiner Sicht detailliert geschildert und deren handschriftliche Fassung er für den Rechtsanwalt eigens abgetippt hatte, sowie eine kommentierte Rechnung. Gegen die Anordnung der Durchsuchung wird Beschwerde eingelegt mit Hinweis auf BGHSt 44, 46. Das AG hilft nicht ab (was nicht überrascht) und das LG München I verwirft die Beschwerde als unbegründet. Eine Unterlage werde nicht dadurch beschlagnahmefrei, dass der Angeklagte einzelne, die Verteidigung betreffende Anmerkungen darauf setze.

Und dann geht es nach Karlsruhe – das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte die Verfassungsbeschwerde übrigens für unbegründet gehalten, u.a. deshalb, weil die Leseabschriften der Patientenkarteikarten „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen seien. Und das BVerfG „holt die Keule raus“, und meint:

  • Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Sie war „zur Verfolgung des legitimen Zwecks der Aufklärung der Anklagevorwürfe offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig. Denn etwa gewonnene Erkenntnisse würden ohnehin keine Verwendung finden können.  Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses tatsächlich vorliegenden Anhaltspunkten eine Prognose ergeben hätte, dass ausschließlich relevante Erkenntnisse aus dem nicht absolut geschützten Bereich zu erwarten seien. Derartige Prognoseerwägungen hat das Amtsgericht bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses jedoch nicht angestellt. Es hat sich weder mit der Problematik der Durchsuchung beim Strafverteidiger noch mit §  160a Abs. 1 StPO auseinandergesetzt. Dazu hätte angesichts der bereits laufenden Hauptverhandlung und der dort vorgehaltenen Unterlagen jedoch Veranlassung bestanden. Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.
  • Die Beschlagnahme verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Denn die Beschlagnahme konnte entsprechend den vorstehenden Ausführungen wegen § 160a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht zu verwertbaren Ergebnissen führen, da die Beweiserhebung ohne ausdrückliche Prognoseerwägungen und somit unter Verstoß gegen § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO erfolgte.Und dann gibt es noch einen kleinen, aber feinen Exkurs zu in meinen Augen Selbstverständlichkeiten, was das BVerfG dem LG/AG aber wohl mal „stecken musste“: Der (erforderliche) Verteidigerbezug sei „bereits deshalb indiziert, weil die Schriftstücke beim Verteidiger aufgefunden wurden und einen Bezug zum Strafverfahren hatten. Einschränkungen der Beschlagnahmefreiheit ergeben sich dann aber nur in engem Rahmen – insbesondere, wenn etwas beschlagnahmt wird, worüber der Strafverteidiger das Zeugnis nicht verweigern dürfte, beziehungsweise bei Schriftstücken, die – wie notarielle Urkunden – für die Kenntnisnahme Dritter bestimmt sind und keiner besonderen Geheimhaltung bedürfen (vgl. Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 97 Rn. 12).“ Und:  „Die Annahme, eine beschlagnahmefähige Unterlage könne durch Anmerkungen des strafrechtlich Verfolgten zur Verteidigung nicht beschlagnahmefrei werden, ist unzutreffend. Denn von diesen Anmerkungen ist das Dokument nicht zu trennen, so dass der Bezug zur Verteidigung – und zum Zeugnisverweigerungsrecht des Strafverteidigers – gegeben ist. Hier hat der Beschwerdeführer zu 1. mit seiner getippten „Übersetzung“ der Patientenkarteikarten, die offenbar wegen der Unleserlichkeit der handschriftlichen Aufzeichnungen erforderlich war, eine Erläuterung gegeben, zu der ausschließlich sein Verteidiger Zugang haben sollte. Die Ansicht der Instanzgerichte, man könne sich diese Abgrenzungen mit dem pauschalen Verweis ersparen, es seien keine Verteidigerunterlagen, sondern „lediglich Geschäftsunterlagen“ beschlagnahmt worden, beziehungsweise es gehe um das „berufliche Verhältnis“ des Beschwerdeführers zu 1. zu seinen Patienten, verkennt, dass der Strafvorwurf ja gerade in der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zu 1. wurzelt. Er wird demzufolge ein besonderes Interesse daran haben, dass sein Strafverteidiger vor allem hinsichtlich dieser Umstände das Zeugnis verweigern darf. Die Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Privatsphäre ist daher im vorliegenden Fall kein taugliches Abgrenzungskriterium.“

Noch Fragen? Ich nicht. Ach so: Kosten? Die trägt der „Freistaat Bayern“.