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Beweisverwertungsverbot II: § 252 StPO gilt auch bei der informatorischen Befragung

Nichts wesentlich Neues, aber als bestätigender Beschluss ganz interessant ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 2. 2011 – 3 Ss OWi 40/11. Vom Sachverhalt her sicherlich keine Seltenheit. Dazu heißt es in der Entscheidung:

Das AG hat den Betr. wegen einer fahrlässigen Über­schreitung der zulässigen Höchstge­schwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaf­ten zu einer Geldbuße verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot verhängt. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hat das AG zur Täterschaft des Be­tr., der sich zur Sache nicht geäußert hat, im Wesentlichen ausgeführt:  „Der Zeuge POM W. führte aus, dass aufgrund der hohen Geschwindigkeit eine an sich beabsichtigte sofortige An­haltung nicht möglich gewesen sei. Er habe jedoch gesehen, dass es sich bei dem Fahrer um einen ‚älteren Herrn mit grauen Haaren’ gehandelt habe. Letzteres habe auch sein für die An­hal­tung zuständige Kollege der L. beobachtet. Beide Zeugen berichteten, dass sie aufgrund einer Halteranfrage festgestellt hätten, dass der fragliche Pkw auf Frau Hannelore T. (…), wohnhaft K.-Straße in G. zugelassen ist. Aus diesem Grund seien sie zu dieser Adresse gefah­ren. Hierbei haben sie die Ehefrau des Betroffenen angetroffen. Auf Nachfrage, wer mit dem auf sie zugelassenen Pkw (…) gefahren sei, habe diese erklärt, dass dies ihr soeben nach Hause gekommener Ehemann gewesen sei. In diesem Augenblick sei der Betroffene erschie­nen und habe sich als Ehemann der Halterin zu erken­nen gegeben. Aufgrund dieser Aussagen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Betroffene der Fahrer des Pkw (…) war. Der Betrof­fene passt zu der vagen Be­schreibung seines Äußeren durch die Zeugen, wovon sich das Gericht in der Hauptverhandlung überzeugen konnte. Der Aussage seiner Ehefrau gegenüber den Zeu­gen W. und L., dass er am Tattag mit dem auf sie zugelassenen Pkw unterwegs gewe­sen und kurz vor Eintreffen der Zeugen zu seiner Wohnung zurückgekommen sei, spricht deut­lich dafür, dass es sich bei dem Betroffenen um den Fahrer des Fahrzeugs zum Messzeitpunkt handelte. Die Erklärung der Ehefrau gegenüber den Zeugen ist auch ver­wertbar. Zwar wurde sie von den Polizeibeamten nicht gemäß §§ 163 III 1, 52 I Nr. 2, III StPO über ein Zeugnisver­weigerungs­recht belehrt. (…) Die Äußerung erfolgte jedoch nicht im Rahmen einer Vernehmung und ist daher, ohne dass eine Belehrung erfolgt ist, verwertbar.“

Mit seiner gegen das Urteil erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene ausdrücklich nur die Verletzung sachlichen Rechts, wobei er in diesem Rahmen zur Begründung insbesondere ausführt, die Angaben seiner in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungs­recht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber den Zeugen seien nicht verwertbar gewesen. Das ist insofern nicht richtig, weil der (Rechts)Fehler mit der Verfahrensrüge hätte geltend gemacht werden müssen. Aber dazu das OLG: Die unzutreffende Einordnung eines Rechtsbeschwerdeangriffs als Verfahrens- oder Sachrüge ist unbeachtlich, wenn sich aus der Begründungsschrift deutlich ergibt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Rüge, sondern ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist. Soweit das Rechtsmittelvorbringen dies er­laubt, ist der als Sachrüge bezeichnete Vortrag daher auch unter dem Gesichts­punkt der Verfahrensrüge zu prüfen (u.a. Anschluss an BGH, Urteil vom 21.11.2006 – 1 StR 392/06). Und davon ist das OLG dann ausgegangen und hat die Rüge der Verletzung des § 252 StPO als begründet angesehen. Dazu dann:

Die Rüge der Verletzung des § 252 StPO sei auch begründet.Dazu rückt das OLG die GStA ein, die ausgeführt hatte:

„Da die beiden Zeugen W. und L. nur eine vage Beschreibung des Äußeren des Fahrzeugsführers (‚älterer Herr mit grauen Haaren’) abgeben konn­ten, hat das Gericht in den Urteilsgründen dargelegt, dass seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft des Betr. aufgrund einer Gesamtwürdigung mit einem gewichtigen Indiz beruht, nämlich der Erklärung der Ehefrau gegenüber den beiden Zeugen, dass der Betr. am Tattag mit dem Pkw unterwegs gewesen ist. Die Verwertung der polizeili­chen Aussage der Ehefrau verstößt jedoch, worauf die Verteidigung zutreffend hingewie­sen hat, gegen § 252 StPO. (…) Letztendlich hat die Ehefrau des Betr. im Anschluss an die Ver­nehmung der beiden Zeugen von ihrem Zeugnisverweigerungs­recht Gebrauch gemacht. Der Umstand, dass es sich, wie in den Urteilsfeststellungen ausge­führt, lediglich um eine ‚informatorische Befragung’ der Ehefrau handelte, lässt das Beweis­verwertungsverbot nicht entfallen, denn § 252 StPO gilt auch regelmäßig für informato­rische Anhörungen (vgl. Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 252 Rn. 7 m.w.N.). Da das wesentliche Indiz der Über­zeugungsbildung hinsichtlich der Fahrereigenschaft des Betroffenen (hier: Aussage der Ehefrau gegenüber den Zeugen W. und L.) einem Be­weisverwertungsver­bot unterliegt, tragen die (bislang) seitens des AG zur Identifizie­rung des Betr. als Fahrer getroffenen Feststellungen den Schuldspruch und damit das Fahr­verbot nicht.“

Beweisverwertungsverbot I: Der Notruf ist eine Spontanäußerung

Für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots im Hinblick auf zunächst getätigte Äußerungen von Zeugen, die später dann das Zeugnis verweigern, ist im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des § 252 StPO immer die Frage von Bedeutung: Vernehmung mit der Folge, dass belehrt werden muss, Ja oder Nein. Und das war auch das Problem im OLG Hamm, Beschl. v. 24.05.2011 – III-2 RVs 20/11. Im Verfahren ging es um gefährliche Körperverletzung, die dem Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau zur Last gelegt wurde. Nach den Feststellungen der Berufungskammer hatte der Angeklagte am 18. 02. 2009 in den frühen Morgenstunden seine damals 24-jährige, sehr kleine und zierliche Ehefrau A. im Verlauf eines Streits in der ehelichen Wohnung zunächst mehrfach wissentlich und gewollt ins Gesicht geschlagen, durch die es zu Schleimhauteinreißungen an der Innenseite der Oberlippe kam. Anschließend steigerte sich der Angeklagte in seinem aggressiven Verhalten gegenüber seiner Ehefrau derart, dass er seinen schwarzen Ledergürtel zur Hand nahm, diesen um den Hals der Geschädigten legte und diese damit bis zur Bewusstlosigkeit drosselte, wobei der Angeklagten den Eintritt der Bewusstlosigkeit billigend in Kauf nahm. Bei seinen Feststellungen hat sich das LG insbesondere auf den Inhalt des in der Berufungshauptverhandlung abgehörten Notrufs, den die Zeugin A. am Tattag gegen 09:00 Uhr durch ihren Anruf bei der Notrufstelle der Polizei getätigt hatte, sowie auf die durch die Vernehmung der Zeugin Polizeikommissarin F. eingeführten Angaben der Geschädigten dieser gegenüber bei dem Eintreffen der unmittelbar nach dem Notruf entsandten Polizeistreife am Tatort gestützt. Die Zeugin A. selbst hatte in der erst- und zweitinstanzlichen Hauptverhandlung das Zeugnis nach § 52 StPO verweigert. Dagegen war die Verfahrensrüge – Verletzung des § 252 StPO – erhoben worden.

Das OLG äußert sich u.a. zum Notruf:

„...Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes durch die Zeugin A. führt nicht zur Unverwertbarkeit ihrer Angaben, die sie im Rahmen ihres polizeilichen Notrufs gemacht hat und bei denen von mehrfachen Schlägen des Angeklagten in das Gesicht der Zeugin die Rede war. Nach ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei einem Notruf um keine Vernehmung im Sinne von § 252 StPO, sondern um eine spontane Bekundung aus freien Stücken und ein Verlangen nach behördlichem Einschreiten (BGH NJW 1998, 2229; StV 1988, 46, 47; NStZ 1986, 232; OLG München StRR 2009, 388; OLG Hamm, StV 2002, 592, 593). Auch vorliegend handelte es sich bei dem im angefochtenen Urteil wörtlich mitgeteilten Gespräch anlässlich des abgesetzten Notrufs um keine Vernehmung im Sinne von § 252 StPO. Dem den Notruf entgegen nehmenden Polizeibeamten kam es, wie Inhalt und Verlauf des Gesprächs deutlich machen, bei seinen kurzen Fragen an die Zeugin ausschließlich darauf an, abzuklären, ob ein Notfall vorlag, eine behördliche Hilfeleistung erforderlich war und wo sich Opfer und mutmaßlicher Täter zum Zeitpunkt des Anrufs aufhielten. Einzelheiten zum Tatgeschehen wurden gerade nicht abgefragt.“

 

Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn :-) – nochmals: Richtervorbehalt

na ja, vielleicht ein wenig überspitzt, aber es freut einen dann doch, wenn man dann immer wieder mal OLG-Entscheidungen liest, die bei der Missachtung des Richtervorbehalts dann doch zum Beweisverwertungsverbot kommen. Und dann auch noch ein OLG, das bisher ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt hatte. So jetzt der OLG Köln, Beschl. v. 26.08.2011 – III-1 RBs 201/11. das OLG sagt, dass dann, wenn der die Anordnung zu einer Blutentnahme treffende Polizeibeamte im Hinblick auf eine allgemeine Dienstanweisung keine eigene Bewertung der Frage, ob ggf. die Anordnung der Blutentnahme dem Richter vorbehalten ist, vorgenommen hat, sondern mit Rücksicht auf das generelle Vorgehen bei Alkohol- und Drogendelikten die Blutprobe angeordnet hat, es sich um einen schwerwiegenden Verfahrensfehler handelt, der der Verwertung der Blutentnahme entgegensteht.

Also, wie schon häufiger ausgeführt: Die Berufung auf generelle Anordnungen hilft nichts.

Die Entscheidung wird alle die freuen, die nach der Abschaffung des § 81a Abs. 2 StPO rufen. Nur: es tut sich nichts (vgl. hier).

 

Kindermund spricht Wahrheit…

habe ich gedacht, als ich in der heutigen Tagespresse die Kurznachricht „Fünfjähriger verpetzt Vater“ gelesen habe, über die dann auch im Internet berichtet worden ist (vgl. z.B. hier bei Focus). Zum Sachverhalt: Der stark angetrunkene Vater hatte wohl eine Radfahrerin angefahren und war weitergefahren. Kurz darauf fuhr er dann auf einen Pkw, der an einer Ampel wartete, und beschädigte ein parkendes Auto. Wieder fuhr er weiter. Zeugen konnten sich das Kennzeichen merken, darüber kam man (= die Polizei= dann zur Wohnung des Fahrers. Und weiter heißt es bei Focus:

Beim Besuch der Polizisten in seiner Wohnung tat der stark angetrunkene Mann ahnungslos. Der Sohn aber nicht. „Ich weiß, warum ihr da seid“ , sagte er zu den Polizisten. „Bestimmt wegen dem Unfall eben.“ Gegen den Mann wurde dann Strafanzeige erstattet.

Lassen wir mal die rechtlichen Fragen außen vor: Vernehmung des Sohnes, Zustimmung, Pflegerbestellung, informatorische Befragung, Spontanäußerung, Beweisverwertungsverbot, Widerspruchslösung – im Grunde das Richtige für eine Klausur im Examen oder im FA-Kurs :-), wobei man allerdings den Fall auch praktisch lösen kann und wahrscheinlich wird und auf die Vernehmung des Sohnes verzichtet, da ja offenbar andere Zeugen zur Verfügung stehen. Unabhängig davon stellt sich die Frage: Was lernt man daraus? Wie gesagt: Sicherlich „Kindermund spricht Wahrheit“ (?). Oder abgewandelt: Jedenfalls lernt man daraus: Kinder in ihr Zimmer, wenn die Polizei kommt und Nachforschungen anstellen will. 🙂 🙂

Bei der Einschätzung der Meldung bitte beachten: Wir kennen alle die Akten nicht.

Auskunftsverweigerungsrecht und Beweisverwertungsverbot

Die mit dem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusammenhängenden Fragen spielen in der Praxis häufig eine erhebliche Rolle. Von Belang ist dabei insbesondere auch die Frage, wie mit der Missachtung der sich aus § 55 StPO ergebenden Belehrungspflicht in einem nachfolgenden Verfahren gegen den Zeugen umzugehen ist. Dazu verhält sich der OLG Jena, Beschl. v. 09.02.2011 – 1 Ss 113/10 – mit folgenden Leitsätzen:

Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, wenn er bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die zumindest einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden. Ein solcher Anfangsverdacht muss sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, das heißt auf konkrete Tatsachen stützen, die dafür sprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine (bestimmte) Straftat enthält.

Die Missachtung der Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO führt in einem nachfolgenden Verfahren gegen einen vormaligen Zeugen wegen Falschaussage nicht grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot seiner Aussage. Ihr kommt lediglich schuldmindernde Bedeutung zu, weshalb sie bei der Ahndung des Aussagedelikts als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen ist.