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Fahrradfahrerzusammenstoß beim Überholen, oder: Wann muss man klingeln?

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Die zweite Entscheidung kommt – wie bereits angekündigt auch vomKG aus Berlin. Gegenstand ist ein Fahrradfahrerunfall. Zwei Fahrradfahrer sind bei einem Überholvorgang im gleichgerichteten Verkehr zusammen gestoßen. Der eine macht gegen den anderen Radfahrer Zahlung von Schmerzensgeld, Krankenbehandlungskosten, Sachschäden und Verdienstausfall sowie Nebenforderungen in Höhe von zuletzt 16.825,52 EUR geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil es die Behauptung des Klägers nicht für erwiesen erachtet hat, dass die Beklagte beim Überholen den notwendigen Seitenabstand zu ihm als ebenfalls auf einem Rad Fahrenden nicht eingehalten hat. Die durch den Sturz des Klägers eingetretene Unterarmfraktur habe die Beklagte daher nicht verschuldet. Der Fahrradweg aus Bitumen habe eine Breite von 1,75 m gehabt, bis zum Bordstein habe sich noch ein kleingepflasterter Bereich angeschlossen, der eine Breite von 95 cm gehabt habe. Rechts neben dem Fahrradweg habe sich ein Grünstreifen befunden. Dann aber sei ausreichender Platz für ein Überholen mit einem Abstand von 1 m vorhanden gewesen. Ausreichende Anhaltspunkte für ein Unterschreiten des notwendigen Abstands ergäben sich allenfalls aus den Angaben des Klägers, die aber keinen Vorrang vor den plausiblen Erklärungen der Beklagten hätten. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Überholvorgang durch ein Klingeln vorzubereiten.

Das KG führt dazu in seinem Hinweisbeschluss, dem KG, Beschl. v. 26.02.2018 – 22 U 146/16, in dem es für den Kläger angeregt hat, seine Berufung zu überdenken:

„…..Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, so dass weder ein Anspruch wegen der eingetretenen Körperverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB in Betracht kommt…………

2. Die Entscheidung des Landgerichts unterliegt auch keinem Rechtsfehler. Zu Recht hat das Landgericht eine Verpflichtung zum Klingeln verneint. Eine entsprechende generelle Verpflichtung ergibt sich nicht aus dem Gesetz, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 StVO ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Nach § 5 Abs. 1 StVO ist links zu überholen. Dabei ist nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Radfahrern einzuhalten. Der Überholende muss sich weiter so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist und der Überholte nicht behindert wird. Dies alles gilt auch dann, wenn ein Radfahrer einen anderen Radfahrer überholen will, weil ihm das Überholen trotz der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO grundsätzlich erlaubt ist. Die Regelung § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO betrifft nur den Fall, dass länger nebeneinander gefahren und gerade nicht überholt werden soll (vgl. Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 2 Rdn. 55). Die beim Überholen zu beachtenden Pflichten setzen das vorherige Ankündigen des Überholens grundsätzlich nicht voraus. Selbst nach § 5 Abs. 6 StVO besteht keine Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Schallzeichen. Anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine besondere Sachlage vorliegt. Eine solche Konstellation könnte gegeben sein, wenn der Überholvorgang wegen der geringen Straßenbreite besonders gefährlich ist oder der zu Überholende erkennbar unsicher ist. All dies ist hier aber nicht der Fall gewesen. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 StVO aus. Dann aber kann hier auch offen bleiben, ob sich eine etwaige Verletzung der Ankündigungspflicht überhaupt auf den Unfall ausgewirkt hat, nachdem der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ausdrücklich erklärt hat, er habe sich nicht wegen des Überholens erschrocken, sondern wegen der Berührung.“

Der Kläger ist der Anregung des KG übrigens nicht gefolgt. Das hat die Berufung dann im KG, Beschl. v. 09.04.2018 – 22 U 146/18 – zurückgewiesen.

Rückabwicklung des Neuwagenkaufs, oder: Der Verkäufer muss die Unerheblichkeit des Mangels beweisen

Im „Kessel Buntes“ heute dann zunächst das BGH, Urt. v. 18.10.2017 – VIII ZR 242/16, eine kaufrechtliche Entscheidung. Im Verfahren ging es um Mängel bei einem Neuwagenkauf. Bei dem vom Kläger gekauften Pkw gaben die Scheinwerfer unterschiedlich Licht. Der eine leuchtete dreimal so hell wie der andere. Der Kläger ist dann von der Polizei angehalten und darauf hingewiesen worden, dass sein Fahrzeug deswegen verkehrsgefährdend sei. Er hat Rückabwicklung des Kaufvertrages begeht. In erster Instanz hat Sachverständiger bestätigt, dass die Lichtstärke der Scheinwerfer bei 15,7 lx bzw. 47,2 lx lag. Offen geblieben ist aber, ob die Blendwirkung auf einem Scheinwerferdefekt, falscher Einstellung, einem Softwarefehler oder einer Kombination dieser Ursachen beruhte. Die Klage hatte dann erst beim BGH Erfolg.

Der BGH hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil auf. In der „Segelanweisung“ gibt er dem OLG Köln als Berufungsgericht dann mit auf den Weg, wie man bei der Neuverhandlung mit der Sache umgehen muss/soll:

2. Für das neue Berufungsverfahren sieht der Senat unter Heranziehung des Akteninhalts Anlass zu folgenden Hinweisen:

a) Dem Käufer (beziehungsweise hier aus abgetretenem Recht dem Kläger) obliegt es nicht, im Rahmen seines Nachbesserungsbegehrens die genaue Ursache des beanstandeten Mangels zu benennen (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2011 – VIII ZR 266/09, NJW 2011, 1664 Rn. 10). Vielmehr genügt es, wenn er die Mangelerscheinung laienhaft beschreibt, also darlegt, in welchen Symptomen sich der Mangel äußert (Senatsurteil vom 26. Oktober 2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 Rn. 16 [zum Kauf]; BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – VII ZR 276/13, NJW-RR 2014, 1204 Rn. 16 [zum Werkvertrag]; Beschluss vom 21. Februar 2017 – VIII ZR 1/16, NJW 2017, 1877 Rn. 11 mwN [zur Miete]).

Im vorliegenden Fall ist ein Mangel der Frontbeleuchtung betroffen, den der Kläger durch den Hinweis auf eine Blendwirkung dahin beschrieben hat, einer der beiden Scheinwerfer leuchte dreimal so hell wie der andere. Hierin fügte sich der weitere Vortrag des Klägers ein, dass er mit dem Fahrzeug von der Polizei angehalten worden sei, weil diese das Fahrzeug wegen der Blendwirkung als verkehrsgefährdend eingestuft habe. In ähnlicher Weise hat sich im Übrigen auch der vom Landgericht beauftragte Sachverständige geäußert, der bei einem Scheinwerfer eine Lichtstärke von 15,7 lx und bei dem anderen von 47,2 lx festgestellt und das Fahrzeug deswegen als verkehrsunsicher und verkehrsgefährdend bezeichnet hat.

Ob die Ursache dieser Blendwirkung letztlich auf einem Defekt der Scheinwerfer selbst, auf einer falschen Einstellung der Scheinwerfer, auf einem Softwarefehler oder einer Kombination dieser Ursachen beruht, ist für die Gewährleistungspflicht der Beklagten ersichtlich ohne Bedeutung, da sämtliche in Betracht kommenden Ursachen jedenfalls nach derzeitigem Sachstand der Sphäre der Beklagten zuzuordnen sind. Hierauf hat der Kläger im Übrigen bereits in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 24. September 2015, mit dem sich die Vorinstanzen nicht auseinandergesetzt haben, zutreffend hingewiesen.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trägt der Verkäufer und nicht der Käufer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Mangel unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist und den Käufer deshalb nicht zur Rückabwicklung des Kaufvertrages berechtigt. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz den Ausschluss des Rücktrittsrechts bei nur unerheblichem Mangel als Ausnahme formuliert (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27. März 2008 – 15 U 175/07, juris Rn. 59 mwN; OLG Düsseldorf, Urteile vom 24. Oktober 2005 – 1 U 84/05, juris Rn. 40; vom 8. Januar 2007 – 1 U 177/06, juris Rn. 24).

c) Anders als das Berufungsgerichts meint, richtet sich die Beurteilung der Erheblichkeit eines Mangels schließlich keineswegs allein danach, ob die Mängelbeseitigungskosten die Grenze von 5 % des Kaufpreises übersteigen. Vielmehr ist – wie der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 28. Mai 2014 (VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 16 mwN) ausgeführt hat – eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Weiter hat der Senat entschieden, dass im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB) in der Regel nicht mehr auszugehen ist, wenn bei einem behebbaren Mangel der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 % des Kaufpreises übersteigt (Senatsurteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13, aaO Rn. 12 mwN).

Dies schließt es allerdings nicht aus, dass bei Vorliegen besonderer Umstände – etwa einer nur sehr geringfügigen Gebrauchsbeeinträchtigung – trotz eines Mangelbeseitigungsaufwandes von mehr als 5 % des Kaufpreises der Mangel als unerheblich einzustufen ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27. Juli 2016 – 3 U 70/15, juris) oder umgekehrt trotz eines unter der 5 %-Grenze liegenden Mangelbeseitigungsaufwands aufgrund besonderer Umstände (etwa besondere Schwierigkeiten oder Zeitdauer einer erforderlichen Ersatzteilbeschaffung) die Gesamtabwägung zur Bejahung einer erheblichen Pflichtverletzung führen kann. Denn wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Mai 2014 (VIII ZR 94/13, aaO Rn. 38 mwN) bereits betont hat, handelt es sich bei der Schwelle von 5 % des Kaufpreises um eine nicht starre („in der Regel“), sondern – entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – um eine flexible, in eine Interessenabwägung und eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls eingebettete Erheblichkeitsschwelle, die dem Ziel dient, die Interessen der Kaufvertragsparteien zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen.

d) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht in grundlegender Weise verkannt, dass sich die Frage der Behebbarkeit eines Mangels nach den Erkenntnissen im Zeitpunkt des Rücktritts beurteilt (Senatsurteile vom 29. Juni 2011 – VIII ZR 202/10, NJW 2011, 2872 Rn. 21; vom 5. November 2008 – VIII ZR 166/07, NJW 2009, 508 Rn. 19; vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13, aaO Rn. 16). Deshalb kommt es im Rahmen der Beurteilung der Unerheblichkeit eines Mangels nicht entscheidend auf die Behebbarkeit an, wenn die Mangelursache im Zeitpunkt des Rücktritts noch ungewiss ist, etwa weil es dem Verkäufer – wie der Kläger auch hier geltend macht – in mehreren Nachbesserungsversuchen nicht gelungen ist, die Mangelursache zu finden und den Mangel zu beseitigen. In einem solchen Fall ist vielmehr auf die Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit abzustellen (Senatsurteile vom 29. Juni 2011 – VIII ZR 202/10, aaO; vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13 aaO Rn. 17).

e) Ausgehend von diesen Grundsätzen verbietet sich bei einer schwerwiegenden und in mehreren Nachbesserungsversuchen nicht behobenen Einschränkung der Verkehrssicherheit, wie sie der Kläger hier geltend macht, eine Einordnung als nur unerheblicher Mangel. Es kommt in diesen Fällen gerade nicht darauf an, ob die genaue Mangelursache zu einem späteren Zeitpunkt – nach dem Rücktritt – noch ermittelt wird, etwa im Rahmen der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, durch das sich dann herausstellt, dass die Beseitigung des Mangels nur einen unerheblichen Betrag erfordert.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Termin vorverlegt – Terminsgebühr?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Das „Gebühren-Rätsel“ vom vergangenen Freitag – Ich habe da mal eine Frage: Termin vorverlegt – Terminsgebühr? – war eine Frage, die eigentlich gar keine Frage war. Es hat sich vielmehr um den Sachverhalt aus dem LG Dortmund, Beschl. v. 09.02.2016 – 34 Qs 110 Js 265/15 – gehandelt, den mir der Kollege, der ihn „erstritten“ hat, zugeschickt hat.  Und das LG Dortmund kommt – wie auch die KollegInnen in den Kommentaren – zu der richtigen Lösung. Im Beschluss heißt es dazu:

Der Beschwerdeführer hat einen weiteren Anspruch auf Erstattung der Terminsgebühr Nrn. 4103, 4102 von 197,54 Euro (166 Euro nebst MVVSt) für den Haftprüfungstermin am 31.07.2015. Er hat an dem zunächst auf 12:30 Uhr festgesetzten Termin zwar nicht teilgenommen, weil der Termin durch das Amtsgericht um etwa eine halbe Stunde vorverlegt worden war und bereits beendet war, als der Beschwerdeführer um 12:17 Uhr erschien. Entsprechend der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Anlage 1 zum RVG wird abweichend von dem Grundsatz, dass eine Terminsgebühr nur dann erstattet wird, wenn auch tatsächlich teilgenommen wurde, die Terminsgebühr auch erstattet, wenn der Rechtsanwalt zu dem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist.

Danach war dem Beschwerdeführer die Terminsgebühr zumindest in entsprechender Anwendung der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Anlage 1 zum RVG zu erstatten, da das Gericht ihm die Teilnahme zwar nicht durch Aufhebung des Termins, sondern durch Vorverlegung unmöglich gemacht hat. Seinem Büro war als Terminbeginn 12:30 Uhr mitgeteilt worden. Um 12:17 Uhr erschien der Beschwerdeführer, um an dem Termin teilzunehmen, musste allerdings erfahren, dass der Termin bereits stattgefunden hatte. Eine Mitteilung, dass der Termin vorverlegt worden war, hatte der Beschwerdeführer nicht erhalten, so dass die oben genannte Ausnahme von der Ausnahmeregelung nicht greift.

Richtig übrigen auch die Ausfürhungen des LG zur Verteilung der Beweislast in der Frage: Verschulden des Rechtsanwalts, ja oder nein? Die trägt die Staatskasse, wenn sie sich darauf beruft, dass die Gebühr nicht entstanden ist.

Der Wiederbeschaffungswert, der Vorschaden und die Beweislast

© Thaut Images Fotolia.com

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Ebenfalls aus dem Verkehrszivilrecht stammt das KG, Urt. v. 27.08.2015 – 22 U 152/14. Es geht im Rahmen der Unfallschadensregulierung – geltend gemacht war der Wiederbeschaffungswert – um Vorschäden. Dazu sagt das KG:

Die Klägerin trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die geltend machten Schäden sowie die Höhe des Schadens ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Der Ersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes setzt deshalb zum einen voraus, dass die erforderlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungsaufwand nicht bereits unterschreiten. Zum anderen hängt die Höhe des Wiederbeschaffungswertes davon ab, in welchem konkreten Zustand sich das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt befand. Dem Mindestschaden entspricht bei ungeklärter Grundlage der Berechnung ([niedrigere] Reparaturkosten oder [niedrigerer] Wiederbeschaffungsaufwand) auch nicht der (möglicherweise ermittelbare) Mindestwiederbeschaffungsaufwand. Vielmehr bleibt die Schadensbemessung nach § 287 ZPO nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich ohne ausreichenden Anhaltspunkt, weshalb einer möglichen Schadensbemessung der Umstand entgegensteht, dass sowohl die zurechenbaren Reparaturkosten nicht feststehen, als auch eine hinreichende Grundlage für die Schätzung des Wiederbeschaffungswertes fehlt.

a) Reparaturkosten sind nur zu ersetzen bzw. im Rahmen der Berechnung des Ersatzes des Wiederbeschaffungsaufwandes anzusetzen, soweit sie wegen des unfallkausalen Schadens erforderlich sind. Bei Vorschäden im erneut beschädigten Bereich und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte daher im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs noch vorhanden waren, wofür er im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss. Kann er dies nicht oder unterlässt er die Darlegung, so geht dies im Streitfall zu seinen Lasten ( BGH mit Urteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75BGHZ 71, 339, 347 [II.2] = NJW 1978, 2154; KG mit (Hinweis-) Beschluss vom 12. Dezember 2011 – 22 U 151/11 [veröffentlicht auf juris.de]; KG mit Urteil vom 29. Juni 2009 – 12 U 146/08NZV 2010, 350 f.; KG mit [Hinweis-] Beschluss vom 31. Juli 2008 – 12 U 137/08NZV 2009, 345 f.; KG mit Beschluss vom 6. Juni 2007 – 12 U 57/06NJOZ 2008, 765 [I.] = KGR Berlin 2008, 234 = VRS 113, 424; OLG Brandenburg, Urteil vom 17. März 2005 – 12 U 163/04 – [2.b)], Schaden-Praxis 2005, 413, ferner veröffentlicht auf beck-online.de und juris.de; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2015 – 1 U 32/14 – [I.1)], veröffentlicht auf beck-online.de und juris.de m.w.Nw.; OLG Hamburg, Urteil vom 28. März 2001 – 14 U 87/00MDR 2001, 1111; OLG Koblenz mit [Hinweis-] Beschluss vom 26. März 2009 – 10 U 1163/08VersR 2010, 246 = NJOZ 2010, 3977; OLG Köln mit [Zurückweisungs-] Beschluss vom 18. Oktober 2010 – 4 U 11/10 – Schaden-Praxis 2011, 187; OLG München, Urteil vom 27. Januar 2006 – 10 U 4904/05NZV 2006, 261 [I.2.b)]; vgl. ferner König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 12 StVG Rn. 6, S. 224; Jahnke in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 23. Aufl., § 249 BGB Rn. 86-88; Kaufmann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 25 Rn. 250;   Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 287 Rn. 7). Der Geschädigte muss zwar nicht stets darlegen und beweisen, dass Vorschäden nicht vorhanden waren. Konkreten Vortrag der Gegenseite oder ernsthafte Anhaltspunkte für Vorschäden muss er jedoch ausräumen, weil ihn die Darlegungs- und Beweislast für einen unfallursächlichen Schaden bzw. die vorherige Schadensfreiheit seines Fahrzeuges trifft…..“

Bordellbesuch mit Folgen – nach dilettantischen Ermittlungen Entschädigung

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Ein Bordellbesuch mit Folgen bzw. ein Schlag mit einem „silberfarbenen Baseballschläger“ – vornehm, vornehm – ist Gegenstand des SG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.2013 – S 35 VG 21/10, in dem es um die Frage der Opferentschädigung geht. Der Kläger hatte zusammen mit einem Kumpel ein Bordell aufgesucht . Im Anschluss an die Inanspruchnahme der dort beschäftigten Damen hielt man sich weiter in der Bar des Bordells weiter auf. Plötzlich – so die Aussage des Kumpels in der Ermittlungsakte der StA – sei, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, der Sicherheitsdienst des Bordells in Form eines „Türstehers“ gerufen worden. Die betreffende Person habe dann sofort grundlos mit einem silberfarbenen Baseballschläger dem Zeugen in die Magengrube geschlagen und anschließend dem Kläger mit dem Baseballschläger mehrfach auf den Kopf geschlagen. Der Zeuge und der Kläger hätten dann fluchtartig das Bordell verlassen und seien bis zum Ausgang verfolgt worden. Man habe ein Taxi gerufen und sei sofort ins Krankenhaus in  gefahren. Es werden dann (umfangreiche) Ermittlungen geführt, die aber zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens führen.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Gewaltopferentschädigung wird später von der Verwaltungsbehörde abgelehnt mit der Begründung, das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei und es lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Dagegen klagt der Kläger und bekommt beim SG Düsseldorf Recht. Begründung: Umkehr der Beweislast wegen „dilettantischer Ermittlungen“:

Nach § 1 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes – OEG – erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung, wer im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Tatbestandsmerkmale „vorsätzlich, rechtswidrig und tätlich“ müssen – aus Sicht des Klägers – im Wege des Vollbeweises (objektive Beweis- oder Feststellungslast) nachgewiesen sein (vgl. z. B. Kunz u. A. Opferentschädigungsgesetz 5. Auflage § 1 Anmerkung 50 mit weiteren Nachweisen und Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Vorliegend behauptet der Kläger einen Sachverhalt, der die vorgenannten Tatbestandsmerkmale eindeutig erfüllen würde. Seine Behauptung wird gestützt durch die Aussagen des Zeugen X1, der – unabhängig von den vom Beklagten behaupteten Widersprüchen in den Aussagen – ebenfalls einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff gegen den Kläger dargelegt hat. Diesen Aussagen des Klägers und des Zeugen steht allerdings entgegen, dass der Manager des Bordells, in dem sich die Tat zugetragen haben soll, einen entsprechenden Vorgang bestreitet und dass die Polizei im Ermittlungsverfahren weder einen Täter ermittelt hat, noch Belege für die Gewalttat gefunden hat.

Es kann jedoch vorliegend dahinstehen, ob der Kläger durch die Aussage des Zeugen X1 nunmehr den Tatbestand des Gesetzes im Sinne des oben genannten Vollbeweises nachgewiesen hat, denn – nach Auffassung der Kammer – findet vorliegend eine Umkehr der Beweislast dergestalt statt, dass der Beklagte beweisen muss, dass der Kläger nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs geworden ist.

Dem Opferentschädigungsgesetz liegt vor allem der Gedanke zugrunde, dass die Gesellschaft für die gesundheitlichen Schäden des Opfers einer Gewalttat einzutreten hat, weil der Staat es im Einzelfall nicht vermocht hat, den Bürger vor einem gewaltsamen Angriff zu bewahren (vgl. Bundesrats-Drucksache 352 aus 74 S. 10). Die Entschädigung der Opfer von Straftaten resultiert aus der besonderen bzw. gesteigerten Verantwortung des Staates für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung (BSGE 59, 40, 44; Kunz a.a.O. § 1 Anmerkung 1). Die staatliche Verpflichtung, Verbrechen im oben genannten Sinne zu verhindern, schließt die Verpflichtung des Staates ein, wenn schon die Verhinderung des Verbrechens misslingt, das Verbrechen wenigstens so weit wie möglich aufzuklären und dem Geschädigten damit bei der Erbringung des Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs zur Seite zu stehen. Diese Verpflichtung hat die Staatsmacht – in Form der Polizei L und der Staatsanwaltschaft L – vorliegend missachtet. Polizei und Staatsanwaltschaft haben nicht nur das vom Kläger behauptete Verbrechen gegen ihn nicht aufgeklärt, was an sich noch nicht zu beanstanden wäre, da nicht alle Verbrechen aufgeklärt werden können, sondern die vorgenannten Staatsgewalten haben hier mit geradezu dilletantischen Ermittlungen verhindert, dass die Straftat als solche offenkundig wurde und ein Täter gefunden wurde.
….
Nach alledem steht für die Kammer fest, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung der Ermittlungen durch die Polizei zwar möglicherweise kein Täter gefasst worden wäre, die Ermittlungen aber sicherlich zweifelsfrei dazu geführt hätten, festzustellen, ob sich der vom Kläger und vom Zeugen X1 geschilderte Vorfall am 00.00.2008 im Bordell Q1 ereignet hat. Diese Feststellung ist nun nicht mehr möglich, mit der Folge, dass der Kläger die ihm vom OEG auferlegte Beweisführung nicht mehr erbringen kann. In der Rechtsprechung aller Obergerichte ist grundsätzlich anerkannt, dass sich die im Gesetz verankerte Beweisführungspflicht umkehrt, wenn die eigentlich nicht zur Beweisführung verpflichtete Partei (hier der Staat) die Erbringung des Beweises durch den Kläger vereitelt hat. Genau dies ist hier der Fall. Der Beklagte muss demnach beweisen, dass der Kläger nicht Opfer eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs geworden ist. Diesen Beweis hat der Beklagte nicht erbracht. Die Einwendungen des Beklagten, etwa zu den unterschiedlichen Zeitangaben des Klägers und des Zeugen X1 hinsichtlich der Tatzeit, sind als diesbezügliche Beweisführung ungeeignet. Abgesehen davon, dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass sich der Täter angesichts seines Gesundheitszustandes heute nicht mehr an die exakte Tatzeit erinnert, wird durch die Einwendungen der Beklagten die Tat an sich nicht in Frage gestellt.