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Einziehung I: Der erlangte Vermögenswert, oder: Alles, nicht nur der Beuteanteil

entnommen openclipart.org

Zum 1.7.2017 ist das Recht der Vermögensabschöpfung in den §§ 73 ff. StGB grundlegend geändert worden. Stichwort: Verbrechen darf sich nicht lohnen. Seitdem ist ein deutliches Ansteigen der Entscheidungen der Obergerichte, die sich mit Einziehungsfragen befassen, festzustellen. Gefühlt vergeht fast kein Tag, an dem nicht auf der Homepage des BGH dazu etwas veröffentlicht wird. Das ist der Anlass heute mal einen „Einziehungstag“ zu machen, den ich dann – wegen der Vielzahl der Entscheidungen – in der nächsten Zeit in lockerer Folge fortsetzen werde.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 05.06.2019 – 5 StR 670/18. Entschieden hat der BGH über eine Revision der Staatsanwaltschaft. Die hatte gegen ein Urteil, das den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung eines Geldbetrages von 4.250 € angeordnet hatte, Revisiom eingelegt. Mit ihrer auf die Einziehung beschränkten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe der gesamten Tatbeute (45.000 €) abzüglich eines dem Geschädigten erstatteten Betrages von 250 €. Die Revision hatte Erfolg:2

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte auf den Vorschlag eines unbekannten Mittäters ein, sich durch einen so genannten „Rip-Deal“ Geld hinzuzuverdienen. Der Angeklagte und der Geschädigte vereinbarten, dass Letzterer für eine nicht festzustellende Gegenleistung 45.000 € in bar und gestückelt in 50- und 100-€-Scheinen an den Angeklagten entrichten solle. Gemäß dem mit dem Mittäter gefassten Tatplan war der Angeklagte jedoch nicht willens, die Gegenleistung zu erbringen.

Der Angeklagte und der Geschädigte trafen sich zur Übergabe in einem Restaurant. Das Geld befand sich in einem Stoffbeutel des Geschädigten. Auf Initiative des Angeklagten begaben sie sich vor das Restaurant. Dort sollte der Geschädigte das Geld dem im abfahrbereiten Auto wartenden Mittäter zeigen. Der Aufforderung des Geschädigten, den Motor auszustellen, kam der Mittäter nicht nach. Nun riss der Angeklagte an dem Beutel. „Er wollte das Geld, von dem er 10 % als Beuteanteil, mithin 4.500 €, erhalten sollte, für sich und den unbekannten Mittäter verwenden.“

Der Geschädigte hielt den Beutel fest. Um dessen Widerstand zu brechen, fuhr der Mittäter das Auto mehrfach ruckartig vor und zurück, wodurch die offene Beifahrertür wiederholt schmerzhaft gegen Arm und Schulter des Geschädigten schlug. Aufgrund dessen und weil er nicht von dem losfahrenden Auto mitgerissen werden wollte, ließ der Geschädigte schließlich los. Der Mittäter fuhr daraufhin gemeinsam mit dem Angeklagten mit Vollgas weg. Unter ungeklärten Umständen fielen Geldscheine der Tatbeute aus dem Fluchtfahrzeug, die von Passanten aufgesammelt wurden. Ein ehrlicher Passant lieferte 250 € bei der Polizei ab, die sie dem Geschädigten zurückgab.

2. Das Landgericht hat eine Wertersatzeinziehung nur in Höhe des Beuteanteils des Angeklagten von 10 % abzüglich erstatteten 250 € angeordnet. Der Angeklagte habe entsprechend der mit dem Mittäter getroffenen Abrede keinen ungehinderten Zugriff auf die gesamte Beute erlangt. Eine Mitverfügungsmacht habe er ausnahmsweise auch nicht durch die eigenhändige Wegnahme des Beutels begründet. Der transitorische kurzfristige Zugriff während der Fahrt mit dem Fluchtauto reiche hierfür nicht aus. Zudem sei der Angeklagte erkennbar von seinen Hintermännern gesteuert worden und habe auch deshalb keine Verfügungsgewalt über die gesamte Tatbeute innegehabt.

3. Diese Wertungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. BGH, Urteile vom 30. Mai 2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 256; vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 45 f.; vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 und 624/17, jeweils mwN). Bei mehreren Beteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den Vermögensgegenstand nehmen können. Faktische Mitverfügungsgewalt kann aber – jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, die Beute oder Teile davon in den Händen haltenden Mittäter – auch dann vorliegen, wenn sich diese in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit Diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, 279 mwN).

b) So liegt der Fall auch hier. Der Angeklagte wollte das von ihm in Händen gehaltene Geld „für sich und den unbekannten Mittäter“ verwenden (UA S. 6). Damit hatte er die von ihm beanspruchte Verfügungsmacht inne. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine unmittelbar durch die Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (vgl. BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, aaO, S. 46; vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, aaO, jeweils mwN). Die vom Landgericht als maßgeblich erachtete Erwägung zu einer alleinigen Verfügungsgewalt der „Hintermänner“ des Angeklagten geht deshalb ebenso fehl wie die Annahme eines nur kurzfristigen oder transitorischen Erhalts der gesamten Tatbeute.

4. Der Senat bestimmt auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen und in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Wert des vom Angeklagten Erlangten selbst und ordnet insoweit dessen gesamtschuldnerische Haftung an (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, aaO, mwN).“