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Sicherungsverwahrung, oder: Therapieunwilligkeit bei Sprachstörungen?

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Die dritte Entscheidung aus dem Vollstreckungsbereich kommt heute vom KG. Der KG, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 Ws 2/18 – befasst sich in einem Verfahren nach § 119a StVollzG mit der Frage der „Therapieunwilligkeit“ eines/des Gefangenen. Besonderheit war, dass dieser aufgrund eines Schlaganfalls sprachgestört war. Das LG hatte „Therapiewilligkeit“ verneint.

Das KG beanstandet das in seiner Entscheidung, die u.a. folgende Leitsätze hat.

1. Die Annahme der Vollzugseinrichtung, ein durch einen Schlaganfall in seinem Sprachvermögen ganz erheblich eingeschränkter vornotierter Strafgefangener sei „therapieunwillig“, bedarf eingehender gerichtlicher Aufklärung, dies insbesondere auch dann, wenn dem Gericht aufgrund der beschriebenen Störung die Kommunikation mit dem Sicherungsverwahrten im Anhörungstermin nicht möglich war.

2. Der „Betreuungsauftrag“ des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB schließt medizinische Behandlungen jedenfalls dann ein, wenn sie zur Durchführung von psychiatrischen Behandlungen, insbesondere von Therapiegesprächen erforderlich sind.

Das KG war – so scheint es mir – wegen der Argumentation des LG „ein wenig“ angefressen zu sein. Im Beschluss heißt es u.a.

„Soweit im Beschluss weiter ausgeführt wird, „rein medizinische Maßnahmen“ seien vom Betreuungsauftrag des § 66c StGB nicht umfasst, hat bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend auf Folgendes hingewiesen:

„Es geht im vorliegenden Fall auch nicht um eine Prüfung der medizinischen Versorgung in der Haftanstalt im allgemeinen, sondern um medizinische Maßnahmen als Voraussetzung einer (anschließenden) therapeutischen Behandlung zur Reduzierung der Gefährlichkeit des Verurteilten und damit konkret auf eine solche vom Gesetzeszweck gedeckte Behandlung bezogene (besondere) Maßnahmen. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung von § 66c StGB erkennbar nicht den körperlich eingeschränkten Verurteilten, gegen den eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verhängt wird, vor Augen. Einer Einbeziehung medizinischer Maßnahmen mit dem Ziel der Wiederherstellung oder Verbesserung der Behandlungsfähigkeit und -bereitschaft steht daher systematisch nichts entgegen.“

Nach § 66c Abs. 1, 2 StGB ist Sicherungsverwahrten und vornotierten Strafgefangenen eine „Betreuung“ anzubieten, die zum Ziel hat, die Gefährlichkeit des Inhaftierten maßgeblich zu mindern. Dies muss „individuell und intensiv“ sein (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 18). Diese Vorgaben beruhen auf den in den Gesetzesmaterialien sogar ausdrücklich zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum „ultima-ratio-Prinzip“. Die in den Materialien wiedergegebene Passage aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 lautet (BVerfGE 128, 361, 379):

„Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet werden, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Diesem ultima-ratio-Prinzip bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung folgt der Gedanke, dass auch der Vollzug diesem Prinzip entsprechen muss. Kommt Sicherungsverwahrung in Betracht, müssen schon während des Strafvollzugs alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass etwa erforderliche psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen, die oftmals auch bei günstigem Verlauf mehrere Jahre in Anspruch nehmen, zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor dem Strafende abgeschlossen werden“ [Hervorhebung durch den Senat].

Angesichts des Hinweises darauf, dass es schon von Verfassung wegen geboten ist, „alle Möglichkeiten“ auszuschöpfen, kann keinen Zweifel daran bestehen, das damit jedwede erfolgsversprechende Chance genutzt werden muss. Dass dabei einzelne, in der Praxis besonders bedeutsame Behandlungen aufgeführt werden, hat ersichtlich nur beispielhaften Charakter, ist aber keinesfalls abschließend zu verstehen, was durch den Gebrauch des Wortes „insbesondere“ nochmals deutlich hervorgehoben wird. Der Wortlaut, vor allem aber die Historie und der Sinn und Zweck des § 66c StGB weisen daher eindeutig darauf hin, dass die „Betreuung“ im Sinne dieser Norm als umfassender Behandlungsauftrag verstanden werden muss. Dieser schließt medizinische Behandlungen jedenfalls dann ein, wenn sie – wie hier die Rehabilitation, insbesondere der Wiederherstellung des Sprachvermögens – zur Durchführung von psychiatrischen Behandlungen, insbesondere von Therapiegesprächen erforderlich sind.

Die Erwägung des Landgerichts, dass die hier in Rede stehenden medizinischen Maßnahmen dazu führen würden, dass der Verurteilte wieder gefährlich werden könne (so etwa BA S. 25, 26) und schon aus diesem Grund nicht Teil einer „Betreuung“ im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB sein könne, da diese die Minderung der Gefährlichkeit bezwecken würde, liegt neben der Sache. Sie steht zu dem Leitbild eines modernen Strafvollzugs, der anders als ein bloßer „Verwahrvollzug“ den Gefangenen befähigen soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (so etwa § 2 Satz 1 StVollzG Bund und § 2 Satz 1 StVollzG Bln), in einem unauflösbaren Widerspruch.“

Pflichti III: Bestellung eines RA, wenn nur Zweifel an Verteidigungsfähigkeit bestehen

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Und dann noch der dritte Pflichverteidigungsbeschluss. Es handelt sich um den LG Leipzig, Beschl. v. 18.09.2017 – 5 Qs 119/17, der (mal wieder) die Problematik der Bestellung in den Fällen der Betreuung behandelt. Dazu das LG:

„Zwar genügt – wie das Amtsgericht im Grundsatz richtig annimmt – die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Auch spielt es letztlich keine entscheidende Rolle, ob – wie die Beschwerde geltend macht – der Angeklagte die vorgeworfene Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder zumindest der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Denn dies ist nicht entscheidend für die hier allein zu beantwortende Frage der Fähigkeit, sich nunmehr im Verfahren selbst verteidigen zu können.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt aber dann ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten oder seines Gesundheitszustands in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Eine Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn der Angeklagte unter Betreuung steht (OLG Naumburg FamRZ 2017, 757 f.; OLG Hamm NJW 2003, 3286). § 140 Abs. 2 ist dabei schon anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur eigenen Verteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vgl. Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 140 Rn. 30 m. w. N.). Schon das in dem Betreuungsverfahren von Dipl.-Med. S. am 16.10.1997 erstattete Gutachten diagnostiziert bei dem Angeklagten ein niedriges intellektuelles Niveau bei deutlich eingeschränkter Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie eine bei Alkoholeinwirkung ganz besonders herabgesetzte Frustrationstoleranz und Persönlichkeitsveränderung (Verhaltens- und Anpassungsstörung) aufgrund derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbständig adäquat regeln könne. Es empfiehlt eine Betreuung u. a. im auch jetzt angeordneten Umfang. Eine solche wurde durch das Betreuungsgericht – gestützt auf das ärztliche Zeugnis des Dipl.-Med. Sch. vom 23.08.2012, das dem Angeklagten eine Alkoholkrankheit mit Persönlichkeitsstörung und autoagressivem Verhalten attestiert – zuletzt im Oktober 2012 angeordnet. Hierdurch ist die Beschränkung der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung hinreichend belegt. Diese wird auch nicht durch die Tatsache kompensiert, dass der Angeklagte einen Betreuer hat. Insofern ist selbst dann eine Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig, wenn der Angeklagte – wie hier nicht – einen Rechtsanwalt als Betreuer hätte (vgl. Schmitt a.a.O. m.w.N.).

Zudem ist gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts Oschatz aus Oktober 2012 — 3 XVII 5108/96 — die Berufsbetreuerin dem Angeklagten unter anderem mit dem Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden bestellt. Im Rahmen des Aufgabenkreises vertritt sie ihn gerichtlich und außergerichtlich. Der Begriff der Vertretung vor Behörden umfasst dabei auch die Vertretung vor einem Gericht; es bedarf insoweit keiner ausdrücklichen Nennung der Vertreter in Gerichtsangelegenheiten. Auch das durch diesen Beschluss anerkannte Defizit des Angeklagten, seine Rechte selbst vor einem Gericht vertreten zu können, legt bereits die Unfähigkeit des Angeklagten zur Verteidigung nahe (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O.; LG Berlin 2016, 487 f.).“

Pflichti I: Und nochmals: Bei Betreuung gibt es einen Pflichtverteidiger

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Kurz und zackig hat des das LG Magdeburg im LG Magdeburg, Beschl. v. 23.08.2017 – 21 Qs 54/17 – gemacht mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Dem Beschuldigten wurde Betrug vorgeworfen. Das AG hat die Bestellung eines Pflichtverteidiger abgelehnt, obwohl der Beschuldigte unter Betreuung stand. Das LG macht nicht viel Federlesen und ordnet bei:

„Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO liegen vor. Der Beschwerdeführer ist ersichtlich nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, da er unter Betreuung steht und sich die Betreuung auch auf sämtliche Amts-und Behördenangelegenheiten erstreckt. Demnach ist der Beschwerdeführer ohne anwaltliche Hilfe nicht in der Lage, die Abläufe eines Strafverfahren umfassen nachzuvollziehen und angemessen darauf zu reagieren.“

 

Pflichti II: Mandant unter Betreuung, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Die zweite „Pflichti-Entscheidung“ stammt auch aus dem Bereich der Strafvollstreckung. Es handelt sich um den LG Bielefeld, Beschl. v. 09.06.2017 –  100 StVK 1905/17, den mir der Kollege Urbanczyk aus Coesfeld übersandt hat. Im Verfahren bei der StVK ging es um Zahlungserleicherungen für den Mandanten nach § 42 StGB. Der Mandant stand unter Betreuung. Das LG hat Zahlungserleicherungen gewährt und den Kollegen als Pflichtverteidiger beigeordnet, und zwar ohne viel Aufhebens:

„Dem Verurteilten war vorliegend unter Berücksichtigung des Umfangs der Betreuung, die nahezu alle Pflichtenkreise betrifft und einen Einwilligungsvorbehalt beinhaltet. gem. § 140 Abs, 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen, da der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen und durchzusetzen Der Verurteilte leidet an einer Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer Minderbegabung und dem Tourette-Syndrom. sodass eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur sachgerechten Verteidigung anzunehmen ist.“

Geht doch.

Unter Betreuung und Morbus Parkinson, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Als letzte Entscheidung in 2015, die sich mit Pflichtverteidigungsfragen befasst, will ich dann noch auf den LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15 –  hinweisen. Das LG hat – anders als zuvor das AG – die „Unfähigkeit zur Selbstverteidigung“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO bejaht. Begründung/Leitsätze;

1. Steht der Beschuldigte unter Betreuung mit dem „Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden“ ist seine Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt und ihm nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

2. Ist der Beschuldigte aufgrund eines Morbus Parkinson, der zu einer motorischen Sprachstörung geführt hat, in seiner sprachlichen Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ist er als sprachbehindert im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen.

Kleiner Hinweis: Das LG hatte zur Zulässigkeit der Beschwerde des Verteidigers ausgeführt:

„Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft Berlin ist das Rechtsmittel nicht deshalb unzulässig, weil der Verteidiger die Beschwerde im eigenen Namen eingelegt hat (vgl. für den nicht beigeordneten Rechtsanwalt: Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Auflage, § 142 Rdnr. 19 m.w.N.). Gemäß § 297 StPO darf nämlich ein Wahlverteidiger grundsätzlich aus eigenem Recht und im eigenen Namen Rechtsmittel einlegen, soweit er dabei nicht gegen den Willen des Beschuldigten verstößt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 297 Rdnr. 3).“

Hinsichtlich der Argumentation habe ich allerdings Bedenken. Nach allgemeiner Meinung hat der nicht beigeordnete Rechtsanwalt nämlich kein eigenes Beschwerderecht gegen die Ablehnung seiner Bestellung. M.E. hätte das LG daher hier anders argumentieren müssen und die Beschwerde dahin auslegen können/müssen, dass der Verteidiger sie im Namen des Beschuldigten, dem ein Beschwerderecht zusteht, eingelegt hat.

Als Verteidiger sollte man das fehlende Beschwerderecht im Übrigen in diesen Fällen immer im Auge haben. Die Gefahr, dass sonst ggf. das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen wird, ist sonst gegeben. Das zeigt sich auch hier: Die Staatsanwaltschaft hatte Zurückweisung als unzulässig beantragt. Der „Good Will“ des Gerichts sollte nicht überstrapaziert werden.