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StPO I: Kann der Ehemann über das Urteil seiner Frau entscheiden?, oder: Besorgnis der Befangenheit

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In die 15. KW./2020 starte ich dann mit dem BGH, Beschl. v. 27.02.2020 – III ZB 61/19. Der kundige Leser wird am Aktenzeichen erkennen, dass es sich um eine Entscheidung des BGH aus einem Zivilverfahren handelt. Richtig. Ja, und es ist auch richtig, dass die Entscheidung nicht an einem Samstag im „Kessel Buntes“ läuft. Denn die vom BGH entschiedene Frage kann auch im Bußgeld- und/oder Strafverfahren eine Rolle spielen. Es geht nämlich um die Problematik: Beteiligung von Ehepartnern am Verfahren und Besorgnis der Befangenheit? Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

In dem ursprünglich beim AG Koblenz anhängigen Verfahren macht die Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Beratungsvertrag geltend. Im erstinstanzlichen Verfahren war Richterin am AG H. zur Entscheidung über die Klage berufen. Nachdem ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch des Beklagten zurückgewiesen worden war, verurteilte sie ihn im Wesentlichen antragsgemäß, an die Klägerin 3.808,00 € zuzüglich Zinsen und vorgerichtlicher Mahnkosten zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist bei der 6. Zivilkammer des LG Koblenz anhängig, deren Mitglied – bis zu seinem Tod am 4.12.2019 – der Ehemann von Richterin am AG H. war.

Der Beklagte hat im Berufungsverfahren Richter am AG H. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat ausgeführt, dass der abgelehnte Richter mit der erkennenden Richterin erster Instanz verheiratet sei, begründe die Besorgnis der Befangenheit. Die Berufungsbegründung stütze sich wesentlich auf die Prozessführung und Beweiswürdigung durch die Ehefrau des abgelehnten Richters. Es könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass während des zwei Jahre dauernden Verfahrens erster Instanz Gespräche und Beratungen zwischen den Eheleuten stattgefunden hätten.

Richter am AG H. hat sich zu dem Ablehnungsgesuch des Beklagten dahingehend geäußert, seine Frau habe ihm gegenüber erwähnt, sie sei in einem Verfahren von dem Beklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden. Eine inhaltliche Befassung mit diesem Verfahren habe nicht vorgelegen. Er habe von ihm erst dadurch Kenntnis erlangt, dass er in Vertretung des Kammervorsitzenden am 4.7.2019 die Frist zur Begründung der Berufung verlängert habe.

Das LG hat das Ablehnungsgesuch des Beklagten für unbegründet erklärt. Hiergegen richtet sich die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten. Dieser hat nach dem Tod von Richter am Amtsgericht H. die Rechtsbeschwerde für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen. Die Klägerin hat sich der Erledigungserklärung des Beklagten nicht angeschlossen.

Der BGH hat für erledigt erklärt und ausgeführt, dass die Rechtsbeschwerde war zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses – dem Tod des vom Beklagten abgelehnten Richters – zulässig und begründet war:

„a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr.; siehe nur Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2020 – III ZR 160/19, juris Rn. 5 und vom 25. Mai 2016 – III ZR 140/15, juris Rn. 3 mwN).

In Anwendung dieser Grundsätze stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung keinen generellen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar (Beschlüsse vom 20. Oktober 2003 – II ZB 31/02, NJW 2004, 163 f und vom 17. März 2008 – II ZR 313/06, NJW 2008, 1672; vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. August 2015 – III ZR 170/14, juris Rn. 3; a.A. z.B. Feiber, NJW 2004, 650 f; Zöller/ G. Vollkommer aaO § 42 Rn. 13a mwN; auf weitere Umstände abstellend: BSG, Beschlüsse vom 24. November 2005 – B 9a VG 6/05 B, juris Rn. 8 und vom 18. März 2013, BeckRS 2013, 68558 Rn. 6 ff).

Ob hieran festzuhalten ist, kann offenbleiben. Denn der vorliegende Fall unterscheidet sich von den höchstrichterlich bisher entschiedenen Konstellationen dadurch, dass die Ehefrau des abgelehnten Richters nicht lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt, sondern diese als Einzelrichterin allein verantwortet hat. Jedenfalls dieser Umstand vermochte den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Denn aus Sicht des Beklagten konnte die Alleinverantwortung der Ehefrau des abgelehnten Richters für das angefochtene Urteil die Bedeutung des ehelichen Näheverhältnisses in Gestalt einer – zumindest unbewussten – Solidarisierungsneigung des abgelehnten Richters verstärken. Letztere ist nicht in gleichem Maße zu erwarten, wenn der Ehegatte des abgelehnten Richters lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 aaO).“

StPO III: Selbstablehnung des Richters, oder: Allein enge Freundschaft zum Verteidiger reicht nicht

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So, und die Nachmittagsentscheidung kommt ebenfalls aus dem Bereich des Ablehnungsrecht. Das AG Torgau hat im AG Torgau, Beschl. v. 24.02.2020 – 2 Ds 950 Js 41188/19 – zu einer Selbstablehnung (§ 30 StPO) Stellung genommen. In einem Verfahrenn hatte sich der zuständige Amtsrichter „selbst abgelehnt“ und das mit einer engen freundschaftlichen Verbindung zum Verteidiger begründet. Das reicht aber allein nicht, sagt das AG:

„…. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.01.2020 zeigte sich für die Angeschuldigte unter Beifügung einer Prozessvollmacht Rechtsanwalt pp. an und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht sowie die Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zur Anklageschrift. Mit richterlicher Verfügung vom 21.01.2020 wurde durch Richter am Amtsgericht pp. die Akteneinsicht bewilligt mit dem Zusatz, dass das Gericht gleichzeitig auch die Stellungnahmefrist zur Anklageschrift von zwei Wochen ab Eingang der Akte verlängere.

Nach gewährter Akteneinsicht erfolgte die Rückgabe der Akte an das Amtsgericht Torgau am 29.01.2020. Richter am Amtsgericht pp. hat sodann mit Verfügung vom 03.02.2020 gem. § 30 StPO mitgeteilt, dass zwischen ihm und dem die Angeschuldigte vertretenden Rechtsanwalt pp. ein enges Freundschaftsverhältnis seit dem Referat [so im Original] bestehe und man sich auch regelmäßig wöchentlich zu gemeinsamen Abendessen treffe und er auch vor wenigen Wochen auf der Geburtstagsfeier des Rechtsanwaltes pp. als Gast gewesen sei. Aufgrund dieses Näheverhältnisses scheine es ihm fraglich, ob er das Verfahren mit der gebotenen Objektivität entscheiden könne. Mit Verfügung vom 05.02.2020 wurde diese dienstliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Leipzig, Zweigstelle Torgau, und dem Verteidiger Rechtsanwalt pp. zur Äußerung übersandt. Die Staatsanwaltschaft Leipzig, Zweigstelle Torgau, teilte mit Verfügung vom 06.02.2020 mit, dass aufgrund der dienstlichen Stellungnahme des Richters am Amtsgericht pp. Zweifel an der notwendigen Objektivität bestehen. Seitens des Verteidigers Rechtsanwalt pp. Reiche wurde mit Schreiben vorn 11.02.2020 Stellung genommen. Er bestätigte das enge freundschaftliche Verhältnis zu Herrn Richter am Amtsgericht pp. Seiner Auffassung nach sei aber die Besorgnis der Befangenheit und damit die Berechtigung der Selbstablehnung gern. § 30 StPO nicht begründet. Ergänzend wird auf das Schreiben vom 11.02.2020 Bezug genommen.

Herr Richter am Amtsgericht pp. hat mit Verfügung vom 13.02.2020 mitgeteilt, dass eine ergänzende dienstliche Stellungnahme nicht veranlasst sei.

II.

Die von Herrn Richter am Amtsgericht pp. in seiner dienstlichen Äußerung gern. § 30 StPO mitgeteilten tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen nicht für die am Verfahren Beteiligten die Besorgnis der Befangenheit.

Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln; es ist ein individuell objektiver Maßstab anzulegen (Fischer, Karlsruhe Komm. zur StPO, 8. Aufl., München 2008 § 24 Rdnr. 3 mit einer Vielzahl von Nachweise der Rechtsprechung).

Das unbestrittene Vorliegen einer engen Freundschaft zwischen Herrn Richter am Amtsgericht pp. und dem Verteidiger, Herrn pp.,  allein reicht noch nicht aus, aus der Sicht eines der Verfahrensbeteiligten, bei vernünftiger Würdigung aller Umstände an einer Unvoreingenommenheit dieses Richters zu zweifeln (vgl. OLG Koblenz 05.05.2003 – 5 U 120/03; OLG Frankfurt 04.12.1995 -13 U 113/95- BayObLG 02.10.1986 – BReg 2 Z 113/86, OLG Frankfurt 02.03.1998 – 15 W 8/98, LG Bonn 11.10.1965 ¬4 T 460/65).

Das Hinzutreten weiterer objektiver Umstände ist nicht erkennbar. Die Bearbeitung des Strafverfahrens nach Eingang beim Amtsgericht Torgau ist nicht zu beanstanden. Rechtsanwalt pp. wurde die beantragte Akteneinsicht mit Schreiben vom 17.01.2020 ohne ihn zu bevorzugen, gewährt. Gleiches gilt auch für die gewährte Frist zur Verlängerung der Stellungnahme zur Anklageschrift. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich Herr Richter am Amtsgericht pp. mit dem Verteidiger Rechtsanwalt pp. bereits außergerichtlich in einem privaten Rahmen über das vorliegende Strafverfahren unterhalten haben könnte. Aufgrund der Darlegungen des Rechtsanwalts pp. ist hiervon auch nicht auszugehen. Ergänzend wird auf dessen Vorbringen mit Schreiben vom 11.02.2020 verwiesen. Im Ergebnis war die aus dem Tenor dieser Entscheidung ersichtliche Entscheidung zu treffen.“

Vernünftige Entscheidung: Sowohl vom zuständigen Richter als auch vom Entscheider.

Der Richter mit Reichweitenproblemen, oder: Besorgnis der Befangenheit

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.06.2019 – 5 W 19/19, hat eine Befangenheitsproblematik in einem Zivilprozess betreffend ein Elektrofahrzeug zum Gegenstand.

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über einen Elektrofahrzeug/Pkw1 geschlossen. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr zugesagt, das Fahrzeug habe eine Reichweite von 300 km. Diese könne aber bei winterlichen Temperaturen nicht erreicht werden. Sie hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und begehrt dessen Rückabwicklung.

Der zuständige Einzelrichter hatte die Parteien darauf hingewiesen, er habe selbst im Sommer 2014 ein Pkw vom Typ Elektrofahrzeug/Pkw2 gekauft. Er sei damit jahrelang zwischen Ort2 und Ort3 gependelt. Im Winter 2014/2015 habe er entgegen seiner Erwartung festgestellt, dass es nicht möglich sei, bei Minusgraden mit eingeschalteter Heizung oder einer Geschwindigkeit auf der Autobahn von mehr als 80 km/h von Ort2 nach Ort3 und zurück zu kommen.

Die Beklagte hat daraufhin den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das LG hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt. Das OLG sieht das anders:

„Das Ablehnungsgesuch ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Dem Senat ist bekannt, dass in der 13. Zivilkammer wegen einer personellen Veränderung eine Umverteilung der Zuständigkeiten ansteht. Der bislang zuständige Einzelrichter pp. wird in dieser Sache zwar seine Zuständigkeit verlieren. Er wird aber der Kammer weiter angehören und in dieser Sache als Vertreter in zweiter Linie zuständig bleiben. Dass der Vertretungsfall eintreten wird, ist insbesondere wegen der anstehenden Urlaubszeit nicht völlig unwahrscheinlich.

Gegen Richter p. besteht hier der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Zwar hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der zuständige Einzelrichter diese Sache ohne Parteinahme für die eine oder die andere Partei bearbeiten würde. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Zöller/G. Vollkommer, 32. Aufl., § 42 ZPO, Rn. 9). Hier hat der zuständige Richter ähnliche Reichweiteprobleme mit einem – wenn auch nicht typengleichen – Elektrofahrzeug desselben Herstellers gehabt, wie die Klägerin sie in diesem Rechtsstreit behauptet, und zwar im Wesentlichen auf der gleichen Strecke wie diese (von Ort2 nach Ort3 und zurück). Dass die Beklagte hierauf die Befürchtung stützt, der zuständige Einzelrichter könne vor dem Hintergrund der von ihm angezeigten Erfahrungen möglicherweise den Standpunkt der Klägerin besser nachvollziehen als ihren eigenen und sich hierdurch bei seiner Entscheidung leiten lassen, ist bei vernünftiger Sichtweise nachvollziehbar. Dass der Einzelrichter pflichtgemäß von sich aus diese Umstände angezeigt hat, lässt die Besorgnis der Befangenheit nicht entfallen.“

StPO I: Wenn sich der Vorsitzende vorab zum Strafmaß äußert, oder: Befangen?

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Mittwoch, 05.06.2019 – die ersten Postings vom neuen Wohnort, nämlich aus Leer. Die sind allerdings – das räume ich ein – vorbereitet. Thematik: Verfahrensfragen.

Und ich beginne mit dem OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2018 – 3 RVs 46/18. Schon etwas älter, aber ich bin auf dieses Urteil jetzt erst vor kurzem gestoßen (worden). Es geht um die für die Praxis wichtige Frage der Befangenheit des Richters, wenn er bei Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung Ausführungen zu gerichtlichen Strafmaßvorstellungen macht.

Dazu das OLG in Zusammenhang mit einem Befangenheitsantrag der StA, den das LG zurückgewiesen hatte:

Beide Revisionen sind unbegründet.

1. Sie stützen sich in erster Linie auf zwei Verfahrensrügen wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 2 StPO sowie gegen § 257c StPO.

a) Diesen liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Der Vorsitzende der Berufungskammer hatte zu Beginn der Hauptverhandlung nach Mitteilung gem. § 243 Abs. 4 StPO und Hinweis gem. § 243 Abs. 5 StPO „nach § 257b StPO“ erklärt, dass bei den Angeklagten nach vorläufiger Auffassung des Gerichts im Falle umfassender Geständnisse eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung bzw. eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen „in Betracht“ komme. Nach anschließender Unterbrechung der Hauptverhandlung äußerte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seine Vorstellung von einer zusätzlichen Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen gegen den Angeklagten Z. und von einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen gegen den Angeklagten M.. Nachdem sich die beiden Verteidiger demgegenüber der Erklärung des Vorsitzenden angeschlossen hatten und die Sitzung erneut unterbrochen worden war, erklärte der Vorsitzende, „die Erörterung nunmehr beenden zu wollen. Seine Ausführungen zu den Strafmaßvorstellungen eingangs der Hauptverhandlung würden allerdings Vertrauensschutz genießen, eine Abweichung hiervon würde die Erteilung eines Hinweises voraussetzen (§ 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO).“ Wegen dieser Erklärung lehnte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, da dieser „- auch wegen der von ihm erklärten Selbstbindung – Zweifel an der gebotenen Unvoreingenommenheit begründet“ habe. Das Ablehnungsgesuch wurde im Rahmen des § 27 Abs. 1 StPO als unbegründet zurückgewiesen und die Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden zu den oben genannten Gesamtstrafen verurteilt.

b) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist das Ablehnungsgesuch nicht im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO mit Unrecht verworfen worden. Die beanstandete Erklärung des Vorsitzenden war nicht geeignet, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

Der Vorsitzende hat eine – mögliche – Abweichung von den zu Beginn der Hauptverhandlung geäußerten Strafmaßvorstellungen zu Recht von der Erteilung eines vorherigen Hinweises nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO abhängig gemacht.

In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu dieser neuen Bestimmung ist gerade eine „Erörterung nach § 257b StPO“ ausdrücklich als Mitteilung einer vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht genannt, die regelmäßig einen Vertrauenstatbestand schaffe, so dass das Verbot der Überraschungsentscheidung im Falle der geplanten Abweichung einen gerichtlichen Hinweis gebiete (vgl. BT-Drucks. 18/11277 S. 37).

Die hier in Rede stehenden Ausführungen des Vorsitzenden zu den gerichtlichen Strafmaßvorstellungen fanden nach dem ausdrücklichen Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls aber gerade im Rahmen von Erklärungen „nach § 257b StPO“ statt. Die Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Vorschrift wiederum weist darauf hin, dass Gegenstand einer Erörterung nach § 257b StPO „auch die Angabe einer Ober- und Untergrenze der nach gegenwärtigem Verfahrensstand zu erwartenden Strafe durch das Gericht sein kann“. Mit dieser Vorschrift werde „auch klargestellt, dass sich das Gericht durch die Bekanntgabe seiner Einschätzung des Verfahrensstandes nicht dem Vorwurf der Befangenheit“ aussetze (BT-Drucks. 16/11736 S. 10 f.).

Schon aus den genannten Gesetzesbegründungen selbst ergibt sich damit, dass das Vorgehen des Vorsitzenden und insbesondere seine oben zitierte Erklärung in vollständiger Übereinstimmung mit den (neuen) gesetzlichen Vorgaben stand und eine Besorgnis der Befangenheit nicht bestand (vgl. dazu in entsprechender Situation auch BGH, Urteil vom 14. April 2011, 4 StR 571/10, Rn. 11).

c) Als unbegründet erweist sich vor diesem Hintergrund auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c StPO. Denn dem angefochtenen Urteil ging – anders als von der Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung vertreten – „eine gescheiterte Erörterung über eine mögliche Verständigung“ nach den vorstehenden Ausführungen gerade nicht voraus.

Das Vorgehen des Vorsitzenden hielt sich – wie er zu Beginn ausdrücklich klargestellt hatte – vollständig im Rahmen des § 257b StPO. Eine Regelung der Verständigung enthält diese Vorschrift nicht (BT-Drucks. 16/11736 S. 11). Zwar erlaubt § 257b StPO es dem Gericht, den Stand des Verfahrens in der Hauptverhandlung mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, um eine Verständigung vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O. Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 257b Rn. 2). Hier beendete der Vorsitzende die Erörterungen nach § 257b StPO jedoch, noch bevor eine mögliche Verständigung thematisiert worden wäre und hätte scheitern können.

Selbst wenn aber mit Blick auf die Nähe der vorliegenden Situation zum im § 257c Abs. 3 StPO geregelten Verfahren davon ausgegangen würde, die Erörterungen seien nicht nur auf eine Verständigungsvorbereitung, sondern die einvernehmliche Verfahrenserledigung selbst gerichtet gewesen, wäre § 257c StPO nicht verletzt. Voraussetzung dafür wäre hier das Vorliegen einer – dann nur „informell“ möglichen – Absprache zwischen Gericht und Angeklagten, an der es vorliegend aber fehlt. Abgesehen davon, dass die Revision insoweit keine Einzelheiten mitteilt und sich ein entsprechendes Ergebnis im Rahmen bloßer Vermutungen hielte, hatte der Vorsitzende die (mögliche) Abweichung von den zuvor als „in Betracht“ kommend bezeichneten Gesamtstrafen in seinem von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Hinweis ausdrücklich thematisiert und damit klargestellt, dass eine Bindung der Kammer nicht bestand. Trotz dieses Hinweises an eine informelle Absprache zu glauben, würde die Annahme der Unredlichkeit des Richters bedeuten, für die es weder eine strafprozessuale Grundlage noch den geringsten konkreten Anhalt gibt.

Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Fall auch nicht mit der von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang ins Feld geführten Entscheidung des OLG München vom 9. Januar 2014 (4 StRR 261/13) zu vergleichen. Dort hatte die Strafkammer gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger nach dem Scheitern von auf eine Verständigung nach § 257c StPO abzielenden Gesprächen gerade im Rahmen einer informellen Absprache eine Verpflichtungserklärung abgegeben und bei entsprechendem prozessualen Verhalten des Angeklagten und seines Verteidigers eine Rechtsfolge (bindend) in Aussicht gestellt.“

Bezeichnung als „der K“ anstelle der Parteibezeichung ist unhöflich, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Und als zweite Entscheidung dann eine das Zivilverfahren betreffende Entscheidung des OLG Frankfurt. Das nimmt im OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.12.2018 – 14 W 43/18 – zu folgendem Sachverhalt Stellung:

Es geht um das Ablehnungsgesuch eines Beklagten in einem Zivilverfahren. Der hatte PKH beantragt. In dem sein Gesuch zurückweisenden Beschluss hatte ihn der über das Gesuch entscheidende Richter nicht mit seiner Parteirolle – der Beklagte zu 2. –  sondern wiederholt als „der K“ bezeichnet. Das LG hatte zu dem Ablehnungsgesuch gemeint: Alles nicht so schlimm, das ist üblich. Das OLG sieht das aber anders:

Das mit dem Ablehnungsgesuch beanstandete Verhaften des Richters ist geeignet, Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen. Dabei sind zwar nur objektive Gründe zu berücksichtigen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Demgegenüber ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (z.B. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 42 Rn. 9 mit zahlreichen Nachweisen).

Solche Gründe bestehen insofern, als der abgelehnte Richter in dem Beschluss über die Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuchs den Beklagten zu 2. nicht schlicht mit seiner Parteirolle (der Beklagte zu 2.“), sondern wiederholt als „der K“ bezeichnet hat. Darin kommt nicht nur eine abwertende Wortwahl zum Ausdruck, sondern rechtfertigt aus Sicht des Beklagten zu 2. auch die Befürchtung, der abgelehnte Richter sei bereits in diesem Prozessstadium davon überzeugt, dass sich der Beklagte zu 2. auch in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt strafbar gemacht habe. Dass der abgelehnte Richter, wie er in seiner dienstlichen Erklärung angegeben hat, eine diffamierende Herabwürdigung des Beklagten zu 2. durch die anredelose Bezeichnung nicht beabsichtigt hat, ist für die Beurteilung des Ablehnungsgrundes nicht entscheidend. Es reicht aus, dass sich aus Sicht des Beklagten zu 2. die Bezeichnung „der K “ als bewusste  Vermeidung sonst üblicher, neutraler Benennungen (wie „der Beklagte zu 2.“) darstellt, um ihn als Straftäter hervorzuheben. Die beanstandete Bezeichnung ist  nämlich entgegen der Begründung des angefochtenen Beschlusses in Zivilverfahren keine übliche Ausdrucksweise, sondern wird mit jedenfalls früher gängigen Formulierungen in strafverfahrensrechtlichen Texten (Polizeiberichten, Haftbefehlen, Anklageschriften oder Strafurteilen) für den praktisch überführten Beschuldigten oder Verurteilten assoziiert, der keine Höflichkeit mehr verdient.

Ich halte die Art der Formulierung übrigens nicht nur in Zivilverfahren für eine unhöfliche Unsitte, sondern auch im Strafverfahren – falls sie denn heute dort noch verwendet wird.