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Besetzung II: Wer entbindet Schöffen wegen Urlaubs?, oder: In Berlin z.T. eigenständig die Geschäftsstelle

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Manchmal bin ich über Beschlüsse, die mir Kollegen zuschicken erstaunt. Denn an sich gehe ich davon aus, dass mich so schnell besondere „Verfahrensgestaltungen“, die sich Gerichte überlegt haben, nicht mehr überraschen, weil sich viele Dinge ja gleichen. Manchmal trifft man aber doch auf etwas „Neues“, zumindest für mich.

So ist es mir bei dem AG Tiergarten, Beschl. v. 14.07.2021 -217b AR 62/21 -, den mir der Kollege Elobied aus Berlin geschickt hat, ergangen. Er betrifft im Grunde auch eine Frage in Zusammenhnag mit der Gerichtsbesetzung, was ich so noch nicht erlebt habe. Es scheint nämlich wohl beim AG Tiergarten die Praxis zu bestehen, dass zumindest einige der dort tätigen Richter die Entbindung von Schöffen von der Dienstleistung wegen Urlaubs an die Geschäftsstelle delegiert haben, die diese eigenständig vornehmen, ohne dass der jeweils zuständige Richter hieran beteiligt ist.

So auch in einem Verfahren, in dem der Kollege Elobied verteidigt. Er hat das zum Anlass genomme, die zuständige Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Aber – warum wundert mich das nicht? – das AG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen:

„Die zulässigen Ablehnungsanträge sind unbegründet.

Gemäß § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dieses ist nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen habe, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters – sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art — am Verfahrensgang- und am Ausgang des Verfahrens begründet.

Maßgebend ist hier der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 24 Rn. 8 Rn. w. N).

Der dargestellte unstreitige Sachverhalt rechtfertigt für die Angeklagten bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus deren Perspektive nicht die Annahme, die abgelehnte Richterin würde ihnen gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und. Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Zwar ist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG der Richter beim Amtsgericht für die Entscheidung über die Entbindung von Schöffen von der Pflicht zur Dienstleistung zuständig:

Jedoch stellen Verfahrensverstöße grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar, sofern sie nicht den Anschein der Willkür erwecken (vgl. BGH NStZ 2010, 342).

So liegt der Fall hier.

Wie von den Verteidigern ausgeführt und der abgelehnten Richterin bestätigt, handelt es sich bei der oben geschilderten Praxis um eine solche, die von mindestens fast allen Wirtschaftsabteilungen des Amtsgerichts Tiergarten so gehandhabt wird.

Auch die abgelehnte Richterin lässt diese-Praxis in allen Verfahren zu.

Dies zeigt, dass diese Vorgehensweise sich gerade nicht auf einen der hier Angeklagten bezieht und somit keine verfahrensbezogene Willkür gegeben. ist.

Es ist auch abwegig, aus dieser von vielen Richtern des Amtsgerichts so gehandhabten Praxis den Schluss zu ziehen, der abgelehnten Richterin würden auch andere Verfahrensgarantien gleichgültig sein. Hierfür ist weder ein Anhaltspunkt vorgetragen noch sonst ersichtlich.“

Na ja, markige Worte des entscheidenen Amtsrichters. „Abwegig“ ist immer als Totschlagargument gut (oder auch nicht). Aber kein Wort zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – „gesetzlicher Richter“ und auch kein Wort dazu, dass es sich um eklatante Verletzung der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgegebenen Zuständigkeiten handelt. Und warum soll der Umstand, dass sich offenbar viele Amtsrichter beim AG Tiergarten so verhalten gegen die Besorgnis der Befangenheit und Willkür sprechen. Weil es alles bewusst falsch machen, macht es doch nicht besser.

Ich kann nur hoffen, dass die Frage dann vielleicht doch mal das KG beschäftigt.

Wenn sich der Sachverständige und ein Mitarbeiter der Beklagten duzen, oder: Reicht das für eine Ablehnung?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 31.08.2021 – 4 W 587/21 – geht es noch einmal u, die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (vgl. dazu auch schon OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.08.2021 – 17 W 12/21 und dazu Ablehnung II: Tatsachen im Gutachten unvollständig, oder: Ist der Sachverständige deshalb befangen?).

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen einer Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Das LG hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. M. eingeholt und ihn in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2021 angehört. Nach Abschluss der Anhörung wurde die mündliche Verhandlung kurzzeitig unterbrochen. In dieser Zeit unterhielt sich der Sachverständige mit dem Chefarzt der Beklagten. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen, weil er sich nach Eintritt in die Pause freundschaftlich mit Herrn Dr. S. per Du unterhalten habe.

Das LG hat den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde dagegen hatte keinen Erfolg:

„Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken (vgl. Senat, Beschluss vom 12.12.2017 – 4 W 1113/16 – juris). Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. Senat, a.a.O.; vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12 – juris). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Allein die berufliche Bekanntschaft zwischen einem medizinischen Sachverständigen und einem oder mehreren Behandlern der Beklagten in einem Arzthaftungsverfahren vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 18.04.2017 – 4 W 288/17 – juris). Ebenso wenig genügt eine persönliche Bekanntschaft. Entscheidend ist vor allem die Nähe der Beziehung (vgl. Senat, Beschluss vom 25.07.2019 – 4 W 610/19 – juris). Ein solches persönliches Näheverhältnis, dass aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte, ist hier aber nicht festzustellen.

Es kann unterstellt werden, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Sachverständigen und Herrn Dr. S. nach Rückkehr in den Gerichtssaal in freundschaftlich wirkender Pose dicht beieinander gestanden gesehen hat, wobei der eine zum Abschied kurz die Schulter des anderen berührt hat. Ein solches Beieinanderstehen mag aus der Sicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers freundschaftlich ausgesehen haben. Dies stellt jedoch ebenso wie das kurze Berühren der Schulter keine belastbare Tatsache dar, aus der auf ein enges Näheverhältnis geschlossen werden könnte.

Soweit die Rechtsreferendarin der Prozessbevollmächtigten des Klägers in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, dass der Sachverständige seine mitgebrachten Unterlagen provokativ zugeklappt habe, als die Klägervertreterin mit der Befragung begonnen habe und der Tonfall ihr gegenüber auch deutlich härter und abweisender gewesen sei, wird dies schon durch die entgegenstehenden Beobachtungen der Mitglieder der Kammer des Landgerichts widerlegt. Ein abweisendes und hartes Auftreten gegenüber der Klägerseite durch den Sachverständigen konnte die Kammer nicht wahrnehmen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die bereits schriftsätzlich vorformulierten und durch die Kammer bereits gestellten Fragen mit verschiedenen Bezugnahmen und Umstellungen erneut gestellt. Mit zunehmender Dauer der Anhörung des Sachverständigen und der mehrfachen Wiederholung derselben Fragen habe der Sachverständige jedoch in zunehmendem Maße auf seine bereits getätigten Ausführungen verwiesen. Weder verächtliche Blicke noch Reaktionen konnte die Kammer wahrnehmen. Soweit die Rechtsreferendarin E. in ihrer eidesstattlichen Versicherung schilderte, dass sich der Sachverständige und der Chefarzt Dr. S. geduzt hätten und sie Sätze gehört habe wie: „Lass uns am Fenster reden.“, „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ und „Ich wünsche dir eine schöne Woche.“ steht dies im Widerspruch zu den übereinstimmenden Angaben des Prof. Dr. M. und des Dr. S., die erklärten, weder persönlich bekannt noch befreundet und auch nicht per Du zu sein. Eine irgendwie gearteten Arbeitsbeziehung wurde von dem Sachverständigen ebenfalls verneint. Herr Dr. S. erklärte, dass er den Sachverständigen lediglich gebeten habe, Grüße an einen bekannten Kollegen von ihm ausrichten zu lassen. Es besteht kein Anlass, den Angaben der Rechtsreferendarin E. mehr Glauben zu schenken als denen des Sachverständigen und des Arztes der Beklagten Dr. S. Unabhängig davon würde auch die Verwendung der Anrede „Du“ für sich genommen nicht den Schluss auf ein besonderes Näheverhältnis rechtfertigen, das aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich auch nicht, in welchem Zusammenhang der Satz „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ gefallen sein soll. Eine Verfahrensbezogenheit der Aussage ist nicht ersichtlich.“

Ablehnung II: Tatsachen im Gutachten unvollständig, oder: Ist der Sachverständige deshalb befangen?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.08.2021 – 17 W 12/21 – behandelt das OLG das Ablehnungsgesuch gegen einen (medizinischen) Sachverständigen. Dem Rechtsstreit liegt ein auf einen gesetzlichen Forderungsübergang gestützter vertraglicher und/oder deliktischer Schadensersatzanspruch der Klägerin als Kranken-(Pflege-)Versicherer der Versicherungsnehmerin, Frau B, zugrunde, §§ 116 Abs. 1 SGB X, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. Die Klägerin verlangt Zahlung der an die Versicherungsnehmerin verauslagten Behandlungs- und Pflegekosten sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung zukünftiger, auf die gegenständliche Behandlung in der von der Beklagten betriebenen Klinik zurückzuführender Schäden.

In dem Verfahren ist ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Sachverständigen erstellte das Gutachten unter Hinweis darauf, dass ihm ein Gutachten des MDK und die Originalkrankenblattunterlagen der Beklagten nicht überlassen worden seien, er sich aber gleichwohl zu einer Bewertung in der Lage sehe. Die Krankenblattunterlagen der Beklagten wurden ihm erst nach Gutachtenerstellung übersandt.

Die Klägerin hat den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Sachverständige habe einseitig zulasten der Klägerin das Gutachten ohne die Krankenblätter und ohne Kenntnis des Inhalts des Gutachtens des MDK und damit ohne erschöpfende Tatsachengrundlage ohne Not erstellt. Mit Blick auf das Gutachten des MDK sei die Bewertung des Sachverständigen abwertend und nicht sachbezogen. Der Facharztmaßstab sei nicht herausgearbeitet und die Bewertung sei oberflächlich bagatellisierend. Es sei nicht zu erwarten, dass sich der Sachverständige angesichts dessen einer Neubewertung gegenüber unvoreingenommen verhalten werde.

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Der Sachverständige habe die Beweisthemen behandelt und sich nicht einseitig zulasten der Klägerin positioniert sowie seine Bewertungsgrundlage offengelegt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist daher zurückzuweisen. Das Landgericht geht zu Recht davon aus, Gründe, die für die Klägerin die Besorgnis der Befangenheit in der Person des Sachverständigen gemäß § 406 Abs. 1 i. v. m. § 42 Abs.2 ZPO hervorrufen könnten, lägen nicht vor.

Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO innerhalb der Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 12, juris) gestellt.

Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Es ist unerheblich, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht etwa Zweifel an dessen Unparteilichkeit hegt. Es ist allein maßgeblich, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – X ZR 100/05 -, Rn. 5, juris), wobei mehrere Gründe, die für sich genommen eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen vermögen, in ihrer Gesamtheit die notwendige Überzeugung vermitteln können (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 1 W 1010/05 -, Rn. 11, juris; Huber: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., Rn. 4, § 406 ZPO).

In diesem Zusammenhang können Negativäußerungen über eine Prozesspartei die Voreingenommenheit begründen (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1981 – IVa ZR 108/80 -, Rn. 19, juris); ebenso können einzelfallbezogen das Überschreiten des Gutachtenauftrags oder eine parteilastige Beweiswürdigung und das Nichtoffenbaren herangezogener Beweisunterlagen zu einer Voreingenommenheit beitragen (vgl. i. e. Scheuch in: BeckOK ZPO, Stand 1. März 2021, Rn. 24.2 f., § 406 ZPO m. w. N.).

Gemessen daran liegen für die Klägerin in der Person des Sachverständigen keine Gründe vor, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben.

Soweit der Sachverständige unter Verweis auf das ihm nicht vorliegende und damit aus der Klageschrift hergeleitete Gutachten des MDK die dort angesprochenen zehn Behandlungsfehler mit einem „(!)“ versieht, handelt es sich um eine wertneutrale Einfügung, die offensichtlich der Tatsache geschuldet ist, dass er keinen Zugriff auf das Gutachten des MDK hatte und sich damit zu einer eigenständigen Bewertung dieser privatgutachterlichen Stellungnahme nicht in der Lage sah. Eine unangemessene Abwertung der Behauptungen der Klägerin oder gar der Bewertung des Gutachters des medizinischen Dienstes ging damit bei sachgerechter Betrachtung nicht einher.

Der Verweis des Sachverständigen auf eine „ex post“ – Betrachtung durch den MDK begegnet bei sachgerechter Einordnung ebenfalls keinen Bedenken, weil selbstredend die gutachterliche Bewertung – sei es durch den vom Gericht oder von den Parteien bestellten Sachverständigen – immer nur ex post erfolgen kann; freilich unter Heranziehung der dem medizinischen Behandler zum Zeitpunkt der Diagnoseerstellung, der Aufklärung und des Eingriffs zur Verfügung stehenden Erkenntnisse, worauf der Sachverständige mit Blick auf die differentialdiagnostische Betrachtung zutreffend hingewiesen hat.

Soweit die Klägerin den Gutachteninhalt als oberflächlich bagatellisierend begreift, weil der Sachverständige die Befundtatsachen nicht erschöpfend herangezogen und den Maßstab für eine Behandlung lege artis nicht herausgearbeitet habe, so dass das Gutachten (jedenfalls in der Gesamtbetrachtung) nicht verwertbar sei und nicht erwartet werden könne, der Sachverständige werde einer Neubewertung offen begegnen, vermögen diese Umstände die Besorgnis der Befangenheit auch in einer Gesamtschau nicht zu begründen.

Die Besorgnis der Befangenheit wird mit Blick darauf auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des Gutachtens haben. Der Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehler können das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich genommen indessen nicht die Besorgnis der Befangenheit bei der Klägerin. Wenn die Klägerin moniert, der Sachverständige habe das Gutachten erstellt, ohne dass ihm die Originale der Krankenblattunterlagen der Beklagten und der Inhalt des Gutachtens des MDK vorgelegen hätten und er habe damit die Tatsachen nicht ausreichend erfasst, so dass er von einem unrichtigen, jedenfalls nicht vollständigen Sachverhalt ausgegangen sei, wirft die Klägerin dem Sachverständigen eine unzureichende Sorgfalt bei der Begutachtung vor. Dieser Vorwurf vermag aber vorliegend nicht die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 14, juris). Dem damit erhobenen Vorwurf der mangelnden Sorgfalt sehen sich nämlich beide Prozessparteien in gleicher Weise ausgesetzt. Sowohl dem Gericht als auch den Parteien wird mittels der mündlichen Erläuterung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 ZPO oder der Neubegutachtung gemäß § 412 ZPO die Möglichkeit eröffnet, etwaige Mängel in dem Gutachten zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Entscheidungsgrundlage dienen kann (vgl. BGH, aaO).

Der Sachverständige hat im Übrigen beide Parteien und das Gericht nicht darüber im Unklaren gelassen, dass ihm sowohl die Krankenblattunterlagen der Beklagten als auch das Gutachten des MDK nicht vorliegen. Er hat seine Tatsachengrundlage eröffnet und nicht etwa nach außen hin eine vollständige Tatsachenbasis vorgespiegelt oder – vice versa – gar Tatsachen verwertet, über die er die Verfahrensbeteiligten in Unkenntnis ließ.“

Befangen II: Kurz vor HV gestellter Ablehnungsantrag, oder: „Taschenspielertrick“ beim AG Wismar?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Wismar, Beschl. v. 21.12.2020 – 6 Ls 523/19. Der Beschluss ist also schon etwas älter, der Kollege Penneke hat ihn mir aber erst vor kurzem geschickt. Ich stelle ihn hier dann (noch) vor, vor allem wegen des bei mir verbleibenden Kopfschüttelns

Zur Sache: Wenn ich den Sachverhalt richtig verstehe, ist der Kollege vom Mandanten nach dreitägiger Hauptverhandlung einen Tat vor dem vierten – abschließenden (?) – Termin mandatiert worden. Der Kollege hat das Mandat angenommen und, da er am nächsten Tag wohl verhindert war, Terminsverlegung beantragt. Die wird abgelehnt. Auf diese Ablehnung wird dann wohl vornehmlich ein Ablehnungsantrag gestützt, der keinen Erfolg hatte:

„Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Befangenheitsgesuchs.

Rechtsanwälte sind auch in ihrer Eigenschaft als Verteidiger Organe der Rechtspflege. Wenn dann ein Rechtsanwalt Entscheidungen eines Gerichts (hier: Ablehnung einer Terminsverlegung), die mit Rechtsmitteln nicht angreifbar sind, versucht, über Taschenspielertricks wie einen kurz vor der Verhandlung eingereichten Befangenheitsantrag einen Termin zum Platzen zu bringen, ist dies rechtsmissbräuchlich und führt zu einer Unzulässigkeit des Befangenheitsantrages. Hier ist es allerdings so, dass dem Verteidiger offenbar – und insoweit besteht kein Zweifel an seiner Darstellung – die Tatsachen, auf die er sein Befangenheitsgesuch stützt, erst einen Werktag vor Einlegung des Befangenheitsgesuchs bekannt geworden sind. Vor diesem Hintergrund ist das Befangenheitsgesuch zwar spät, aber nicht erkennbar lediglich vor dem Hintergrund des Versuchs, eine Terminsverlegung zu erzwingen, eingereicht worden.

Das Befangenheitsgesuch ist jedenfalls unbegründet. Gemäß § 24 Abs. 2 StPO findet die Be-sorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass die abgelehnte Richterin ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne. Dabei kommt es zwar auf den Standpunkt des Ablehnenden an. Es ist dabei allerdings nicht auf seinen subjektiven Eindruck und seine unzutreffenden Vorstellungen vom Sachverhalt abzustellen. Maßgebend ist vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Im vorliegenden Fall ist es nun so, dass drei Hauptverhandlungstermine stattgefunden haben und zum neuen Termin keine Zeugen geladen sind. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Beweisaufnahme im neuen Termin abgeschlossen werden kann. Nun steht es dem Angeklagten naturgemäß frei, sich zu jedem beliebigen Verfahrenszeitpunkt neuer Verteidiger – naturgemäß als Wahlverteidiger – zu bedienen. Wenn dies aber automatisch zur Folge hätte, dass ein Verfahren nicht gefördert beziehungsweise abgeschlossen werden könnte, so stünde der Ausgang beziehungsweise der Abschluss eines jeden Strafverfahrens im offensichtlichen Belieben des Angeklagten. Dies ergibt sich unter anderem auch aus dem Regelungszusammenhang der §§ 143 a, 144 StPO. Insbesondere § 228 Abs. 2 StPO regelt den hier vorliegenden Fall. Auch wenn der eine oder andere Anwalt im Hinblick auf seine Persönlichkeit der Auffassung ist, ein Verfahren könne ohne ihn nicht durchgeführt werden, sieht die StPO genau das anders. Wenn der Wahlverteidiger sich im vorliegenden Fall am 10.12.2020 für einen Termin am 11.12.2020 mandatiert, so muss er damit rechnen, dass das Verfahren ohne ihn weiter betrieben wird. Wenn in der Folgezeit es bei der Terminsabsprache möglicherweise Unzuträglichkeiten gegeben hat, mag dies sein, es rechtfertigt jedoch nicht eine Besorgnis der Befangenheit. Die erneute Ablehnung der Terminsverlegung für den Hauptverhandlungstermin am 21.12.2020 stellt gleichfalls vor dem Hintergrund des § 228 Abs. 2 StPO keinen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit dar. Sie ist vielmehr Ausdruck einer angemessenen Verfahrensförderung.“

Wie gesagt: Kopfschütteln und Irritation. Warum? Nun:

Wir lassen mal die Frage, ob die Terminsverlegung nicht im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden ist, außen vor. Zur Frage der Terminsverlegung bei (zu) kurzfristiger Mandatierung des Verteidigers gibt es Rechtsprechung, die eine Terminsverlegung in den Fällen ablehnt. Jedenfalls wird man darauf auch nicht unbedingt die Besorgnis der Befangenheit stützen können, was man aber letztlich nicht ohne Kenntnis der Umstände usw. entscheiden kann.

Unabhängig davon frage ich mich irritiert: Was sollen eigentlich die Ausführungen zur Zulässigkeit? Es wird dem Kollegen doch ausdrücklich attestiert, dass sein Antrag nicht „rechtsmissbräuchlich“ war. Dann muss ich dazu doch auch nichts sagen. Und schon gar nicht etwas Falsches, denn das die Ablehnung von Terminsverlegungsanträgen mit Rechtsmitteln nicht angreifbar ist, stimmt so nicht. Und erst recht muss ich nicht von „Taschenspielertricks“ sprechen. Was soll das, wenn der Antrag doch gerade nicht rechtsmissbräuchlich ist.  So entsteht der Eindruck, dass man den Vortrag des Kollegen nun doch nicht wirklich glaubt. Also: Überflüssig wie ein Kropf.

Genauso überflüssig ist im zweiten Absatz dann die Ausführung: „Auch wenn der eine oder andere Anwalt im Hinblick auf seine Persönlichkeit der Auffassung ist, ein Verfahren könne ohne ihn nicht durchgeführt werden, sieht die StPO genau das anders.“ Auch das fragt man sich, was das soll? Wer ist gemeint? Der Verteidiger oder eben allgemein „der eine oder andere Anwalt im Hinblick auf seine Persönlichkeit ….„?  Auch das muss nicht sein und ist letztlich nichts anderes als Polemik.

Um auf den letzten Satz zurück zu kommen: Ich habe den Eindruck, dass ganz andere Leute hier Probleme mit ihrer „Persönlichkeit“ haben. Und: Der entscheidende Richter scheint den Verteidiger nicht zu mögen. Muss er ja auch nicht. Aber er sollte dann vielleicht doch ein wenig sachlicher argumentieren.

Befangen I: Wenn der Richter in der Hauptverhandlung ein rechtskräftiges Urteil erwirken will, oder: Befangen

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Ich starte in die 38. KW. mit zwei amtsgerichtlichen Entscheidungen, von denen mich eine – die kommt dann noch – mit einem Kopfschütteln irritiert zurücklässt. Beide Entscheidungen betreffen Fragen der Besorgnis der Befangenheit.

Zunächst hier aber der AG Stralsund, Beschl. v. 01.07.2021 – 313 Cs 719/19.  Der Kollege Sürig aus Bremen, der mir den Beschluss geschickt hat, hatte dort den amtierenden Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hatte er ausgeführt, dass dessen Äußerungen in der Hauptverhandlung am 21.06.2021 zur Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Widerspruch zum Verhalten der Staatsanwaltschaft standen, Ablehnungen der Pflichtverteidigerbeiordnung zu beantragen bzw. nicht selbst die Beiordnung zu beantragen. Auch habe dieser wahrheitswidrig angegeben, dass nicht er sondern ein anderer Richter den Strafbefehl unterzeichnet habe. Eigentlicher Befangenheitsgrund sei jedoch, dass ein Strafmaß deutlich unter 60 Tagessätzen in Aussicht gestellt wurde und dies auf eine unwahrscheinliche Berufungszulassung hinausgelaufen hätte.

„Das Gesuch hatte Erfolg:

Bei Anwendung der oben genannten Grundsätze ist die berechtigte Besorgnis der Befangenheit vorliegend gegeben.

Aufgrund der getätigten Äußerung des Richters am Amtsgericht, das in Aussicht gestellte Strafmaß schränke die Möglichkeiten eines Rechtsmittels ein, hat der abgelehnte Richter den Eindruck vermittelt, dieser wolle in der I. Instanz eine rechtskräftige Verurteilung erwirken.

Der Beschuldigte durfte bei verständiger Würdigung dieses Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“