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Der enttäuschte Richter und der „Beklagte, der den Schwanz einzieht“

Der Lawblog und der Kollege Blaufelder haben gestern schon über OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.3.2012, 14 W 2/12 berichtet, in dem es um die Frage der Besorgnis (!!) der Befangenheit, allerdings im Zivilverfahren (§ 42 ZPO),  ging.

Zur Prüfung stand eine Äußerung des Vorsitzenden der Zivilkammer. Der hatte, nachdem der Geschäftsführer der Beklagten nicht zum Termin erschienen und sein Fernbleiben durch den Beklagtenvertreter mit „dringenden Angelegenheiten“ begründet worden war, geäußert, dass der Geschäftsführer der Ladung des Gerichts hätte Folge leisten und sich der Auseinandersetzung oder Diskussion stellen sollen, statt den „Schwanz einzuziehen“.

Das OLG sieht mit dieser Äußerung die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet, und zwar weil:

Zwar stellt die beanstandete Äußerung („Schwanz einziehen“) eine – wie der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 2011 (GA 63) selbst einräumt – „saloppe bis derbe Redensart“ dar. Die Äußerung darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr kommt es auf den Zusammenhang an, in dem sie gefallen ist (vgl. OLG Hamburg, NJW 1992, 2036).

 So ist die Äußerung ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass der für eine nach § 278 Abs. 1 ZPO angestrebte wirtschaftliche Gesamtlösung unerlässliche Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten, dessen persönliches Erscheinen zu dem – immerhin mit dreimonatiger Vorlaufzeit anberaumten – Termin vom 24. November 2011 angeordnet worden war, nicht zum Termin erschienen war.

Dies manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass der abgelehnte Richter – ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 24. November 2011 (GA 52 f.) – den Parteien mitgeteilt hat, dass nach seiner Auffassung der hiesige Rechtsstreit nicht die eigentliche Ursache der Auseinandersetzung betreffe. Diese liege vielmehr in dem Streit zwischen den beiden Gesellschaftern über die Trennungsvereinbarung begründet, weswegen es angezeigt sei, eine gütliche Einigung hierüber anzustreben.“

Ok, natürlich muss ich eine Äußerung immer im Gesamtzusammenhang sehen. Ab – darauf wird im Strafverfahren in der Rechtsprechung des BGH übrigens auch abgestellt. Aber: Ist die vom OLG als „saloppe bis derbe Redensart“ zugelassene Begründung nicht ein wenig dünn? Die Äußerung ist „ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass …“? Das trägt m.E. nicht. Ein Richter hat nicht enttäuscht zu sein und wenn, dann hat er seine Enttäuschung zu (er)tragen. Jedenfalls berechtigt sie ihn m.E. nicht zu einer „saloppen und derben Redensart“.

Und wenn man sich schon so äußert, dann sollte man aber auch die Möglichkeit einer Entschuldigung sehen/ergreifen: Aber dazu hat es nicht gereicht. Denn – so heißt es im Beschluss:  „In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Richter auch in der Folge – und somit nach reiflicher Überlegung – an seiner unangemessenen Äußerung festgehalten habe (aaO).“ Eben, spätestens da war Schluss.

Mich hat die Entscheidung jedenfalls erstaunt und ich habe mich gefragt, wie wohl reagiert würde, wenn eine enttäuschte Partei geäußert hätte, das „Gericht ziehe den Schwanz ein. §§ 176 ff. GVG lassen grüßen. Mir sind übrigens bei den Aktualisierungsarbeiten für meine beiden Handbücher, Hauptverhandlung und Ermittlungsverfahren, mehrere so großzügige Entscheidungen begegnet. Also starten wir demnächst mal eine Reihe: Was ein Gericht alles sagen darf.

Frist kürzer als beantragt – deshalb befangen?

Das OLG Frankfurt befasst sich in OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.01.2012 – 2 Ws 166/11 mit einer „Befangenheitsfrage“. Der Verteidiger hatte eine Stellungnahmefrist beantragt, die ihm auch gewährt worden ist, jedoch kürzer bemessen als der Verteidiger beantragt hatte. Darauf hatte der Verteidiger dann ein Ablehnungsgesuch gestützt.

Das OLG hat in der „kurzen Frist“ keinen „Ablehnungsgrund“ gesehen. Die kürzer als beantragt gewährte Fristverlängerung vermöge nicht den Eindruck der Befangenheit zu begründen. Die Mitwirkung an einer Zwischenentscheidung in einem anhängigen Verfahren rechtfertige eine Ablehnung nur dann, wenn eine solche Entscheidung nicht lediglich auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhe, sondern diese vielmehr völlig abwegig seioder den Anschein der Willkür erwecke (vgl. BGH, Beschl. v. 10.09.2002, Az. 1 StR 169/02, und BVerfG, Beschl v. 26.06.2008, Az. 2 BvR 2067/07, juris).

Das Verhalten der abgelehnten Vorsitzenden Richterin lässt bereits keine unzutreffende Rechtsauffassung erkennen. Dabei sind im vorliegenden Fall insbesondere die Gegebenheiten des Klageerzwingungsverfahrens in Betracht zu ziehen. In diesem Verfahren müssen innerhalb der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 S. 1 StPO dem Oberlandesgericht alle Tatsachen, die die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und alle Beweismittel vorgetragen werden. Das Oberlandesgericht muss durch den Vortrag in der Antragsschrift in die Lage versetzt werden, eine Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Akten vorzunehmen. Deshalb ist die Schilderung einer in sich geschlossenen und aus sich heraus verständliche Darstellung des Sachverhalts zur objektiven und subjektiven Tatseite erforderlich, aus dem sich der dem Beschuldigten jeweils zur Last gelegte Straftatbestand ergibt und der bei Unterstellung hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigen würde (vgl. Meyer-Goßner, aaO., § 172 Rdn. 27a). Die – im vorliegenden Fall bereits abgelaufene – Antragsfrist kann nicht verlängert werden. Mithin ermöglicht dem Antragsteller die ihm eingeräumte Fristverlängerung nicht, seinen Antrag mit weiterem Sachvortrag auszufüllen. Bereits vor diesem Hintergrund vermag die Verfügung der Vorsitzenden Richterin, im Hinblick auf das strafprozessuale Beschleunigungsgebot dem Antragsteller nur eine eingeschränkte Fristverlängerung zu gewähren, keinen Eindruck der Befangenheit zu erwecken.“

Der Verteidiger hatte im Übrigen dann auch keinen Erfolg damit, dass er sein Ablehungsgesuchdarauf gestützt hat, dass ihm die zur Entscheidung über sein Gesuch berufenen Richter nicht namhaft gemacht worden seien. Dazu das OLG:

„Sinn und Zweck einer Namhaftmachung der zur Entscheidung berufenen Richter kann es nur sein, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, etwaige – aus seiner Sicht – bestehende Vorbelastungen der Richter erkennen und entsprechende Anträge stellen zu können. Dem wird ein Blick in die Geschäftsverteilung, aus der sich auch die potentiellen Vertreter ergeben, weitaus mehr gerecht, als die Mitteilung einer konkreten Gerichtsbesetzung, die sich bis zum Tage der Entscheidungsfindung durch unvorhergesehene Umstände – Krankheit, kurzfristige Heranziehung zu Spruchrichtertätigkeit etc. – jederzeit ändern kann.

Angeregte Nachbesserung beim BGH/bestellter Verwerfungsantrag beim OLG Düsseldorf – Besorgnis der Befangenheit? – Nein

Es wird immer wieder über die Praxis der Revisionsgerichte/OLG berichtet, dass diese teilweise bei der GStA einen Revisionsantrag nach § 349 Abs. 2 StPO „bestellen“ oder Revisionen ohne Antrag vorgelegt werden, dann das Revisionsgericht berät und sich an dem Ergebnis der Beratung dann der Antrag der GStA ausrichtet. Es wird von Verteidigern auch immer wieder darauf hingewiesen, dass in den Fällen die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Nur: Die Revisionsgerichte sehen das – zum Teil gestützt auf die Rechtsprechung des BVerfG – anders.

Dazu zwei Beispiele auf neuerer Zeit, die allerdings – das räume ich ein – etwas andere Sachverhaltsgestaltungen behandeln.

  1. BGH, Beschl. . 24.01.2012 -4 StR 469/11 betreffend eine „bestellte Nachbesserung“ eines unvollständigen/unzutreffenden Revisionsantrags des GBA,
  2. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.12.2011 -III-2 RVs 113/11

Nun ja, ein leichter (?) Beigeschmack bleibt trotz der mehr oder weniger wortreichen Versuche, die Verfahren, die wohl kaum den Vorgaben der StPO entsprechen, zu rechtfertigen. Entweder haben wir eine Verfahrensordnung, an die man sich hält oder wir können die gleich abschaffen.

Abtrennung „im Grenzbereich zu einem Ermessensfehler“ – Ergebnis: Ggf. Besorgnis der Befangenheit

Eine interessante Konstellation/Verfahrensgestaltung lag dem BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 3 StR 400/11, der jetzt auch auf der HP des BGH veröffentlicht ist, den mir der Verteidiger aber schon vorab zur Verfügung gestellt hatte, zugrunde. Es geht/ging um die Befangenheit der Strafkammer, die gegen drei Angeklagte wegen bandenmäßigen Handels mit BtM verhandelt. Es wird eine Verständigung getroffen, aber nur mit einem der Angeklagten. Gegen diesen geständigen wird das Verfahren abgetrennt und er wird verurteilt. Gegen die beiden anderen Angeklagten wird weiter verhandelt. Von diesen wird die Befangenheit der Kammer geltend gemacht, u.a. begründet mit der Abtrennung und dem Inhalt des Urteils gegen den anderen ehemaligen Mitangeklagten, weil in dessen Urteil zu seiner Einlassung ausgeführt war, dass seine Einlassung „als glaubhaft sowie das Ermittlungsergebnis der Polizei als plausibel und keine andere Deutung zulassend,“ anzusehen gewesen sein. Die Rüge der Befangenheit (§ 338 Nr. 3 StPO) ist beim BGH durchgegangen.

Der 3. Strafsenat hält an der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass eine Vorbefassung des Richters in anderer Sache allein nicht zur Befangenheit führe, und zwar auch nicht bei einer Abtrennung, das aber etwas anderes gilt, wenn besondere Umstände eine Voreingenommenheit erkennen lassen. Die sieht der BGH hier einmal darin, dass die Abtrennung bei einem Bandendelikt wohl an der Grenze zum Ermessensfehlgebrauch liegt und sich u.a. aus den o.a. Formulierungen ergebe, dass die Kammer sich bereits festgelegt habe. Näher nachzulesen hier im BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 3 StR 400/11. M.E. lesenswert, da in der Praxis sicherlich eine häufigere Konstellation.

Reichen „Mumpitz“ und „Unfug“ für die Besorgnis der Befangenheit?

Der BGH, Beschl. v.21.12.2011 – 4 StR 404/11 – lässt mich ein wenig ratlos zurück, und zwar wegen der vom BGH behandelten „Ablehnungsfrage“. Der BGH führt aus:

Zu der Rüge, an dem angefochtenen Urteil habe ein Richter mitgewirkt, gegen den ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht verworfen worden sei (§§ 338 Nr. 3, 24 Abs. 2 StPO), bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts:

1. Die in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2011 vom Vorsitzenden der Strafkammer während einer Erörterung mit dem Verteidiger verwendete Formulierung, nach seiner Einschätzung solle mit den soeben gestellten Beweisanträgen belegt werden, die Ausführungen der zuvor gehörten medizinischen Sachverständigen seien „Mumpitz“ oder „Unfug“, vermag für sich genommen bei verständiger Würdigung die Besorgnis der Befangenheit noch nicht zu begründen. Dies ergibt sich jedenfalls aus der – insoweit unwidersprochen gebliebenen – dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters, wonach der Verteidiger selbst – ungeachtet fortbestehender Differenzen in der Sache – die Wortwahl des Vorsitzenden lediglich dahin bewertete, sie sei ihm „etwas zu salopp“.

2. Die im Ablehnungsantrag wiedergegebenen weiteren Äußerungen des Vorsitzenden rechtfertigen keine andere Beurteilung. Unter den gegebenen Umständen sind sie als nachvollziehbare, momentane Unmutsaufwallung in Reaktion auf das vorherige Verhalten des Verteidigers anzusehen.

llerdings sind auch Unmutsäußerungen von Mitgliedern des erkennen-den Gerichts als Reaktion auf das Verhalten anderer Verfahrensbeteiligter Grenzen gesetzt, die – je nach den Umständen des Einzelfalles – dann überschritten sein können, wenn sie in der Form überzogen sind oder in der Sache – immer bei der gebotenen verständigen Würdigung aus Sicht des Angeklagten – bei diesem die Befürchtung von Voreingenommenheit aufkommen lassen können (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 895/92, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 14). Dies wäre im vorliegenden Fall unter Umständen dann zu bejahen gewesen, wenn die Äußerungen des Vorsitzenden aus Sicht eines verständigen Angeklagten nur dahin hätten verstanden werden können, er, der Vorsitzende, sei von vornherein nicht gewillt, die vom Verteidiger soeben gestellten Beweisanträge als ernsthaften Beitrag zur Wahrheitsfindung aufzufassen. In einem solchen Fall könnte beim Angeklagten die berechtigte Befürchtung aufkommen, der betreffende Richter nehme sein Verteidigungsvorbringen nicht mit der erforderlichen abwägenden Distanziertheit zur Kenntnis und habe sich in seinem Urteil – und sei es auch nur hin-sichtlich einer einzelnen Beweisfrage – bereits festgelegt. So liegt der Fall hier nicht. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wurde von Beginn an durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Gericht und Verteidigung darüber geprägt, ob die Geschädigte durch eine psychische Erkrankung in ihrer Zeugentüchtigkeit beeinträchtigt war. Die Verteidigung hatte die Stellung entsprechender Beweisanträge angekündigt. Gleichwohl nahm die Verteidigung die daraufhin von Amts wegen anberaumte Einvernahme zweier medizinischer Sachverständiger zu dieser Frage nicht zum Anlass für deren ausführliche Befragung. Statt dessen stellte sie im Fortgang der Beweisaufnahme einen Antrag auf Vernehmung eines (weiteren) medizinischen Sachverständigen, der unter anderem darauf gestützt war, die von Amts wegen gehörten Sachverständigen  verfügten nicht über die erforderliche Sachkunde. Die daraufhin vom Vorsitzenden gemachten Bemerkungen bezogen sich als momentane, verständliche Unmutsäußerung ersichtlich auf dieses Procedere der Verteidigung und konnten auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht dahin verstanden werden, der nunmehr gestellte Beweisantrag werde vom Gericht nicht ernstgenommen.“

Na ja, mich überzeugt das nicht so ganz. Der Angeklagte soll nach den Äußerungen tatsächlich noch glauben, das Gericht nehme seinen Beweisantrag ernst. Ich weiß nicht, oder?