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Abschiebung ist keine genügende Entschuldigung

Dre Angeklagte war während der Strafverfahrens abgeschoben worden. Er legt Berufung ein. Eine aktuelle Anschrift des Angeklagten in seinem Heimatland ist nicht bekannt. Es wird  daher durch öffentliche Zustellung geladen. Zur Hauptverhandlung erscheint er nicht (was im Grunde nicht verwunderlich ist).

Das LG Dresden hat mit Urt. v. 05.08.2010 – 10 Ns 422 Js 13356/08 seine Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Das Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin sei nicht genügend entschuldigt, wenn der Angeklagte nach erfolgter Abschiebung dem Gericht seine Anschrift in seinem Heimatland nicht mitgeteilt hat, da anderenfalls das Gericht die Möglichkeit gehabt hätte, den Angeklagten unter seinem Aufenthaltsort zu laden und darauf hinzuwirken, dass ihm für die Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung eine Betretenserlaubnis für das Bundesgebiet nach § 11 Abs. 2 AufenthG erteilt wird.

Als Verteidiger wird man sich also überlegen müssen, ob man ggf. die neue Anschrift des Angeklagten mitteilt.

„Sperrberufung“ ist schon schlimm, aber eine „versteckte, bedingte Berufung“ m.E. ist noch schlimmer

Wir hatten vor einiger Zeit eine Diskussion über die sog. Sperrberufung der StA, wovon gerne Gebrauch gemacht wird (vgl. hier und hier). Heute berichtet im Forum bei LexisNexis Strafrecht (manchmal eine Fundgrube für Blog-Beiträge, aber nicht nur dafür 🙂 über einen anderen Fall betreffend die staatsanwaltschaftliche (Sperr)Berufung, der m.E. noch „schlimmer“ ist und ein – vorsichtig ausgedrückt – bedenkliches Licht auf das Vorgehen des handelnden StA wirft. Ich zitiere:

„Mdt. ist wegen Diebstahls angeklagt, die Beweislage ist dünn. Ich führe eine Freispruchverteidigung. Die StA beantragt in der HV 4 Monate oB.
Das Gericht verurtelit zu 90 TS. Die mündliche Urteilsbegründung ist schwammig.
Morgen läuft die Rechtsmittelfrist ab.
Heute rufe ich bei der Geschäftsstelle an, um zu fragen, ob ein Rechtsmittel der StA vorliegt. Die Antwort: Jein. Unter der Hand wird mir gesagt, dass eine Rechtsmittelschrift vorliege, jedoch nur für den Fall, dass der Angekl. Rechtsmittel einlege.
Das Urteil ist objektiv wohl richtig. Mit der Geldstrafe kommt Mdt. (15 Eintragungen im BZR, davon 11 einschlägig wg. § 242) extrem gut weg.
Ich habe Mdt. geraten, kein Rechtsmittel einzulegen. Bloß: Wäre es taktisch sinnvoll, Berufung einzulegen, um ein Argument für eine spätere gegenseitige Rücknahme zu haben? Wenn ich kein Rechtsmittel einlege und die StA sich doch noch unabhängig von einem Rechtsmittel des Angekl. dazu entschließt, schaue ich recht dumm.“

Lassen wir mal die Taktikfrage außen vor. Interessanter ist m.E. die Frage, welches Verständnis der StA eigentlich vom Rechtsstaat hat. Oder übersehe ich etwas und es gibt inzwischen in der StPO eine Vorschrift, wonach eine versteckte bedingte Berufung der StA möglich/zulässig ist.

Es tun sich auch interessante 🙂 🙁 Fragen auf. Wie soll das denn ablaufen?. Die Berufungsschrift der StA hat doch einen Eingangsstempel (?; sollte sie zumindest haben) und ist eingegangen und damit Aktenbestandteil. Oder nicht bzw. wo wird sie (dann) verwahrt?. Wenn der Kollege jetzt eine Minute vor Ablauf der Berufungsfrist Berufung einlegt, dann muss doch die Berufung in die Akte, oder? Und dann mit welchem Eingangsstempel? Wird keine Berufung eingelegt, dann wird der Aktenbestandteil wieder entfernt? Ist das dann § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB (habe ich jetzt nicht zu Ende geprüft). Die Sache schreit auf jeden Fall nach einer dicken Dienstaufsichtsbeschwerde. M.E darf man das nicht durchgehen lassen. Wehret den Anfängen…! Lässt man es nämlich durchgehen, dann können wir die StPO gleich abschaffen.

Auch wenn der Verteidiger stumm bleibt, spricht das allein nicht gegen seinen Vertretungswillen…

Wir hatten vor einigen Tagen über die Vertretung des ausgebliebenen Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung im  Strafbefehlverfahren und die dafür erforderliche Vertretungsvollmacht des (Pflicht)Verteidigers berichtet (vgl. hier und hier).

Dazu passt ganz gut die mir jetzt übersandte Entscheidung des KG vom 07.07.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), in der das KG zur Art und Weise der Vertretung des Angeklagten Stellung genommen hat. Danach reicht zur Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin die Anwesenheit des bevollmächtigten Verteidigers aus. Aus dessen bloßem Schweigen und dem Absehen von einer Antragstellung darf nicht geschlossen werden, er sei vertretungsunwillig. Hierfür bedarf es vielmehr eindeutiger Indizien.

Was häufig übersehen wird, ist…

…dass auch der Pflichtverteidiger für die Vertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung (des Strafbefehlsverfahren) eine besondere Vertretungsvollmacht benötigt, wenn er den Angeklagten verteidigen will. Die dem Verteidiger ggf. zuvor als Wahlanwalt erteilte Vertretungsvollmacht ist durch die Pflichtverteidigerbestellung erloschen. Das hatte das OLG Hamm im Verfahren 2 Ss 427/95 schon 1995 entschieden und dazu hat gerade das OLG München in seinem Beschluss v. 14.07.2010 – 4 StRR 93/10 Stellung genommen.

Nach dem Sachverhalt hatte das AG gegen die Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Erschlei­chens eines Aufenthaltstitels Strafbefehl erlassen. Die Angeklagte war anwaltlich verteidigt; die dem Wahlverteidiger erteilte Vollmacht er­mächtigte diesen für den Fall der Abwesenheit zur Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO mit der ausdrücklichen Ermächtigung auch nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Auf Ein­spruch der Angeklagten ermäßigte das Amtsgericht den Tagessatz. In der Hauptver­handlung vor dem Amtsgericht wurde der Wahlverteidiger der Angeklagten am Sit­zungstag als Pflichtverteidiger beigeordnet. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte die Angeklagte Berufung ein. Die Berufungshauptverhandlung fand in Abwesenheit der Angeklagten statt. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Tagessatzhöhe ermäßigt wurde. Hiergegen hat die Angeklagte Revision eingelegt und neben anderen Verfahrens- und Sachrügen mit der Verfahrensrüge die Verletzung der §§ 411 Abs. 2, 230 Abs. 1 StPO vorgetragen, weil rechtsfehlerhaft in ihrer Abwesenheit verhandelt worden sei und sich hieraus der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ergäbe. Die Die Revision hatte Erfolg.

Nichts Neues bei der nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung… Verteidiger kann sich nur selbst retten

Der Kollege Feltus (wo ist der eigentlich?) hatte neulich in seinem Blog über den dauernden Ärger mit der nachträglichen Bestellung eines Pflichtverteidigers berichtet und darüber, dass ihm ein von uns eingestellter Beschluss des LG Itzehoe geholfen hat.

Heute flattert mir der Beschl. des LG Koblenz v. 06.07.2010 – 2 Qs 59/10 ins Haus, in dem die nachträgliche Bestellung abgelehnt worden ist. Das amtsgerichtliche Urteil war noch im Hauptverhandlungstermin rechtskräftig geworden. Dann gibt es keine Bestellung mehr. So weit, so gut, oder auch nicht (teilweise wird die Frage ja von LG anders gesehen/gelöst, als es die h.M. der OLG tut.

Aber in der Entscheidung des LG Koblenz sehe ich auch nicht so viel Ansatzpunkte für das LG, wenn es denn helfen wollte. Der Amtsrichter hat unverzüglich der Bsechwerde abgeholfen und sie dann hoffentlich auch weitergeschickt. Das war am 03.05.2010. Sie war – ich kenne die Abläufe bei der Justiz – am 06.05.2010, mit Sicherheit noch nicht bei der Beschwerdekammer angekommen, so dass man ihr nicht vorwerfen kann, dass sie nicht schnell genug gearbeitet hat.

Was tun in solchen Fällen? M.E. bleibt nur, keinen Rechtsmittelverzicht zu erklären und Berufung einzulegen, um das Verfahren offen zu halten. Ob das in allen Fällen eine glückliche Lösung ist, wage ich zu bezweifeln. Was anders fällt mir aber auch nicht ein :-(.