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In der Berufung gleiche Strafe trotz neuer erheblicher Milderungsgründe – erhöhter Begründungsaufwand

Einen Klassiker der Fehler, die häufig bei der Strafzumessung gemacht werden, behandelt das OLG Bamberg, Beschl. v. 02.11.2011 – 3 Ss 104/11. Da genügt deshalb der Hinweis auf den Leitsatz:

„Der auf Berufung oder nach einer Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht neu entscheidende Tatrichter hat, sofern er Feststellungen trifft, welche die Tat des Angeklagten abweichend vom Ersturteil in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen und sogar einen wesentlich niedrigeren Strafrahmen vorschreiben als den, der nach den früheren Feststellungen geboten war, seine Entscheidung regelmäßig eingehend zu begründen, wenn er dennoch auf eine gleich hohe Strafe erkannt hat (Anschluss u.a. an BGH, Beschluss vom 20.08.1982 – 2 StR 296/82 = NJW 1983, 54 und OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 16).“

Wer arbeitet, muss auch Geld bekommen…

Umstritten ist die Frage, ob der Rechtsanwalt, der im Rahmen einer von der Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten eingelegten Berufung tätig wird, die Erstattung der Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG aus der Staatskasse verlangen kann.

M.E. ja, das der Angeklagte auch in der Phase des Verfahrens Anspruch auf Bertaung/Verteidigung hat, die wohl h.M. in der Rechtsprechung der Obergerichte sieht das leider anders (so z.B. das KG, vgl. hier). Um so wohltuender ist es dann, wenn man mal auf eine Entscheidung eines AG trifft, die diese h.M. nicht einfach nachbetet, sondern sich selbst Gedanken macht. So das AG Iserlohn, Beschl. v. 11.10.2011 –  9 Ls 335 Js 330/10 4/11. Danach steht dem Rechtsanwalt auch dann Erstattung einer Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG für von ihm erbrachte Tätigkeiten aus der Staatskassezu , wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt. Sehr schön formuliert dann vom AG:

Nachdem die Staatsanwaltschaft Hagen unbedingt und unbefristet das Rechtsmittel der Berufung eingelegt hat, ist dies dem Verteidiger seitens des Gerichts mitgeteilt Worden, er hat dann pflichtgemäß dies dem Angeklagten mitgeteilt, worauf dieser bei ihm anrief und um Beratung bat. Er wurde dann laut unbestrittener Einlassung umfassend darüber beraten, was die Berufung bedeutet, welche prozessualen Möglichkeiten bestehen und welcher Verfahrensausgang gegebenenfalls durch das Rechtsmittel zu erwarten sei. Darüber hinaus wurde gemeinsam beraten, welche möglicherweise zusätzlichen Beweismittel noch beschafft werden können und zur Verfügung stehen.

Diese entfaltete Tätigkeit des Pflichtverteidigers ist notwendig und nicht nur rein hypothetischer Art und auf keinen Fall überflüssig noch bedeutungslos, da mit der Zäsurwirkung des Rechtsmittels der Berufung ein neues Verfahrensstadium beginnt, mithin der Freigesprochene wieder den Status des Angeklagten erhält und der Verteidiger im Rahmen rechtsstaatlich begründeter Verteidigung seine Tätigkeit so auszurichten hat, dass sie erfolgsversprechend und wirksam ist, vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 140, Randnummer 1 m.w.N.. Diesbezüglich hat der Verteidiger einen nicht überprüfbaren Ermessensspielraum, wann, wie schnell und wie er tätig wird…

Konkludente Annahme der Berufung

Ich schreibe heute nicht „konkludente Annahmeberufung“ wie vor einigen Wochen, als ich über einen Beschluss des OLG Frankfurt berichtet habe – will nicht wieder von einem Kommentator gerügt werden :-), der dieselbe Problematik behandelt hat wie der OLG Celle, Beschl. v. 06.07.2011 – 2 Ws 180/11. nämlich die konkludente Annahme der Berufung im Strafverfahren. Im OLG Celle ist das durch Terminierung geschehen. Davon kommt das LG dann – so das OLG nicht wieder runter, und zwar auch nicht, wenn versehentlich terminiert worden ist.

Konkludente Annahmeberufung – gibt es so was?

Im Strafverfahren bedarf die Berufung nach § 313 StPO in den dort bestimmten Fällen  – u.a. Geldstrafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen – der Annahme durch das Berufungsgericht. In der Praxis wird um die Anfechtbarkeit der sog. Annahmeentscheidung des Berufungsgerichts gestritten. § 322a Abs. 2 StPO schließt die Anfechtbarkeit ausdrücklich aus. Davon gibt es ein paar Ausnahme. Eine greift dann ein, wenn das Berufungsgericht die Berufung angenommen hat und nun von seiner Annahmeentscheidung wieder abrücken will. Hintergrund für diese Auffassung ist, dass „die erste Entscheidung mit Blick auf ihre Unanfechtbarkeit (§ 323a S. 2 StPO) zu Gunsten des Angeklagten Bestandsschutz entfaltet (OLG Zweibrücken, NStZ-RR 2002, 245;…„. Das hat vor einiger Zeit auch noch einmal das OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.04.2011 – 3 Ws 402/11 ausgeführt und zugleich in dem dort entschiedenen Fall eine Annahmeentscheidung angenommen, und zwar mit folgender Begründung.

„Zwar hat die Kammer keine ausdrückliche Annahmeentscheidung getroffen. Hat das Landgericht auf die Berufung des Angeklagten Termin zur Hauptverhandlung bestimmt und den Angeklagten sowie seinen Verteidiger geladen, so liegt darin regelmäßig die stillschweigende Annahme der Berufung (OLG Zweibrücken a.a.O.; Meyer-Goßner, § 322a Rn 3, Frisch, in: SK-StPO § 322a Rn 3; Brunner, in: KMR-StPO, § 322a Rn 2 – jeweils m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die Terminsverfügung und Ladung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erfolgte, die Nichtannahmeentscheidung aber erst nach deren Ablauf zuging. Denn in diesem Falle ist die erwirkte Position des Angeklagten im besonderen Maße schützenswert.

Auch in Fällen der Annahmeberufung ist die Sprungrevision nämlich uneingeschränkt zulässig (BGHSt 40, 395, 397; Senat, Beschl. v. 13.07.1998 – 3 Ss 165/98). Der Rechtsmittelführer kann selbst dann, wenn er sein Rechtsmittel bei Einlegung als Berufung bezeichnet, noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zur Revision übergehen (BGH a.a.O.). Diese Möglichkeit verbleibt ihm auch und gerade dann, wenn die Berufungskammer die Berufung gem. § 313 II StPO verworfen hat (vgl. KG, NStZ-RR 1999, 146, Meyer-Goßner, § 335 Rn 3).

Annahme der Berufung setzt Berufung voraus

Nicht so ganz einfach sind die mit der Annahmeberufung zusammenhängenden Fragen (§ 313 StPO). Das zeigt OLG Koblenz, Beschl. v. 18.04.2011 – 1 Ss 54/11 u. 1 Ws 214/11. Dort hatte der Verteidiger zunächst nur „Rechtsmittel“ eingelegt, dieses dann innerhalb der Begründungsfrist als „Revision“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft war der Auffassung, dass die Revision nur durchgeführt werden könne, wenn zuvor die Berufung angenommen worden sei. Dazu das OLG Koblenz:

1.  Das Rechtsmittel ist als Sprungrevision zulässig (§§ 335 Abs. 1, 313 StPO).

Die Sprungrevision ist auch in den Fällen uneingeschränkt zulässig, in denen eine Berufung des Angeklagten der Annahme gemäß § 313 StPO bedürfte (BGHSt 40, 395 <397>; Senat, Beschluss 1 Ss 269/99 vom 04.11.1999; BayObLG StV 1993, 572; 1994, 238; OLG Zweibrücken StV 1994, 119; OLG Karlsruhe StV 1994, 292; NStZ 1995, 562; OLG Düsseldorf VRS 88, 188; OLG Stuttgart Justiz 1995, 414; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 174; KG NStZ-RR 1999, 146; OLG Hamm NJW 2003, 3286 <3287>; OLG Celle NJW-Spezial 2008, 633). Der Begriff „zulässig“ in § 335 Abs. 1 StPO ist im Sinne von „statthaft“ zu verstehen.

Der Beschluss der Jugendkammer, durch den „die Berufung“ des Angeklagten wegen Nichtvorliegens der Annahmevoraussetzungen des § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO als unzulässig verworfen wurde, ist gegenstandlos (BayObLG StV 1994, 238). Denn der Angeklagte hat zu keinem Zeitpunkt Berufung eingelegt. Die innerhalb der Wochenfrist (§§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) formgerecht angebrachte unbestimmte Anfechtung ist rechtzeitig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) als Sprungrevision bezeichnet und begründet worden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 335 Rn. 3 m.w.N). Erst danach hat die Berufungskammer die Nichtannahmeentscheidung getroffen. Ob der Nichtannahmebeschluss auch dann ohne weiteres gegenstandlos wäre, wenn das Berufungsgericht unzulässigerweise vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist über die Nichtannahme entschieden und der Angeklagte erst anschließend endgültig die Sprungrevision gewählt hätte (so KG NStZ-RR 1999, 146 und OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 53; a.A. BayObLG StV 1994, 364 und Senat, Beschluss 1 Ss 269/99 vom 04.11.1999 für Fälle, in denen der Angeklagte sein Rechtsmittel zunächst als Berufung und erst nach der Nichtannahmeentscheidung, jedoch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Sprungrevision bezeichnet hatte), bedarf hier keiner Entscheidung. Zur Klarstellung hebt der Senat den Beschluss des Berufungsgerichts auf (BayObLG und KG a.a.O.), auf dessen Grundlage das angefochtene Urteil fälschlicherweise einen Rechtskraftvermerk erhalten hat…