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StGB II: „Wer braucht den Nazi in pp?“ auf Instagram, oder: Strafbare Beleidigung?

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Und dann noch eine Entscheidung vom OLG Stuttgart, und zwar der OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 366/22. Das OLG hat in der Entscheidung Stellung genommen zur Frage der Beleidigung im politischen Bereich.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Verurteilung beruhte auf folgenden Sachverhaltsfeststellungen:

,,Am 29.07.2021 beleidigte der Angeklagte über einen Kommentar auf der Plattform Instagram – vermutlich von seiner Wohnanschrift pp. unter Achalm aus – den Landtagsabgeordneten der Partei AfD pp. mit den Worten „Wer braucht den Nazi in pp.???“, um seine Missachtung auszudrücken. Der Post des Angeklagten erfolgte unter einem von pp. geposteten Bildbeitrag samt Text, welcher den Geschädigten pp. mit dem Bürgermeister der Stadt pp. Herrn pp.  vor einer Luftbildaufnahme der Gemeinde pp. zeigte. Das pp. zeigende Bild wurde durch einen Text wie folgt ergänzt: „Unterwegs im Wahlkreis: Heute war ich im Rahmen meines Antrittsbesuchs bei pp. Bürgermeister pp. zu Gast. Thema war dabei vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse u.a. die Vorbereitung auf den Katastrophenfall. In diesem Zusammenhang habe ich Herrn pp. auch meine anstehende parlamentarische Initiative zur Förderung von Regenwassernutzungsanlagen vorgestellt, mit welchen — neben anderen Effekten — die Auswirkungen örtlich extrem starker Niederschläge abgemildert werden können. Über seine positive Rückmeldung hierzu habe ich mich sehr gefreut. Auch ansonsten war das Gespräch höchst interessant und ich war beeindruckt, wie gut pp. industriell aufgestellt ist. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, tiefe Eindrücke in die Lage der Gemeinde gewinnen zu können und Herrn pp. kennenlernen zu dürfen.“ pp. #AfD

Direkt unter diesem Eintrag bzw. Post des Bildes war die Äußerung des Angeklagten gepostet. Hierunter befindet sich ein Icon mit einem Herzsymbol und der Unterschrift „gefällt 21 Mal“.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Das OLG hat das Vorliegen einer Beleidigung verneint und frei gesprochen. Das OLG nimmt zunächst allgemein zum Vorliegen einer Beleidigung Stellung und führt dann aus:

„2. Daran gemessen begegnet das angefochtene Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Äußerung „Wer braucht den Nazi in pp.??“ um ein Werturteil handelt. Eine Tatsachenbehauptung scheidet demgegenüber aus, da der Begriff „Nazi“ keine Verbindung zu einer genau definierten Personengruppe ermöglicht und konkretisierende Informationen fehlen, die auf ihre Wahrheit hin überprüft werden könnten (OLG Dresden, Beschluss vom 26. März 2019 — 4 U 184/19, juris Rn. 10).

b) Eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Schmähung oder Formalbeleidigung ist mit der Äußerung jedoch nicht verbunden. Der Begriff „Nazi“ lässt schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehalt verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen können (BVerfG, NJW 1992, 2013, 2014); inzwischen handelt es sich gewöhnlich um eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung (OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015 — 4 U 101/15, juris Rn. 107; LG Kassel, Urteil vom 28. Oktober 2021 — 16 0 181/21, juris Rn. 34). Entscheidend ist jedoch stets der Einzelfall.

Es verbieten sich daher allgemeine Aussagen dahingehend, dass die Bezeichnung einer anderen Person als „Nazi“ stets oder niemals den Tatbestand der       erfülle. Vielmehr ist der Aussagegehalt des Begriffs abhängig von dem jeweiligen Gebrauch, insbesondere vom Gesamtzusammenhang des Textes, in dessen Rahmen er verwendet wird.

c) Vorliegend hat das Amtsgericht vorliegend schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht allein auf eine persönliche Diffamierung des Anzeigeerstatters abzielte, sondern jedenfalls auch eine Bewertung seiner politischen Haltung und Gesinnung enthielt vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zu einer von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung im rechten Spektrum verorteten Partei, die zudem jedenfalls in Teilen bereits zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als extremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Denn die Äußerung erfolgte gerade nicht im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung, sondern vor dem Hintergrund der politischen Tätigkeit des Anzeigeerstatters, die dieser, womit sich das Amtsgericht ebenfalls hätte auseinandersetzen müssen, durch das Hochladen seines Beitrags auf Instagram zudem selbst öffentlich machte.

Der gesamte Beitrag bezog sich ersichtlich auf die politische Arbeit des Anzeigeerstatters als Landtagsabgeordneter, handelt es sich doch bei Wahlkreisbereisungen um eine klassische Abgeordnetentätigkeit. Überdies hat der Anzeigeerstatter in seinem Beitrag ausdrücklich auf eine von ihm vorbereitete parlamentarische Initiative hingewiesen und zudem durch die Verwendung des Hashtags „#AfD“ einen unmittelbaren Bezug zu seiner Partei hergestellt. Mithin hatte die Äußerung des Angeklagten keinen Bezug zur Intimsphäre oder Privatsphäre, sondern betraf das politische Leben, also lediglich die Sozialsphäre.

Zudem hat das Amtsgericht nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen, dass sich die Situation von Politikern, die bewusst in die Öffentlichkeit treten, von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakten übertragen wurde, unterscheidet (vgl. BVerfG, Nichtannahme-beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2397/19, juris Rn. 31). Einem im öffentlichen Meinungskampf stehenden Politiker sind grundsätzlich härtere Äußerungen zuzumuten, auch wenn er kein Regierungsamt bekleidet.

d) Weiter hat das Amtsgericht die Äußerung des Angeklagten zu sehr auf den Begriff „Nazi“ verengt und dabei außer Acht gelassen, dass die vollständige Formulierung „Wer braucht den Nazi intimer“ auch als Kritik sowohl an der Wahlkreisbereisung selbst als auch daran, dass der Anzeigeerstatter vom Bürgermeister der Gemeinde pp. empfangen wurde, verstanden werden kann, was ebenfalls gegen eine reine Schmähung spricht.

e) Soweit das Amtsgericht meint, dass auch bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Anzeigeerstatters „klar und deutlich“ eine strafbare Beleidigung gegeben sei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

aa) Wie bereits dargelegt bezog sich die verfahrensgegenständliche Äußerung auf politische Aktivitäten des Anzeigeerstatters, die dieser bewusst öffentlich gemacht hat, und nicht auf dessen Privatleben. Dass zwischen ihm und dem Angeklagten keine persönliche oder emotionale Beziehung bestand, vermag eine Strafbarkeit der verfahrensgegenständlichen Äußerung nicht zu begründen.

Soweit das Amtsgericht auf das Fehlen einer solchen Beziehung abstellt, verkennt es die Bedeutung und die Reichweite der Meinungsfreiheit. Verlangte man nämlich eine derartige Verbindung, würde dies die Grenzen zulässiger Kritik an Amts- und Mandatsträgern in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise einschränken, dürften doch die wenigsten Bürger in einer persönlichen oder emotionalen Beziehung zu der kritisierten Person stehen. Den Bürgern muss es aber möglich sein, straflos und ohne Furcht vor Strafe zum Ausdruck zu bringen, dass sie eine bestimmte Person für ungeeignet zur Führung der von ihr bekleideten politischen Ämter halten (BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635). Dies gilt unabhängig von einer persönlichen Verbindung zwischen den beteiligten Personen.

bb) Auch der Umstand, dass der Beitrag des Anzeigeerstatters sich nicht mit politisch besonders umstrittenen Themen, sondern mit eher alltäglichen kommunalpolitischen Angelegenheiten befasste, begründet eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht. Denn auch im Zusammenhang mit solchen politischen Aktivitäten sind polemische und überspitzte Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, zumal sich Kritik an Politikern auch generell gegen deren Zugehörigkeit zu einer Partei, die der Äußernde für nicht demokratisch oder gar für extremistisch hält, richten kann und darf, ohne dass eine solche Einschätzung einer gerichtlichen Richtigkeitskontrolle unterworfen wäre. Der Umstand, dass das Amtsgericht keine Anhaltspunkte für eine Verortung des Anzeigeerstatters im rechten politischen Spektrum zu erkennen vermochte, schränkt daher die Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht ein.

cc) Zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führt schließlich auch, dass der Kommentar des Angeklagten zu dem Instagram-Beitrag des Anzeigeerstatters keine politische Diskussion in Gang setzte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greift unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (OLG Karlsruhe aa0). Ob der Äußernde eine inhaltliche Debatte zu bestimmten Themen oder auch Personen anstoßen oder lediglich seinen Unmut äußern will, spielt daher keine Rolle.

Zu beachten ist ferner, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich differenzierte Äußerungen schützt, sondern Kritik gerade auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, NJW 1992, 1439). Überdies dürfen Bürger gegenüber Amtsträgern auch harsche Fundamentalkritik üben, und zwar unabhängig davon, ob sie dieses negative Urteil näher begründen können und ob es weniger drastische Ausdrucksformen gegeben hätte (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635).“

StGB III: Zur Beleidigung eines Polizeibeamten, oder: „Du Opfer.“

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Und als dritte Entscheidung aus dem Kompelx „StGB“ stelle ich den KG, Beschl. v. 11.02.2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) vor. Das KG nimmt umfangreich zu Bewährungsfragen Stellung, insoweit komme ich auf die Entscheidung noch mal zurück. Heute geht es um Ausführungen des KG zur Frage der Beleidigung eines Polizeibeamten.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. Diese Veruretilung hat beim KG „gehalten“. Der Angeklagte hatte u.a. geltend gemacht, dass die Bezeichnung eines Polizeibeamten als „Opfer“ nicht den Tatbestand der Beleidigung erfülle. Das sieht das KG anders:

„1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch, insbesondere auch die Feststellungen zu der Tat vom 25. September 2020 im Hinblick auf den Schuldspruch der Beleidigung gemäß § 185 StGB.

Die Beleidigung setzt einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung voraus (BGHSt 1, 288).

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 25. September 2020 den Kontaktbereichsbeamten PK A im Rahmen der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit als „Opfer“, „Schwanzlutscher“ und „Hurensohn“ beschimpft habe (UA S. 4).

Soweit der Revisionsführer beanstandet, die von ihm getätigte Bezeichnung des Polizeibeamten als „Opfer“ sei nicht als Beleidigung, sondern als bloße Meinungsäußerung zu werten, kann er damit nicht durchdringen.

Selbst wenn der Begriff „Opfer“ in der juristischen Fachsprache eine neutrale und in der Jugendsprache eine scherzhafte Bedeutung hat bzw. haben kann (vgl. Pohlreich, JA 2020, 744), so ist der Äußerungsinhalt unter Berücksichtigung der Begleitumstände (vgl. Fischer, StGB 69. Aufl., § 185 Rn. 8) – hier die Äußerung eines Bürgers gegenüber einem Polizeibeamten im Rahmen der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit – als tatbestandsrelevante Kundgabe der Miss- und Nichtachtung zu interpretieren. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte neben der Bezeichnung „Opfer“ zugleich die Beschimpfungen „Schwanzlutscher“ und „Hurensohn“ geäußert hat.“

StGB II: Die „Lachnummer auf der Kippenschachtel“, oder: Beleidigung oder noch „meinungsfrei“?

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BayObLG. Es geht mal wieder um die Frage der Beleidigung

Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt. Hiergegen haben der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft – letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch –  Berufung eingelegt. Das LG Nürnberg-Fürth hat die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils abgeändert.

Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Die hatte insoweit Erfolg, als das Verfahren hinsichtlich eines Falles der Beleidigung eingestellt worden ist, weil nach Auffassung des BayObLG ein Strafantrag fehlte. Im Übrigen hatte die Revision soweit sie sich gegen den Schuldspruch der Beleidigung in dann noch zwei tateinheitlichen Fällen richtete, keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen, die dann auch das BayObLG seiner Entscheidung zugrunde legt:

„a) Danach hat der Angeklagte am 29.05.2020 auf seinem YouTube-Kanal ein Video hochgeladen mit dem Titel:

„Es ist Wahnsinn. Hier wird eine Volkswirtschaft kaputt gemacht und alle schauen zu.“

Im Rahmen dieses Videos erscheint ab Minute 6.51 ein Bild, auf dem fünf Personen, unter anderem die Strafantragsteller pp.  zu sehen sind, wobei im Hintergrund ein Plakat der Partei „die Grünen“ zu sehen ist. Über dem Bild befindet sich folgender Text:

„Und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimm“ (smiley). „Das sind die Grünen im bayerischen Landtag…..und nein: Das ist KEIN Scherz.“

Der Angeklagte kommentierte dieses Foto mündlich mit folgenden Worten:

„Ja und wenn ihr euch das anschaut, das sind welche, die sind im bayerischen Landtag. Das ist jetzt kein Witz und das ist auch kein Scherz. Also wenn ich mir die Figuren anschaue und die bestimmen über unsere Zukunft und solche Leute sind gewählt, also das sind ja Lachnummern, das sind absolute Lachnummern, diese Figuren. Das ist wirklich, das kannste normalerweise, wie es heißt, das kannste auf ne Kippenschachtel tun als Warnhinweis.“

Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass es sich bei sämtlichen auf dem Foto abgebildeten Personen um Menschen mit transsexuellem Hintergrund handelt, wobei (Anm.: zum Tatzeitpunkt) lediglich eine dieser Personen und Strafantragstellerin ein Mitglied der Grünen im bayerischen Landtag ist, eine weitere Person weder Mitglied der Grünen noch im bayerischen Landtag vertreten ist und über die drei anderen Personen nichts Näheres bekannt ist.

Das LG war beweiswürdigend davon ausgegangen, „dass das verfahrensgegenständliche Bild, das der Angeklagte seiner Einlassung nach bereits mit der oben bezeichneten Überschrift aus den sozialen Netzwerken kopiert habe, ca. Anfang 2019 mit Einverständnis der fotografierten Personen im bayerischen Landtag gefertigt wurde, es sich lediglich bei einer fotografierten Person um ein Mitglied des bayerischen Landtags handelte, sämtliche Personen der Partei der Grünen nahestanden und dem Angeklagten weder der Anlass der Anfertigung des Fotos bekannt war noch er wusste, um wen es sich bei den abgebildeten Personen gehandelt habe, er aber aufgrund von ihm nicht geprüfter Angaben in den sozialen Netzwerken davon ausgegangen sei, dass es sich bei allen Personen um Politikerinnen der Grünen im bayerischen Landtag gehandelt habe, und dass der transsexuelle Hintergrund ihm nicht bekannt bzw. eine diesbezügliche Kenntnis nicht nachzuweisen gewesen sei.“

Es hatte „zum übrigen Inhalt des Videos festgestellt, dass zu dessen Beginn der Untertitel „der politische Wochenrückblick von Hallo Meinung“ eingeblendet ist. Der Angeklagte leitet das Video mit den Worten ein „diese Woche ist viel passiert“, wobei er sich kritisch über die Finanztransfers der europäischen Nordländer an die europäischen Südländer, die jahrelang Misswirtschaft getrieben hätten, äußert. Es folgt ein Ausschnitt aus der Sendung von Markus Lanz, in der der SPD-Politiker Ralf Stegner auftritt, den der Angeklagte mit den Worten „Hirnis wie Stegner“ kommentiert. Die nächste Sequenz befasst sich mit einem Artikel über milliardenschwere Coronahilfen, die mit Steuern finanziert werden, wobei der Angeklagte zum einen Ursula von der Leyen kritisiert und zum anderen den eingeblendeten europäischen Politiker Manfred Weber unter anderem mit den Worten charakterisiert „solche Leute sind für mich Waschlappen“, „jetzt ist er nur ein Hinternkriecher“, „solche Orgelpfeifen bestimmen über unsere Zukunft“. Es folgt eine Sequenz, in der darüber berichtet wird, dass die Grünenpolitikerin Baerbock in einer Sendung von Anne Will die Bundesrepublik Deutschland als größte Volkswirtschaft der Welt bezeichnet hat, was der Angeklagte richtig stellt und kritisiert, dass diesen Fehler niemand bemerkt habe.

In zeitlicher Abfolge danach enthält das Video die unter II.1.a. dargestellte Sequenz ab Minute 6.51. Nach dieser wird ein Bild, auf dem die (Anm.: ehemalige) deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron zu sehen sind, gezeigt mit der Unterschrift „Enkel-Trick: Smarter Betrüger klaut verwirrter Seniorin 135 Milliarden Euro. Die Polizei bitte um Mithilfe.“

Schließlich kommentiert der Angeklagte ein Bild der Firma B + I, zugehörig zur Baumüller-Gruppe in Nürnberg, damit, dass die Frau des bayerischen Ministerpräsidenten Söder etwas mit dieser Firma, die Face-Shields vertreibe, zu tun habe, wozu er ironisch bemerkt, dass er selbstverständlich keinen Zusammenhang mit der Politik herstellen wolle, „ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Das Video endet mit einem Bild, das die These aufstellt, wir seien auf dem besten Weg, ein gleichgeschaltetes Volk zu werden und das ebenfalls vom Angeklagten kommentiert wird.“

Das BayObLG hat die Auffassung des LG, dass der Angeklagte sich damit der Beleidigung gemäß § 185 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat, bestätigt.

Ich erspare mir das Einstellen der umfangreichen Begründung im BayObLG, Beschl. v. 31.01.2022 – 204 StRR 574/21 – und ordne das Selbstleseverfahren an.

StGB III: Beleidigung durch Bezeichnung „Botoxfresse“?, oder: Es kommt darauf an

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Galdbeck, Beschl. v. 16.1.2021 – 6 Ds 304 Js 56_19-91/21 – betreffend ein Beleidigungsverfahren.

Der Anzeigeerstatter hat sich mit einer Strafanzeige gegen Äußerungen des Angeschuldigten gewendet, der unter einem Alias als Rapper auftritt. Dem Angeschuldigten wird in der dann erhobenen Anklage vorgeworfen, er habe den Anzeigeerstatter in einem Facebook-Post vom 13.02.2019 als „Botoxfresse‘ beleidigt; ferner habe der aa Angeschuldigte ein Video mit einem Disstrack über den Anzeigeerstatter veröffentlicht, wobei weitere Angeschuldigte als Komparsen oder Produzenten mitgewirkt haben sollen.

Das AG hat die Eröffnung des Hauaptverfahrens abgelehnt und das recht umfangreich begründet. Um zu verstehen, worum es geht – vor allem wegen der Hintergründe – muss man die Beschlussgründe ziemlich umfassen einestellen:

„… Bei dem Anzeigeerstatter handelt es sich um eine freiwillig in der Öffentlichkeit stehende Person. Als Person der Zeitgeschichte ist er Hauptdarsteller in einer Reality-Show, in der er sich und seine Familie als sehr reiche Personen vorstellt, die dem internationalen Jetset angehören und ein Leben im Luxus führen. In diesem Rahmen stellt sich der Anzeigeerstatter in die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Dabei äußert er selbst mitunter polarisierende Meinungen, die von Teilen der Zuschauer als polemisch oder unangemessen aufgefasst werden und teilweise heftige Reaktionen hervorrufen.

In diesem Zusammenhang hat der Anzeigeerstatter als Person des öffentlichen Lebens ein Video von sich veröffentlichen lassen, in dem er sich vor der Scheich-Zayid- Moschee in Abu Dhabi befindet. Diese Moschee stellt eine der größten und bedeutsamsten Moscheen weltweit und eine wichtige religiöse Örtlichkeit für Muslime dar. In diesem Video äußert der Anzeigeerstatter, dass er nun schon seit langer Zeit auf der Suche nach einer Immobilie in Dubai für seine Familie und nunmehr fündig geworden sei, wobei er auf die Moschee deutet. Weiter heißt es in dem Video, dass auch für Livemusik gesorgt sei. Insoweit spielt der Anzeigeerstatter in dem Videobeitrag auf den Ruf des Muezzins an.

Insoweit hat der Anzeigeerstatter einen von vielen Zuschauern als provozierend aufgenommenen Beitrag in Bezug auf die Ausübung und den Stellenwert der islamischen Religion in die sozialen Medien eingestellt, als er das Video verbreitete.

Es kam im weiteren zu verschiedenen Gegenäußerungen und Kritik an dem Anzeigeerstatter für die Darstellung in dem von ihm geposteten Video. Der Anzeigeerstatter reagierte darauf, in dem er das Video über die Moschee als -missglückten – Witz darstellte.

In diesem Zusammenhang sind die Äußerungen, die Gegenstand des Strafverfahrens sind, als Antwort auf das Video des Anzeigeerstatters einzuordnen. Der Angeschuldigte pp. erstellte dabei einen Disstrack, in dem er sich mit den Äußerungen des Anzeigerstatters über die Moschee befasst.

Nach dem Anklagevorwurf wurde das Disstrack-Video im März 2019 auf dem Internet-Videoportal YouTube auf Veranlassung des Angeschuldigten zu 1. (alias pp) veröffentlicht, jedoch nach ganz kurzer Zeit wieder von dem Youtube-Kanal des Angeschuldigten gelöscht. Zuvor ist es weiter verbreitet worden und lässt sich weiterhin auf Youtube, allerdings unter dem Kanal eines Anhängers des Anzeigerstatters („pp.9, abrufen.

Auf dem besagten Musikvideo ist im Wege der filmischen Darstellung zu sehen, wie zwei Laiendarsteller, die offensichtlich den Anzeigeerstatter nebst Gattin darstellen sollen, in einem Auto fahren. Die Darstellung erfolgt dabei in überspitzter und satirischer Form und macht sich über das in dem TV-Format des Anzeigerstatters gezeigte Verhalten („zum Friseur gehen, shoppen, eine Yacht kaufen…“) lustig. Im weiteren Verlauf des Musikvideos wird sodann durch Laiendarsteller eine Entführung des Anzeigeerstatters und seiner Frau dargestellt, wobei die Charaktere mit einem Auto in eine Werkstatt verbracht werden. Insgesamt wirkt die Sequenz satirisch überspitzt und comedyhaft bis lächerlich. Anschließend wird das Video des Anzeigeerstatters über die Moschee in Abu Dhabi eingespielt. Sodann startet der eigentliche Musikbeitrag/der Rap, den der Angeschuldigte zu 1. Vorträgt. Darin heißt es unter anderem:

„R. für eine Botoxfresse“

Sodann zielt eine Person mit einem Gegenstand, der wie ein Gewehr aussieht auf den Schauspieler, der den Anzeigeerstatter darstellt und dazu wird gerappt:

„ Geh in Deckung, Mann. Ich lade jetzt mein Eisen auf dich gezielt, pp.. Weiter heißt es, „ ein Hund wie du sei leise , sonst nehme ich dich als Geisel“ . Ferner wird der offenbar den Anzeigeerstatter darstellende Mann als „Schwein“ und „Hurensohn“ bezeichnet und es heißt dann:. „Ich gehöre zu den Miesen, wenn es sein muss, werde ich schießen“.

Tatsächliche Körperverletzungen sind filmisch nicht dargestellt.

Das Video endet damit, dass der Angeschuldigte zu 1. dem Darsteller, der offenbar den Anzeigeerstatter verkörpern soll, durchs Haar fährt und dabei- äußert: „du Spaßvogel, denk nächstes Mal nach, bevor du solche Witze machst.“

Die weiteren Angeschuldigten sollen Komparsen in dem Video mit dem Disstrack bzw. der Produzent des Videos sein.

Der Anzeigeerstatter hat über seine Rechtsanwälte Strafanzeige unter anderem wegen Bedrohung und Beleidigung gestellt.

II.

Bei rechtlicher Bewertung dieser Gesamtsituation kann eine Strafbarkeit der Angeschuldigten nicht mit der für die Eröffnung des Hauptverfahrens zu fordernden Wahrscheinlichkeit aus tatsächlichen sowie rechtlichen Gründen festgestellt werden.

…..

2. Auch in rechtlicher Hinsicht begegnet die Anklage durchgreifenden Bedenken:

a) Beleidigung durch den Disstrack seitens des Angeschuldigten zu 1.

In dem besagten Disstrack, also dem Rap des Angeschuldigten zu 1., wird der die Person des Anzeigerstatters darstellende Schauspieler unter anderem als „Hund“, „Schwein“ und „Hurensohn“ tituliert.

Dies sind eindeutig ehrverletzende Äußerungen.

Diese Äußerungen erfolgten nicht im persönlichen Kontakt oder direkter Ansprache über Kommunikationsmittel, sondern im Rahmen einer fiktiven Darstellung. Es wird eine filmische Episode erzählt, die den Anzeigeerstatter persifliert.

Hinzu kommt, dass die Äußerungen im Rahmen eines gereimten Raps aus dem Genre Gangsterrap erfolgten. In diesem Genre ist die Besonderheit der Darstellung darin begründet, dass kriminalitäts- und gewaltverherrlichende Darstellungen mit einer vulgären Wortwahl erfolgen.

Dabei ist anerkannt, dass der Gangsterrap eine eigene Kunstform darstellt, die ebenso wie Satire und Persiflage unter dem Schutzbereich der grundgesetzlichen Kunstfreiheit stehen, auch wenn darin – wie es dem Wesen dieser Rapform entspricht – gewaltverherrlichende oder beleidigende Äußerungen enthalten sind.

Die Kunstfreiheit findet ihre Grenzen dort, wo das schützwürdige Persönlichkeitsrecht des Einzelnen betroffen ist. Dabei ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den Persönlichkeitsrechten des Adressaten und der Kunstfreiheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.01.20, III- 4 RvS 193109 IV). Die Grenze der strafbaren Beleidigung ist in diesem Kontext erst dann erreicht, wenn die persönliche Kränkung den Schwerpunkt des Beitrags darstellt im Sinne einer Schmähkritik. Das ist in dem Kontext dann der Fall, wenn die Ehrverletzung die sachliche Auseinandersetzung vollends und beabsichtigt in den Hintergrund drängt (BVerfG, Beschluss vom 17.09.12, Az. 1 BvR 2979/10).

Hier verhält es sich so, dass eine in vertonter Reimform verfasste künstlerische Auseinandersetzung mit dem zuvor vom Anzeigeerstatter veröffentlichten Video über die Moschee als Wohnimmobilie dargestellt wird. Das wird deutlich an dem eingespielten Video des Anzeigerstatters und an den im Rap enthaltenen Äußerungen wie „ sag nicht zur Moschee Immobilie“ , „provozier nochmal den Islam“, „du Spaßvogel, denk nächstes Mal nach, bevor du solche Witze machst“.

Insoweit ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Anzeigeerstatter selbst anlasslos eine von der muslimischen Community als provozierend und als respektlos empfundene Äußerung über religiöse Inhalte gegenüber einem breiten Publikum abgab. Der Anzeigeerstatter hat diese Äußerung selbst in den sozialen Medien publik gemacht und hatte somit durchaus mit Gegenäußerungen, auch in unsachlicher Form, zu rechnen.

Der hier zu beurteilende Disstrack stellt eine solche Gegenäußerung mit künstlerischen Mitteln dar.

Die Grenze der Kunstfreiheit in diesem Kontext wäre erst erreicht, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht, sondern die Herabsetzung einer Person im Sinne einer Schmähkritik.

Dies ist hier nicht der Fall. Denn es ging angesichts der Verlinkung mit dem Beitrag über die Moschee als Wohnimmobilie um eine Auseinandersetzung mit Sachbezug, die nicht schwerpunktmäßig auf das persönliche Diffamieren des Anzeigeerstatters ausgelegt ist. Vielmehr ist der Einsatz der typischen sprachlichen Stilmittel des Gangsterraps gerade erfolgt, um mit der Art der Darstellung eine besondere Aufmerksamkeit in der Auseinandersetzung um das Sachthema zu erregen.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeschuldigte vorrangig die persönliche Kränkung erreichen wollte oder dies der Schwerpunkt des Gesamtwerkes wäre.

Demzufolge geht die Interessenabwägung zugunsten der Kunstfreiheit aus, deren Grenzen mit den Äußerungen, die Gegenstand des Raps sind, noch nicht überschritten ist. Eine Strafbarkeit scheidet aus gern. § 193 StGB iVm Art. 5 GG.

b) Beleidigung durch die Bezeichnung „Botoxfresse“

Dem Angeschuldigten zu 1. wird zudem zur Last gelegt, den Anzeigestatter in einem Facebookpost vom 13.02.2019 als „Botoxfresse“ bezeichnet zu haben, wobei der Beitrag mit dem Hashtag #machdichnichtübermoscheenlustig verlinkt gewesen ist.

Grundsätzlich ist unter der Beleidigung eine Kundgabe eines herabsetzenden Werturteiles zu verstehen, wobei bei der Frage, was eine Nichtachtung oder Missachtung der Person darstellt, regionale und subkulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen sind und es auf die Frage ankommt, wie ein objektiver Dritter in der konkreten Situation den Erklärungsinhalt verstehen würde (Fischer, StGB, § 185, Rz. 8).

Reine Unhöflichkeiten, Distanzlosigkeit oder Äußerungen ohne einen allgemein abwertenden Charakter, auch wenn sie in derber Ausdrucksweise erfolgen, sind dabei nicht dem Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB entsprechend (Fischer, Strafgesetzbuch § 185 Anmerkung 8c).

Vorliegend fühlt sich der Anzeigerstatter offenbar durch die Äußerung „Botoxfresse“ beleidigt.

Dieser Begriff lässt sich einerseits in dem Sinne verstehen, dass damit ein durch übermäßige kosmetische Eingriffe entstelltes Gesicht umschrieben wird.

Zwingend ist diese Auslegung indes nicht.

Nach dem regionalen Sprachgebrauch steht der Begriff „Fresse“ als derbes Synonym für „Gesicht“, wobei dem Begriff für sich genommen noch kein negatives Werturteil beigemessen wird, solange keine weitere negative Konnotation hinzukommt.

Eine „Botoxfresse“ könnte danach jemand sein, der sich einem Eingriff mit Botox unterzogen hätte, beispielsweise, um ein jugendlicheres äußeres Erscheinungsbild hervorzurufen. Dies stellt als solches nach dem allgemeinen Verständnis kein herabsetzendes Werturteil oder eine das Persönlichkeitsrecht missachtende Äußerung dar. Es ist gesellschaftlich gerade im Hinblick auf Prominente oder Menschen mit regelmäßigem Auftreten in Fernsehsendungen weder ungewöhnlich noch sozial geächtet, sich kosmetischen Eingriffen zu unterziehen. Selbst wenn der Angeschuldigte zu 1. sich darüber lustig gemacht hätte, ist eine ehrverletzende Auslegung dieses Begriffes durchaus nicht zwingend, sondern kann auch einen — zwar distanzlosen — aber hinsichtlich der persönlichen Ehre wertneutralen Charakter haben.

Des weiteren ist die Äußerung „Botoxfresse“ verlinkt mit dem Hashtag #machdichnichtübermoscheenlustig und knüpft insoweit direkt an das Video des Anzeigerstatters über die Moschee in Abu Dhabi an.

Unter Berücksichtigung dieser Verbindung kann die Äußerung „Botoxfresse“ auch ausgelegt werden in dem Sinne wie „eine dicke Lippe riskiert haben / eine große Klappe gehabt haben“, mithin also als Bezeichnung eines als großspurig bewerteten Verhaltens. Auch diese Auslegungsweise stellt als solche keine ehrverletzende Aussage dar.

Zusammengefasst sind aus Sicht des objektiven Adressaten vor dem Hintergrund der Verknüpfung mit dem Hashtag hierbei mehrere Auslegungen möglich, die nicht sämtlich ein herabwürdigendes Werturteil darstellen. Vielmehr steht die Mehrdeutigkeit der Äußerung der Einordnung als Beleidigung entgegen.

Selbst bei einer Auslegung der Äußerung als objektiv beleidigend ist immer noch zu bedenken, dass die Äußerung aufgrund der Verbindung mit dem Hashtag auf eine provozierende Äußerung des Anzeigerstatters Bezug nimmt, die dieser im Nachhinein als (missglückten) Witz darstellte. Insoweit liegt ein Sachbezug im Sinne einer Antwort auf die öffentliche als provozierend empfundene Äußerung des Anzeigeerstatters vor, die letztlich zu der Gegenäußerung führte.

…..“

Beleidigung II: „ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“, oder: Zulässig?

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Und hier dann die zweite Entscheidung des BVerfG zur Beleidigung. Es handelt sich um den von der Kollegin Günther aus München erstrittenen BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20.

Zugrunde liegt der Entscheidung folgender Sachverhalt:

In dem dem Ausgangsverfahren vorangehenden Strafverfahren ist der Beschwerdeführer wegen unrechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosengeld  zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Noch am Tag der Verurteilung verfasste der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner Verurteilung eine Anzeige gegen einen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, den er aufgrund der Angaben in dem dem Verfahren zugrunde leigenden Strafbefehl irrtümlich für den Verfasser der ihn betreffenden Anzeige hielt. Anlass für das Tätigwerden des Beschwerdeführers war insbesondere der fehlerhaft zu kurz angegebene Zeitraum des Leistungsbezugs im Strafbefehlsentwurf und sodann im Strafurteil. Dass er keine 1.356 EUR im Zeitraum vom 12. bis 19. Dezember bezogen habe, hatte der Beschwerdeführer noch einmal in der mündlichen Verhandlung vor dem AG deutlich gemacht. Der vom Beschwerdeführer vereinnahmte Betrag staatlicher Leistungen – 1.356 EUR – war jedoch in der Anzeige des Hauptzollamtes, dem Strafbefehl und dem Strafurteil zutreffend wiedergegeben.

Die Staatsanwaltschaft wollte daher nach einem Abgleich mit der den Beschwerdeführer betreffenden Anzeige des Hauptzollamtes der Anzeige des Beschwerdeführers nicht nachgehen. Wenige Tage nach Erhalt der Einstellungsnachricht wandte sich der Beschwerdeführer betreffend den vorstehenden, zusammengehörenden Lebenssachverhalt aus seinem Betrugsstrafverfahren und der Anzeige gegen den Mitarbeiter der Agentur für Arbeit mit E-Mail vom 22.04.2018 an den „Oberstaatsanwalt Landshut“ und führte unter anderem aus:

„[…, I]ch lege Widerspruch ein gegen die Einstellung des Verfahrens oben genannten Aktenzeichens. Es ist nicht richtig, […] das hier keine ersichtliche Straftat vorliegt. […] Durch die falsche Zeugenaussage der Agentur für Arbeit […] hat dann ihr Mitarbeiter, dessen Name man mir nicht sagen will, daraus eine absurde Anklageschrift verfasst, die ein achtjähriges Kind das die zweite Klasse einer Grundschule erfolgreich abgeschlossen hat, erkennen konnte. Nur ein studierter Jurist hat dies offensichtlich nicht erkannt. Zudem wurde von der Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, sondern sich blind auf die Falschaussage der Agentur für Arbeit verlassen und daraus eine Anklageschrift verfasst. In der Anklageschrift sind gravierende Mängel, keine Beweise wurden gesichert. So wusste die Agentur für Arbeit durch ein Schreiben von mir, das ich ab 15.12.2016 einer Beschäftigung nachgehe. […] Schwere Ermittlungsfehler und ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann. Auf Grund des Strafbefehls hätte ich gar nicht erst verurteilt werden dürfen, […].“

Wegen dieser Äußerung wird der Beschwerdeführer dann schließlich wegen Beleidigung des dem Beschwerdeführer namentlich unbekannten, damals zuständigen Staatsanwalts zu einer Geldstrafe verurteilt. Es wird gegen den Revisionsbeschluss des BayObLG und das zugrunde liegen LG Landshut-Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt, die dann Erfolg hat. Das BVerfG hat die Entscheidungen aufgehoben:

„…. b) Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung greift in seine Meinungsfreiheit ein.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälern-den Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Der Beschwerdeführer positioniert sich vorliegend mit seiner E-Mail zur Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und zur Amtsführung des — ihm persönlich und namentlich nicht bekannten — zuständigen Staatsanwalts, tatsächlich einer Staatsanwältin. Dies gilt sowohl für die Aussage, der zuständige Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft habe aufgrund der fehlerhaften Angaben der Agentur für Arbeit eine absurde und mängelbehaftete Anklageschrift verfasst, ein Grundschulkind hätte dies erkennen können, als auch für seine Annahme, aufgrund schwerer Ermittlungsfehler und eines aus seiner Sicht „selten dämlichen Staatsanwalts, der nicht lesen und schreiben könne“, sei es zu seiner Verurteilung gekommen. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallenden Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.

c) Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

aa) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen……

…..

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben genügen die angegriffenen Entscheidungen im Ergebnis nicht.

(1) Zwar liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keine verfassungsrechtlich fehlerhafte Ermittlung des Aussagegehaltes vor. Die Äußerung hat, wie die Fachgerichte im Rahmen ihres Wertungsspielraums zutreffend annehmen, in ihrer konkreten Fassung ehrverletzenden Charakter.

(2) Anders als der Beschwerdeführer meint, stellen die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen auch kein Zweckerfordernis für die Äußerung eines Werturteils auf. Sie setzen sich im Rahmen der Abwägung mit der Frage auseinander, ob sich der Beschwerdeführer seine Äußerung betreffend auf den Aspekt des „Kampfs ums Recht“ stützen kann, nachdem er durch das Eintretenlassen der Rechtskraft seine Verurteilung zunächst akzeptiert hat. Soweit das Landgericht — ebenso wie das Bayerische Oberste Landesgericht — jedoch annimmt, die Äußerung des Beschwerdeführers sei nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten erfolgt, greift dies tatsächlich und rechtlich zu kurz. Das streitgegenständliche Schr:eiben des Beschwerdeführers nimmt zum einen ausdrücklich auf das vorangegangene Ermittlungsverfahren wegen Betrugs Bezug, das sich aus der vom Beschwerdeführer am Tag seiner Verurteilung erfolgten Anzeige gegen den Mitarbeiter der Agentur für Arbeit sowie der Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft, die den Anlass für seine verfahrensgegenständlichen Äußerungen bildet, als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt. Es muss dem Beschwerdeführer daher im Grundsatz möglich sein, in diesem Gesamtkontext vermeintlich bestehende Mängel der Ermittlungsarbeit sowie der Verfahrensführung seitens der Staatsanwaltschaft ihrer Dienstaufsicht gegenüber anzubringen.

(3) Verfassungsrechtlich unzureichend berücksichtigt das Landgericht zum anderen den Gesichtspunkt der Machtkritik. Er steht in keinem starren Abhängigkeitsverhältnis zum „Kampf ums Recht“. Selbst wenn — wie nicht — der Aspekt des „Kampfs ums Recht“ nicht vorläge, so bliebe eine kritische Äußerung des Beschwerdeführers doch unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik zulässig. Denn die Meinungsfreiheit enthält das Recht der Bürger, die von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, Rn. 38). In der Abwägung ist daher zu berücksichtigen, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 – 1 BvR 2126/93 -, Rn. 31; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 1094/19 -, Rn. 23). Angesichts des Kontextes der Äußerung ist es fernliegend, dass der Beschwerdeführer den zuständigen, ihm weder namentlich noch persönlich bekannten Staatsanwalt in seiner Person und nicht ausschließlich dessen Amtsführung, konkret in Form der Führung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens, angreifen wollte. Der Beschwerdeführer wusste nicht einmal, dass seine Akte nicht von einem Staatsanwalt, sondern einer Staatsanwältin bearbeitet worden war. Sowohl das Landgericht als auch das Bayerische Oberste Landesgericht unterlaufen daher den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Meinungsschutz in verfassungsrechtlich erheblicher Weise, wenn sie die Äußerung des Beschwerdeführers in seinem Schreiben an den Dienstvorgesetzten vom Kontext ihrer offensichtlichen Machtkritik entkleidet als persönlichen Angriff auf den zuständigen Staatsanwalt ansehen. Dass der Beschwerdeführer in seinem Schreiben sowohl „die Staatsanwaltschaft“ als auch „den Staatsanwalt“ kritisiert, ändert nichts an diesem Befund. Dem Beschwerdeführer ist es unter Berücksichtigung des Kampfes ums Recht und der Machtkritik gestattet, den konkreten Amtsträger, dessen Strafverfolgungsgewalt er unterworfen ist oder war, in anklagender und personalisierter Weise für sein dienstliches Verhalten zu kritisieren, ohne dass der Äußerung grundsätzlich eine unmittelbar in die Privatsphäre reichende Bedeutung zugewiesen werden dürfte.

(4) Abwägungsrelevant ist weiter, dass die konkrete Verbreitung und Wirkung 34 der Äußerung überschaubar war. Sie fiel einmalig und dies in einem Schreiben an den Dienstvorgesetzten. Der Kreis der Personen, die von der Äußerung in dienstlichem, also nichtöffentlichem Zusammenhang Kenntnis genommen haben, ist als überschaubar anzusehen.

Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung die betroffene Person über ihrer Amtsführung hinaus in ihrer persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herab-würdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte.“