Beleidigung II: „ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“, oder: Zulässig?

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Und hier dann die zweite Entscheidung des BVerfG zur Beleidigung. Es handelt sich um den von der Kollegin Günther aus München erstrittenen BVerfG, Beschl. v. 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20.

Zugrunde liegt der Entscheidung folgender Sachverhalt:

In dem dem Ausgangsverfahren vorangehenden Strafverfahren ist der Beschwerdeführer wegen unrechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosengeld  zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Noch am Tag der Verurteilung verfasste der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner Verurteilung eine Anzeige gegen einen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, den er aufgrund der Angaben in dem dem Verfahren zugrunde leigenden Strafbefehl irrtümlich für den Verfasser der ihn betreffenden Anzeige hielt. Anlass für das Tätigwerden des Beschwerdeführers war insbesondere der fehlerhaft zu kurz angegebene Zeitraum des Leistungsbezugs im Strafbefehlsentwurf und sodann im Strafurteil. Dass er keine 1.356 EUR im Zeitraum vom 12. bis 19. Dezember bezogen habe, hatte der Beschwerdeführer noch einmal in der mündlichen Verhandlung vor dem AG deutlich gemacht. Der vom Beschwerdeführer vereinnahmte Betrag staatlicher Leistungen – 1.356 EUR – war jedoch in der Anzeige des Hauptzollamtes, dem Strafbefehl und dem Strafurteil zutreffend wiedergegeben.

Die Staatsanwaltschaft wollte daher nach einem Abgleich mit der den Beschwerdeführer betreffenden Anzeige des Hauptzollamtes der Anzeige des Beschwerdeführers nicht nachgehen. Wenige Tage nach Erhalt der Einstellungsnachricht wandte sich der Beschwerdeführer betreffend den vorstehenden, zusammengehörenden Lebenssachverhalt aus seinem Betrugsstrafverfahren und der Anzeige gegen den Mitarbeiter der Agentur für Arbeit mit E-Mail vom 22.04.2018 an den „Oberstaatsanwalt Landshut“ und führte unter anderem aus:

„[…, I]ch lege Widerspruch ein gegen die Einstellung des Verfahrens oben genannten Aktenzeichens. Es ist nicht richtig, […] das hier keine ersichtliche Straftat vorliegt. […] Durch die falsche Zeugenaussage der Agentur für Arbeit […] hat dann ihr Mitarbeiter, dessen Name man mir nicht sagen will, daraus eine absurde Anklageschrift verfasst, die ein achtjähriges Kind das die zweite Klasse einer Grundschule erfolgreich abgeschlossen hat, erkennen konnte. Nur ein studierter Jurist hat dies offensichtlich nicht erkannt. Zudem wurde von der Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, sondern sich blind auf die Falschaussage der Agentur für Arbeit verlassen und daraus eine Anklageschrift verfasst. In der Anklageschrift sind gravierende Mängel, keine Beweise wurden gesichert. So wusste die Agentur für Arbeit durch ein Schreiben von mir, das ich ab 15.12.2016 einer Beschäftigung nachgehe. […] Schwere Ermittlungsfehler und ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann. Auf Grund des Strafbefehls hätte ich gar nicht erst verurteilt werden dürfen, […].“

Wegen dieser Äußerung wird der Beschwerdeführer dann schließlich wegen Beleidigung des dem Beschwerdeführer namentlich unbekannten, damals zuständigen Staatsanwalts zu einer Geldstrafe verurteilt. Es wird gegen den Revisionsbeschluss des BayObLG und das zugrunde liegen LG Landshut-Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt, die dann Erfolg hat. Das BVerfG hat die Entscheidungen aufgehoben:

„…. b) Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung greift in seine Meinungsfreiheit ein.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälern-den Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Der Beschwerdeführer positioniert sich vorliegend mit seiner E-Mail zur Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und zur Amtsführung des — ihm persönlich und namentlich nicht bekannten — zuständigen Staatsanwalts, tatsächlich einer Staatsanwältin. Dies gilt sowohl für die Aussage, der zuständige Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft habe aufgrund der fehlerhaften Angaben der Agentur für Arbeit eine absurde und mängelbehaftete Anklageschrift verfasst, ein Grundschulkind hätte dies erkennen können, als auch für seine Annahme, aufgrund schwerer Ermittlungsfehler und eines aus seiner Sicht „selten dämlichen Staatsanwalts, der nicht lesen und schreiben könne“, sei es zu seiner Verurteilung gekommen. Die strafrechtliche Sanktion knüpft an diese in den Schutzbereich fallenden Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.

c) Dieser Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

aa) Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen……

…..

bb) Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben genügen die angegriffenen Entscheidungen im Ergebnis nicht.

(1) Zwar liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keine verfassungsrechtlich fehlerhafte Ermittlung des Aussagegehaltes vor. Die Äußerung hat, wie die Fachgerichte im Rahmen ihres Wertungsspielraums zutreffend annehmen, in ihrer konkreten Fassung ehrverletzenden Charakter.

(2) Anders als der Beschwerdeführer meint, stellen die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen auch kein Zweckerfordernis für die Äußerung eines Werturteils auf. Sie setzen sich im Rahmen der Abwägung mit der Frage auseinander, ob sich der Beschwerdeführer seine Äußerung betreffend auf den Aspekt des „Kampfs ums Recht“ stützen kann, nachdem er durch das Eintretenlassen der Rechtskraft seine Verurteilung zunächst akzeptiert hat. Soweit das Landgericht — ebenso wie das Bayerische Oberste Landesgericht — jedoch annimmt, die Äußerung des Beschwerdeführers sei nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten erfolgt, greift dies tatsächlich und rechtlich zu kurz. Das streitgegenständliche Schr:eiben des Beschwerdeführers nimmt zum einen ausdrücklich auf das vorangegangene Ermittlungsverfahren wegen Betrugs Bezug, das sich aus der vom Beschwerdeführer am Tag seiner Verurteilung erfolgten Anzeige gegen den Mitarbeiter der Agentur für Arbeit sowie der Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft, die den Anlass für seine verfahrensgegenständlichen Äußerungen bildet, als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt. Es muss dem Beschwerdeführer daher im Grundsatz möglich sein, in diesem Gesamtkontext vermeintlich bestehende Mängel der Ermittlungsarbeit sowie der Verfahrensführung seitens der Staatsanwaltschaft ihrer Dienstaufsicht gegenüber anzubringen.

(3) Verfassungsrechtlich unzureichend berücksichtigt das Landgericht zum anderen den Gesichtspunkt der Machtkritik. Er steht in keinem starren Abhängigkeitsverhältnis zum „Kampf ums Recht“. Selbst wenn — wie nicht — der Aspekt des „Kampfs ums Recht“ nicht vorläge, so bliebe eine kritische Äußerung des Beschwerdeführers doch unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik zulässig. Denn die Meinungsfreiheit enthält das Recht der Bürger, die von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, Rn. 38). In der Abwägung ist daher zu berücksichtigen, ob die Privatsphäre des Betroffenen oder sein öffentliches Wirken Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 1999 – 1 BvR 2126/93 -, Rn. 31; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 1094/19 -, Rn. 23). Angesichts des Kontextes der Äußerung ist es fernliegend, dass der Beschwerdeführer den zuständigen, ihm weder namentlich noch persönlich bekannten Staatsanwalt in seiner Person und nicht ausschließlich dessen Amtsführung, konkret in Form der Führung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens, angreifen wollte. Der Beschwerdeführer wusste nicht einmal, dass seine Akte nicht von einem Staatsanwalt, sondern einer Staatsanwältin bearbeitet worden war. Sowohl das Landgericht als auch das Bayerische Oberste Landesgericht unterlaufen daher den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Meinungsschutz in verfassungsrechtlich erheblicher Weise, wenn sie die Äußerung des Beschwerdeführers in seinem Schreiben an den Dienstvorgesetzten vom Kontext ihrer offensichtlichen Machtkritik entkleidet als persönlichen Angriff auf den zuständigen Staatsanwalt ansehen. Dass der Beschwerdeführer in seinem Schreiben sowohl „die Staatsanwaltschaft“ als auch „den Staatsanwalt“ kritisiert, ändert nichts an diesem Befund. Dem Beschwerdeführer ist es unter Berücksichtigung des Kampfes ums Recht und der Machtkritik gestattet, den konkreten Amtsträger, dessen Strafverfolgungsgewalt er unterworfen ist oder war, in anklagender und personalisierter Weise für sein dienstliches Verhalten zu kritisieren, ohne dass der Äußerung grundsätzlich eine unmittelbar in die Privatsphäre reichende Bedeutung zugewiesen werden dürfte.

(4) Abwägungsrelevant ist weiter, dass die konkrete Verbreitung und Wirkung 34 der Äußerung überschaubar war. Sie fiel einmalig und dies in einem Schreiben an den Dienstvorgesetzten. Der Kreis der Personen, die von der Äußerung in dienstlichem, also nichtöffentlichem Zusammenhang Kenntnis genommen haben, ist als überschaubar anzusehen.

Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung die betroffene Person über ihrer Amtsführung hinaus in ihrer persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herab-würdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte.“

2 Gedanken zu „Beleidigung II: „ein selten „dämlicher“ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“, oder: Zulässig?

  1. meine5cent

    Ok, also man hat jetzt zwei Linien, aufgrund derer Richter und Staatsanwälte
    beleidigt werden dürfen:
    – wegen Kampfes ums Recht
    und wenn das nicht hilft
    – wegen Machtkritik (die man natürlich nicht sachlich vorbringen muss)
    Dann kann man das doch eigentlich gleich ins DRiG schreiben, dass Richter und Staatsanwälte in Bezug auf ihre Berufsausübung keinen Ehrenschutz genießen.
    ME sollte auch die Anwaltschaft nicht erfreut sein über diese Entwicklung, denn „Kollegen“, die in ihren Schriftsätzen vom Leder ziehen, was man für ein Betrüger und Verbrecher sei, sind dann im Kampf ums Recht wohl vom Sachlichkeitsgebot entbunden. Und wenn das die RAin Günther ist, die vormals als Inkasso-Expertin tätig war, dann hat sie entsprechende Vorwürfe vermutlich selbst oft genug zu spüren bekommen:
    (der an dieser Stelle zunächst enthaltene Link ist vom Blogbetreiber entfernt worden).

  2. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Was haben jetzt bitte der letzte Satz und der Link mit dem Beschluss zu tun? M.E. nichts, außer ein bisschen Stimmungsmache, warum auch immer. Ich habe daher den Link gelöscht.

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