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OWi III: Zweimal verlegt und dann „erkrankt“, oder: Wenn schon, denn schon, sonst bringt es nichts.

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Bei der dritten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um einen Beschluss aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der „Entbindungs-“ bzw. „Verwerfungsentscheidungen“. Es ist der KG, Beschl. v. 27. 08.2018 – 3 Ws (B) 194/18.

Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Betroffene hatte gegen den gegen ihn erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Das AG Tiergarten hat dann mit Verfügung vom 05.10.2017 einen Termin zur Hauptverhandlung für den 15.01.2018 anberaumt. Ausweislich der Ladungsverfügung war der Termin mit dem Verteidigerbüro abgesprochen. Mit Schriftsatz vom 28.11.2017 hat der Verteidiger eine Terminsverlegung beantragt, da er „aufgrund der Hessischen Winterferien urlaubsbedingt abwesend“ sei und deshalb „einen anderen Terminstag nach dem 19.01.2018“ erbitte. Das Vorbringen wurde anwaltlich versichert.

Das AG hat dem Verlegungsantrag mit Verfügung vom 30.11.2017 entsprochen – ohne dabei offenkundig das anwaltliche Vorbringen näher zu hinterfragen, obwohl es sich bei dem ursprünglich anberaumten Termin tatsächlich um den Montag nach den bis zum 13.01.2018 dauernden hessischen (Schul-) Weihnachtsferien handelte, wie sich als allgemeinkundige Tatsache bspw. über das Internetportal des hessischen Kultusministeriums feststellen lässt. Zugleich hat der Bußgeldrichter neuen Termin zur Hauptverhandlung für den 15.02.2018 bestimmt; ausweislich der Ladungsverfügung war dieser Termin nicht nur mit der Kanzlei, sondern mit dem Verteidiger selbst abgesprochen. Am 08.01.2018 hat der Verteidiger schriftsätzlich eine erneute Terminsverlegung beantragt, die er mit einer Verhinderung „aufgrund eines Seminars (Fortbildung Fachanwaltschaft)“ begründet hat. Eine Terminierung sei, so der Verteidiger weiter, sollte der Verhandlungstag ein Donnerstag sein, „aufgrund anderweitiger Termine in einer Strafangelegenheit mit mehreren Verhandlungstagen erst am 29.03.2018 möglich“.

Mit Verfügung vom 10.01.2018 hat das AG auch dem zweiten Verlegungsantrag entsprochen und in Absprache mit dem Verteidigerbüro nunmehr den 29.03.2018, 13.30 Uhr, als Termin anberaumt. Nach Übermittlung einer Schutzschrift vom 08.03.2018 hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 09. 03.2018 einen nochmaligen Verlegungsantrag gestellt, da er bei Eingang der Ladung übersehen habe, „dass dieser Termin in die hessischen Osterferien fällt und sowohl der Betroffene als auch der Verteidiger sich im Urlaub befinden“.

Das Amtsgericht hat die erneute Terminsverlegung mit Schreiben vom 14.03.2018 abgelehnt und hierzu mitgeteilt: „Dies ist bereits der dritte Termin. Sämtliche Termine wurden mit Ihrer Kanzlei abgesprochen. Jedes Mal haben Sie dann danach um Terminverlegung gebeten. Das Gericht ist diesen Anträgen bereits zweimal nachgekommen. Dieser dritte Termin findet nunmehr statt.“

Mit Telefax vom 28.03.2018, dem AG am gleichen Tag um 13.53 Uhr übermittelt, hat der Verteidiger mitgeteilt, dass der Betroffene, der zum Termin persönlich erscheinen müsse, „plötzlich erkrankt“ sei. Er könne, so der Verteidiger, „auch im Hinblick auf die weite Anreise (ca. 600 km einfache Strecke) daher an dem Termin am 29.03.2018 nicht teilnehmen“. Das Vorbringen wurde anwaltlich versichert. Eine telefonische Erreichbarkeit der zuständigen Geschäftsstelle war zu diesem Zeitpunkt – wie der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren vorträgt – nicht gegeben.

Zum Hauptverhandlungstermin am 29.03.2018 sind weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen. Das Amtsgericht hat den Einspruch hierauf mit der formelhaften Begründung verworfen, dass der Betroffene im Termin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei, ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden gewesen zu sein.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte. Das KG beanstandet zwar eine nur formelhafte Begründung des Verwerfungsurteils, darauf beruhe die angefochtene Entscheidung jedoch nicht:

„bb) Das Urteil des Amtsgerichts beruht indes nicht auf dem dargestellten Rechtsfehler (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 337 Abs. 1 StPO), denn das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen war von vornherein nicht geeignet, sein Ausbleiben im anberaumten Termin genügend zu entschuldigen (vgl. KG aaO; OLG Oldenburg aaO; OLG Bamberg aaO; OLG Karlsruhe aaO; OLG Hamm aaO; OLG Köln aaO).

(1) Die Entschuldigung eines Ausbleibens im Termin ist dann als genügend anzusehen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen. Hiernach stellt die Erkrankung eines Betroffenen (nur) dann einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 18. Januar 2018 – 3 Ws (B) 5/18 – mwN; OLG Köln DAR 1987, 267; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331). Der zwingenden Verhandlungsunfähigkeit bedarf es insoweit nicht (vgl. Senat NZV 2002, 421).

Eine Pflicht zur Glaubhaftmachung des behaupteten Entschuldigungsgrundes oder gar zu einem lückenlosen Nachweis trifft den Betroffenen nicht (std. Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 18. Januar 2018 – 3 Ws (B) 5/18 – ; VRS 108, 110 [zu § 329 Abs. 1 StPO] sowie NZV 2002, 421). Daher kann insbesondere aus der mangelnden Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung – oder deren inhaltlicher Unzulänglichkeit – nicht geschlossen werden, dass eine geltend gemachte Erkrankung nicht der Wahrheit entspreche und der Betroffene deshalb nicht genügend entschuldigt sei. Bestehen Zweifel, ob er genügend entschuldigt ist und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf sein Einspruch nicht verworfen werden.

Die gerichtliche Nachforschungspflicht setzt indes erst dann ein, wenn überhaupt ein schlüssiger Sachvortrag vorliegt, der die Unzumutbarkeit des Erscheinens indizierende Tatsachenbehauptungen enthält. Ein Sachvortrag, der dem Tatgericht die Bewertung einer „Erkrankung“ des Betroffenen als Entschuldigungsgrund ermöglichen soll, erfordert für seine Schlüssigkeit dabei zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes, also eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. BSGE 35, 10; Senat, Beschluss vom 18. Januar 2018 – 3 Ws (B) 5/18 – mwN; OLG Bamberg aaO).

(2) Das ausschließliche Vorbringen des Verteidigers in dessen Schriftsatz vom 28. März 2018, der Betroffene sei „plötzlich erkrankt“, weshalb er „auch im Hinblick auf die weite Anreise“ nicht am anberaumten Termin teilnehmen könne, genügte den dargestellten (Mindest-)Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag nicht. Weder wurden die Art der Erkrankung noch die vorhandene Symptomatik zumindest dem allgemeinem Sprachgebrauch nach bezeichnet, so dass sich Erwägungen zur grundsätzlichen Plausibilität des behaupteten Entschuldigungsgrundes nicht einmal ansatzweise anstellen ließen – wobei der Umstand, dass es sich um ein Vorbringen aus der Sphäre des Betroffenen handelt, einen umfassenderen Sachvortrag ermöglicht, der ihm bzw. seinem Verteidiger auch zuzumuten ist. Eine Nachforschungspflicht des Bußgeldrichters, die näheren Umstände der Verhinderung des Betroffenen allein auf der Grundlage einer derart pauschalen Behauptung durch Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger oder dem Betroffenen persönlich einer Klärung zuzuführen, erkennt der Senat nicht (im Grundsatz ebenso Senat DAR 2011, 146 [aufgrund näherer Darlegung der in Bezug genommenen Erkrankung mit anderem Ergebnis]; Beschluss vom 24. April 2002 – 3 Ws (B) 2/02 mwN; vgl. auch OLG Bamberg aaO); an der vereinzelt gebliebenen Auffassung, allein die Erklärung, der Betroffene sei „akut erkrankt und weder reise- noch verhandlungsfähig“, gebe hierfür Anlass (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 3 Ws (B) 268/11 –), hält er nicht fest. Denn in ihrer Pauschalität lässt eine solche Mitteilung lediglich vermuten, dass der Betroffene meint, aufgrund seines Gesundheitszustandes sei ihm eine Teilnahme an der Hauptverhandlung – vorliegend in Verbindung mit der notwendigen Anreise – nicht zuzumuten, während er die konkreten und sodann überprüfbaren Anhaltspunkte hierfür unerwähnt lässt. Insoweit ist auch keine Vergleichbarkeit des vorliegenden Sachverhalts mit den erfahrungsgemäß häufig vorkommenden Fällen der Vorlage einer unspezifisch formulierten ärztlichen Bescheinigung gegeben, denn in den letztgenannten Fällen ergeben sich hinreichende (wenn auch im Rahmen der gerichtlichen Nachforschungspflicht ggf. zu verifizierende) Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen zwanglos aus dem Umstand, dass ein ausgebildeter Mediziner bei dem vorstellig gewordenen Patienten auf das Vorliegen eines krankheitswertigen Zustandes erkannt hat.

(3) Der Betroffene hatte auch keinen Grund zu der Annahme, dass dem Terminsverlegungsantrag seines Verteidigers ohne ein geeignetes Entschuldigungsvorbringen entsprochen werden könnte. Zwar wird einem solchen Gesuch in der Regel nachzukommen sein, wenn ein Betroffener bzw. sein Verteidiger rechtzeitig – und mit nachvollziehbarer Begründung – erstmals einen Antrag auf Verlegung eines Hauptverhandlungstermins stellen (vgl. OLG Karlsruhe aaO; BayObLG MDR 1996, 955); eine derartige Fallkonstellation war vorliegend indes nicht gegeben.“

Das Bestreben/Ziel des Verteidigers ist m.E. deutlich zu erkennen. Nur: Wenn man auf Verzögerung aus ist, muss man auch bis zum Ende richtig spielen 🙂 .