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Bitte nicht „ausweislich des Protokolls“, denn das kann für die Verfahrensrüge tödlich sein.

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Urheber Harald Bischoff

So und zum Abschluss des heutigen Tages dann noch einen OLG Hamm-Beschluss, über den ich neulich schon mal in einem anderen Zusammenhang berichtet habe (vgl. Ablehnung wegen Befangenheit; oder: Schnell muss es gehen, auch wenn der Schöffe quatscht). Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 08.06.2017 – 4 RVs 64/17 – den ich jetzt noch einmal wegen der Ausführungen des OLG im Rahmen der Verfahrensrüge vorstelle.

Es ist u.a. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt worden. Die Rüge ist/war nach Auffassung des OLG unzulässig:

„b) Soweit mit Schriftsatz vom 18.04.2017 eine Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird, entspricht diese Rüge nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen Verfahrensrügen in bestimmter Form erhoben und durch Angabe der den vorgeblichen Mangel enthaltenden Tatsachen begründet werden. Zwar kann eine Formulierung wie beispielsweise „ausweislich des Protokolls“ im Revisionsvorbringen auch nur als ein Hinweis auf das geeignete Beweismittel zu verstehen sein, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptung selbst in Frage gestellt wird (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 13.07. 2011 – 4 StR 181/11 – juris). So verhält es sich hier aber gerade nicht. Während der Verfahrensablauf in der Rügebegründung bis zur Verlesung der Stellungnahme des abgelehnten Schöffen ohne Zusätze geschildert und damit zweifelsohne bestimmt behauptet wird, wird das Folgegeschehen, nämlich dass lediglich die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hätten, der Angeklagte hingegen nicht, mehrfach mit dem Zusatz „ausweislich des Sitzungsprotokolls“ versehen. Diese Differenzierung in der Formulierung lässt durchgreifende Zweifel aufkommen, dass das letztgenannte Geschehen bestimmt behauptet werden soll. Hinzu kommt, dass – was für eine Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erforderlich wäre – die Revision nicht mitteilt, was der Angeklagte selbst im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgebracht hätte (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.12.2016 – 4 RBs 291/15 – juris m.w.N.).“

Also: Bitte nicht „ausweislich des Protokolls“. Das kann für die Verfahrensrüge tödlich sein.

Traurig, oder: „Kleines 1 x 1“ des Wiedereinsetzungsrechts

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Da ist mal wieder so eine Wiedereinsetzungssache, die zeigt: Obwohl es im Grunde genommen ganz einfach ist – zumindestz sein sollte – manche Verteidiger bekommen es dann aber doch wohl nicht auf die Reihe. So jedenfalls in dem Verfahren, das mit dem BGH, Beschl. v. 13.06.2017 – 3 StR 202/17 geendet hat.

Die Revision des Angeklagten war vom LG mit der Begründung als unzulässig verworfen, die Revisionsanträge seien nicht in der durch § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form fristgemäß angebracht worden. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit beim LG eingegangenem eigenhändigen Schreiben „Beschwerde“ eingelegt. Mit „für Rechtsanwältin M. “ unterzeichnetem Anwaltsschriftsatz  ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision beantragt und zugleich mitgeteilt worden, eine Begründung des Antrags werde „kurzfristig nachgeholt“; weiter ist angegeben, es werde „beantragt werden, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben“, und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.

Hilft alles nicht, denn:

„Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist bereits deshalb unzulässig, weil es entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO an jeglichem Vortrag zum Grund der Fristversäumnis fehlt. Außerdem ist entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO die versäumte Prozesshandlung nicht (innerhalb der Antragsfrist) rechtswirksam nachgeholt worden, denn die Revision ist nicht formgerecht im Sinne des § 345 Abs. 2 StPO begründet worden. Der Anwaltsschriftsatz vom 24. März 2017 ist nicht von der Pflichtverteidigerin des Beschuldigten, Rechtsanwältin M. , sondern ‚für Rechtsanwältin M.‘ unterzeichnet. Der Pflichtverteidiger kann seine Befugnisse indes nicht wirksam übertragen; Anhaltspunkte dafür, dass der Unterzeichner des Schriftsatzes als allgemeiner Vertreter der Pflicht-verteidigerin gemäß § 53 Abs. 2 BRAO tätig geworden ist, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 554/16 mwN).

Die ‚Beschwerde‘ gegen den Beschluss des Landgerichts vom 15. März 2017 ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisions-gerichts gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Der Antrag ist zu-lässig, aber unbegründet, da die Revision nicht in einer den Anforderungen gemäß § 345 StPO genügenden Weise begründet worden ist.“

M.E. „Kleines 1 x 1“ des Wiedereinsetzungsrechts. Traurig, wenn es schon daran hapert.

Nachträgliche Reparatur der Strafzumessung geht nicht, oder: „Unbehelflich“

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Und zum Abschluss der kleinen Reihe von ein wenig kuriosen BGH, Entscheidungen bzw. zugrunde liegenden „Fällen“ dann noch das BGH, Urt. v. 10.05.2017 – 2 StR 427/16. Es geht um eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Dabei hatte das LG bei den abgeurteilten Fällen aus dem Zeitraum 1996 bis zum 31. März 1998 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 1, 3 StGB aF verhängt. Das war aber die falsche Rechtsnorm. Das hat die Strafkammer dann auch bei Abfassung der Urteils erkannt und hat das zur Tatzeit geltende Recht bei der Strafzumessung angeführt. Geht nicht, oder wie der BGH sagt: „Unbehelflich“.

„1. Die Verurteilung in den Fällen II. 5-9 ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht eine falsche Rechtsnorm angewandt hat. Der Qualifikationstatbe-stand des § 176a StGB ist – was das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe im Nachhinein selbst erkannt hat – erst aufgrund des 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, S. 164) mit Wirkung zum 1. April 1998 in Kraft getreten. Die Missbrauchshandlungen in den Fällen II. 5-9 sind demnach als „einfacher“ se-xueller Missbrauch abzuurteilen. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.

2. Die Schuldspruchänderung bedingt auch – zu Gunsten des Angeklag-ten – die Aufhebung der in den Fällen II. 5-9 verhängten Einzelfreiheitsstrafen. § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB sah für minder schwere Fälle Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung bis zum 31. März 2004 hingegen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Da sich die Strafkammer bei den verhängten Strafen jeweils an der Untergrenze des zur Verfügung stehenden Strafrahmens orientiert hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Anwendung des milderen Rechts in den Fällen II. 5-9 auch zu niedrigeren Einzelfreiheitsstrafen geführt hätte; dies gilt auch gerade vor dem Hintergrund, dass das Landgericht für die von der Begehungsweise identischen Taten in den Fällen II. 3 sowie 10-21 unter Anwendung des ver-schärften Rechts Einzelfreiheitsstrafen von ebenfalls einem Jahr verhängt hat.

Soweit die Strafkammer, die ihren Fehler noch vor Abfassung des Urteils erkannt hat, ihren – schriftlichen – Strafzumessungserwägungen nunmehr den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 2. Halbsatz StGB aF zugrunde legt, ist dies unbehelflich. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen die Gründe des Gerichts dokumentieren, die in der Bewertung unter Beteiligung der Schöffen gewonnen worden sind. Sie dienen dazu, dem Revisionsgericht die Nachprüfung der ge-troffenen Entscheidung zu ermöglichen. Deshalb ist es unzulässig, zur Absicherung der Entscheidung andere Gründe einzufügen, wie etwa bei Abfassung des Urteils gewonnene neue Erkenntnisse.“

Im übertragenen Sinn: „Wer schreibt, der bleibt“….

Strafzumessung I: Die „einbezogene Jugendstrafe“, oder: So passt es nicht

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Jeder Verteidiger, der im Jugendrecht tätig ist, weiß – oder sollte wissen -, dass es nach dem JGG anders als im Erwachsenenrecht keine Gesamtfreiheitsstrafe gibt, sondern nur eine Einheitsjugendstrafe (§ 31 Abs. 2 JGG). Was bei deren Bildung zu beachten und vor allem wie diese Strafe zu begründen ist, zeigt noch einmal der BGH, Beschl. v. 16.11.2016 – 2 StR 316/16. Da hatte die Jugendkammer den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes unter Einbeziehung „der Strafe“ aus einer anderen Verurteilung wegen desselben Tatvorwurfs zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das hat beim BGH „nicht gehalten“:

„Auch der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten M. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Jugendkammer die Verhängung einer Jugendstrafe gegen den Angeklagten für erforderlich erachtet hat. Sowohl schädliche Neigungen wie auch die Schwere der Schuld hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Hingegen begegnen die Ausführungen zur Höhe der Einheitsjugendstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Jugendkammer hat diese – wie sich dem Tenor der angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt – „unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 14. Januar 2016 (35 Ls 20/15 jug.)“ gebildet. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Bei Anwendung von § 31 Abs.2 JGG wird nicht lediglich die Strafe, sondern das Urteil in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen. Dabei hat der Tatrichter eine neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten vorzunehmen (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 4, 5). Ist – wie hier – in der einzubeziehenden Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung einbezogen worden, sind sämtliche Entscheidungen unter Neubewertung zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 7). Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat zwar im Rahmen der konkreten Strafbemessung berücksichtigt, dass der Angeklagte erheblich vorbestraft ist und unter laufender Bewährung stand. Es hat auch einleitend – ohne nähere Erläuterung, und im Widerspruch zur Tenorierung – das „Urteil“ des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 14. Januar 2016 einbezogen. Gleichwohl lassen die Ausführungen der Jugendkammer besorgen, dass sie sich der Notwendigkeit, eine neue, selbständige Bewertung aller früher und jetzt abgeurteilten Taten vornehmen zu müssen, nicht bewusst war. Die Strafzumessungserwägungen beziehen sich lediglich auf die jetzt neu abzuurteilende Tat. Eine Auseinandersetzung mit den früheren Entscheidungen und ihrer Bedeutung für den Erziehungsbedarf lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die „Einbeziehung“ des Urteils des Amtsgerichts Stralsund vom 14. Januar 2016 erfolgt lediglich formelhaft und erfasst zudem – obwohl geboten – auch nicht die in die genannte Entscheidung einbezogene frühere Verurteilung des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 26. August 2014.“

Mal wieder die Nebenklägerrevision, oder: der Orthopäde zieht ja auch keine Zähne

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Manche Fragen beschäftigen die Revisionsgerichte immer wieder und als Leser der Entscheidungen kann man, wenn man dann wieder auf einen solchen Beschluss stößt, nur sagen: Das kann doch nicht wahr sein, schon wieder. So geht es mir u.a. mit der Problematik der Begründung der Revision des Nebenklägers. Das ist eine Frage, zu der es – ich habe nicht nachgezählt – sicherlich Postings von mir im zweistelligen Bereich gibt. Und dann heute nochmals ein, wobei ich nicht wusste: Soll ich „Grundkurs“ schreiben oder doch (besser) „klassischer Verteidigerfehler“. Ich habe mich für das Letztere entschieden, denn „Grundkurs“ bedeutet ja, dass man an einem solchen teilgenommen hat und das, was dort vorgetragen worden ist, auch (endlich) umsetzt. Das ist aber, wie der

BGH, Beschl. v. 06.12.2015 – 2 StR 425/16 – beweist, leider nicht der Fall, was man dem BGH, Beschluss ohne weiteres entnehmen kann:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision der Nebenklägerin, die sie mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Das Rechtsmittel erweist sich als unzulässig (§ 349 Abs. 1, § 400 Abs. 1 StPO).

Nach § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Ist der Angeklagte – wie hier – wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilt worden, dann bedarf die Revision des Ne-benklägers eines genauen Antrages oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich des Nebenklagedelikts verfolgt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. August 2016 – 2 StR 454/15, NStZ-RR 2016, 351). Diese Voraussetzungen hat die Nebenklägerin hier nicht erfüllt. Vielmehr weist der Nebenklägervertreter ausdrücklich darauf hin, dass die Tat „eindeutig als Totschlag zu qualifizieren“ sei. Aus der Begründung des Rechtsmittels ergibt sich, dass allein die Anwendung des § 213 StGB gerügt wird. Die Revision der Nebenklägerin betrifft daher ausschließlich die Strafrahmenwahl, also die Rechtsfolge der Tat. Damit wird kein zulässiges Re-visionsziel durch die Nebenklage angestrebt, so dass die Revision als unzulässig zu verwerfen ist (vgl. auch Senat, Beschluss vom 21. April 1999 – 2 StR 64/99, bei Kusch NStZ-RR 2000, 33, 40 Nr. 27).“

Man fragt sich: Wie komm so etwas? M.E. liegt einer der Gründe darin, dass sich im Strafverfahren leider dann doch noch immer Kollegen tummeln, die meinen: „Ach, das bisschen Strafrecht mache ich doch mal eben so nebenbei.“ Liebe Kollegen: Das mit dem „mal eben so nebenbei“, sollte man sich gut überlegen, egal, ob man Verteidiger oder als Nebenklägervertreter am Verfahren teilnimmt. Nur wer es kann, sollte es dann auch tun. Wenn man es nicht kann, sollte man die Finger davon lassen, vor allem, wenn man die Nebenklage in einem Verfahren wegen Totschlags vertritt. Der Orthopäde zieht ja auch keine Zähne..