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Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – das Pendel schlägt zugunsten des Verteidigers aus.

Ich habe ja schon mehrfach über die mit der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, insbesondere  in die Bedienungsanleitung, zusammenhängenden Fragen berichtet. In der Tat ein „Dauerbrenner“. Dennoch hier dann zwei weitere Entscheidungen von AG. M.E. schlägt das Pendel inzwischen wirklich zu Gunsten des Verteidigers aus. Man kann in der Frage schon von einer h.M. sprechen.

Die erste Entscheidung: AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011- 312 OWi 306/11 [b]

Im Bußgeldverfahren ist dem Verteidiger in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie der Anleitung zu gewähren.

Die zweite Entscheidung: AG Heidelberg, Beschl. v. 31.10.2011 – 3 OW1 510 Js 22198/11

Der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung eines Messgerätes an den Verteidiger steht das Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung nicht entgegen (Anschluss an LG Ellwangen VRR 2011, 117; AG Ellwangen NZV 2011, 362). Der Verteidiger darf die überlassenen Unterlagen allerdings nur für das jeweilige Verfahren verwenden und insbesondere nicht anderweitig veröffentlicht werden dürfen.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann die Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts nicht versagt werden. Zum einen kommt es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrechts als Konkretisierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde an, zum anderen dürfte die Bedienungsanleitung als PDF-Datei vorliegen und deshalb problemlos übersandt werden können.

 Und zur Abschreckung :-): AG Heilbronn, Beschl. v. 19.09.2011 – 21 OWi 2102/11

Der Verteidiger hat keinen Anspruch auf Beiziehung der sich nicht bei den Akten befindlichen Bedienungsanleitung zu einem Messgerät. Hinsichtlich der Bedienungsanleitung wird nämlich in der Hauptverhandlung der Messbeamte als Zeuge über die Bedienung Auskunft geben und ausführlich befragt werden können.

 

Nachschlag: Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung

Ich freue mich immer, wenn ich im Nachgang zu Beiträgen, die ich hier gepostet habe, von Lesern Entscheidungen übersandt bekomme. So habe ich dann auch gestern im Nachgang zu dem Beitrag zur Akteneinsicht (vgl. hier) von einem Kollegen den AG Karlsruhe, Beschl. v. 22.09.2011 – 1 OWi 127/11 – erhalten, der sich auch noch einmal mit den Fragen der Akteneinsicht auseinandersetzt. Und zwar schulbuchmäßig (jedenfalls aus meiner Sicht. Denn das AG sagt:

  • Der Verteidiger hat ein Recht auf Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung.
  • Diese ist ihm ggf. durch Übersendung einer Kopie zu gewähren.
  • Ein Urheberrecht steht nicht entgegen.

Und zum Beleg verweist das AG auf von uns im VRR veröffentlichte Entscheidungen und mein Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl. Das tut dann besonders gut.

Bedienungsanleitung – Lebensakte – Akteneinsicht – 1 : 1

Der Dauerbrenner „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“ (vgl. dazu auch meinen Beitrag in VRR 2011, 250) beschäftigt die (Amts)Gerichte immer wieder und immer noch. Zu der Problematik habe ich von Kollegen jetzt zwei Entscheidungen  übersandt bekommen, die für die Kollegen in Niedersachsen – es ging jeweils um den Landkreis Rotenburg (Wümme) interessant sein dürften

  • AG Bremervörde, Beschl. v. 06.09.2011- 11 OWi 91/11:, das sich dem LG Ellwangen angeschlossen hat und sagt: Kann dem Verteidiger wegen der weiten Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Ort der Aufbewahrung der Akten eine Reise an den Aufbewahrungsort nicht zugemutet werden, ist Akteneinsicht im Wege der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu gewähren.
  • AG Rotenburg (Wümme), Beschl. v. 13.09.2011 -7a OWi 228 Js 15848/11 (67/11), das sich zur Lebensakte äußert und sagt: Im Bußgeldverfahren besteht kein Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in die sog. Lebensakte.“ Dies ist mal wieder so ein Beschluss, der keine eigene Begründung enthält, sondern nur auf „Göhler“ verweist. Für manchen scheint das,w as dort steht, Gesetz zu sein.

Beiziehung der Lebensakte – gibt es ein Rechtsmittel?

Wir haben in der letzten Zeit ja schon mehrfach über den Dauerbrenner: Akteneinsicht, insbesondere deren Umfang, im Bußgeldverfahren berichtet.

In dem Zusammenhang tut sich jetzt offenbar eine neue Streitfrage auf: Nämlich die Frage nach dem Rechtsmittel. Dazu nimmt jetzt das LG Lüneburg, Beschl. v. 19.07.2011 – 26 Qs 190/11 Stellung, das eine Entscheidung des AG Lüneburg v. 19.06.2011 bestätigt. Dort hatte der Verteidiger einen Antrag auf Beiziehung der Lebensakte (Wartungs-/Reparatur-/Eichschein) gestellt, den das AG abgelehnt hat. Dagegen wird „gemäß der §§ 62 Abs. 2 S. 2, 3 OWiG, 306 Abs. 1 StPO“ Beschwerde eingelegt.

Das LG Lüneburg hat die Beschwerde als unzulässig angesehen und das mit einem Hinweis auf § 305 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG begründet. Es handele sich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung. Der Verteidiger erstrebe, dass im gerichtlichen Bußgeldverfahren die sogenannte „Lebensakte“  beigezogen werde. Dies solle  – vorbereitend – der Aufklärung des Sachverhalts dienen, der letztlich vom Gericht aufgrund durchzuführender Hauptverhandlung festzustellen sein werde. Das ist für das LG eine Anregung zur Beweisermittlung und die Ablehnung unterliege nicht dem Rechtsmittel der Beschwerde.

Leider setzt sich das LG nicht mit der Entscheidung des LG Ellwangen, über die wir hier auch vor einiger Zeit berichtet haben, auseinander. Das hatte die Frage – m.E. zu Recht – anders gesehen und die dort vom Verteidiger in einem vergleichbaren Fall eingelegte Beschwerde als zulässig angesehen.

In der Sache kann man dem Verteidiger in den Fällen nur empfehlen – unabhängig von der Frage des Rechtsmittels – seinen Antrag in der HV zu wiederholen, um so die Rechtsbeschwerde vorzubereiten (vgl. dazu hier).

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: Lange Reise ist zumutbar

Einmal mehr eine Entscheidung zum Umfang und zur Art und Weise der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Allerdings dieses Mal mit einer neuen Variante. Das AG Lüneburg, Beschl. v. 29.06.2011 – 34 OWi 1204 Js 13143/11 (547111) nimmt nämlich eine Güterabwägung vor zwischen den Interessen des Verteidigers und den Belangen der Öffentlichkeit.Im Beschluss heißt es:

Das Gericht hat bei der Güterabwägung berücksichtigt, dass es für nicht ortsansässige Verteidiger ein erheblicher Aufwand ist, Einsicht in die Bedienungsanleitung möglicherweise in einer weit entfernten Stadt zu nehmen. Zu berücksichtigen ist aber auch das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Arbeit der Bußgeldbehörde. Diese würde durch ein Recht des Betroffenen auf Übersendung von Kopien gerade in Hinblick auf die Vielzahl der Bußgeldverfahren erheblich beeinträchtigt.“

Der Beschluss kommt also zu dem Ergebnis: Lange Reise ist zumutbar, Übersendung von Kopien (!) nicht. M.E kann und muss man das angesichts der Interessen des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) anders sehen.