Schlagwort-Archive: Anfangsverdacht

StPO III: Das Erstellen eines sog. „Gaffer-Videos“, oder: Anfangsverdacht für eine Durchsuchung?

Bild von Marlon Romanelli auf Pixabay

Die dritte Entscheidung, die ich vorstelle, ist dann der LG Bonn, Beschl. v. 13.07.2021 – 50 Qs-410 Js 78/21-18/21. Er behandelt u.a. die Frage nach dem Anfangsverdacht für die Anordnung einer Durchsuchung, und zwar in einem „Gaffer-Video-Fall“. Zugrunde lag folgender Sachverhalt:

„Unter dem 22.03.2021 hat das Amtsgericht Bonn einen Durchsuchungsbeschluss in einem gegen den Beschwerdeführer geführten Ermittlungsverfahren erlassen, in dem u.a. die Durchsuchung seiner Wohnräume und sonstiger Räume zum Zwecke der Auffindung von Mobilfunktelefonen mit Videofunktion, Kameras und Computer als Tatwerkzeuge sowie eines X-Videos angeordnet wurde. Zur Begründung hat das Amtsgericht Bonn ausgeführt, dass der Beschuldigte im Verdacht stehe, auf einem von ihm betriebenen X-Kanal eine am pp.2021 gefertigte achtminütige Aufnahme eines schweren Verkehrsunfalls auf der B pp. in P veröffentlicht zu haben, in welchem über eine Sequenz von zwei Minuten die Bergung des schwer verletzten und im PKW eingeklemmten Geschädigten K durch mehrere Einsatzkräfte der Feuerwehr gezeigt werde. Hierbei sei das Gesicht des Geschädigten zwar verpixelt worden, dessen Identifizierung gleichwohl möglich. Den Wunsch der Schwester des Geschädigten nach Löschung des Videos habe der Beschwerdeführer mit Hinweis auf die Pressefreiheit abgelehnt. Hierdurch sei er – so das Amtsgericht Bonn in seiner Begründung – einer Strafbarkeit nach § 201 a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 StGB hinreichend verdächtig. Auf § 201 a Abs. 4 StGB könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen, so das Amtsgericht Bonn weiter, da es sich bei dem Video mangels journalistischredaktionellen Inhalt nicht um Presseberichterstattung handele, sondern das Video lediglich der Meinungsäußerungsfreiheit zuzuordnen sei. Die Staatsanwaltschaft habe zudem das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. pp. ff. d.A., verwiesen.“

Mit seiner Beschwerde hat sich der Beschuldigte darauf berufen, „es habe sich um eine Berichterstattung über „Vorgänge des Zeitgeschehens“ gehandelt, so sei über den Unfall bspw. auch in der Lokalpresse berichtet worden, was dessen Presserelevanz verdeutliche. Deswegen könne er sich auf § 201 a Abs. 4 StGB berufen. Darüber hinaus sei § 201 a StGB eng auszulegen, so dass der Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers in jedem Falle unverhältnismäßig gewesen sei.2

Das hat das LG anders gesehen:

„Die zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht Bonn die Durchsuchung der Wohnung und der sonstigen Räume des Beschwerdeführers angeordnet, §§ 102, 105 StPO.

Gemäß § 102 StPO kann bei dem als Täter oder Teilnehmer einer Straftat Verdächtigen eine Durchsuchung dann angeordnet werden, wenn das Auffinden von Beweismitteln zu vermuten ist. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt daher der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG NJW 2007, 1443; 2007, 2749, 2751 m. w. N.; BGH NJW 2000, 84, 85).

Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben liegt ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gemäß § 201 a StGB vor. Gemäß § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Die Hilflosigkeit muss durch die Abbildung zur Schau gestellt werden. Erforderlich ist, dass die Hilflosigkeit der Aufnahme selbst zu entnehmen ist. Daran fehlt es, wenn die Gefahrensituation für das Opfer selbst auf der Aufnahme nicht zu erkennen ist (BGH NStZ 2017, 408, Cornelius NJW 2017, 1893). Zudem muss die Hilflosigkeit objektiv in den Fokus gerückt und nicht lediglich völlig „untergeordnetes Beiwerk“ der Aufnahme sein. Darüber hinaus ist die Bestimmungsbefugnis der Person über Informationen ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Die auf den Bildaufnahmen abgebildete Person muss für Dritte nicht identifizierbar sein. Dies vorweg geschickt, verbreitete der Beschwerdeführer durch das Hochladen des Unfallvideos auf seinem X-Kanal die Bildaufnahmen an eine unbestimmte Anzahl Dritter. Wenngleich der Beschwerdeführer das Gesicht des Geschädigten verpixelt hatte, steht dies nach vorstehenden Ausführungen der Tatbestandserfüllung nicht entgegen. Denn durch die Bildaufnahmen der schweren Verletzung sowie der Bergung des Geschädigten, die mit einer Dauer von zwei Minuten den zentralen Teil des Videos einnehmen, stand der Geschädigte als Person im Fokus der Bildaufnahmen. Trotz der Verpixelung ist eine Identifizierung des Geschädigten – bspw. durch Familienangehörige oder sich selbst – ohne weiteres möglich.

Soweit der Beschwerdeführer sich auf die Voraussetzungen des § 201 a Abs. 4 StGB beruft, dringt er mit seinem Vorbringen nicht durch. Gemäß § 201 a Abs. 4 StGB gilt u.a. § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen. Zu Recht hat das Amtsgericht Bonn ausgeführt, dass das auf dem X-Kanal des Beschwerdeführer gezeigte Video des Geschädigten nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Tätigkeit als Pressevertreter gerecht wird, da der Kanal keinen journalistischredaktionellen Inhalt aufweist, da es sich um eine reine unbearbeitete Übermittlung und Aneinanderreihung von Informationen ohne redaktionelle Aufbereitung oder journalistischer Herangehensweise handelt. Es fehle insoweit an einer pressemäßigen „Vermittlungsleistung“. Diesen Ausführungen schließt das Beschwerdegericht sich vollumfänglich an. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob es sich um „Vorgänge des Zeitgeschehens“ – wie der Beschwerdeführer meint – handelt.

Die Durchsuchung war schließlich auch verhältnismäßig.

Durchsuchungen stellen regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar. Wohnungsdurchsuchungen sind stets ein tiefgreifender Grundrechtseingriff (vgl. BVerfG NJW 2006, 976). Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist daher bei der Anordnung und Durchführung der Maßnahme besondere Beachtung zu schenken. Die Maßnahme muss in Hinblick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sowie gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Das ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen, die den Ermittlungszweck nicht gefährden. Schließlich muss der jeweilige Eingriff im angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes stehen (BVerfG NJW 2011, 2275; Beschl. v. 26.10.2011, 2 BvR 1774/10, Abs. 22 = BeckRS 2011, 56244; NJW 2008, 1937).

Die Durchsuchung war zur Auffindung von Beweismitteln geeignet. Es war anzunehmen, dass sich auf den aufzufindenden Datenträgern die vom Beschwerdeführer gefertigten Aufnahmen – auch im unbearbeiteten Zustand – befinden und diese als Beweismittel zur Überführung in einer Hauptverhandlung in Betracht kommen können. Die Durchsuchungsanordnung stand schließlich auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachtes. Der Anordnung lag -wie gezeigt- ein begründeter Verdacht einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen nach § 201 a Abs. 1 Nr. 2 StGB zugrunde. Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer war – und ist es noch – hinreichend begründet und übersteigt deutlich das Maß an Verdachtsgründen für einen Anfangsverdacht. Ausweislich des gesamten Inhalts der Akte ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, dass die Tat durch den Beschwerdeführer begangen wurde, wobei dieser dies ohnehin nicht abstreitet. Wenngleich hier das geringere Strafmaß zu berücksichtigen ist, ändert dies nichts an der Angemessenheit der Durchsuchung. Der Gesetzgeber unterscheidet in der Vorschrift des § 102 StPO gerade nicht zwischen einem Verbrechen und einem Vergehen. Vielmehr gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die durchzuführende Durchsuchung im Einklang mit den schutzbedürftigen Interessen des Beschwerdeführers und des Strafverfolgungsinteresse gebracht werden. Die so bezeichneten Interessen des Beschwerdeführers stehen dahinter zurück. Denn in der Abwägung zu berücksichtigen ist – neben dem starken Verdachtsgrad – auch, dass der Beschwerdeführer das Video durch die Veröffentlichung in seinem X-Kanal und Verbreitung im Internet einer unbegrenzten Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt hat, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten sich vor diesem Hintergrund mithin als besonders schwerwiegend darstellt. Die dagegen abzuwägenden Grundrechte des Beschwerdeführers überwogen nicht derart, dass der Erlass des Beschlusses als unverhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen ist.“

StPO II: Anfangsverdacht im „KiPo-Verfahren“?, oder: Reichen Nacktbilder auf dem Smartphone?

© Fotomek Fotolia.com

Die zweite Entscheidung zur StPO kommt dann heute vom LG Duisburg. Das hat im LG Duisburg, Beschl. v. 16.04.2021 – 36 Qs 24/21 – zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung in einem sog. „KiPo-Verfahren“ Stellung genommen.

Beim Beschuldigten war durchsucht worden. Der Durchsuchungsanordnung lag die Strafanzeige einer Ladenbesitzerin zugrunde, die in Minden im Jahr 2019 ein Geschäft für Gebrauchtwaren betrieben hat. Diese kannte den Beschuldigten als Stammkunden. Sie gab bei der Anzeigeerstattung im November 2019 an, der Beschuldigte habe ihr Anfang Mai 2019 Urlaubsfotos zeigen wollen. Dabei habe er versehentlich eine falsche Datei auf seinem Smartphone angeklickt. Die Zeugin habe so sehen können, dass der Beschuldigte Bilder von nackten Jungen auf seinem Telefon gespeichert habe. Das Alter dieser nackten Jungen schätzte sie auf ca. 7 bis 10 Jahre. Sexuelle Handlungen habe sie nicht sehen können. Weitere Angaben dazu, was genau auf den Fotos zu sehen war, machte sie nicht. Der Beschuldigte sei auch nachdem er bemerkt habe, dass er offensichtlich den falschen Ordner geöffnet hatte, ganz ruhig geblieben und habe sich „nichts anmerken lassen“. Dieser Vorfall habe sie in der Folge länger beschäftigt. Sie habe sich jedoch erst jetzt — sechs Monate später — aufgrund der in der Presse publizierten Vorfälle von Kinderpornographie entschlossen, zur Polizei zu gehen.

Auf dieser Grundlage hat das AG die Durchsuchung angeordnet, und zwar irrtümlich zunächst bei einem Cousin des Beschuldigten und dann bei ihm. Beweismittel wurden nicht gefunden.

Die Beschwerde des Beschuldigten mit dem Rechtsschutzziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung hatte Erfolg:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine richterliche Durchsuchungsanordnung waren nicht gegeben.

Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlung in Betracht kommenden Durchsuchung gemäß § 102 StPO reicht der auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999, Az. StB 7/99, StB 8/99; zitiert nach juris; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 102, Rn. 2). Ein erhöhter Verdachtsgrad ist nicht erforderlich. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Artikel 13 Abs. 1 GG erfährt die räumlichen Lebenssphäre des Einzelnen allerdings einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Das Gewicht des Eingriffs verlangt daher Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 2014, Az. 2 BvR 974/12; zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten für einen solchen konkreten Verdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184 b Abs. 3 StGB, begangen worden ist. Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht hierfür nicht aus, zumal sexuelle Handlungen offenbar auch nicht zu sehen waren. Ob ein Fall des sog. „Posens“ gem. § 184 b Abs. 1 Nr. 1b) StGB vorliegt oder eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien eines Kindes gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StGB kann anhand der rudimentären Angaben der Zeugin nicht beurteilt werden.

Ein Anfangsverdacht kann zwar grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten (BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014, Az. 2 13vR 969/14, Rn. 38 m.w.N.; LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014, Az. 2 Qs 41/14; alle zitiert nach juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 152, Rn. 4a). Ein solcher Umstand kann unter anderem in einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist —sei es durch die eigene forensische Erfahrung der Kammer oder durch sich aus den Ermittlungen ergebene Umständen (LG Limburg, Beschluss vom 3. Februar 2015, Az. 1 QS 160/14, Rn. 9; zitiert nach juris).

Aber auch solche weiteren Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Beschuldigte hat auf die — vermeintlich ungewollte — Offenbarung der Fotos gegenüber der Zeugin nicht auffällig reagiert. Vielmehr teilte die Zeugin mit, der Beschuldigte habe sich „nichts anmerken lassen“ und sei ganz ruhig geblieben.

Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wären auch vor dem Hintergrund der zwischen „Entdeckung“ der Fotos auf dem Smartphone des Beschuldigten und der mit der Beschwerde angegriffenen Durchsuchungsanordnung liegenden beträchtlichen Zeitspanne noch andere, weniger einschneidende — den Ermittlungszweck auch nicht gefährdende — Maßnahmen zur Erhärtung bzw. zum Erreichen eines höheren Verdachtsgrades zu ergreifen gewesen (siehe dazu BVerfG 11. Februar 2015, Az. 2 BvR 1694/14, Rn. 23; zitiert nach juris). So wäre eine Nachvernehmung der Zeugin denkbar gewesen über den genauen Inhalt und die Anzahl der fraglichen Fotos oder die Einholung behördlicher Auskünfte zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten.“

Durchsuchung II: Anfangsverdacht, oder: Berufung auf Auskunftsverweigerungsrecht ==> Anfangsverdacht?

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

In der zweiten Entscheidung, dem LG Mannheim, Beschl. v. 15.09.2020 – 7 Qs 20/20 -, die mir der Kollege Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat, geht es auch um den Anfangsverdacht. Auch hier beanstandet das LG (zunächst), dass die Anordnung der Durchsuchung durch das AG auf Verdachtsgründe beruht, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen nicht hinausreichen:

„Zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung der Wohnung der Beschuldigten und der Anordnung bzw. Bestätigung der Beschlagnahme ihres Mobiltelefons lagen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihre Beteiligung an der begangenen Straftat nicht vor.

„Die gegen die Beschuldigte sprechenden Verdachtsmomente sind zu vage, um einen Anfangsverdacht zu begründen. Dies betrifft etwa das äußere Erscheinungsbild der Beschuldigten in der Tatnacht. Der Zeuge M. beschrieb die Täter als sechs bis sieben dunkel gekleidete Personen, die Kapuzenpullover getragen und, mit einer Ausnahme, die Kapuzen aufgesetzt gehabt hätten. Die Person, die keine Kapuze aufgesetzt gehabt habe, sei von der Statur her schlank und ca. 170 cm groß gewesen und habe längere Haare gehabt, die zu einem Pferdeschwanz gebunden gewesen seien; hieraus folgerte der Zeuge, dass es sich um eine Frau gehandelt haben könnte. Der Zeuge pp. gab an, vier Männer und zwei Frauen gesehen zu haben. Diese hätten einen Mundschutz und schwarze Kapuzenpullis getragen. Eine der Frauen habe er als solche identifiziert, weil er ihre Haare gesehen habe. Sie habe die Kapuze nicht auf-gehabt. Sie sei etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt und seiner Schätzung nach nicht größer als 160 cm gewesen. Ihre blonden Haare habe sie kurz, so schulterlang, getragen. Die andere Frau habe er nur anhand des Körpers und ihrer Bewegung als Frau erkannt. Das äußere Erscheinungsbild der Beschuldigten und ihrer Begleiterin die von PHM pp. gegen 04:10 Uhr – und damit etwa eine halbe Stunde, nachdem die Täter in Richtung Schafweide geflüchtet waren – von der Fußgängerbrücke über der Käfertaler Straße aus Richtung Neckar Uferpromenade kommend festgestellt und kontrolliert wurden, stand mit diesen Beschreibungen zwar in Einklang. Ausweislich des Vermerks von PHM pp. vom 02.07.2020 trugen beide schwarze Hosen und dunkle/graue T-Shirts. Pp. habe eine schwarze Jacke um die Hüfte gebunden gehabt. Ob pp. eine dunkle Jacke mitgeführte habe, vermochte er nicht mehr zu sagen. Beide Frauen seien schlank und etwa 165 cm groß. PP. habe ihr dunkelblondes, gelocktes/gewelltes, schulterlanges Haar zusammengebunden getragen. Pp. habe schwarzes, gewelltes, kurzes Haar. Allerdings ist zu sehen, dass das Tragen dunkler bzw. schwarzer Kleidung weit verbreitet ist und die Zeugen M. und pp. keinerlei charakteristische Merkmale an den von den mutmaßlichen Täterinnen getragenen Kleidungsstücken beschreiben konnten, die geeignet gewesen wären, Tatverdächtige zu identifizieren. Aus den Angaben der Zeugen MIR und pp. lässt sich nicht einmal mit hinreichender Sicherheit schließen, dass zur Tätergruppe zwei Frauen gehörten, zumal es auch bei Männern nicht gänzlich unüblich ist, längeres Haar zu tragen und dieses zu einem Zopf zusammenzubinden. Darüber hinaus ist zu sehen, dass der Zeuge pp. sechs bis sieben Personen vor dem Haus beobachtete, die seiner Vermutung nach männlich waren. Dass die Beschuldigte und ihre Begleiterin sich weigerten, im Rahmen der Personalienfeststellung PHM pp. ihre Telefonnummern herauszugeben, sie einsilbig antworteten und sich insgesamt verschlossen gaben, stellt keine Verhaltensweise dar, die auf die vorangegangene Begehung einer Straftat hinweist, kann sie doch auch Ausdruck eines allgemeinen Misstrauens gegenüber der Polizei oder einer fehlenden Bereitschaft, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken, sein. Die Begründung, die die beiden Frauen gegenüber PHM pp. für ihren Aufenthalt an diesem Ort zu dieser frühen Stunde abgaben, nämlich den Sommerabend am Neckarufer genossen zu haben, ist, vor allem auch im Hinblick darauf, dass es sich um eine Nacht von Samstag auf Sonntag handelte und die Beschuldigte Studentin ist, nicht unplausibel. Dass beide in Tatortnähe angetroffen wurden und aus der Richtung kamen, in die die Täter nach der Angabe von Zeugen geflüchtet waren, stellt kein aussagekräftiges Indiz für ihre Beteiligung an der Tat dar, da zwischen der Flucht der Täter und dem Antreffen der beiden Frauen in der Nähe des Tatorts bereits etwa eine halbe Stunde vergangen war. Dass eine Recherche im Internet ergeben hat, dass mit „Fridays for Future“ und „Autofreie Innenstadt“ sympathisiert, lässt ebenfalls keinen Schluss auf eine Tatbeteiligung von ihr und der sie begleitenden Beschuldigten zu, da die dort vertretenen Anliegen in nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung verbreitet sind, ohne dass daraus eine Bereitschaft zur Begehung politisch motivierter Straftaten gefolgert werden könnte. Auch bei einer Gesamtwürdigung der genannten Umstände stellen diese keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Beteiligung der Beschuldigten an der den Gegenstand der Ermittlung bildenden Straftat dar. Dementsprechend wurde die Beschuldigte von Polizei und Staatsanwaltschaft auch zunächst als Zeugin – und nicht als Beschuldigte – angesehen und zu einer Vernehmung als Zeugin einbestellt.“

Insoweit ist der Beschluss über den Obersatz des LG hinaus sicherlich eine Einzelfallentscheidung. Interessant (?) dann aber die weiteren Ausführungen/Beanstandungen des LG:

„Der – danach allein neu eingetretene – Umstand, dass die Beschuldigte im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung am 16.07.2020 Angaben unter Berufung auf ihr Auskunfts-verweigerungsrecht nach § 55 StPO verweigerte, kann zur Begründung eines Anfangsverdachts gegen sie nicht herangezogen werden. Aus der Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts dürfen in einem Strafverfahren gegen den Zeugen keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden und die Auskunftsverweigerung darf allein nicht zum Anlass eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Zeugen genommen werden. Ansonsten wäre nämlich die durch § 55 StPO geschützte Entschließungsfreiheit des Zeugen bedroht, weil er bei Ausübung dieses Rechts damit rechnen müsste, dass dieses Verhalten später negativ zu seinem Nachteil gewürdigt wird. Zudem widerspräche dies dem Grundsatz, dass das Schweigen eines Angeklagten auch in einem früheren Verfahrensabschnitt – nicht zu dessen Ungunsten verwertet werden darf (vergleiche Bertheau/Ignor in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 55, Rn. 28; OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.02.1981 – 3 Ss (23) 953/80; beides zitiert nach juris).2

Es ist schon erschreckend, dass ein LG das einem AG ins Stammbuch schreiben muss. Das sollte – nein: muss – ein Ermittlungsrichter wissen. Schlimm, wenn er es nicht weiß. Noch schlimmer, wenn er es ggf. weiß und so argumentiert. Das ist „Tatort-Niveau“.

Durchsuchung I: Anfangsverdacht, oder: Eine anonyme Anzeige geht nicht/kaum

Bild von Merio auf Pixabay

Und hier dann der Start in die 47 KW., die dritte Woche des zweiten Lockdowns. Mal sehen, ob heute „Bergfest“ ist – ich denke eher nicht. Und mal sehen, was wir noch alles aus den USA hören vom „nor re-elected President“, der schmollend wie ein kleines Kinde in der Ecke sitzt – und, was ich schlimm finde, nichts tut. Und das in diesen Zeiten.

Nichts desto trotz: Hier geht es normal weiter. Und ich starte in die Woche mit zwei Durchsuchungsentscheidungen. Die erste, der LG Hildesheim, Beschl. v. 27.10.2020 -26 Qs 61/20 -, hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt, die Entscheidung hat ein Mitverteidiger von ihm erstritten.

Gegen den beschuldigten Mandanten ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das WaffenG anhängig. In dem ist am 28.07.2020 die Durchsuchung der Wohnung mit allen Nebenräumen des Beschuldigten gemäß §§ 102, 105 StPO angeordnet worden, weil aufgrund von Tatsachen zu vermuten sei, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Schusswaffen und Munition führen werde. Den Verdacht hat das AG auf einen anonymen Hinweis gestützt. Noch bevor die Durchsuchung erfolgte, hat das AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 25.8.2020 die Durchsuchung des Bankschließfaches des Beschuldigten bei der Kreissparkasse zum Zwecke des Auffindens von scharfen Schusswaffen, Munition und Waffenbauteilen angeordnet. Die Durchsuchungen sind am 28.8.2020 von Polizeibeamten vollzogen worden. Der Beschuldigte hat gegen beide Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Durchsuchungen festzustellen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

Das LG beanstandet, dass Grundlage der Durchsuchungsanordnung bei der Beurteilung des erforderlichen Anfangsverdachts lediglich eine anonyme Anzeige gewesen sein. Die/das sei aber nicht ausreichend gewesen:

„……

Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen. Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016, 2 BvR 2474/14).

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnungen lag lediglich eine schriftliche anonyme „Aussage“ und das Ermittlungsergebnis zum Schließfach des Beschuldigten vor. Die anonyme Anzeige erreicht sachlich nicht eine solche Qualität, dass ein hinreichender Anfangsverdacht für Durchsuchungsanordnungen hinsichtlich des Verstoßes gegen das Waffengesetzt gegen den Beschuldigten besteht. Der anonyme Hinweisgeber wendet sich mit seinem Schreiben gegen die in Peine lebende Familie pp. und führt aus, wo die verschiedenen Familienmitglieder wohnen und arbeiten. Der Beschuldigte und ein weiteres Familienmitglied hätten mehrere Häuser in Peine und in der Türkei von dem Geld eines Familienclans pp. aus pp. gekauft. Bezüglich des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Waffengesetz trägt er lediglich vor: „In jeder von diesen Wohnungen gibt scharfe Waffen.“ Konkrete Angaben zu den Waffen, z.B. ob er diese gesehen hat und näher beschreiben kann oder woher er diese Erkenntnis hat, fehlen. Zwar hat sich die Angabe des Hinweisgebers, dass der Beschuldigte ein Bankschließfach hat, bestätigt. Hierauf kann aber nicht der Verdacht des unerlaubten Waffenbesitzes gestützt werden, weil der Hinweisgeber ausgeführt hat, dass in diesem viel Geld und Gold sei. Weitere Ermittlungen haben auch nicht zur Konkretisierung des pauschalen Vorwurfs des Hinweisgebers geführt. Insbesondere ist der Beschuldigte bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insoweit ist der polizeiliche Vermerk im Rahmen der Anregung der Durchsuchungsanordnung, dass polizeiliche Ermittlungen eine latente Steigerung des Verlangens einzelner Straftäter in allen Deliktsbereichen, sich zu bewaffnen, belegen würden, für die Kammer nicht nachvollziehbar.“

Durchsuchung I: Nochmals Anfangsverdacht pp. bei der Durchsuchung, oder: Warum dauert das 5 Jahre?

Smiley

Und ich starte dann in die 45. KW., am ersten Tag des Lockdown 2, mit zwei obergerichtlichen Entscheidungen zur Durchsuchung.

Der Opener ist der BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 – 2 BvR 1324/15 -, etwas älter, aber ich bin erst jetzt auf die Entscheidung gestoßen.

Der Entscheidung liegt folgender (verkürzter) Sachverhalt zugrunde: Der Beschuldigte ist Rechtsanwalt, was aber für die Entscheidung keine Rolle spielt. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Durchsuchung seiner Kanzleiräume auf der Grundlage von § 102 StPO wegen des gegen ihn gerichteten Verdachts des versuchten Betruges.

Dem Beschuldigten wird die seine Beteiligung an der systematischen betrügerischen Geltendmachung nicht bestehender oder überhöhter Forderungen im Wege des Inkassos, durch Anwaltsschreiben und gerichtliche Geltendmachung vorgeworfen. Die Durchsuchung ist vom AG am 24.03.2015 (!!) angeordnet worden. Die Durchsuchung sollte der Auffindung von Gegenstände und Unterlagen dienen, und zwar sollte sie insbesondere auf Verträge mit Auftraggebern, Schriftwechsel mit Kunden und angeblichen Schuldnern, anwaltliche Handakten, Abrechnungsunterlagen, Gerichtsschriftwechsel, Stellungnahmen bei Beschwerden gegenüber der Anwaltskammer, Kontoauszüge, Computer, sonstige elektronische Speichermedien und E-Mail-Verkehr gerichtet sein.

Die Durchsuchungsanordnung wurde am 15.04.2015 vollzogen. Es wurden umfangreiche Unterlagen sichergestellt. Der Beschuldigte hat gegen die Durchsuchungsanordnung am 08.05.2015 Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten hatte aber Erfolg.

Das BVerfG meint – wobei ich mir mal die allgemeinen Ausführungen weg lasse, das haben wir alles schon zig-mal gelesen. Leider. Zur konkreten Sache:

„b) Den vorgenannten Anforderungen genügt die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts im Hinblick auf die von ihr zu erfüllende Begrenzungsfunktion erkennbar nicht. Bereits die Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses ist nicht geeignet, sicherzustellen, dass die Ermächtigung der Exekutive, im Wege der Durchsuchung in den grundrechtlich geschützten Bereich des Beschwerdeführers einzugreifen, messbar und kontrollierbar bleibt.

Es wird zwar noch deutlich, dass maßgebliche Täuschungshandlung hier die Geltendmachung von unberechtigten Forderungen im Auftrag des Inkassounternehmens F. durch anwaltliche Schreiben des Beschwerdeführers sein soll, nämlich neben den Forderungen der T. Ltd. für angeblich in Anspruch genommene Telekommunikationsdienste solche für angebliche Urheberrechtsverletzungen für verschiedene Forderungsinhaber aus dem Bereich Film. An einer ausreichenden zeitlichen Begrenzung fehlt es jedoch; ein Tatzeitraum wird in Bezug auf die angeblichen Forderungen der T. Ltd. nur unzureichend eingegrenzt – es kommen nach dem Inhalt der Durchsuchungsanordnung ohne weitere zeitliche Begrenzung Taten vor, aber auch nach Zugang des Bescheids der Bundesnetzagentur in Betracht – und in Bezug auf solche der Auftraggeber aus dem Bereich Film gar nicht eingegrenzt.

Der Durchsuchungsbeschluss gestattet darüber hinaus die Suche nach einer unbestimmten Vielzahl denkbarer Unterlagen, die im Zusammenhang mit der auftragsweisen Geltendmachung von Forderungen durch den Beschwerdeführer stehen. Aufgrund der Angabe „u. a.“ können dies neben den vom Beschwerdeführer geltend gemachten und im Durchsuchungsbeschluss genannten Forderungen der T. Ltd., M., G., T., F. und P. auch Forderungen anderer, nicht näher eingegrenzter Auftraggeber aus dem Bereich Film sein.

Es kommt hinzu, dass die einzelnen Taten nicht hinreichend konkretisiert werden. Die einzige ungenaue Angabe in der Durchsuchungsanordnung ist insoweit, dass „derzeit“ in Bezug auf die Forderungen der T. Ltd. „laut polizeilicher Auflistung Bl. 216 von weit über 100 Fällen auszugehen [sei], wobei die tatsächliche Anzahl deutlich höher sein dürfte“. Das Gleiche gilt für die Tatmodalitäten: Im Hinblick auf die vermeintlich betrügerischen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen werden weder einzelne Geschädigte namhaft gemacht noch wird deutlich, welche konkreten Urheberrechtsverletzungen – der Durchsuchungsbeschluss spricht hier nur von dem Konsum und dem Hochladen von nicht näher bezeichneten „Filmen“ – in Rede stehen.

Ungeachtet des Umstandes, dass die in der Durchsuchungsanordnung genannten polizeilichen Ermittlungsvermerke und die ausdrücklich erwähnte polizeiliche Auflistung einzelner Fälle auf Blatt 216 der Ermittlungsakte weitere tatsächliche Angaben über den Inhalt der Tatvorwürfe und die zu suchenden Beweismittel enthalten, führen die unbestimmten, den Anwendungsbereich der Durchsuchungsanordnung unkontrollierbar erweiternden Formulierungen des Beschlusses zu einer mangelnden Begrenzung derselben. Das Amtsgericht hat es versäumt, durch eine geeignete Formulierung im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren für eine zumindest annäherungsweise Beschreibung der Tatvorwürfe gegenüber dem Beschwerdeführer und der dafür zu suchenden Beweismittel zu sorgen und damit den äußeren Rahmen, innerhalb dessen die Durchsuchung durchzuführen ist, abzustecken. Letztlich lag es im Ermessen der beauftragten Beamten, nach weiteren, nicht ausreichend bestimmten Beweismitteln zu suchen. Dies ist angesichts der aus Art. 13 Abs. 2 GG folgenden Verpflichtung, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten, von Verfassungs wegen nicht mehr hinnehmbar.

c) Eine Entscheidung darüber, ob der Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses darüber hinaus den von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen widerspricht, erübrigt sich, da die angegriffene Anordnung der Durchsuchung der Kanzleiräume und die diese bestätigende Entscheidung des Landgerichts schon mangels ausreichender Begrenzung des Durchsuchungsgegenstandes rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht genügen.

d) Da das Landgericht Mannheim durch seinen Beschluss vom 17. Juni 2015 auf die Beschwerde des Beschwerdeführers hin – trotz der oben dargelegten Rechts- und Verfassungswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Mannheim – die Rechtswidrigkeit der bereits vollzogenen Durchsuchungsanordnung insoweit nicht festgestellt hat, verletzt der Beschluss des Landgerichts den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.“

Das BVerfG hat die Verletzung der Grundrechte des Beschuldigten festgestellt und die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung aufgehoben. So weit, so schön. Aber: Kann man sich als Beschuldigter über eine solche Entscheidung noch freuen, wenn das BVerfG mehr als fünf Jahre braucht, um die Verfassungswidrigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme festzustellen? Ich habe Verständnis für die Belastung des BVerfG. Aber Rechtsschutz bedeutet m.E. auch, dass zeitnah entschieden wird. Und fünf Jahre nach dem Vollzug einer Durchsuchungsmaßnahme ist nun wahrlich nicht mehr zeitnah. Ich frage mich, warum braucht man für eine so einfach Sache 5 Jahre?