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Wenn der 6 1/2 Jährige mit seinem Kettcar auf einem Tankstellengelände fährt, oder: Aufsichtspflichtverletzung?

Und zu den „neuen Fahrzeugen“ passt ganz gut das AG Zeitz, Urt. v. 29.05.2018 – 4 C 22/18. Es geht zwar nicht, um ein „neues Fahrzeug“, aber um ein zumindest außergewöhnliches Fahrzeug im Straßenverkehr, nämlich um ein Kettcar.

In Anspruch genommen werden nach einem Verkehrunfall Kettcar/Pke die Eltern des (zum Unfallzeitpunkt) sechseinhalb Jahren Jungen, der im Bereich einer Tankstelle mit seinem Kettcar gefahren und plötzlich auf die Straße gefahren war. Geltend gemacht wird eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 832 BGB). Das AG bejaht das und geht von einer Haftung zu 1/2 aus:

„Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Grundlage für eine Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern ist § 832 BGB. Danach ist derjenige, der kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über ein minderjähriges Kind verpflichtet ist, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der zu Beaufsichtigende einem Dritten widerrechtlich zufügt.

Ob eine Aufsichtspflichtverletzung im konkreten Fall vorliegt, lässt sich nicht pauschal beurteilen, sondern ist eine Frage des Einzelfalls. Inhalt und Umfang der elterlichen Aufsicht richten sich nach Alter, Entwicklungsstand, Eigenart des Charakters des Kindes und den mit ihm in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass maßgeblich für Art und Umfang der Aufsichtspflicht das Ausmaß der für Dritte drohenden Gefahr durch das Handeln des Kindes und die Vorhersehbarkeit eines schädigenden Verhaltens durch das Kind ist. Die von den Eltern zu treffenden Maßnahmen durch Belehrung und Überwachung des Kindes orientieren sich schließlich an dem für sie in der konkreten Situation Zumutbaren. Im Gegensatz dazu ist natürlich zu sehen, dass von Eltern regelmäßig keine Überwachung des Kindes auf Schritt und Tritt verlangt werden kann. Eine solche würde vor allem in essenziellem Widerspruch mit ihrer Aufgabe als Eltern stehen, ihre Kinder zum mündigen, selbstständigen Erwachsenen zu erziehen, wozu speziell die sukzessive Gewährung von Freiraum gehört. Im Einzelfall ist eine Abwägung zwischen dem Erziehungsinteresse der Eltern einerseits und dem Interesse des Dritten – nicht geschädigt zu werden – vorzunehmen. Entscheidend ist stets, was verständige Eltern in der konkreten Situation unternehmen müssen, um eine Schädigung Dritter zu verhindern. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Erziehungsberechtigten ihrer Aufsichtspflicht allgemein nachgekommen sind. Maßgeblich ist, ob diese in der konkreten Situation und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszuführung führenden Umstände erfolgt ist (Hensen, NJW-Spezial 2016, 265, beck-online, m.w.N.).

Vorliegend ist den Beklagten nach Auffassung des Gerichts eine Aufsichtspflichtverletzung zur Last zu legen. Auch wenn man unterstellt, dass die Beklagten N. hinreichend allgemein im Verkehr unterwiesen haben (was das Gericht nach dem Eindruck von den Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch glaubt), ist das im vorliegenden Fall nicht haftungsbefreiend. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nämlich darin, dass N. mit sich mit einem Spielzeug im Verkehr bewegt hat, das für den Straßenverkehr nach Auffassung des Gerichts völlig ungeeignet ist. Ohne dass den Beklagten insoweit irgendein moralischer Vorwurf gemacht werden soll (das Gericht hat nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung keinen Anlass zu irgendwelchen Zweifeln daran, dass sich die Beklagten um die bestmögliche Erziehung bemühen), liegt die Aufsichtspflichtverletzung bereits darin, dass die Beklagten N. überhaupt eine Bewegung mit dem Kettcar im öffentlichen Verkehrsraum ohne ihre Aufsicht gestattet haben.

Zu einer vollständigen Haftung der Beklagten mit 100 % führt das allerdings nicht. Die Klägerin muss sich entgegen halten lassen, dass sie die Betriebsgefahr trägt und zudem – wie auch immer im Einzelnen – N. mit dem Kettcar zuvor schon einmal im Umfeld ihrer Fahrt gesehen hatte.“

OWi-Verfahren III: Absehen vom Fahrverbot, nicht bei einer Kieferorthopädin mit zwei Praxen

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Letztlich nur noch um das Fahrverbot ging es in einem beim AG Zeitz anhängigen Verfahren. Zur Laste gelegt wurde der Betroffenen – einer Kieferorthopäding mit zwei Praxen eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h. Sie war bereits einmal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Erscheinung getreten. Das AG Zeitz sagt im AG Zeitz, Urt. v. 13.06.2017 – 13 OWi 733 Js 210853/16: Kein Absehen vom Fahrverbot, denn:

„Soweit die Betroffene geltend gemacht hat, die Tat sei außerorts auf einer Bundesstraße begangen worden, die für die Fahrverbotsverhängung maßgebliche Grenze sei nur um 3 km/h überschritten worden, es habe außerordentlich geringer Verkehr geherrscht, es habe Tageslicht gegeben, es sei sonnig gewesen, so dass es keine gravierende Gefährdungssituation gegeben habe, sind dies keine außergewöhnlichen Umstände, die eine Ausnahme vom Regelfall begründen könnten.

Die Betroffene hat sich zwar eingelassen, das Fahrverbot bedeute für sie eine besondere Härte und gefährde ihre Existenz. Es sei ihr auch nicht zuzumuten, sich irgendjemandem als Fahrer anzuvertrauen; ausgebildete Fahrer stünden auf dem Markt nicht zur Verfügung. Gleichwohl konnte keine Härte festgestellt werden, die den Verzicht auf ein Fahrverbot rechtfertigen könnte.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfen Angaben eines Betroffenen, es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Verlust seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage, nicht ungeprüft übernommen werden; vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines Ausnahmefalles auszuschließen (vgl.. OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Juli 2016 – 3 Ss OWi 804/16 -, juris).

Das Gericht hat bereits vor dem Termin auf die Anforderungen hingewiesen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für eine wirtschaftliche Härte bei Selbständigen zu stellen sind, um eine Ausnahme vom Regelfahrverbot zu rechtfertigen. Die Betroffene hat indes nichts Konkretes zu ihrer wirtschaftlichen Situation vorgetragen, geschweige denn belegt.

Selbst wenn man – nach Auffassung des Gerichts realitätsfern – unterstellen würde, die Betroffene könne wegen des Fahrverbots ihre berufliche Tätigkeit insgesamt einen Monat lang nicht ausüben, läge die Annahme fern, dass dies bei einer selbständigen Kieferorthopädin mit 2 Praxen die wirtschaftliche Existenz vernichten könnte. Nahe liegt es vielmehr, dass die Betroffene sich vertreten lassen oder insbesondere fahren lassen kann. Die Betroffene hat vergebliche Bemühungen um eine Vertretung ebenso wenig wie Bemühungen um einen Fahrer oder Bereitstellung von Taxen nachgewiesen.“

Wird man so hinnehmen müssen: Eine „einschlägige“ Vorverurteilung, auf die das AG noch nicht einmal abgestellt hat. Und vor allem – vielleicht viel das aber auch schwer 🙂 – keinerlei Vortrag zur wirtschaftlichen Situation. Das muss dann natürlich was kommen, wenn man mit der Begründung ein Absehen vom Fahrverbot erreichen will.

Auf dem Kfz-Kennzeichen haben „Stinkefinger“ und Reichsflagge nichts zu suchen….

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Der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog hatte vor einigen Tagen schon auf zwei Entscheidungen des AG Zeitz hingewiesen, in denen es um das Überkleben bzw. Ersetzen des EU-Schildes auf dem Kraftfahrzeugkennzeichen geht. Auf die will ich heute auch hinweisen.

Das AG hat in beiden Fällen wegen eines Verstoßes gegen §§ 10, 48 FZV, 24 StVG, 46 Abs.1 OWiG, 465 Abs.1 StPO, BKat Nr.179 eine Geldbuße von 10 € festgesetzt. Im Urt. v. 20.12.2016 heißt es dazu: „Gemäß Anlage 4 ist das Euro-Feld erforderlich; Zeichen innerhalb des Sternenkranzes – wie vorliegend der Stinkefinger – sind nicht vorgesehen.“

Das ist wohl wahr und man fragt sich, was man als Kfz-Führer eigentlich mit solchen „Verschönerungen“ bezweckt.

Messung mit LEIVTEC XV 3: Zu langes Kabel – höherer Toleranzabzug

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Heute gibt es dann einen AG-Tag, also einen Tag (nur) mit amtsgerichtlichen Entscheidungen bzw. zu amtsgerichtlichen Entscheidungen. Und den Auftakt mache ich mit dem AG Zeitz, Urt. v. 30.11.2015 – 13 OWi 721 Js 205989/15, ergangen in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden war mit LEIVTEC XV 3. Gemessen wurden 77 km/h, zulässig waren 50 km/h. Gegen den nach Abzug der üblichen Toleranz verbleibenden Wert von 74 km/h hat die Verteidigung eingewandt, bei Verwendung eines Kabels von mehr als 3 m Länge zwischen Rechnereinheit und Bedieneinheit liege ein Verstoß gegen die innerstaatliche Bauartzulassung vor, und um Mitteilung gebeten, ob ein Kabel von mehr als 3 m Länge verwendet wurde. Und damit hatte sie Erfolg:

Damit hat die Verteidigung im Hinblick auf die Höhe der festzustellenden Geschwindigkeitsüberschreitung Erfolg. Von dem Ablesewert von 77 km/h sind 15,4 km/h, aufgerundet 16 km/h als Toleranz abzuziehen, so dass 61 km/h verbleiben.

Die vom Gericht eingeholte amtliche Auskunft des B..kreises vom 11.11.2015 (Bl.43 d.A.) hat ergeben, dass das Kabel zwischen dem 28.05. und 01.06.2015 gekürzt wurde, mithin bei der Messung am 03.03.2015 zu lang war. Bei der Messung entsprach die Messanlage nicht den Festlegungen der Bauartzulassung, wie auch aus dem Schreiben der PTB an die LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH vom 22.05.2015 (Bl.44 d.A.) ersichtlich ist. Damit handelte es sich nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren.

Dies führt indes nach Auffassung des Gerichts nicht dazu, dass die Messung unverwertbar ist. Erfolgt die Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit einem Fahrzeug ohne ein geeichtes Kontrollgerät, einen geeichten oder justierten Tachometer, ist nach Ziff.10.2.7 des Verkehrsüberwachungserlasses ein Toleranzwert von 20 v. H. des abgelesenen Tachowertes zugunsten des Betroffenen abzuziehen. Die Messung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho ist im System der Messverfahren eine Ausnahme. Sie ist ungenau. Diesem Umstand hat der Tatrichter regelmäßig durch einen Abschlag von 20% des Ablesewertes Rechnung zu tragen, der weit höher ist als bei anderen Messverfahren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 467/14, 3 Ws (B) 467/14162 Ss 131/14). Ein solcher Toleranzabzug erscheint dem Gericht auch hier geboten, aber auch ausreichend.“

Die mit Messungen zusammenhängenden Fragen sind übrigens natürlich dargestellt in „Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., 2015. Das kann man derzeit im Rahmen einer „Mängelbuchaktion“ günstig erwerben. Statt 119 € nur 94,90 €. Zur Bestellung geht es hier.

Und auch das Buch „Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 3. Aufl. 2013“ gibt es derzeit in einer Mängelaktion für nur 69,90 €. Bestellungen ebenfalls hier.

So lange es den „Richtervorbehalt“ gibt, muss man sich dran halten

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Die mit der Missachtung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme bei Trunkenheits- und/oder Drogenfahrten (§§ 315c, 316 StGB; 24a StVG) zusammenhängenden Fragen haben vor einiger Zeit die Rechtsprechung und auch die Blogs intensiv beschäftigt. Der „Rechtsprechungsmarathon“ ist inzwischen abgeflaut. Ein OLG Naumburg, Beschl. v. 05.11.2015 – 2 Ws 201/15  – zeigt aber, dass es auch heute noch für den Verteidiger Sinn machen kann, sich mit den Fragen des § 81a Abs. 2 StPO zu befassen. In dem Beschluss hat das OLG die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den AG Zeitz, Beschl. v. 03.08.2015 – 13 OWi 723 Js 204201/15 – verworfen und das AG Zeitz bestätigt. Das AG hatte den Betroffenen vom Vorwurf der Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG freigesprochen. Es hatte für das Untersuchungsergebnis einer dort durchgeführten Blutprobenentnahme wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs.2 StPO ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Die Blutprobe war an einem Sonntag um 16.30 Uhr entnommen worden, obwohl zu der Zeit, was den Polizeibeamten bekannt war, ein richterlicher Eildienst eingerichtet war. Der Polizeibeamte hatte – so weit er sich überhaupt nocht erinnern konnte – nur den „Diensthabenden“ benachrichtigt, sich dann aber nicht mehr weiter um die Sache gekümmert und die Blutprobe veranlasst. Dazu das OLG:

„Das Amtsgericht hat zu Recht angenommen, dass hier der Richtervorbehalt willkürlich bewusst und gezielt umgangen worden ist. Dafür spricht bereits, dass der Zeuge pp. nicht, wie erforderlich, schriftlich Gründe dafür niedergelegt hat, weshalb er sich nicht bemüht hat, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Information des Diensthabenden, wenn sie denn erfolgt sein sollte, reichte nicht aus, um dem Richtervorbehalt zu genügen. Die bloße Information des Diensthabenden ohne Rückfrage, ob der Richter erreicht wurde und wenn ja, wie er entschieden hat, würde nämlich den Richtervorbehalt in besonders deutlicher Weise missachten, nämlich dergestalt, dass der Richter zwar informiert werden soll, dem Polizeibeamten aber völlig egal ist, ob der Richter eine Blutentnahme anordnet oder diese ablehnt. Eine Respektierung des Richtervorbehalts setzt nicht nur die Information des Diensthabenden voraus, sondern auch eine Rückfrage dahingehend, ob der Richter erreicht wurde und wenn ja, ob er die Blutentnahme angeordnet oder eine solche Anordnung abgelehnt hat. All dies hat der Zeuge nicht getan, das erlaubt nur eine Schlussfolgerung: Es war ihm völlig gleichgültig, ob ein Richter erreichbar war und wenn ja, wie dieser entschied, auf jeden Fall wurde die Blutentnahme angeordnet.“

Treffend auch, wenn das OLG meint:

„Zuzustimmen ist der Generalstaatsanwaltschaft zwar, dass eine Blutentnahme einen minimalen Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und es sinnvoll wäre, den Richtervorbehalt insoweit abzuschaffen. Solange der Gesetzgeber ihn indes vorsieht, haben sich Exekutive und Judikative daran zu halten, weil sie an das Gesetz gebunden sind.“