Schlagwort-Archive: AG Neuruppin

Pflichti III: Rückwirkende Bestellung unzulässig?, oder: Wenn schon, dann aber bitte „sauber argumentieren“

Bild von Christian Dorn auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann – wie könnte es anders sein – noch zwei Entscheidungen zur Zulässigkeit der rückwirkenden Beiordnung. Das ist der Dauerbrenner und er wird es wahrscheinlich auch bleiben, wenn nicht der Gesetzgeber oder der BGH – aber da muss man erst mal hinkommen 🙂 – die Frage endlich klären.

Bei den beideb Beschlüssen, die ich hier vorstelle, handelt es sich um den LG Berlin, Beschl. v. 21.12.2022 – 534 Qs 97/22 – und um den AG Neuruppin, Beschl. v. 10.11.2022 – 89 Gs 1790/22. Beide halten die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers für nicht zulässig.

Ich erspare mir, die Beschlüsse hier weiter einzustellen. Denn sie bringen nichts Neues. Allerdings eine Anmerkung muss sein.

Es ist immer „erfrischend“, wenn zu der neuen Rechtslage – die Neuregelung ist seit 2019 in Kraft – mit Rechtsprechung aus den 90-ziger Jahren argumentiert wird, so in beiden Beschlüssen. Das LG Berlin stellt die beiden Auffassungen da und führt aus, dass die Meinung, die die rückwirkende Bestellung für zulässig ist, eine „Mindermeinung“ gewesen sei, was m.E. nicht stimmt. Und dann kommt man zur Ablehnung dieser Mindermeinung auch nach neuem Recht zwar mit dazu ergangener Rechtspechung, unterschlägt aber, dass es reichlich Entscheidungen von LG/AG und auch OLG gibt, die das anders sehen. Nun ja, kann man ja mal vergessen. Aber eine saubere Argumentation/Diskussion ist das nicht.

Das AG Neuruppin macht es nicht viel besser. Es schreibt zu „Mindermeinung“ einfach gar nichts.

 

Zustellung I: Beweiskraft der Zustellungsurkunde, oder: Gegenbeweis

Bild von Gentle07 auf Pixabay

In die 50 KW. starte ich heute mit zwei AG-Entscheidungen zur Zustellungsfragen.

Den Opener mache ich mit dem AG Neuruppin, Beschl. v. 24.11.2020 – 82.1 E OWI 178/20 -, den mir der Kollege Uschkureit aus Berlin geschickt hatte. Das AG Neuruppin äußert sich zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung.

Das AG geht von folgendem Sachverhalt aus:

Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg erließ am 03.09.2020 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, mit welchem sie wegen einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der Bundsautobahn 24, Höhe AD Wittstock/Dosse in Fahrtrichtung Hamburg ein Bußgeld i. H. v. 220,00 Euro verhängte. Der Bußgeldbescheid wurde in einen zur Adresse pp. 15806 Zossen“ gehörenden Briefkasten eingeworfen. Die Zustellungsurkunde datiert auf den 07.09.2020.

Mit Schreiben vorn 06.10.2020 legte der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und teilte der Bußgeldstelle den verantwortlichen Fahrer mit. Zur Begründung seiner verspäteten Rückmeldung führte er aus, dass an ihn gerichtete Post trotz der Einrichtung eines Postfachs in Zossen wiederholt unter der Anschrift pp. zugestellt würde, wenngleich ein Briefkasten mit seinem Namen dort nicht existiere. Der Verteidiger des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom 07.10.2020 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin führte er aus, dass der Betroffene unter der Anschrift pp. einen KFZ-Zulassungsdienst betreibe, allerdings keinen Briefkasten unterhalte, sondern ein Postfach eingerichtet habe, um die in der Vergangenheit bereits mehrfach fehlgeschlagene Zustellung der für den Betrieb bestimmten Post zu gewährleisten. Kenntnis vom Bußgeldbescheid habe sein Mandant durch die telefonische Benachrichtigung eines dort ansässigen Reifenhändlers, Herrn pp., erhalten, der unter seiner Post auch den an den Betroffenen gerichteten Bußgeldbescheid gefunden habe. Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens überreichte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 13.10.2020 eine Kopie des Schreibens des Kundenservice der Deutschen Post, mit welchem dieser die Einrichtung des Postfachs bestätigte, sowie eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen pp, der in Kenntnis der Strafbarkeit der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung bestätigte, am 06.10.2020 in seiner Post zwei, in gelben Briefumschlägen befindliche Schreiben der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg gefunden zu haben, unter denen sich auch der hier gegenständliche Bußgeldbescheid befand.

Mit Bescheid vorn 15.10.2020 hat die Bußgeldstelle den Einspruch des Betroffenen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig, weil verfristet verworfen. Laut Auskunft des Postzustellers sei der Briefkasten am Tag der Zustellung mit dem Namen des Betroffenen beschriftet gewesen. Der Verwerfungsbescheid wurde dem Betroffenen am 17.10.2020 zugestellt.

Hiergegen hat der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 20.10.2020, eingegangen bei der Behörde am selben Tag, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt mit dem Inhalt, dass das Gericht die Rechtzeitigkeit des Einspruchs feststellen, hilfsweise dem Betroffenen hinsichtlich der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren möge. Zur Begründung führt der Verteidiger aus, der Einspruch habe dem Betroffenen unter der in der Zustellungsurkunde angegebenen Anschrift nicht wirksam zugestellt werden können, da er dort lediglich seinen Geschäfts-, nicht hingegen seinen Wohnsitz unterhalten habe. Gemeldet sei er ausweislich der Meldeauskunft seit dem 01.08.2019 unter der Anschrift pp. 12529 Schönefeld“. Eine Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten sei von vornherein unter der Geschäftsanschrift nicht möglich gewesen, weil sich jedenfalls ein (vorrangiger) Versuch der persönlichen Zustellung aus der Zustellungsurkunde nicht ergebe. Zudem sei diese auch deshalb nicht möglich gewesen, da sich bereits zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs der Name des vom Betroffenen unterhaltenen Zulassungsbetriebs nicht mehr am Briefkasten befunden habe.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg:

„….. Eine wirksame Ersatzzustellung des Bußgeldbescheids am 07.09.2020, die die Einspruchsfrist hätte in Gang setzen können, ist nicht erfolgt.

Die Zustellungsurkunde, deren Beweiskraft sich gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO im Falle der Ersatzzustellung durch Einlegung i.S.v. § 180 ZPO auch und gerade darauf erstreckt, dass die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) ZPO nicht ausführbar gewesen ist, der Zusteller also unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer (vorrangigen) Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen und daher das Schriftstück in einen zu der Wohnung (oder dem Geschäftsraum) gehörenden Briefkasten (oder in eine ähnliche Vorrichtung) eingelegt hat (Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 182 Rn. 8, 14), wurde durch das Vorbringen des Betroffenen entkräftet. Es kann dabei offenbleiben, ob der Zustellungsurkunde aufgrund der Lückenhaftigkeit überhaupt die im Normalfall von ihr ausgehende volle Beweiskraft zukommt. Denn der Betroffene hat zur Überzeugung des Gerichts den Gegenbeweis über die Unrichtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen erbracht und die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet.

Zum einen handelt es sich gerade nicht — wie in der Postzustellungsurkunde angekreuzt — um die Wohnung des Betroffenen. Die beurkundete Tatsache ist objektiv falsch. Dass sich unter der Anschrift pp. kein Wohnhaus, sondern ein Gelände mit Gewerbebetrieben befindet, ist offensichtlich und hätte auch dem Zusteller nicht verborgen bleiben können. Zudem war der Betroffene nachweislich unter einer anderen Anschrift gemeldet, so dass es für die Behörde mit zumutbarem Aufwand möglich gewesen wäre, die Zustellung bzw. die Ersatzzustellung unter der tatsächlichen Wohnanschrift zu bewirken. Die ersatzweise Zustellung eines Bußgeldbescheides in den zur Wohnung eines Betroffenen gehörenden Briefkasten ist nur wirksam, wenn der Adressat unter der Zustellungsadresse auch tatsächlich wohnt, d.h. dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat. Dies war hier gerade nicht der Fall.

Zum anderen hat der Betroffene glaubhaft und plausibel dargestellt, dass eine Ersatzzustellung schon deshalb nicht möglich gewesen ist, weil sein Name sich zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs nicht mehr am Briefkasten befunden habe. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass ein vorheriger Versuch der persönlichen Übergabe — der auch erst auf Nachfrage bestätigt und zunächst in der Urkunde nicht angekreuzt wurde — nicht stattgefunden hat, sondern der Bußgeldbescheid vielmehr in einen anderen Briefkasten, nämlich den des Herrn Abe geworfen wurde. Die in seiner eidesstattlichen Versicherung dargelegten Umstände sind plausibel und glaubhaft, insbesondere die Ausführungen dahingehend, dass es sich um zwei verschiedene Bußgelbescheide gehandelt habe.

Da der Bußgeldbescheid dem Betroffenen erst am 06.10.2020 tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist, ist der mit selben Tag erfolgte, am 08.10.2020 bei der Zentralen Bußgeldstelle eingegangene Einspruch noch rechtzeitig erfolgt. Der vom Verteidiger gestellte Hauptantrag ist begründet, einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag bedurfte es daher nicht.“

OWi III: Rohmessdaten im Bußgeldverfahren, oder: AG Neuruppin „rückt“ die jetzt heraus

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Und als letzte Entscheidung dann seit ganz langer Zeit mal wieder eine amtsgerichtliche Entscheidung zur Einsicht und zum Verfügungstellen von Rohmessdaten. Zu den Fragen stelle ich ja – wie der ein oder andere vielleicht bemerkt hat – ja kaum noch Entscheidungen ein. Grund: Wir drehen uns im Kreis und die OLG machen eh, was sie wollen.

Den AG Neuruppin, Beschl. v. 14.07.2020 – 82.1 E OWi 76/20 -, den mir der Kollege Seeger aus Berlin geschickt hat, stelle ich nun aber ein. Denn das AG hat seine Rechtsprechung geändert, und zwar im positiven Sinn. Es sieht nämlich nun, die Bußgeldbehörde verpflichtet, der Verteidigung die Messdateien inklusive der unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messserie des Tattages auf einem geeigneten Speichermedium durch Übersendung in die Kanzleiräume des Verteidigers zur Verfügung zu stellen. Ich habe mir gedacht: Wenn man sonst auch häufig auf AG schimpft, dann kann man sie ja auch mal loben 🙂 .

Und zur Begründung führt das AG aus:

„Der Antrag ist zulässig und begründet.

Soweit bislang von der Abteilungsrichterin in ähnlich gelagerten Fällen eine von nachfolgenden Gründen abweichende Rechtsaufassung vertreten wurde, wird daran nicht mehr festgehalten.

Beim tatgegenständlich verwendeten Messverfahren mit dem Gerät POLISCAN FM1 handelt es sich unbestrittenermaßen um ein sog. Standardisiertes Messverfahren. Dies hat prozessual zur Folge, dass die Betroffenen mit der pauschalen Behauptung, sie seien nicht zu schnell gefahren und die Messung sei fehlerhaft, nicht gehört werden. Vielmehr obliegt es Ihnen, „substantiiert“ vorzutragen, aus welchen Gründen die durchgeführte Messung fehlerhaft ist. Der Betroffene hat demnach konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände anzuführen, um eine Messung in Zweifel zu ziehen. Dies führt — prozessual untechnisch formuliert – zu einer „Beweislastumkehr“, die dem Betroffenen neben dem Recht auf Einsicht in die bereits bei der Verfahrensakte befindlichen Beweismittel wegen des Grundsatzes des fairen Verfahrens die Möglichkeit eröffnen muss, die Messung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf mögliche Messfehler zu untersuchen.

Für eine solche Überprüfung benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen, insbesondere zu den Rohmessdaten in Form des vollständigen Messfilms. Denn erst die Auswertung dieser Daten versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem, konkretem Sachvortrag. der dem Gericht Anlass dazu geben kann, entsprechenden Beweisanträgen nachzugehen. Gerade durch die Überprüfung sämtlicher Messungen einer Messserie können bei einer möglicherweise auftretenden gewissen Fehlerhäufigkeit innerhalb einer Messserie Zweifel an der Richtigkeit sämtlicher Messungen der Messserie entstehen.

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, damit überhaupt eine Beweiserhebung über die Korrektheit der Messung durch das Gericht in Betracht kommt, sind ihm die Daten der gesamten Messserie zur Verfügung zu stellen. Wird dem Betroffenen dies versagt, wird ihm die Möglichkeit verwehrt oder aber zumindest unangemessen erschwert, die Daten auf Fehler untersuchen zu lassen, die der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit zugrunde liegen. Dann aber ist dem Betroffenen sein ureigenes Recht verwehrt, aktiv am Gang und Ergebnis des Verfahrens mitzuwirken (vgl. BVerfGE 46, 202).

Der Betroffene kann diesbezüglich auch nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs und das anschließende gerichtliche Verfahren verwiesen werden. Wie bereits vorstehend ausgeführt, kommt eine Beweiserhebung regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betroffene konkrete Umstände zu einem Messfehler vorträgt. Kennt er die Rohmessdaten nicht bzw. kann diese nicht unverschlüsselt auslesen, so wird ihm diese Möglichkeit zumindest teilweise genommen. Ein Beweisantrag des Betroffenen wäre dann „ins Blaue hinein“ gestellt und vom Gericht abzulehnen. Wird ein Herausgabeanspruch erst im gerichtlichen Verfahren oder gar erst in der Hauptverhandlung gestellt und das Gericht gezwungen, die Verhandlung daraufhin auszusetzen, würde dies zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung in einer durch kurze Verjährungsfristen geprägten Prozessordnung führen. Das Einsichtsrecht steht dem Betroffenen ohnehin nicht gegenüber dem erkennenden Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung zu. Vielmehr wäre er darauf zu verweisen, die Einsicht in die Messdaten außerhalb der Hauptverhandlung bei der aktenführenden Behörde zu beantragen. Dies sollte zweckmäßigerweise rechtzeitig vor der Hauptverhandlung geschehen. Damit ist dem Informationsinteresse des Betroffenen Genüge getan und zugleich gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Unterbrechung zur Gewährung der Einsicht unverhältnismäßig verzögert oder erschwert wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015. IV-2 RBs 63/15).

Soweit bislang — auch durch die Unterzeichnerin – argumentiert wurde, dass bei der Abwägung wechselseitiger Interessen datenschutzrechtliche Belange anderer, von den Messdaten erfasster Verkehrsteilnehmer derart stark betroffenen seien, dass eine Abwägung zu Lasten der Interessen des Betroffenen ausfällt, wird diese Argumentation ebenfalls nicht mehr aufrechterhalten.

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem Begehren auf Einsicht in die vollständige Messreihe nicht entgegen. Soweit mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht, weil von diesen jeweils Foto und Kennzeichen übermittelt werden, überwiegt vorliegend das Interesse des Betroffenen an der Durchsetzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf ordnungsgemäße Überprüfung der Messung. Es ist nicht ersichtlich, welche (unzulässigen) Informationen oder Schlussfolgerungen der Verteidiger oder auch ein hinzugezogener privater Sachverständiger aus der Einsichtnahme der entsprechenden Daten ziehen sollten. Der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme betrifft nur einen äußerst kurzen Zeitraum. Zudem werden lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer, die sich durch die Teilnahme am Straßenverkehr im Übrigen selbst der Verkehrsüberwachung durch die Behörden aussetzen, übermittelt werden. Vor allem aber ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege schon unter standesrechtlichen Gesichtspunkten zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden und er damit sachgemäß umgeht (vgl. LG Kaiserslautern, Beseht. v. 22.05.2019 – 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Hanau, Beseht. v. 07.01.2019 – 4b Qs 114/18, juris, dort Tz. 20). Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Missbrauch konkret nicht zu befürchten.

Der Verweis der Bußgeldstelle auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg ist im Hinblick auf die verweigerte Zurverfügungstellung der Rohmessdaten nicht zielführend. Die Entscheidung ist zu einem Fall ergangen, in welchem Rohmessdaten überhaupt nicht gespeichert werden. Das OLG hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde maßgeblich deshalb zurückgewiesen, weil — ungeachtet der formellen Unzulänglichkeiten ¬das jeweils erkennende Gericht im Falle eines standardisierten Messverfahrens ohne konkrete Anhaltspunkte für der Messung zugrunde liegende Fehler nicht dazu angehalten ist, die fehlenden Rohmessdaten als Anlass zu nehmen, den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt zu sehen und von einer Beweisverwertung abzusehen. Aus Sicht des Oberlandesgerichts besteht für eine anlasslose  Überprüfung eines im standardisierten Messverfahren erlangten Ergebnisses keine Notwendigkeit. Diese Konstellation ist aber mit der vorliegenden, in der der Betroffene durch eine (technisch mögliche) Einsicht in die Rohmessdaten erst Anhaltspunkten für etwaige Beweisermittlungspflichten des Gerichts nachgehen will, nicht vergleichbar.

Aus diesen Gründen sind der Verteidigung des Betroffenen die Daten der gesamten Messserie in unverschlüsselter Form auf einem geeigneten Datenträger zu übergeben.“

Die Begründung ist nicht neu, fasst aber die Argumente für die „Einsicht“ schön zusammen.

Fahrverbot II: Beharrlichkeit, oder: Wenn ein früheres Fahrverbot „gewirkt“ hat

© digitalstock – Fotolia.com

Die zweite Fahrverbotsentscheidung kommt vom AG Neuruppin. Das AG Neuruppin, Urt. v. 30.10.2017 – 82.1 OWi 3421 Js-OWi 2986/17 (67/17) – ist schon etwas älter. Der Kollege Lauterbach aus Solingen hat es mir aber erst vor kurzem geschickt.

In der Entscheidung geht es um einen „Außendienstler“, der schon vier mal straßenverkehrsrechtsrechtlich in Erscheinung getreten ist, und zwar:

„Am 09.10.2015 (rechtskräftig am 29.10.2015) wurde gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde Rheinpfalz in Speyer eine Geldbuße von 80,00 € verhängt wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h bei zulässigen 100 km/h am 10.08.2015.

Am 16.06.2016 (rechtskräftig am 06.07.2016) verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Köln gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 70,00 € wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h am 22.02.2016.

Am 26.08.2016 (rechtskräftig am 15.09.2016) verhängte die Bußgeldbehörde in Speyer erneut ein Bußgeld in Höhe von 100,00 € gegen den Betroffenen wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften am 07.06.2016. Außerdem wurde ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet.

Am 18.10.2016 (rechtskräftig am 05.11.2016) verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Herne gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 115,00 € wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h am 17.08.2016.“

Am 24.06.2018 kommt es dann zu der Geschwindigkeitsüberschreitung, die Gegenstand des Urteils ist. Das AG setzt – womit man an sich rechnen musste – aber kein (neues) Fahrverbot fest

„Außerdem liegt ein Regelfall für ein Fahrverbot nach 25 StVG vor, da durch die Erfüllung des Tatbestandes nach 4 Abs. 2 BKatV (eine Überschreitung der Geschwindigkeit um mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft einer vorhergehenden Buße wegen einer Überschreitung um mindestens 26 km/h) grundsätzlich eine beharrliche Pflichtverletzung zu vermuten ist, welche ein Fahrverbot indiziert.

Diese Vermutung lässt jedoch nicht die Pflicht zur Einzelfallprüfung entfallen.

Als beharrlich zählen Verkehrsverstöße, die zwar nicht zu den groben Verkehrsverstößen zählen, aber wiederholt begangen werden und die darauf schließen lassen, dass es dem Betroffenen an der für Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und notwendigen Einsicht in zuvor begangenes und geahndetes Unrecht fehlt (BGHSt 38,231).

Es handelt sich um eine wiederholte Geschwindigkeitsübertretung. Gegen den Betroffenen ist vor dieser Tat am 24.06.2016 wegen einer einschlägigen Tat, rechtskräftig bereits am 29.10.2015 ein Bußgeld verhängt worden.

Vor dieser Tat am 24.06.2016 hatte der Betroffene bereits am 07.06.2016 die Geschwindigkeit um 30 km/h überschritten und wurde dafür am 26.08.2016 mit Rechtskraft am 15.09.2016 (also nach der hier in Rede stehenden Tat ! ) zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.

Dieses Fahrverbot hat er in der Zeit vom 26.11.2016 – 26.12.2016 angetreten.

Die hier zu beurteilende Tat vom 24.06.2016 erfolgte also in Kenntnis nur der geahndeten Tat mit Rechtskraft vom 29.10.2015.

Alle weiteren Taten wurden erst nach dem vorliegenden Tatdatum später rechtskräftig.

Voraussetzung für die Annahme der Beharrlichkeit und die daraus folgende Anordnung eines Fahrverbots aus diesem Grunde ist die Begehung einer neuen Tat in Kenntnis von begangenem und geahndeten Unrecht (BGH a.a.O.).

Zur Überzeugung des Gerichts haben die Auswirkungen des bereits vollstreckten Fahrverbots vom 26.11 26.12.2016 bereits eine ausreichende erzieherische Wirkung auf den Betroffenen erzielt.

Der Betroffene ist seit dem verbüßten Fahrverbot nicht mehr auffällig geworden. Die Anordnung eines an sich nach dem Regelsatz der Bußgeldverordnung gebotenen weiteren Fahrverbotes (wegen einer geahndeten Tat von 2015) ist zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr erforderlich (vgl. OLG Brandenburg 19.03.2015 -(2b) 53 Ss-OWi 62/15(38/15) -und vom 16.09.2014 -(2B) 53 SsOWi 456/14(217/14) m.w.N.“

Und: Hilfsweise prüft das AG eine „unbillige Härte“ und bejaht die wegen eines drohenden Arbeitsplatzverlustes. Ob das alles in anderen Bundesländern so rechtskräftig geworden wäre, wage ich zu bezweifeln.

Blankovollmacht – immer wieder schön, immer wieder erfolgreich

Der Kollege Hoenig hatte neulich schon über den vom Kollegen Handschuhmacher aus Berlin „erstrittenen“ AG Neuruppin, Beschl. v. 18.03.2013 – 84.1 OWi 3107 Js-OWi 31314/12 (239/12) -berichtet (vgl. hier). Beim Kollegen Hoenig habe ich mir auch den Beschluss „geklaut“ – ich bitte um Nachsicht -, der das altbekannte, aber immer wieder schöne und erfolgreiche Thema der Vorlage einer Blankovollmacht zum Inhalt hat. Deshalb auch hier:

Der Kollege Handschuhmacher hat im Bußgeldverfahren eine „Blankovollmacht“ vorgelegt, ihm wird dann der Bußgeldbescheid zugestellt und das war es. Denn: Verjährungsfrist ist nicht unterbrochenVerjährung ist nicht eingetreten, weil die Zustellung mangels Zustellungsvollmacht (§§ 145a StPO, 51 OWiG) nicht wirksam war. Dazu kurz und trocken das AG:

„Die Verjährung wird gem.§ 33 Abs.1 Ziffer 1 OWiG unterbrochen durch die erste Vernehmung (Anhörung) des Betroffenen , die Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung der Vernehmung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe.

Mit der Anhörung des Betroffenen am 21.08.2012 ist die Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs.1 Ziffer 1 OWiG unterbrochen worden.

Der Erlass des Bußgeldbescheids vom 18.09.2012 (B1. 16 d.BA), welcher nicht wirksam zugestellt werden konnte, konnte die Verjährung hinsichtlich der im Bußgeldbescheid vorgeworfenen Tat nicht unterbrechen.

Zugestellt worden ist der Bußgeldbescheid am 20.09.2012 an Herrn Rechtsanwalt Bert Handschuhmacher von der Kanzlei HL Handschumacher Limbeck GBR.

Auf der der Behörde vorliegenden Zustellungsvollmacht wurde jedoch ein Bevollmächtigter nicht ausdrücklich benannt sondern nur die Anschrift der Kanzlei im Kopf des Schreiben angeführt.

Der Vordruck ist an der dafür vorgesehen Stelle nicht ausgefüllt.

Eine derartige „ Blankovollmacht“ ist nicht geeignet, die vom Gesetz gewollte förmliche Sicherheit bei Zustellungsadressaten zu gewährleisten (BGHSt 41,303,304).

Aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde muss sich neben dem Gegenstand der Bevollmächtigung und dem Vollmachtgeber auch die Person des Bevollmächtigten selbst einwandfrei ergeben .

Den Voraussetzungen des § 145 a Abs.1 StPO genügt auch nicht, dass sich ein Rechtsanwalt, der die Vollmacht vorlegt, wie hier im Begleitschreiben sich auf die anliegende Vollmacht beruft. Denn damit behauptet allein der Vollmachtnehmer seine Bevollmächtigung.

Die besondere Stellung des Verteidigers im Straf – und Bußgeldverfahren bedingt höhere Anforderungen an die förmliche Sicherheit beim Zustellungsadressaten als in anderen Verfahrensordnungen( so auch OLG Stuttgart vom 21.02.2000 NStZ-RR 2001,24- 25 ; KG Berlin vom 16.06.2008 VRR 2008, 355 ).“

Nichts Neues, aber eine Problematik/Rechtsfolge, die den Verwaltungsbehörden eigentlich bekannt sein sollte.